TE Vfgh Erkenntnis 1993/6/24 G191/92, G274/92

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.06.1993
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/13 Amtshaftung, Organhaftpflicht, Polzeibefugnis-Entschädigung

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z6
B-VG Art23 Abs1
B-VG Art23 Abs4
AHG §1 Abs3

Leitsatz

Keine schrankenlose Ermächtigung des Bundesverfassungsgesetzgebers an den einfachen Bundesgesetzgeber zur Erlassung näherer Bestimmungen zur Amtshaftung; kein Widerspruch der durch die Wertgrenzen-Nov zusätzlich begründeten Haftung zur ungeteilten Hand desjenigen Rechtsträgers, als dessen Organ die handelnde Person gewählt, ernannt oder bestellt wurde, zum verfassungsrechtlichen Prinzip der Amtshaftung jenes Rechtsträgers, für den das Organ handelte; zusätzliche Haftung ausschließlich im Interesse des Geschädigten

Spruch

Den Anträgen wird keine Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Obersten Gerichtshof sind infolge Revision bzw. Rekurs Amtshaftungsklagen anhängig, im Zuge deren der Oberste Gerichtshof seiner Auffassung zufolge die - die Passivlegitimation der beklagten (zweitbeklagten) Parteien begründende - Bestimmung des §1 Abs3 Amtshaftungsgesetz (AHG), BGBl. 20/1949 idF der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989 (WGN 1989), BGBl. 343/1989, anzuwenden hat.

Aus Anlaß dieser Verfahren hat der Erste Senat des Obersten Gerichtshofes mit Beschlüssen vom 9. Juni 1992, Z1 Ob 16/92 (hg. protokolliert zu G191/92), und vom 7. Oktober 1992, Z1 Ob 46/91 (hg. protokolliert zu G274/92), gemäß Art89 Abs2 und Art140 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof die Anträge gestellt, §1 Abs3 AHG idF der WGN 1989 als verfassungswidrig aufzuheben.

§1 AHG idF vor der WGN 1989 lautet:

"(1) Der Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden, sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts und die Träger der Sozialversicherung - im folgenden Rechtsträger genannt - haften nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben; dem Geschädigten haftet das Organ nicht. Der Schaden ist nur in Geld zu ersetzen.

(2) Organe im Sinne dieses Bundesgesetzes sind alle physischen Personen, wenn sie in Vollziehung der Gesetze (Gerichtsbarkeit oder Verwaltung) handeln, gleichviel, ob sie dauernd oder vorübergehend oder für den einzelnen Fall bestellt sind, ob sie gewählte, ernannte oder sonstwie bestellte Organe sind und ob ihr Verhältnis zum Rechtsträger nach öffentlichem oder privatem Recht zu beurteilen ist."

Durch ArtXXII Z1 der WGN 1989 wurde an §1 AHG folgender Abs3 angefügt:

"(3) Mit dem im Abs1 genannten Rechtsträger haftet zur ungeteilten Hand auch derjenige, als dessen Organ die handelnde Person gewählt, ernannt oder sonstwie bestellt worden ist. Hat dieser Rechtsträger auf Grund dieser Haftung Zahlungen geleistet, so hat er an den im Abs1 genannten Rechtsträger einen Anspruch auf Rückersatz."

2. Der Oberste Gerichtshof hat in beiden Gesetzesprüfungsanträgen dargelegt, daß er die jeweils bekämpften Gesetzesstellen in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte, daß die eine Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Gesetzesprüfungsantrages bildende Präjudizialität der bekämpften Gesetzesstellen demnach gegeben sei.

In dem zu G191/92 protokollierten Verfahren sei die Passivlegitimation der beklagten Partei "bei Anwendung des §1 Abs3 AHG jedenfalls zu bejahen". "Bliebe dagegen §1 Abs3 AHG im vorliegenden Rechtsstreit außer Betracht, wäre der Revision der klagenden Partei schon deshalb ein Erfolg zu versagen, weil das Ersatzbegehren ... schon an der dann mangelnden Passivlegitimation der beklagten Stadt scheitern müßte. Die Bestimmung des §1 Abs3 AHG ist deshalb bei der Entscheidung über die Revision 'anzuwenden' (Art89 Abs2 B-VG), also für diese Entscheidung präjudiziell".

Auch in dem zu G274/92 protokollierten Verfahren sei §1 Abs3 AHG anzuwenden: "Der Rekurs der zweitbeklagten Partei erwiese sich sohin nur dann als nicht berechtigt, wenn die Passivlegitimation auf den mit ArtXXII Z1 WGN 1989 dem §1 AHG angeführten (richtig: angefügten) Abs3 gestützt werden kann". "Ohne Bedachtnahme auf §1 Abs3 AHG wäre das Klagebegehren, soweit es sich gegen die zweitbeklagte Partei richtet, schon auf der Grundlage der Klagsbehauptungen abzuweisen."

Zur Darlegung seiner Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Gesetzesbestimmung hat der Oberste Gerichtshof folgendes vorgebracht:

Nach der Rechtsansicht des Justizausschusses (991 BlgNR 17. GP, 15), auf den die Bestimmung des §1 Abs3 AHG idF der WGN 1989 zurückgeht, umfasse Art23 Abs1 B-VG als bundesverfassungsrechtliche Grundlage der Amtshaftung "sowohl einen funktionellen als auch einen organisatorischen Organbegriff". Da es für den Geschädigten wiederholt schwierig sei, "denjenigen Rechtsträger zu erkennen, für den das Organ im Zeitpunkt seiner schädigenden Handlung gerade tätig war", solle zur Verbesserung des Rechtsschutzes eine Mithaftung desjenigen Rechtsträgers vorgesehen werden, dem das Organ organisatorisch zugehöre.

Insofern hegt der Oberste Gerichtshof das Bedenken, ob diese Erweiterung der Amtshaftung "rechtlich einwandfrei auf die verfassungsgesetzliche Grundlage der Amtshaftung, also auf Art23 Abs1 B-VG, zurückgeführt werden kann". Die Haftung der Rechtsträger für rechtswidriges und schuldhaftes hoheitliches Organverhalten wurzle nämlich nicht im Kompetenztatbestand "Zivilrechtswesen" gemäß Art10 Abs1 Z6 B-VG, sondern beruhe auf dem besonderen verfassungsrechtlichen Befehl des Art23 B-VG. Die Auffassung des Justizausschusses, Art23 B-VG umfasse auch einen organisatorischen Organbegriff, sei in den Materialien nicht näher begründet.

Art23 Abs1 B-VG und §1 Abs1 AHG ordneten "mit übereinstimmendem Wortlaut" die Haftung des Rechtsträgers derart an, daß er für die als seine Organe handelnden Personen einzustehen habe. Nach der Stammfassung des Art23 Abs1 B-VG (BGBl. 1/1920) hätten hingegen "der Bund, die Länder und die Gemeinden noch für die Rechtsverletzungen der von ihnen 'bestellten' Personen zu haften" gehabt. Durch die B-VG-Novelle BGBl. 268/1925 sei der Wortlaut dieser Verfassungsbestimmung dahin geändert worden, daß die Rechtsträger nun für die "als ihre Organe handelnden" Personen zu haften haben. Daß damit auf die funktionelle Stellung des Handelnden abgestellt werden sollte, ergebe sich auch aus den Materialien (327 BlgNR 2. GP, 515 BlgNR 5. GP). Es sei "nahezu einhellige Lehre und Rechtsprechung ..., daß es bei der Klärung der Frage, welcher Rechtsträger nach dem Amtshaftungsgesetz belangt werden kann, sowohl nach Art23 Abs1 B-VG als auch nach §1 Abs1 AHG nicht darauf ankommt, wessen Organ in organisatorischer Hinsicht jene Person, deren Verhalten mit der Amtshaftungsklage beanstandet wird, ist, sondern in wessen Namen und für wen - also funktionell - sie bei diesem Verhalten tätig war ('Funktionstheorie')".

Die Ausdehnung der Amtshaftung auf im B-VG nicht damit belastete Rechtsträger durch einfaches Gesetz sei nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes verfassungsrechtlich bedenklich, weil die schadenersatzrechtliche Haftung des Rechtsträgers für das Verhalten seiner Organe im Hoheitsbereich "erst durch die Verfassungsnorm des Art23 B-VG ermöglicht wird, und die durch Art23 Abs4 B-VG dem einfachen Bundesgesetzgeber erteilte Ermächtigung zur Erlassung der näheren Bestimmungen nicht schrankenlos ist, dieser vielmehr alle durch die Bundesverfassung dem Gesetzgeber auferlegten verfassungsrechtlichen Beschränkungen beachten muß (VfSlg. 8202/1977)".

Der Mangel der verfassungsrechtlichen Grundlage des §1 Abs3 AHG werde auch durch die Einräumung eines Anspruchs des belangten Rechtsträgers auf Rückersatz von auf Grund dieser Haftung geleisteten Zahlungen gegen den in §1 Abs1 AHG genannten Rechtsträger gemäß §1 Abs3 zweiter Satz AHG nicht beseitigt. Auf diesem Wege könne weder die rechtlich unbedenkliche Übereinstimmung der einfachgesetzlichen Bestimmung mit deren verfassungsrechtlicher Grundlage hergestellt werden, noch wiege das mit allen Risken der Rechtsverfolgung behaftete Regreßrecht die Vorteile aus der mangelnden Passivlegitimation auf.

3. Die Bundesregierung beantragte in ihrer Äußerung, der Verfassungsgerichtshof wolle die angefochtene Gesetzesbestimmung nicht als verfassungswidrig aufheben.

Die der angefochtenen Bestimmung zugrundeliegende Rechtsauffassung des Justizausschusses, Art23 B-VG umfasse sowohl einen funktionellen als auch einen organisatorischen Organbegriff, "ließe sich allenfalls auf die Überlegung stützen, daß im Wortlaut des Art23 B-VG eine Beschränkung auf die funktionelle Zuordnung nicht eindeutig zum Ausdruck kommt". Somit "ließe sich die angefochtene Bestimmung als eine nähere Ausgestaltung (im Sinne des Art23 Abs4 B-VG) der bundesverfassungsgesetzlich grundgelegten Haftung deuten, indem festgelegt wird, welcher Rechtsträger endgültig zur Schadenstragung verpflichtet ist".

Im übrigen scheint nach Ansicht der Bundesregierung auch die Auffassung vertretbar zu sein, "die Haftung des organisatorischen Rechtsträgers im Sinne der angefochtenen Bestimmung bilde gewissermaßen nur eine Vorstufe der Verwirklichung der grundsätzlichen Haftungsregel. Der organisatorische Rechtsträger kann nach der angefochtenen Regelung sämtliche Haftungsrisiken auf den funktionellen Rechtsträger, soweit er von diesem verschieden ist, abwälzen, selbst wenn die weisungsbefugten Organe des funktionellen Rechtsträgers das rechtswidrige Verhalten des Organs nicht abwenden konnten".

Nach Meinung der Bundesregierung wollte der Bundesgesetzgeber mit der angefochtenen Bestimmung "offenbar dem Umstand Rechnung tragen, daß eine Beantwortung der Frage, in welchem Vollzugsbereich ein mit Aufgaben aus Vollzugsbereichen verschiedener Rechtsträger betrautes Organ im einzelnen Fall tätig geworden ist, mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein kann und daß teilweise selbst das Gerichtsverfahren keine abschließende Klärung dieser Frage ermöglicht. Es widerspricht dem Grundgedanken des Art23 B-VG, das Risiko dieser gerichtlichen Klärung ausschließlich dem Geschädigten aufzubürden. Die vom Bundesgesetzgeber vorgenommene Schaffung eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruchs und die damit verbundene notwendige Durchsetzung des Anspruchs vor den Gerichten bringt unter Umständen ein unvertretbares Kostenrisiko für den Geschädigten mit sich, wenn dieser irrtümlich den organisatorischen Rechtsträger in Anspruch nimmt. Es ist aber im Sinn des Grundgedankens des Art23 B-VG, den einzelnen vor Schäden durch die staatliche Hoheitsgewalt zu schützen."

4. Die klagende Partei des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof zu Z1 Ob 46/91 beantragt in ihrer, in dem zu G274/92 protokollierten Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof abgegebenen Äußerung, §1 Abs3 AHG idF der WGN 1989 nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Ein Antrag des Obersten Gerichtshofes im Sinne des Art89 Abs2 und des Art140 Abs1 B-VG auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit hat zur Voraussetzung, daß der Oberste Gerichtshof die Gesetzesstelle, deren Aufhebung er beantragt, in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. in diesem Zusammenhang etwa VfSlg. 10066/1984, 10640/1985, 11576/1987, VfGH 13.12.1991, G280,281/91 ua.) darf ein Antrag eines (zur Antragstellung befugten) Gerichtes mangels Präjudizialität nur dann zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß das angefochtene Gesetz vom antragstellenden Gericht im Anlaßfall anzuwenden ist.

In beiden, beim Obersten Gerichtshof zu Z1 Ob 16/92 und zu Z1 Ob 46/91 anhängigen Amtshaftungsfällen ergibt sich die Passivlegitimation des oder zumindest eines beklagten Rechtsträgers als Partei aus §1 Abs3 AHG. Es ist daher offenkundig, daß der Oberste Gerichtshof in beiden Verfahren §1 Abs3 AHG anzuwenden hat. Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Anträge des Obersten Gerichtshofes zulässig.

2. Die vom Obersten Gerichtshof in der Sache geäußerten Bedenken treffen hingegen nicht zu.

a. Nach Art23 Abs1 B-VG haften der Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden und die sonstigen Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts für den Schaden, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben.

Art23 Abs4 B-VG lautet: "Die näheren Bestimmungen zu den Absätzen 1 bis 3 werden durch Bundesgesetz getroffen." Der Gesetzgeber hat sohin das in Art23 Abs1 bis 3 B-VG vorgesehene Amtshaftungsrecht näher auszuführen.

    Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 8202/1977

erkannte, ist die "durch Art23 Abs4 B-VG dem einfachen

Bundesgesetzgeber erteilte Ermächtigung zur Erlassung der näheren

Bestimmungen ... nicht schrankenlos. Vielmehr muß der diese

Bestimmung vollziehende einfache Bundesgesetzgeber ... alle durch

die Bundesverfassung dem Gesetzgeber auferlegten

verfassungsrechtlichen Beschränkungen beachten". In jenem

Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof auch klargestellt, daß

"die Regelung der Amtshaftung ... auch nicht vom

Kompetenztatbestand 'Zivilrechtswesen' (Art10 Abs1 Z. 6 B-VG) erfaßt (wird). Vielmehr fällt diese besondere Art des Schadenersatzrechtes unter die Sonderkompetenz des Art23 Abs4 B-VG, die also neben jener des Art10 Abs1 Z. 6 B-VG steht."

b. Angesichts der Entstehungsgeschichte des Art23 Abs1 B-VG, welche die Bundesregierung in ihrer Äußerung eingehend wiedergibt, kann kein Zweifel daran bestehen, daß Art23 Abs1 B-VG die Haftung jenes Rechtsträgers für rechtswidrig schuldhaftes Verhalten der als seine Organe in Vollziehung der Gesetze handelnden Personen verfassungsrechtlich verbindlich anordnet, in dessen Vollzugsbereich die Organe tätig waren, gleichgültig, ob die als Organe handelnden Personen auch von jenem Rechtsträger zum Organ bestellt wurden oder nicht. Anders als in der Stammfassung des B-VG, BGBl. 1/1920, wonach gemäß Art23 Abs1 B-VG der Bund, die Länder oder die Gemeinden "für die Rechtsverletzungen der von ihnen bestellten Personen" hafteten, trifft die Haftung für das Verhalten der "als ihre Organe handelnden Personen" im Sinne des Art23 Abs1 B-VG in der geltenden Fassung den Rechtsträger, dem jenes Verhalten kraft funktioneller Zuständigkeit von Rechts wegen zuzuordnen ist, sodaß für die Haftung maßgeblich ist, in wessen Vollzugsbereich jene Organe fungierten, nicht aber, welchem Rechtsträger sie organisationsrechtlich zugehören (vgl. in diesem Sinn auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu Art23 Abs1 B-VG idF der B-VG-Novelle BGBl. 268/1925, 327 BlgNR 2. GP).

Daran kann auch der - in dieser Hinsicht mißverständliche - Ausschußbericht (515 BlgNR 5. GP, 2) zu §1 Abs1 AHG nichts ändern, demzufolge das "Organ einer Gemeinde oder einer Kammer, das in Vollziehung des diesen Körperschaften übertragenen Wirkungsbereiches tätig ist, ... als Organ der Gemeinde, beziehungsweise der Kammer" handelt. Auch nach jenem Ausschußbericht wird nämlich für die Haftung des Rechtsträgers ausdrücklich "auf die funktionelle Stellung des Handelnden zum Rechtsträger abgestellt", mag diese funktionelle Stellung bei den im übertragenen Wirkungsbereich handelnden Organen von Selbstverwaltungsträgern auch vom Ausschuß falsch gesehen worden sein. (Anders als Rebhahn, JBl 1993, 327, in seiner Kritik des Beschlusses des Obersten Gerichtshofes Z1 Ob 16/92 meint, wurde die Haftung der - von ihm sogenannten - "Bestellungskörperschaft" von der Regelung des Art23 Abs1 B-VG daher jedenfalls nicht "angestrebt", ganz abgesehen davon, daß der Ausschußbericht zum Entwurf des AHG, also eines einfachen Gesetzes, nicht hingegen zu Art23 Abs1 B-VG erstattet wurde.)

Der Verfassungsgerichtshof geht sohin schon auf Grund der Entstehungsgeschichte des Art23 Abs1 B-VG davon aus, daß eine gesetzliche Regelung, welche eine Amtshaftung eines Rechtsträgers für die in seinem Vollzugsbereich von welchem Organ auch immer gesetzten rechtswidrig schuldhaften Verhaltensweisen ausschließt, dem Art23 Abs1 B-VG widersprechen würde und daher verfassungswidrig wäre. Die im Bericht des Justizausschusses zu ArtXXII Z1 WGN 1989 (991 BlgNR 17. GP, 15) begründungslos vertretene Rechtsansicht, "daß der Art23 Abs1 bis 3 B-VG sowohl einen funktionellen als auch einen organisatorischen Organbegriff umfaßt", vermag daher nicht zu überzeugen. Der Verfassungsgerichtshof folgt vielmehr insoweit den Überlegungen des Obersten Gerichtshofes.

c. Mit der durch §1 Abs3 AHG idF der WGN 1989 neben der Haftung des Rechtsträgers, dessen Vollzugsbereich im Sinne des Art23 Abs1 B-VG sowie des §1 Abs1 AHG betroffen ist, zusätzlich begründeten Haftung "zur ungeteilten Hand" desjenigen Rechtsträgers, "als dessen Organ die handelnde Person gewählt, ernannt oder sonstwie bestellt worden ist", wird gleichwohl Art23 Abs1 B-VG nicht verletzt. Die Begründung einer zusätzlichen, zur Haftung des funktionell zuständigen Rechtsträgers hinzutretenden solidarischen Haftung des Rechtsträgers, dem das den Amtshaftungsanspruch auslösende Organ organisationsrechtlich zugehört, verbessert nämlich nur die Rechtsstellung des Gläubigers, also des Geschädigten im Amtshaftungsverfahren. Über die endgültige Verpflichtung zur Tragung des Ersatzanspruchs nach dem AHG besagt die in dessen §1 Abs3 Satz 1 angeordnete solidarische Haftung des Rechtsträgers, als dessen Organ die handelnde Person bestellt worden ist, nichts. Dafür sind vielmehr die Regelungen des §1 Abs3 zweiter Satz in Verbindung mit §10 Abs1 AHG heranzuziehen. Diesen Vorschriften zufolge hat der Rechtsträger, der für die Organbestellung verantwortlich ist, einen Anspruch auf Rückersatz gegenüber dem funktionell zuständigen Rechtsträger, wenn er auf Grund seiner Solidarhaftung Zahlung geleistet hat, einen Rückersatzanspruch, der im Wege der Streitverkündung gemäß §10 Abs1 AHG vorbereitet wird.

Daraus läßt sich - ungeachtet der Verjährung des Ersatzanspruchs gemäß §6 Abs2 AHG - ableiten, daß der Gesetzgeber mit der Haftung zur ungeteilten Hand desjenigen Rechtsträgers, als dessen Organ die den Amtshaftungsanspruch verursachende Person bestellt wurde, ausschließlich dem Interesse des Geschädigten Rechnung trug, für den es schwierig sein mag, den funktionell zuständigen Rechtsträger zu erkennen, und daß der Gesetzgeber mit diesem Regreßrecht im Rahmen des Amtshaftungsrechtes gleichwohl das - im Verhältnis der Gebietskörperschaften für die Wahrung ihrer Zuständigkeiten sowie der daraus fließenden Kostentragungspflichten untereinander bedeutsame - verfassungsrechtliche Gebot des Art23 Abs1 B-VG hinlänglich berücksichtigte: Gemäß Art23 Abs1 B-VG hat letztlich der Rechtsträger den Schaden zu tragen, zu dessen Vollzugsbereich das Verhalten eines Organs von Rechts wegen zählt, also der Rechtsträger, der jenes Verhalten im Wege der Weisung zu beeinflussen vermag und der deshalb auch dafür und den daraus entstehenden Schaden einzustehen hat.

Die "Risken der Rechtsverfolgung", mit denen nach Meinung des Obersten Gerichtshofes das Regreßrecht an sich behaftet ist, lassen die gegenüber dem Geschädigten begründete solidarische Haftung des "Organisationsrechtsträgers" neben dem - letztlich zur Schadensabgeltung verfassungsrechtlich verpflichteten - "Funktionsrechtsträger" noch keineswegs als verfassungswidrig erscheinen (, zumal diesen Risken zumindest teilweise auch durch das Gebot zur Streitverkündung gemäß §10 Abs1 Z1 AHG begegnet wird). Anders als der Oberste Gerichtshof meint, kann in verfassungskonformer Interpretation die Rückersatzpflicht gemäß §1 Abs3 zweiter Satz AHG dahin verstanden werden, daß sie auch die Prozeßkosten umfaßt, zu deren Tragung der nur organisatorisch zuständige Rechtsträger verhalten wurde (so schon Schragel, Ergänzungsheft 1990 zum Kommentar zum Amtshaftungsgesetz, 7). Wenn schließlich der Oberste Gerichtshof meint, daß durch §1 Abs3 AHG "nun gerade dem Rechtsträger jene Beweislast ... aufgebürdet (wird), die den Justizausschuß zur Einführung dieser Bestimmung veranlaßte", kann auch darin keine Verfassungswidrigkeit liegen: Daß das Amtshaftungsrecht Beweislast- und sonstige Prozeßrisiken vom Geschädigten in größtmöglichem Ausmaß auf die öffentliche Hand in Gestalt der in Art23 Abs1 B-VG genannten Körperschaften überträgt, verstößt nicht nur nicht gegen die Bundesverfassung, sondern entspricht gerade der mit Art23 B-VG verfolgten Absicht des Verfassungsgesetzgebers, den aus rechtswidrigem Verhalten im Bereich der Hoheitsverwaltung herrührenden Schaden dem Bürger umfassend auszugleichen.

Da der Verfassungsgerichtshof sohin die vom Obersten Gerichtshof gegen §1 Abs3 AHG vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht teilt, waren die auf die Aufhebung dieser Gesetzesbestimmung gerichteten Anträge des Obersten Gerichtshofes abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Amtshaftung, Ausführungsbestimmungen (Grundrechte), Kompetenz Bund - Länder Zivilrechtswesen, Haftung, Schadenersatz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:G191.1992

Dokumentnummer

JFT_10069376_92G00191_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten