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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ZustG §16 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Pallitsch und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde des U in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 27. März 1995, Zl. Senat-NK-95-002, betreffend Übertretung des WRG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.360,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 13. Dezember 1994 wurde über den Beschwerdeführer infolge Übertretung des § 137 Abs. 3 lit. d Wasserrechtsgesetz 1959 (WRG 1959) eine Geldstrafe in der Höhe von S 3.000,-- gemäß § 137 Abs. 3 Einleitungssatz WRG 1959 verhängt (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage). Dieses Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer durch Ersatzzustellung am 16. Dezember 1994 zugestellt. Aus dem im Akt erliegenden Formular 4 zu § 22 des Zustellgesetzes ergibt sich, daß die Übernahme mit Unterschrift bestätigt wurde durch "i.V. F." und vom Zustellorgan die Rubrik "Arbeitnehmer des Empfängers" gekennzeichnet worden ist.
Mit dem am 4. Jänner 1995 zur Post gegebenen Schriftsatz beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, da er am 27. Dezember 1994 an einer schweren Kiefereiterung erkrankt sei und bedingt durch rasende Schmerzen, Bettruhe und die notwendige Einnahme schwerer Schmerzmittel nicht in der Lage gewesen sei, gegen das am 16. Dezember 1994 zugestellte Straferkenntnis fristgerecht Berufung einzulegen. Weiters rügte der Beschwerdeführer in diesem Schriftsatz die mangelhafte Zustellung mit der Behauptung, das Straferkenntnis sei am 16. Dezember 1994 "von einer zufällig anwesenden Sekretärin übernommen (worden), die über keine Postvollmacht" verfüge. Das Straferkenntnis sei ihm erst am 26. Dezember 1994 zur Kenntnis gelangt. "Wegen der mangelhaften Zustellung erhebe ich ebenfalls Einspruch und Berufung". Die Berufung wurde in diesem Schriftsatz ausgeführt.
Mit Bescheid vom 23. Jänner 1995 wies die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ab. In der Begründung führte die Behörde erster Instanz aus, es sei dem Beschwerdeführer nicht gelungen glaubhaft zu machen, daß es ihm durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (infolge Krankheit) unmöglich gewesen wäre, die Berufungsfrist einzuhalten. Keinesfalls sei die Zustellung des Straferkenntnisses mangelhaft erfolgt, vielmehr sei es am 16. Dezember 1994 an eine Arbeitnehmerin (Sekretärin) des Beschwerdeführers zugestellt worden. Jeder, der wisse, daß gegen ihn ein Verwaltungsstrafverfahren anhängig sei, habe dafür zu sorgen, daß Schriftstücke im Wege der Ersatzzustellung rechtzeitig übergeben werden.
In der dagegen erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer aus, das an ihn gerichtete Straferkenntnis sei nicht von seiner Arbeitnehmerin in Empfang genommen worden. Er beschäftige keine Arbeitnehmer. Die das Straferkenntnis übernehmende Frau F. habe auch keine Postvollmacht des Beschwerdeführers; sie sei vielmehr Sekretärin einer Gesellschaft m.b.H., deren Geschäftsführer der Beschwerdeführer sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge. Die belangte Behörde führte in der Begründung hiezu aus, die Übernahme des Straferkenntnisses der BH Neunkirchen sei durch Frau Alexandra F., die Angestellte der D. Gesellschaft m.b.H. erfolgt. Handelsrechtlicher Geschäftsführer dieser Gesellschaft sei der Beschwerdeführer. Am 27. Dezember 1994 sei der Beschwerdeführer an einer schweren Kiefereiterung erkrankt und habe aus diesem Grunde wegen starker Schmerzen im Unterkiefer am 28. Dezember 1994 den praktischen Arzt Dr. Sch. aufgesucht. Nach Verordnung eines Schmerzmittels sowie Bettruhe und des Rates, einen Zahnarzt aufzusuchen, sei am 29. Dezember 1994 ein Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde aufgesucht worden. Trotz ordnungsgemäßer Behandlung und Anordnung von Bettruhe seien abermals heftige Schmerzen aufgetreten, weshalb der Beschwerdeführer am nächsten Tag neuerdings den Zahnarzt aufgesucht habe. Nach abermaliger Eiterentfernung habe der Beschwerdeführer über Silvester das Bett gehütet und sei erst am 4. Jänner 1995 eine deutliche Minderung der Schmerzen im Unterkiefer eingetreten. Die Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers sei soweit gegeben gewesen, als dies zur Erhebung einer Berufung gegen das Straferkenntnis der BH Neunkirchen erforderlich gewesen sei. Daß ein gewisses Mindestmaß an Dispositionsfähigkeit beim Beschwerdeführer gegeben gewesen sei, ergebe sich schon daraus, daß er eine dreimalige Fahrt zum behandelnden Arzt organisiert habe. Für die Erhebung einer Berufung hätte nur die Erklärung ausgereicht, Berufung gegen das Straferkenntnis der BH Neunkirchen zu erheben. Eine detaillierte Darlegung der Berufungsausführungen hätte durchaus erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen werden können. Der Beschwerdeführer hätte auch jemanden zur Verfassung einer Berufung in beispielhaft angegebener Form ersuchen und dieses Schriftstück unterfertigen und zur Post geben können. Ein derartiger Schluß könne auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens gezogen werden. Frau F. habe das Schriftstück ohne jeden Zweifel nicht als Privatperson, sondern als Bedienstete der D. Gesellschaft m. b.H. übernommen, d.h. die Übernahme sei dieser Gesellschaft zuzurechnen. Gemäß § 16 Abs. 2 Zustellgesetz könne aber Ersatzempfänger der Arbeitgeber des Empfängers sein. Dies sei im vorliegenden Fall der D. Gesellschaft m.b.H., welche, da der Beschwerdeführer handelsrechtlicher Geschäftsführer sei, dessen Dienstgeber sei. Die am 16. Dezember 1994 vorgenommene Zustellung sei daher als korrekt zu beurteilen.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Stattgebung seines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verletzt.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer trägt in seiner Beschwerde u.a. vor, die belangte Behörde hätte außer acht gelassen, daß er erst am 26. Dezember 1994 von der Zustellung des Straferkenntnisses Kenntnis erlangt habe, weshalb seine Berufung vom 4. Jänner 1995 als rechtzeitig anzusehen sei. Die Ersatzzustellung gemäß § 16 Zustellgesetz an Alexandra F. sei nicht gesetzmäßig. Alexandra F. sei Bedienstete der D. Gesellschaft m.b.H. mit Sitz in V. Die Gesellschaft habe keinen Sitz in W. (Zustellort). Alexandra F. sei nur zufällig am Tag der Übernahme des Schriftstückes in W. anwesend gewesen.
Schon mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Gemäß § 16 Abs. 1 Zustellgesetz darf für den Fall, daß die Sendung nicht dem Empfänger zustellt werden kann und an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend ist, an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.
Gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen kann Ersatzempfänger jede erwachsene Person sein, die an der selben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist und die - außer wenn sie mit dem Empfänger im gemeinsamen Haushalt lebt - zur Annahme bereit ist.
Alexandra F. war zum Zeitpunkt der Übernahme des an den Beschwerdeführer adressierten Straferkenntnisses der BH Neunkirchen am 16. Dezember 1994 Arbeitnehmerin der D. Gesellschaft m.b.H. und nicht des Beschwerdeführers. Sie konnte daher zulässigerweise nicht Arbeitnehmer des Empfängers im Sinne des § 16 Abs. 2 Zustellgesetz sein, wie dies offenbar noch die Behörde erster Instanz angenommen hat.
Die belangte Behörde geht in der Begründung des angefochtenen Bescheides von einer Zulässigkeit einer Ersatzzustellung im Sinne des § 16 Zustellgesetz im vorliegenden Fall deshalb aus, weil die D. Gesellschaft m.b.H. Arbeitgeber des Beschwerdeführers ist. Als Arbeitnehmerin der D. Gesellschaft m.b.H. sei - meint die belangte Behörde - daher Alexandra F. berechtigt gewesen, das an den Beschwerdeführer gerichtete Straferkenntnis im Wege der Ersatzzustellung zu übernehmen.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 16 Abs. 2 Zustellgesetz kann Ersatzempfänger nur eine erwachsene Person sein, die an der selben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist. Eine Ersatzzustellung an einen Arbeitnehmer eines Arbeitgebers für einen anderen Arbeitnehmer dieses Arbeitgebers ist jedoch nicht vorgesehen.
Die Ersatzzustellung an Alexandra F. als Arbeitnehmerin der D. Gesellschaft m.b.H. für ein an den Beschwerdeführer zuzustellendes Schriftstück erweist sich somit als fehlerhaft und entfaltet keine Rechtswirkungen. Gemäß § 7 Zustellgesetz gilt eine solche "Zustellung" erst in dem Zeitpunkt vollzogen, an dem das Schriftstück der Person, für die es bestimmt ist (Empfänger), tatsächlich zugekommen ist.
Ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht, Alexandra F. sei als Arbeitnehmerin der D. Gesellschaft m.b.H. für die an den Beschwerdeführer, der zwar Geschäftsführer dieser Gesellschaft ist, persönlich zuzustellende Post zur Übernahme als Ersatzempfänger berechtigt, hat die belangte Behörde keine Feststellungen darüber getroffen, wann das Straferkenntis der BH Neunkirchen vom 13. Dezember 1994 dem Beschwerdeführer tatsächlich im Sinne des § 7 Zustellgesetz zugekommen ist. Sollten die Behauptungen des Beschwerdeführers richtig sein - nach seinen Angaben hat er von diesem Straferkenntnis erst am 26. Dezember 1994 Kenntnis erhalten - wäre seine am 4. Jänner 1995 zur Post gegebene Berufung innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 63 Abs. 5 AVG eingebracht worden und damit rechtzeitig. Diesfalls fehlte es am Tatbestandsmerkmal der Fristversäumung des § 71 Abs. 1 AVG und wäre der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus diesem Grunde abzuweisen.
Den aus dem Akt ersichtlichen Ermittlungsergebnissen läßt sich jedoch entnehmen, daß der Beschwerdeführer an der Zustelladresse wohnt und Alexandra F. Zustellstücke für den Beschwerdeführer mehrfach als Ersatzempfänger übernommen hat. Sollte aufgrund der von der belangten Behörde durchzuführenden ergänzenden Ermittlungen hervorkommen, daß Alexandra F. an der selben Abgabestelle wie der Beschwerdeführer wohnt, wäre die am 13. Dezember 1994 an Alexandra Frais zugestellte Sendung - regelmäßiger Aufenthalt des Beschwerdeführers vorausgesetzt - eine rechtswirksame Ersatzzustellung im Sinne des § 16 Zustellgesetz.
Erst wenn feststeht, ob eine rechtswirksame Ersatzzustellung im Sinne des § 16 Zustellgesetz erfolgt ist, kann abschließend beurteilt werden, ob die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG vorliegen.
Der angefochtene Bescheid leidet somit an einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG. Die Zuerkennung des Schriftsatzaufwandes erfolgte im begehrten Umfang. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den nicht erforderlichen Verhandlungsaufwand.
Im Hinblick auf die Beschwerdeerlegigung erübrigt sich auch eine Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995070076.X00Im RIS seit
20.11.2000