TE Vwgh Erkenntnis 1995/9/26 94/08/0158

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Veröffentlicht am 26.09.1995
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §61 Abs1;
AVG §62 Abs1;
AVG §62 Abs2;
AVG §62 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §68 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der N in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 18. März 1994, Zl. MA 12-16624/84A II, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Sozialhilfeangelegenheit, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 28. Mai 1993 sprach der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 12, Sozialamt - Sozialreferat für den 7. Bezirk (erstinstanzliche Behörde) aus, daß der Beschwerdeführerin für die Zeit vom 25. Mai bis 24. Juni 1993 eine Geldaushilfe von S 5.895,-- bewilligt werde. In der von der Beschwerdeführerin (mit Vorbehalt zum Inhalt des Bescheides) unterfertigten Niederschrift auf dem dafür vorgesehenen Formular heißt es im Anschluß an die Protokollierung des Spruches und der Begründung des mündlich verkündeten Bescheides: "Ich habe den Bescheid zur Kenntnis genommen und wurde über das Recht, binnen drei Tagen eine schriftliche Ausfertigung zu verlangen, belehrt." Die Rechtsmittelbelehrung lautet: "Gegen diesen Bescheid ist die binnen zwei Wochen nach Zustellung schriftlich, fernschriftlich oder telegraphisch einzubringende Berufung zulässig. Sie hat einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten und kann entweder bei diesem Amt oder beim Amt der Wiener Landesregierung ... eingebracht werden."

Mit dem am 8. Juni 1993 bei der erstinstanzlichen Behörde eingelangten Schriftsatz vom 28. Mai 1993 beantragte die Beschwerdeführerin die Erlassung eines schriftlichen rechtsmittelfähigen Bescheides über die am 28. Mai 1993 entschiedene Angelegenheit.

Daraufhin verfaßte die erstinstanzliche Behörde eine mit 22. Juni 1993 datierte Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides mit dessen Spruch und einer Begründung sowie einer mit der obgenannten inhaltsgleichen Rechtsmittelbelehrung. Diese Ausfertigung wurde der Beschwerdeführerin am 28. Juni 1993 zugestellt.

Gegen den zuletzt genannten Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurück. In der Bescheidbegründung wird nach Wiedergabe des bisherigen Verwaltungsgeschehens und nach Zitierung der §§ 62 Abs. 1, 2 und 3 sowie 63 Abs. 5 AVG ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe zwar einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides eingebracht, dies jedoch nicht innerhalb von drei Tagen nach der Verkündung, sondern erst mit Schreiben vom 8. Juni 1993. Dieses Versäumnis der Beschwerdeführerin habe auch nicht dadurch saniert werden können, daß die erstinstanzliche Behörde unrichtigerweise diesem Antrag der Beschwerdeführerin entsprochen und ihr tatsächlich die schriftliche Ausfertigung vom 22. Juni 1993 zugestellt habe. Denn wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 30. Juni 1970, Slg. Nr. 7834/A, ausgeführt habe, komme nur einem fristgerecht (binnen dreier Tage) gestellten Verlangen nach Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung eines mündlich verkündeten Bescheides eine die Rechtsmittelfrist sistierende Wirkung zu. Die aufgrund eines verspätet gestellten Verlangens verfügte Zustellung einer schriftlichen Bescheidausfertigung setze hingegen keine (neuerliche) Rechtsmittelfrist in Lauf. Es sei daher im Beschwerdefall allein ausschlaggebend, daß innerhalb der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist keine Berufung gegen den mündlich verkündeten Bescheid eingebracht worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des AVG lauten:

"§ 61. (1) Die Rechtsmittelbelehrung hat anzugeben, ob der Bescheid noch einem weiteren Rechtszug unterliegt oder nicht und bejahendefalls, innerhalb welcher Frist und bei welcher Behörde das Rechtsmittel einzubringen ist ....

(3) Ist in dem Bescheid eine längere als die gesetzliche Frist angegeben, so gilt das innerhalb der angegebenen Frist eingebrachte Rechtsmittel als rechtzeitig.

§ 62. (1) Wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können Bescheide sowohl schriftlich als auch mündlich erlassen werden.

(2) Der Inhalt und die Verkündung eines mündlichen Bescheides ist, wenn die Verkündung bei einer mündlichen Verhandlung erfolgt, am Schluß der Verhandlungsschrift, in anderen Fällen in einer besonderen Niederschrift zu beurkunden.

(3) Eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides ist den bei der Verkündung nicht anwesenden und jenen Parteien zuzustellen, die spätestens drei Tage nach der Verkündung eine Ausfertigung verlangen; über dieses Recht ist die Partei bei Verkündung des mündlichen Bescheides zu belehren.

§ 63. (5) Die Berufung ist von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat, oder bei der Behörde, die über die Berufung zu entscheiden hat. Die Frist beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides, im Fall bloß mündlicher Verkündung mit dieser."

Ein mündlich verkündeter Bescheid gilt bereits mit seiner Verkündung als erlassen (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 19. Februar 1951, Slg. Nr. 1941/A). Die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des Bescheides ist - mit folgender Maßgabe - nur mehr für den Lauf der Rechtsmittelfrist gemäß § 63 Abs. 5 AVG von Bedeutung:

Wird nämlich ein Bescheid mündlich verkündet und aufgrund eines rechtzeitigen Verlangens gemäß § 62 Abs. 3 leg. cit. eine schriftliche Ausfertigung zugestellt, so läuft die (zufolge des rechtzeitigen Verlangens sistierte) Rechtsmittelfrist erst zwei Wochen nach Zustellung der schriftlichen Ausfertigung ab. Gegen einen mündlich verkündeten und daher rechtlich existierenden Bescheid kann aber auch schon vor der Zustellung der verlangten schriftlichen Ausfertigung zulässigerweise Berufung erhoben werden. Allerdings steht einer Partei insgesamt nur eine Berufung zu (vgl. die Erkenntnisse vom 30. Juni 1970, Slg. Nr. 7834/A, und vom 29. September 1992, Zl. 92/08/0122).

Wird hingegen der (bei der Verkündung anwesenden) Partei aufgrund ihres erst nach Ablauf der im § 62 Abs. 3 AVG festgelegten dreitägigen Frist (und daher rechtswidrigerweise) eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides zugestellt, so hindert dies nicht den Ablauf der mit der mündlichen Verkündung des Bescheides beginnenden Rechtsmittelfrist (vgl. die Erkenntnisse vom 30. Juni 1970, Slg. Nr. 7834/A, und vom 10. Dezember 1986, Zl. 86/01/0186). Ist demnach im Zeitpunkt der (rechtswidrigerweise erfolgten) Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides dieser Bescheid bereits in Rechtskraft erwachsen, so vermag auch die der schriftlichen Ausfertigung beigegebene Rechtsmittelbelehrung, wonach binnen zwei Wochen nach Zustellung dieser Ausfertigung Berufung erhoben werden könne, nicht die Rechtzeitigkeit einer auf diese Rechtsmittelbelehrung gestützten Berufung im Sinne des § 61 Abs. 3 AVG zu bewirken, weil die zuletzt genannte Bestimmung nicht so zu verstehen ist, daß ein rechtskräftiger und daher durch ein ordentliches Rechtmittel nicht mehr bekämpfbarer Bescheid durch eine in welchem Zusammenhang immer erteilte unrichtige Rechtsmittelbelehrung wieder anfechtbar würde (vgl. das Erkenntnis vom 30. Juni 1970, Slg. Nr. 7834/A). Zumindest dann, wenn die Partei anläßlich der Verkündung des Bescheides über ihr Recht nach § 62 Abs. 3 AVG, binnen drei Tagen nach der Verkündung eine schriftliche Ausfertigung zu verlangen, belehrt wurde, hat auch die Verkündung und Beurkundung einer Rechtsmittelbelehrung (als Bestandteil des mündlichen Bescheides gemäß § 62 Abs. 2 AVG) des Inhaltes, daß die Rechtsmittelfrist ab Zustellung des Bescheides zu laufen beginne, nicht zur Folge, daß durch eine aufgrund eines verspäteten Verlangens (und daher rechtswidrigerweise) vorgenommene Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung die Rechtsmittelfrist ab dieser Zustellung (wieder) zu laufen beginne; dies deshalb nicht, weil das Wort "Zustellung" in dieser Rechtsmittelbelehrung in Verbindung mit der Belehrung der Partei nach § 62 Abs. 3 AVG nur als Zustellung aufgrund eines rechtzeitigen Verlangens auf Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung verstanden werden kann (vgl. zu anderen Fallgestaltungen, in denen eine Belehrung nach § 62 Abs. 3 AVG nicht protokolliert wurde, die Erkenntnisse vom 21. Oktober 1931, Slg. Nr. 16827/A, vom 10. Dezember 1986, Zl. 86/01/0186, vom 12. März 1990, Zl. 90/19/0164, und vom 27. Jänner 1995, Zl. 94/02/0416).

Unter Bedachtnahme auf diese Grundsätze ist die Rechtsrüge der Beschwerdeführerin unbegründet. Denn für den Fall, daß sie erst am 8. Juni 1993 wirksam den Antrag auf Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des am 28. Mai 1993 mündlich verkündeten Bescheides gestellt haben sollte, ist die Rechtsmittelfrist - ungeachtet der oben wiedergebenen, sowohl anläßlich der mündlichen Verkündung protokollierten als auch der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides beigegebenen Rechtsmittelbelehrung - mit 4. Juni 1993 abgelaufen und die erst am 28. Juni 1993 erhobene Berufung daher verspätet. Das von der Beschwerdeführerin zur Stützung ihres Standpunktes zitierte Erkenntnis vom 3. Juli 1963, Slg. Nr. 6065/A, steht dem nicht entgegen, weil in dem diesem Erkenntnis zugrundeliegenden Beschwerdefall das schriftliche Straferkenntnis die (nicht dem Gesetz entsprechende) Rechtmittelbelehrung enthielt, der Beschuldigte könne binnen einer Woche nach Zustellung der schriftlichen Ausfertigung, "die binnen drei Tagen verlangt werden muß", Berufung erheben, der Beschuldigte auch dieses Verlangen rechtzeitig stellte, ihm aber nicht eine (neuerliche) "schriftliche Ausfertigung" zugestellt, sondern die Rechtsmittelfrist verlängert wurde.

Unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Feststellung der belangten Behörde, sie habe erst "mit Schreiben vom 8.6.1993" die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung verlangt. Dies sei aktenwidrig. Wie aus dem Verwaltungsakt ersichtlich sei, habe sie vielmehr mit Schreiben vom 28. Mai 1993 eine schriftliche Ausfertigung verlangt. Dieser Antrag sei am 8. Juni 1993 bei der erstinstanzlichen Behörde eingelangt. Gemäß § 33 Abs. 3 AVG würden auch im Verwaltungsverfahren die Tage des Postenlaufes in die Frist nicht eingerechnet. Diesbezüglich (nämlich hinsichtlich der Postaufgabe) habe die belangte Behörde aber keine Erhebungen durchgeführt und sei deshalb der Sachverhalt in diesem wesentlichen Punkt unvollständig.

Auch diesem verfahrensrechtlichen Einwand kommt keine Berechtigung zu. Zwar ist es richtig, daß das Schreiben der Beschwerdeführerin mit "28.5.1993" datiert ist, es wurde aber nach der Aktenlage (Aktenvermerk der erstinstanzlichen Behörde vom 30. Juli 1993) von der Beschwerdeführerin der erstinstanzlichen Behörde nicht mittels der Post übermittelt, sondern am 8. Juni 1993 persönlich überreicht. Das hat die Beschwerdeführerin auch in ihrer mit 5. August 1993 datierten Beantwortung der "Verständigung vom Ergebnis zur Beweisaufnahme" vom 2. August 1993, wonach sie die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides vom 28. Mai 1993 nicht innerhalb von drei Tagen nach der Verkündung, sondern erst am 8. Juni 1993 beantragt habe, auch ausdrücklich zugestanden. Das erklärt die Formulierung in der Bescheidbegründung "mit Schreiben vom 8.6.1993". Die belangte Behörde hatte daher keine Veranlassung Ermittlungen über das Datum der Postaufgabe durchzuführen.

Aus den angeführten Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Rechtskraft Besondere Rechtsprobleme Berufungsverfahren Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994080158.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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