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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner, Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde der I in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat VI, vom 27. November 1992, GZ 6/3-3371/92-04, betreffend Einkommen- und Gewerbesteuer 1984 und 1985, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 5. April 1992, 90/13/0167, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis war die Berufungsentscheidung der belangten Behörde vom 13. Juni 1990, GZ 6/3-3234/89-04, insoweit, als sie Einkommen- und Gewerbesteuer 1984 und 1985 betraf, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben worden, wobei der Gerichtshof der belangten Behörde insbesondere eine unschlüssige Beweiswürdigung zum Vorwurf machte. So wurde die Folgerung der belangten Behörde, die am 20. August 1985 erfolgte Präzisierung der am Vortag erstatteten Anzeige gegen unbekannte Täter in dem Sinne, daß nur die Angestellte Brigitte R. als Täterin einer Veruntreuung von Losungen aus dem Trafikunternehmen der Beschwerdeführerin in Frage kommen könne, stelle einen Widerspruch dar, als unschlüssig angesehen. Weiters wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, die Schlußfolgerung der belangten Behörde, mit ihrem in der Vernehmung vom 21. August 1985 erfolgten Hinweis auf das Gelegenheitsverhältnis der Brigitte R. habe die Beschwerdeführerin dafür gesorgt, daß die Hausdurchsuchung bei Brigitte R. erst vier Monate später vorgenommen wurde, sei in keiner Weise nachvollziehbar und widerspreche den Denkgesetzen. Schließlich bemängelte der Gerichtshof die fehlende Auseinandersetzung der belangten Behörde damit, daß der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren der Nachweis darüber gelungen war, daß es nach dem 10. August 1985 zu keinen Fehlbeträgen mehr gekommen war.
Mit der nunmehr in Beschwerde gezogenen Berufungsentscheidung wies die belangte Behörde die Berufung ohne Durchführung weiterer Erhebungen hinsichtlich Einkommen- und Gewerbesteuer 1984 und 1985 neuerlich als unbegründet ab. Die belangte Behörde gelangte nach einer Auseinandersetzung mit dem Ergebnis des Verwaltungsverfahrens zu der Auffassung, daß keine Hinweise für eine "Täterschaft" der Brigitte R. bestünden. Dem stehe auch nicht entgegen, daß die Beschwerdeführerin nachgewiesen habe, daß es nach dem 10. August 1985 zu keinen Fehlbeträgen mehr gekommen sei.
In der Beschwerde gegen diesen Bescheid werden dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Beschwerde stattgegeben hat, so sind die Verwaltungsbehörden gemäß § 63 Abs. 1 VwGG verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Eine Bindung an ein vorausgegangenes Erkenntnis kann dabei nur insoweit bestehen, als der Gerichtshof darin zu konkreten Fragen seine Rechtsanschauung geäußert hat. In diesem Sinne hat der Gerichtshof der belangten Behörde im Vorerkenntnis aufgetragen, sich damit auseinanderzusetzen, daß die Beschwerdeführerin den Nachweis erbracht hat, daß es nach dem 10. August 1985 zu keinen Fehlbeträgen mehr gekommen ist. Dem ist die belangte Behörde im nunmehr angefochtenen Ersatzbescheid formell nachgekommen. Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin ist dieser Bescheid - ungeachtet des Umstandes, daß diese Auseinandersetzung nicht zu einem für die Beschwerdeführerin günstigen Ergebnis führte - daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes nicht belastet.
Im Beschwerdefall war zunächst wesentlich, ob eine widerrechtliche Bereicherung der Angestellten Brigitte R. als nachgewiesen angesehen werden kann. Die belangte Behörde verneint dies mit der Begründung, daß keine Hinweise auf eine Täterschaft der Brigitte R. vorgelegen seien. Tatsächlich hat das gegen Brigitte R. von den zuständigen Behörden geführte Verfahren keinen entsprechenden Tatverdacht ergeben. Daß dabei die Beschwerdeführerin in ihren verschiedenen Angaben vor der Sicherheitsbehörde diverse Vermutungen aufgestellt hat, ist aus der Sicht einer sich als Opfer einer strafbaren Handlung wähnenden Person nicht ungewöhnlich. Auch Widersprüche im Vorbringen der Beschwerdeführerin können entgegen der Meinung der belangten Behörde nicht erkannt werden: Daß die Beschwerdeführerin bereits im Jänner 1985 das Fehlen von Einnahmen vermutete, steht nicht im Gegensatz dazu, daß sie einen konkreten Verdacht erst im darauffolgenden August schöpfte, als ihr nämlich von ihrem steuerlichen Vertreter - den sie auf ihre Vermutungen über Abgänge hingewiesen hatte - über die Kalkulationsdifferenz berichtet wurde. Es widerspricht auch nicht jeglicher Lebenserfahrung, daß die Beschwerdeführerin, als sie Verdacht schöpfte, außer dem Auftrag an ihren steuerlichen Vertreter keine vorläufigen Sicherungsmaßnahmen traf.
Konnte somit durch die durchgeführten Erhebungen - eine Vernehmung der Brigitte R. sowie eine Besichtigung der Wohnung - ein strafbares Verhalten der Brigitte R. nicht als erwiesen angesehen werden, so ist damit entgegen der Auffassung der belangten Behörde der Streit nicht entschieden, weil aus dem bloßen Mißlingen eines Nachweises auf das Erwiesensein des Gegenteiles nicht zwingend geschlossen werden kann. Vielmehr hätte sich die belangte Behörde mit den übrigen Umständen des Falles nicht allein in formeller Hinsicht, sondern substantiell auseinanderzusetzen gehabt. Der zeitliche Ablauf des Geschehens, vom ersten Auftauchen von Verdachtsmomenten, dem Auftrag an den steuerlichen Vertreter, die Aufstellung einer Zwischenbilanz nach Vorliegen der Kalkulation für 1984, die Anzeigeerstattung und die mehrmaligen Angaben gegenüber den Sicherheitsbehörden - die wie ausgeführt keine Widersprüche erkennen lassen -, sprechen für die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin. Insbesondere ist es nicht schlüssig, wenn dem im Verfahren gelungenen Nachweis, daß es nach dem 10. August 1985 zu keinen Fehlbeträgen mehr gekommen ist, deswegen keine Bedeutung beigemessen wurde, weil der Nachweis für ein strafbares Verhalten der Brigitte R. mißlungen ist und weil die Beschwerdeführerin nichts zur Aufdeckung einer strafbaren Handlung getan habe. Letztere Feststellung der Behörde ist überdies unzutreffend, weil sie eben den steuerlichen Vertreter mit der Erstellung einer entsprechenden Kalkulation beauftragt hatte. Ferner wurde von der Behörde außer acht gelassen, daß nach dem Erhebungsergebnis auch andere Personen in einem Gelegenheitsverhältnis gestanden sind, wenngleich diesbezüglich weitere Ermittlungen der Sicherheitsbehörden unterblieben.
Die Beweiswürdigung der belangten Behörde erweist sich damit neuerlich als unschlüssig. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung die Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1993130006.X00Im RIS seit
20.11.2000