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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art10 Abs1 Z8Leitsatz
Aufhebung der die unmittelbare Anrufbarkeit des unabhängigen Verwaltungssenats mit Berufung regelnden Bestimmung des KFG 1967 mangels Zustimmung der Länder zur Kundmachung in einer Angelegenheit der mittelbaren BundesverwaltungSpruch
I. §123 Abs1 letzter Satz Kraftfahrgesetz 1967, BGBl. Nr. 267 idF BGBl. Nr. 452/1992, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. Juni 1994 in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
II. Die vom Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich unter den Z Senat-AB-93-008 und Senat-AB-93-009 gestellten Anträge werden zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich stellte zum AZ G37/93 auf Grund seines Kammerbeschlusses vom 22. Jänner 1993 in dem bei ihm anhängigen Verfahren über die Berufung des F B gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Oberösterreich vom 13. Oktober 1992, ZVerkR-340031/2-1992/Atz, womit ein Antrag um Bewilligung der Anbringung einer Warnleuchte mit blauem Licht am Privatfahrzeug wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde, gemäß Art140 Abs1 iVm Art129 a Abs3 und Art89 Abs2 B-VG den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge "§123 Abs1 letzter Satz des Kraftfahrgesetzes 1967, BGBl. Nr. 267, idF des ArtIV Z4 des Bundesgesetzes über Änderung von Vollzugszuständigkeiten des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr, mit dem das Eisenbahngesetz, das Eisenbahnbeförderungsgesetz, das Kraftfahrliniengesetz, das Kraftfahrgesetz, das Gefahrengutgesetz - Straße, das Gelegenheitsverkehrsgesetz, das Güterbeförderungsgesetz, das Luftfahrtgesetz, das Bundesgesetz über den zwischenstaatlichen Luftverkehr, das Seeschiffahrtsgesetz und das Schifffahrtsgesetz geändert werden, BGBl. Nr. 452/1992, als verfassungswidrig aufheben."
1.1.1.2. Der unabhängige Verwaltungssenat führte dazu ua. wörtlich aus:
"Mit dem nunmehr als Grundlage für die Beurteilung dienenden verfahrensrechtlichen Bescheid vom 13. Oktober 1992, ZVerkR-340031/2-1992/Atz, hat der Landeshauptmann von Oberösterreich als Organ der mittelbaren Bundesverwaltung in erster Instanz den Antrag des F B, Kommandant der freiwilligen Feuerwehr Leonding, um Bewilligung zum Anbringen einer Warnleuchte mit blauem Licht am Privatfahrzeug wegen entschiedener Sache abgelehnt (wohl zurückgewiesen). Dem ging aufgrund eines Antrags des F B vom 27. September 1991, eingelangt beim Landeshauptmann von Oberösterreich am 3. Oktober 1991, ein in der Sache abweislicher Bescheid des Landeshauptmanns von Oberösterreich vom 9. Oktober 1991, VerkR-340031/1-1991/Atz, voraus, welcher nach Zustellung in Rechtskraft erwachsen war. Der Einschreiter beantragte anschließend am 23. September 1992, eingelangt beim Landeshauptmann von Oberösterreich am 1. Oktober 1992, unter Hinweis auf angeblich geänderte Verhältnisse neuerlich die Bewilligung zum Anbringen einer Warnleuchte mit blauem Licht an seinem Privatfahrzeug... Gemäß §20 Abs4 erster Satz KraftfahrG 1967, BGBl. Nr. 267, idF des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 449/1992, dürfen andere als die im §14 Abs1 bis 7, in den §§17 bis 19 und in den Abs1 bis 3 angeführten Scheinwerfer, Leuchten und Rückstrahler oder andere Lichtfarben nur mit Bewilligung des Landeshauptmanns an Kraftfahrzeugen und Anhängern angebracht werden und nur, wenn der Antragsteller hiefür einen dringenden beruflichen oder wirtschaftlichen Bedarf glaubhaft macht. Um einen solchen Fall handelt es sich bei einem 'Ansuchen um Verwendung einer Warnleuchte mit Blaulicht an einem Privatfahrzeug'. Damit wurde in erster Instanz der Landeshauptmann zur Entscheidung zuständig. Gemäß Art103 Abs4 B-VG geht in Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung - um eine solche handelt es sich zweifellos (vgl. Art10 Abs1 Z9 B-VG iVm Art102 Abs1 und 2 B-VG) - der administrative Instanzenzug gegen eine Entscheidung des Landeshauptmanns als erste Instanz, wenn nicht bundesgesetzlich anderes bestimmt ist, bis zum zuständigen Bundesminister. Die Berufung erscheint demnach zulässig. Der O.ö. Verwaltungssenat geht zusammenfassend davon aus, daß er §123 Abs1 letzter Satz KraftfahrG 1967, BGBl. Nr. 267 idF des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 452/1992, iVm §20 Abs4 erster Satz KraftfahrG 1967 anzuwenden hat und zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, und zwar ... als zweite Instanz...
Das Kraftfahrwesen und damit Kraftfahrgesetz ist gemäß Art10 iVm Art102 B-VG eine Angelegenheit der mittelbaren Bundesverwaltung iSd Art129 a Abs2 B-VG. Eine Zustimmung jedenfalls des Landes Oberösterreich zur Kundmachung der ... Gesetzesstellen (§123 Abs1 letzter Satz KFG idF BGBl. 452/1992) wurde nicht erteilt. Der O.ö. Verwaltungssenat erlaubt sich, auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 1. Oktober 1992, G103-107/92 ua., hinzuweisen, aus dem abgeleitet werden kann, daß ein ... Zustimmungserfordernis der Länder gemäß Art129 a Abs2 B-VG in Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung unstrittig ist. Die zur Prüfung beantragte einfachgesetzliche Bestimmung des KraftfahrG 1967 scheint demnach aus den oben genannten Gründen der Bundesverfassung nicht zu entsprechen. Durch eine allfällige nachträgliche Zustimmung der Länder - die nach h. Kenntnis aber ohnedies nicht erfolgt ist - wäre nach Auffassung des O.ö. Verwaltungssenats der Zustimmungsmangel auch nicht sanierbar, da sich die Zustimmung als eine - unverzichtbare - Voraussetzung für die Kundmachung eines entsprechenden Gesetzes darstellt."
1.1.2.1. Ferner stellte der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich zum AZ G63/93 durch seine zuständige Kammer (Beschluß vom 24. März 1993) in dem bei ihm anhängigen Verfahren über die Berufung des F H gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Niederösterreich vom 4. März 1993, ZI/7-M-H-454/4-4, womit eine Ermächtigung zur wiederkehrenden Begutachtung von Fahrzeugen in der Prüfstelle 3902 Vitis, Hornerstraße 19, - gestützt auf §57 a Abs2 KraftfahrG 1967 - widerrufen wurde, gemäß Art140 Abs1 iVm Art129 a Abs3 und Art89 Abs2 B-VG den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge "den §123 Abs1 letzter Satz des Kraftfahrgesetzes 1967, BGBl. Nr. 267 idF BGBl. Nr. 454/1992, als verfassungswidrig auf(...)heben".
1.1.2.2. Zur Frage der Präjudizialität der angefochtenen Norm legte der unabhängige Verwaltungssenat dar:
"Beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich ist eine Berufung des ... F H gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Niederösterreich vom 4. März 1993, I/7-M-H-454/4-4, anhängig. Mit diesem Bescheid wurde dem Berufungswerber die mit Bescheid des Landeshauptmanns von Niederösterreich vom 5. März 1990, I/7-M-H-454/0-4, erteilte Ermächtigung zur wiederkehrenden Begutachtung von Fahrzeugen in der Prüfstelle 3902 Vitis, Hornerstraße 19, widerrufen. Als Rechtsgrundlage ist §57 a Abs2 des KraftfahrG 1967 angeführt. Die Berufung wurde rechtzeitig eingebracht. Gemäß §123 Abs1 letzter Satz KraftfahrG 1967, BGBl. Nr. 267 idF BGBl. Nr. 454/1992, haben, sofern der Landeshauptmann in erster Instanz entscheidet, über dagegen eingebrachte Berufungen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern zu entscheiden. Da sich die Berufung gegen einen Bescheid des Landeshauptmanns von Niederösterreich wendet, ist diese Bestimmung für den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich im vorliegenden Fall präjudiziell."
Zur Sache selbst heißt es:
"Die angefochtene Bestimmung sieht - auf den konkreten Fall angewendet - die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenats im Land Niederösterreich zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide des Landeshauptmanns von Niederösterreich in Vollziehung des KraftfahrG 1967 vor. Die Vollziehung des KraftfahrG 1967 fällt gemäß Art10 Abs1 Z9 B-VG in die Zuständigkeit des Bundes, die Ausübung der Vollziehung ist gemäß Art102 Abs1 B-VG dem Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung zuzuordnen. Art129 a Abs2 zweiter Satz B-VG normiert hiefür die Zustimmung der beteiligten Länder als Kundmachungsvoraussetzung. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem richtungweisenden Erkenntnis vom 1. Oktober 1992, G103-107/92 ua., mit dem §51 Abs1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. Nr. 52, als verfassungswidrig aufgehoben wurde, eindeutig klargestellt, daß für die Kundmachung von Angelegenheiten, die im Art129 a Abs2 zweiter Satz B-VG angeführt sind, die Zustimmung der beteiligten Länder erforderlich ist. Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich ist daher der Ansicht, daß §123 Abs1 letzter Satz KraftfahrG 1967, BGBl. Nr. 267 idF BGBl. Nr. 454/1992, mangels der gemäß Art129 a Abs2 B-VG erforderlichen Kundmachungszustimmung der Länder (im gegenständlichen Fall des Landes Niederösterreich) verfassungswidrig ist."
1.2.1. Die zu Äußerungen aufgeforderte Bundesregierung nahm unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 1. Oktober 1992, G103-107/92 ua., von der Erstattung einer schriftlichen meritorischen Stellungnahme Abstand.
1.2.2. Desgleichen gaben die verfahrensbeteiligten Parteien keine Äußerungen ab.
1.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich stellte zuletzt noch auf Grund seiner Kammerbeschlüsse vom 2. und 18. Juni 1993 unter den Z Senat-AB-93-008 und Senat-AB-93-009 in zwei bei ihm anhängigen Verfahren gemäß Art140 Abs1 iVm Art129 a Abs3 und Art89 Abs2 B-VG die gleichlautenden Anträge, der Verfassungsgerichtshof möge "den §123 Abs1 letzter Satz des Kraftfahrgesetzes 1967, BGBl. Nr. 267 idF BGBl. Nr. 454/1992, als verfassungswidrig auf(...)heben." Diese Anträge langten am
4. bzw. 21. Juni 1993 beim Verfassungsgerichtshof ein.
Im Hinblick auf das bereits fortgeschrittene Prozeßgeschehen war eine formelle Einbeziehung dieser Anträge in das vorliegende Verfahren nicht mehr möglich. Die Anträge (G95,108/93) waren sohin zurückzuweisen (vgl. zB VfSlg. 10394/1985, VfGH 13.3.1993 G212-215/92 ua.).
2. Über die - zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen - Anträge (G37,63/93) wurde erwogen:
2.1. Die antragstellenden Senate vertreten in den Anfechtungsschriften die Auffassung, daß sie in den bei ihnen anhängigen Rechtssachen die Bestimmung des §123 Abs1 letzter Satz KraftfahrG 1967, BGBl. 267 idF BGBl. 452/1992 (durch die Nov. BGBl. 453 und 454/1992 unberührt geblieben), anzuwenden haben. Der Verfassungsgerichtshof hat die dafür gegebene Begründung nach ständiger Rechtsprechung (zB VfSlg. 9284/1981 uam.) nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Denkmöglichkeit hin zu untersuchen: Unter diesem Aspekt kann aber der Rechtsauffassung der Verwaltungssenate offensichtlich nicht entgegengetreten werden.
Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, sind die Gesetzesprüfungsanträge zulässig.
2.2.1. Art129 a Abs2 B-VG wurde durch die B-VG-Novelle 1988, BGBl. 685, in das B-VG eingefügt und hat folgenden Wortlaut:
"Es kann gesetzlich vorgesehen werden, daß die Entscheidungen in erster Instanz unmittelbar beim unabhängigen Verwaltungssenat angefochten werden können. In den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung sowie der Art11 und 12 dürfen derartige Bundesgesetze nur mit Zustimmung der beteiligten Länder kundgemacht werden."
§123 Abs1 letzter Satz KraftfahrG 1967, BGBl. 267 idF des ArtIV Z4 des BundesG BGBl. 452/1992, der von den Novellen BGBl. 453 und 454/1992 unberührt blieb, lautet:
"Entscheidet der Landeshauptmann in erster Instanz, haben über dagegen eingebrachte Berufungen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern zu entscheiden."
Die Angelegenheiten nach dem KraftfahrG 1967 werden in mittelbarer Bundesverwaltung besorgt (Art10 iVm Art102 B-VG;
s. E z RV 295 BlgNR XVIII. GP, 16), und zwar zum Teil vom Landeshauptmann in erster Instanz (vgl. etwa §20 Abs4 erster Satz KraftfahrG 1967).
Bei §123 Abs1 letzter Satz KraftfahrG 1967 idF BGBl. 452/1992 handelt es sich also um eine gesetzliche Vorschrift, die eine Anfechtung erstinstanzlicher Entscheidungen des Landeshauptmanns in Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung "unmittelbar" beim unabhängigen Verwaltungssenat vorsieht.
Eine solche bundesgesetzliche Norm darf aber kraft der ausdrücklichen Bestimmung des Art129 a Abs2 B-VG nur mit Zustimmung der beteiligten Länder kundgemacht werden.
2.2.2. Da hier - wie unbestritten ist - kein Bundesland zugestimmt hat, war den begründeten Anträgen der Unabhängigen Verwaltungssenate des Landes Oberösterreich und im Land Niederösterreich Folge zu geben und §123 Abs1 letzter Satz KraftfahrG 1967, BGBl. 267 idF des ArtIV Z4 des BundesG BGBl. 452/1992, als verfassungswidrig aufzuheben (s. dazu VfGH 1.10.1992 G103-107/92 ua., vgl. auch VfSlg. 1312/1930, 2598/1953 und 8155/1977 ua.).
2.3. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der Norm, die sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG gründet, erscheint im Hinblick auf die entsprechende Stellungnahme der Bundesregierung geboten. Der Ausspruch über die Kundmachungspflicht stützt sich auf Art140 Abs5 B-VG, der frühere Bestimmungen betreffende auf Art140 Abs6 B-VG (s. Art103 Abs4 B-VG).
Schlagworte
Unabhängiger Verwaltungssenat, Bundesverwaltung mittelbare, Gesetz Kundmachung, Verwaltungsverfahren, Kundmachung Gesetz, Zuständigkeit Verwaltungsverfahren, Berufung, Kraftfahrrecht, Zustimmung (der Länder bei Kundmachung Gesetz)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1993:G37.1993Dokumentnummer
JFT_10069376_93G00037_00