TE Vwgh Erkenntnis 1995/9/21 94/18/0656

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Veröffentlicht am 21.09.1995
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
90/01 Straßenverkehrsordnung;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

FrG 1993 §18 Abs2 Z2;
FrG 1993 §20 Abs1;
KFG 1967 §64 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des V in K, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 29. Juli 1994, Zl. III 255/93, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.360,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 29. Juli 1994 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsbürger der früheren Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 2 sowie §§ 19, 20 und 21 FrG ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer halte sich seit 29. April 1985 in Kitzbühel auf. Er sei erst mit 14. Jänner 1986 beim Meldeamt Kitzbühel polizeilich angemeldet worden. Eine Anzeige an die Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel sei nicht erfolgt, somit habe es auch kein Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer gegeben. Aufgrund eines Erhebungsauftrages der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel seien im Juni 1987 Ermittlungen gegen den Beschwerdeführer durchgeführt worden, weil er im Verdacht gestanden sei, in einem näher genannten Hotelbetrieb ohne die dazu erforderliche Beschäftigungsbewilligung zu arbeiten. Ein Strafverfahren sei wegen nur kurzer Beschäftigung nicht eingeleitet worden. Die Erlaubnis zum unbefristeten Aufenthalt im Bundesgebiet sei dem Beschwerdeführer am 1. Juni 1989 erteilt worden.

Am 17. Juni 1993 und am 9. Juli 1993 sei der Beschwerdeführer jeweils von der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel wegen Übertretung des § 64 Abs. 1 KFG mit einer Geldstrafe von S 3.000,-- rechtskräftig bestraft worden, weil er ohne gültige Lenkerberechtigung einen PKW auf der B 312 gelenkt habe. Am 27. August 1993 sei der Beschwerdeführer wegen Übertretung des § 5 Abs. 2 StVO und des § 64 Abs. 1 KFG in Verbindung mit § 99 Abs. 1 StVO und § 134 KFG zu einer Geldstrafe von insgesamt S 14.000,-- rechtskräftig bestraft worden, weil er am 3. August 1993 erneut einen PKW ohne eine gültige Lenkerberechtigung gelenkt habe und sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe. Anläßlich der Amtshandlung am 3. August 1993 habe sich der Beschwerdeführer gegenüber den einschreitenden Beamten aggressiv verhalten, er habe diese für lächerlich gehalten und erklärt, daß ihm "alles egal sei, da er unter solchen Umständen sowieso wieder nach Jugoslawien gehe". Zur fehlenden Lenkerberechtigung habe der Beschwerdeführer damals vorgebracht, daß er nicht wisse, warum er den jugoslawischen Führerschein umschreiben lassen solle, denn er sei ja bereits im Besitz eines Führerscheines, weshalb ihn alles andere nicht interessiere.

Der Beschwerdeführer sei auch von der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel wegen Übertretung nach dem Meldegesetz rechtskräftig mit einer Geldstrafe von S 500,-- bestraft worden (Anzeige des Gendarmeriepostens Erpfendorf vom 21. Mai 1993).

Die rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers wegen der Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 2 StVO sowie die dreimalige rechtskräftige Bestrafung wegen § 64 Abs. 1 KFG - allesamt "schwerwiegende" Verwaltungsübertretungen - erfüllten den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG; die in § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei gerechtfertigt.

Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes stelle einen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers dar. Dieser Eingriff sei im Hinblick auf das gewichtige öffentliche Interesse daran, daß am Straßenverkehr nicht Kraftfahrzeuglenker teilnehmen, die dazu nicht berechtigt seien oder weil sie sich in einen durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befänden, sowie im Hinblick auf das gewichtige öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Zielen, nämlich zum Schutz der Rechte anderer sowie zum Schutz der öffentlichen Ordnung, dringend geboten.

Der seit 1985 im Bundesgebiet aufhältige Beschwerdeführer arbeite seit 1987 als Küchengehilfe und sei dementsprechend integriert. Die Eltern des Beschwerdeführers lebten seit 1969 bzw. 1975 in Österreich. Der Beschwerdeführer sei seit 9. Februar 1993 verheiratet, seine Ehegattin sei seit 24. Juni 1992 in Österreich aufhältig. Die nächsten Verwandten des Beschwerdeführers, zu denen er eine sehr enge Beziehung habe, nämlich seine Eltern, Geschwister und Ehegattin, lebten alle zusammen in nächster Umgehung im Bezirk Kitzbühel. Das Aufenthaltsverbot sei daher zweifellos ein schwerer Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers. Dieser Eingriff trete angesichts der Neigung des Beschwerdeführers zur Mißachtung der Rechtsordnung und des Umstandes, daß er volljährig sei und erst im Alter von 15 Jahren ins Bundesgebiet gekommen und erst seit Februar 1993 verheiratet sei, in den Hintergrund. Die Tätigkeit als Hilfskraft im Gastgewerbe könne der Beschwerdeführer durchaus auch außerhalb des Bundesgebietes ausüben.

Die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes entspreche den für seine Erlassung maßgeblichen Umständen. Die belangte Behörde sei aufgrund der aus dem Sachverhalt ersichtlichen Neigung des Beschwerdeführers der Ansicht, daß bis zum Wegfall des Grundes für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes, nämlich der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, das Verstreichen von zehn Jahren vonnöten sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens durch die belangte Behörde erwogen hat:

Da der Beschwerdeführer - unbestrittenermaßen - dreimal wegen Übertretung des § 64 Abs. 1 KFG sowie je einmal wegen Übertretung des § 5 Abs. 2 StVO und des Meldegesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, hat die belangte Behörde zutreffend den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG als verwirklicht angesehen. Den Umstand, daß der Beschwerdeführer trotz eines Aufenthaltes vom 29. April 1985 an erst mit 14. Jänner 1986 zur Anmeldung gelangt ist, hat die belangte Behörde entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG unterstellt. Die rechtliche Beurteilung durch die belangte Behörde, daß die Übertretungen des § 64 Abs. 1 KFG und des § 5 Abs. 2 StVO als schwerwiegende Verwaltungsübertretungen im Sinne des § 18 Abs. 2 Z. 2 (erster Fall) FrG zu werten seien, steht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 13. Jänner 1994, Zl. 93/18/0553). Dem Einwand des Beschwerdeführers, daß er sich bei der dem § 64 Abs. 1 KFG unterstellten Tathandlung in einem Rechtsirrtum befunden habe, steht die Rechtskraft der Bestrafung entgegen.

Wenn die belangte Behörde auch die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme für gerechtfertigt gehalten hat, so stößt auch diese Beurteilung auf keine Bedenken, handelt es sich doch - wie der Verwaltungsgerichtshof schon oftmals ausgesprochen hat - bei den in Rede stehenden Verwaltungsübertretungen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die von alkoholisierten Kraftfahrzeuglenkern ausgehende große Gefahr für die Allgemeinheit und den Umstand, daß das Lenken eines KFZ ohne Lenkerberechtigung zu den gröbsten Verstößen gegen das KFG zählt, um Gefährdungen öffentlicher Interessen (der öffentlichen Ordnung und Sicherheit) von großem Gewicht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. Jänner 1994, Zl. 93/18/0553). Der in der Beschwerde behauptete Umstand, daß der Beschwerdeführer sein Kraftfahrzeug verkauft habe, spricht ebenso wie der Umstand, daß er die über ihn verhängten Strafen unverzüglich bezahlt habe, nicht gegen diese Annahme. Aus diesen Umständen läßt sich noch keine Gewähr für das Unterbleiben weiterer einschlägiger Übertretungen durch den Beschwerdeführer ableiten. Mit seinem Vorbringen, die Umschreibung des jugoslawischen Führerscheines in einen österreichischen wäre eine reine Formsache gewesen und es sei daher davon auszugehen, daß vom Beschwerdeführer keine größere Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe als von jedem Inländer, der über eine gültige Lenkerberechtigung verfüge, übersieht der Beschwerdeführer, daß er über eine in Österreich gültige Lenkerberechtigung nicht verfügt und dreimal wegen Lenkens eines KFZ ohne Berechtigung rechtskräftig bestraft wurde.

Übereinstimmend mit dem Beschwerdeführer hat die belangte Behörde einen relevanten Eingriff in sein Privat- und Familienleben im Sinne des § 19 FrG angenommen. Dieser Eingriff macht das Aufenthaltsverbot gegen ihn im Grunde des § 19 leg. cit. aber nicht unzulässig. Die sich in den schwerwiegenden Verwaltungsübertretungen manifestierende Neigung des Beschwerdeführers, sich über die Rechtsordnung hinwegzusetzen, läßt das Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung und zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen (Art. 8 Abs. 2 MRK) notwendig erscheinen.

Der Beschwerdeführer bekämpft zu Recht die im Grunde des § 20 Abs. 1 FrG vorgenommene Interessenabwägung. Gemäß § 20 Abs. 1 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1.

die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;

2.

die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen.

Um dennoch ein Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen zu können, müßten aufgrund der im § 20 Abs. 1 FrG enthaltenen Regelung die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes zumindest gleich schwer wiegen. Im Hinblick darauf, daß einerseits die privaten und familiären Interessen im vorliegenden Fall von großem Gewicht sind (Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit 1985, seiner Eltern seit 1969 bzw. 1975 und seiner Gattin seit 1992 sowie seine Eheschließung im Februar 1993 und sein Beschäftigungsverhältnis seit 1987) und andererseits der Beschwerdeführer innerhalb weniger Monate im Jahre 1993 die genannten Verwaltungsübertretungen beging, kann nicht gesagt werden, daß der vom Beschwerdeführer für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehenden Gefahr ein solches Gewicht zukommt wie den Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers.

Aus diesen Gründen belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht im Rahmen des geltend gemachten Anspruches auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994180656.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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