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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner, Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde der H in K, vertreten durch die Sachwalterin D, diese vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in E, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 25. August 1994, Zl. GA 5 - 1835/92, betreffend Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die am 30. November 1952 geborene Beschwerdeführerin erlitt auf Grund einer Pockenschutzimpfung im ersten Lebensjahr eine Schädigung des Nervensystems und leidet zusätzlich an Epilepsie. Im Ergebnis einer im Jahre 1973 durchgeführten Untersuchung wurde bei ihr eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 80 % festgestellt. In den Jahren 1969 bis 1975 stand die Beschwerdeführerin mit Unterbrechungen in Beschäftigungsverhältnissen. Am 18. November 1974 schloß sie eine Ehe, der zwei Kinder entsprossen. Diese Ehe wurde am 6. November 1990 im Einvernehmen gemäß § 55a Ehegesetz geschieden, wobei der Ehemann der Beschwerdeführerin sich dazu verpflichtete, ihr im Zeitraum der Jahre 1991 und 1992 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag in Höhe von S 500,-- zu leisten, während die Beschwerdeführerin für den Zeitraum ab dem 1. Jänner 1993 ihrem Ehemann gegenüber aus Anlaß der Scheidung auf jeglichen Unterhalt verzichtete. Den vom geschiedenen Ehemann der Beschwerdeführerin für die gemeinsamen Kinder vereinbarten Unterhaltsbeträgen wurde ein monatliches Nettolohneinkommen des geschiedenen Ehegatten der Beschwerdeführerin in Höhe von S 15.000,-- zugrundegelegt. Die Beschwerdeführerin bezieht auf Grund ihrer als Impfschaden nach dem Impfschadengesetz anerkannten Gesundheitsschädigung eine Beschädigtenrente, die ausgehend von einer im Jahre 1973 festgestellten Minderung der Erwerbsfähigkeit der Beschwerdeführerin im Umfang von 80 % mit Wirkung vom 1. Jänner 1991 zuletzt auf monatlich S 10.137,-- erhöht worden war. Im Ergebnis einer am 1. Juli 1991 neuerlich vorgenommenen amtsärztlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin kam der Amtsarzt zur Feststellung, daß die Beschwerdeführerin nunmehr als vollständig erwerbsunfähig anzusehen sei.
Pflegebedürftigkeit bestehe allerdings nicht, da die Beschwerdeführerin zu Hause mit ihren beiden Kindern mit Unterstützung der Eltern leben könne. Die der Beschwerdeführerin zuerkannte Beschädigtenrente wurde daraufhin mit Bescheid des Bundesministers für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz vom 1. Oktober 1991 auf monatlich S 11.072,-- angehoben, sie betrug im Jahre 1994 S 12.837,-- monatlich.
Am 16. Juli 1991 langte beim Finanzamt ein mit 1. Juli 1991 datiertes amtsärztliches Zeugnis über die Beschwerdeführerin ein, in welchem der Amtsarzt im Ergebnis seiner Begutachtung zur Schlußfolgerung kam, daß die Beschwerdeführerin voraussichtlich dauernd nicht fähig sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Am 17. März 1992 langte beim Finanzamt ein Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe aus dem Grunde des § 6 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (im folgenden: FLAG) "ab 1.7.1986" ein, in welchem vorgebracht wurde, daß die Beschwerdeführerin seit dem 6. Lebensmonat erheblich behindert sei. Dem Antrag waren Unterlagen angeschlossen, aus denen sich die zu Beginn der Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses dargestellten Lebensverhältnisse der Beschwerdeführerin ergaben.
Mit seinem Bescheid vom 16. April 1992 wies das Finanzamt diesen Antrag mit der Begründung ab, daß dem von der Beschwerdeführerin auf die Bestimmung des § 6 Abs. 5 FLAG gestützten Anspruch entgegenstehe, daß eine Unterhaltspflicht ihrer Eltern für sie nicht mehr bestehe.
Der von der Beschwerdeführerin dagegen erhobenen Berufung blieb im nunmehr angefochtenen Bescheid ein Erfolg versagt. In der Begründung des angefochtenen Bescheides vertrat die belangte Behörde die Auffassung, daß die Wortfolge "deren Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen" in der Bestimmung des § 6 Abs. 5 FLAG erweise, daß für einen Eigenanspruch eines Kindes auf Familienbeihilfe maßgeblich sei, ob die Eltern überhaupt noch verpflichtet seien, den Unterhalt für das Kind zu leisten. Dies müsse aber verneint werden, weil das von der Beschwerdeführerin aus der Beschädigtenrente bezogene Einkommen der Annahme einer aufrechten Unterhaltspflicht ihrer Eltern für sie entgegenstünde. Für den Zeitraum, während dessen die Beschwerdeführerin noch verheiratet gewesen sei, müsse der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Anspruch zudem am Bestand der Unterhaltspflicht ihres Ehemannes für sie scheitern. Da ein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe im Streitzeitraum nicht bestehe, komme auch die Zuerkennung des Erhöhungsbetrages im Sinne des § 8 Abs. 4 FLAG nicht in Betracht.
In der vorliegenden Beschwerde wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides aus dem Grunde der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder jener infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit der Erklärung begehrt, daß die Beschwerdeführerin sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Gewährung der Familienbeihilfe als verletzt ansehe.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 FLAG werden zur Herbeiführung eines Lastenausgleiches im Interesse der Familie die nach diesem Bundesgesetz vorgesehenen Leistungen gewährt.
Nach § 2 Abs. 1 FLAG haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für die in lit. a bis lit. f genannten Kinder. § 2 Abs. 2 FLAG ordnet an, daß Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind die Person hat, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
§ 6 FLAG regelt die Voraussetzungen, unter denen eine Person für sich selbst Anspruch auf Familienbeihilfe hat. Der erste Absatz dieses Paragraphen normiert den Anspruch minderjähriger Vollwaisen und schließt ihn für solche Vollwaisen aus, denen Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist (lit. b). Der zweite Absatz des § 6 FLAG bestimmt über den Anspruch volljähriger Vollwaisen, wobei im Falle der lit. d leg. cit. für den Anspruch volljähriger Vollwaisen neben dem Vorliegen der schon für minderjährige Vollwaisen normierten Bedingungen (Abs. 1) gefordert ist, daß sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden. § 6 Abs. 3 FLAG normiert den Ausschluß des Eigenanspruchs auf Familienbeihilfe bei Erzielung näher umschriebener Einkünfte, § 6 Abs. 4 FLAG definiert den Begriff der Vollwaisen. Der fünfte Absatz dieses Paragraphen erhielt durch die Novelle BGBl. Nr. 311/1992 folgenden Wortlaut:
"(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3)."
Wiewohl die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Erwägungen zur Interpretation eines Gesetzestextes begründet hat, der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht mehr in Geltung stand, leidet der angefochtene Bescheid dennoch an keiner Rechtswidrigkeit, weil sein Spruch der Rechtslage entspricht.
Die wiedergegebenen Bestimmungen des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 zeigen nämlich in ihrem Zusammenhang, daß die Bestimmung des § 6 Abs. 5 FLAG auch in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 311/1992 vom aufrechten Bestehen einer Unterhaltspflicht der Eltern der anspruchswerbenden Person ausgeht. Dafür spricht schon die Wortinterpretation zufolge Verwendung der Worte "Unterhalt leisten" im geltenden Gesetzestext, weil dieser der Terminologie des Zivilrechtes (§§ 140, 141, 142 ABGB, § 1 Unterhaltsschutzgesetz 1985) entnommene Begriff in seiner dem Zivilrecht entsprechenden Verwendung das Bestehen einer gesetzlichen Pflicht zur Unterhaltsleistung denknotwendig voraussetzt. Keinen anderen Befund liefert die teleologische Interpretation der anzuwendenden Vorschrift. Ausgehend vom erklärten Gesetzeszweck der Herbeiführung eines Lastenausgleiches im Interesse der Familie begründen die Bestimmungen des § 2 FLAG die Anspruchsberechtigung derjenigen Person auf Gewährung der Familienbeihilfe für ein Kind, welche die mit der Versorgung dieses Kindes verbundenen Lasten trägt. Die Bestimmungen des § 6 Abs. 1 bis 4 FLAG sind vor diesem Hintergrund als von der gesetzgeberischen Absicht getragen zu erkennen, das Kind, das keine Eltern hat, von diesem Lastenausgleich nicht auszuschließen und den Anspruch auf Gewährung auf Familienbeihilfe deshalb - ausnahmsweise - einem solchen Kind selbst einzuräumen. Mit der in § 6 Abs. 5 FLAG getroffenen Regelung schließlich sollten solche Kinder den Waisen gleichgestellt werden, deren Eltern als Träger der auszugleichenden Lasten aus anderen Gründen als den in § 6 Abs. 4 FLAG genannten nicht auftreten. Dies hatte der Text der Vorschrift des § 6 Abs. 5 FLAG vor seiner Neufassung durch die Novelle BGBl. Nr. 311/1992 unmißverständlich durch die Worte "deren Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen" zum Ausdruck gebracht. An einem solchen Verständnis der Regelung ist auch in der Interpretation des nunmehr in Kraft stehenden Gesetzeswortlautes festzuhalten. Für eine in diese Richtung gehende gesetzgeberische Absicht sprechen auch die Gesetzesmaterialien (465 der Beilagen XVIII. GP). Daß der Gesetzgeber der Novelle BGBl. Nr. 311/1992 mit der Neufassung der Bestimmung des § 6 Abs. 5 FLAG die aus dem gesamten dargestellten Normengefüge hervorleuchtende Grundkonzeption des Systems der Anspruchsberechtigung auf Familienbeihilfe dahin verlassen hätte wollen, daß ein Eigenanspruch einer Person auf Familienbeihilfe ohne das Element des "Ausfallens" der die Last der Versorgung von Kindern sonst tragenden Eltern statuiert werden sollte, wodurch auch Personen den Waisen gleichgestellt worden wären, denen gegenüber Unterhaltspflichten ihrer Eltern nicht mehr bestehen, ist nicht zu erkennen (vgl. hiezu auch die zutreffenden Ausführungen in Burkert/Hackl/Wohlmann/Wittmann/Galletta, Kommentar zum Familienlastenausgleich, C 1 zu § 6 FLAG).
Vom Wegfall der Unterhaltspflicht der Eltern der Beschwerdeführerin für diese ist die belangte Behörde angesichts der Höhe der von der Beschwerdeführerin bezogenen Beschädigtenrente aber zutreffend ausgegangen. Wenn die Beschwerdeführerin dagegen einwendet, daß mit dem zugestandenen Untergang ihres Anspruches auf "Geldunterhalt" nicht auch jener auf "Betreuung, Beaufsichtigung und Pflege" erloschen sei, ist ihr zu erwidern, daß es jedenfalls bei der an § 2 Abs. 2 Satz 2 FLAG orientierten Bestimmung des § 6 Abs. 5 FLAG allein auf den Geldunterhalt ankommt. Für die belangte Behörde bestand daher kein Anlaß zu weiteren, von der Beschwerdeführerin nunmehr vermißten Ermittlungen, da nicht klärungsbedürftig war, ob die Eltern der Beschwerdeführerin noch am Leben sind.
Schließlich stand dem von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Anspruch aber auch noch der Umstand entgegen, daß, worauf die belangte Behörde in der Gegenschrift zutreffend verweist, sie die Anspruchsvoraussetzungen auch nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG nicht erfüllt. Die Beschwerdeführerin hat das 21. Lebensjahr am 30. November 1973 vollendet, machte in der Folge keine Berufsausbildung durch, stand aber noch im Jahre 1975 in einem Beschäftigungsverhältnis. Daß eine mehrjährige berufliche Tätigkeit jedoch der Annahme entgegensteht, daß die betroffene Person voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, weil der Familienbeihilfenanspruch nur für jemanden gedacht ist, der zufolge einer im Kindesalter eingetretenen erheblichen Behinderung niemals erwerbsfähig geworden ist, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. November 1990, 90/13/0129, und vom 8. April 1987, 86/13/0206).
Für die Zeit des Ehestandes der Beschwerdeführerin schließlich mußte der geltend gemachte Anspruch zudem noch am Vorliegen des Ausschlußtatbestandes ihres Unterhaltsanspruches gegenüber dem Ehegatten nach § 6 Abs. 1 lit. b FLAG scheitern.
Die Beschwerde erwies sich somit als unbegründet und war deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel VerfahrensbestimmungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995130007.X00Im RIS seit
01.06.2001