TE Vfgh Erkenntnis 1993/6/25 B634/92

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Veröffentlicht am 25.06.1993
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/03 Ärzte, sonstiges Sanitätspersonal

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Quasianlaßfall; Anlaßfallwirkung der Aufhebung einiger Worte in §19 Abs3 und Abs4 ÄrzteG mit E v 02.10.92, G338/91. Soweit die Beschwerde vom Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der Erstbeschwerdeführerin erhoben wurde, ist sie unzulässig. Mit der hier in Rede stehenden (mit dem angefochtenen Bescheid widerrufenen) Bewilligung (zur Ausübung einer fachärztlichen Tätigkeit auch an einem zweiten Berufssitz) wurde der Erstbeschwerdeführerin eine höchstpersönliche Befugnis eingeräumt, die das zur Konkursmasse gehörige Vermögen nicht betrifft. Der Masseverwalter ist daher zur Anfechtung des eine solche Bewilligung widerrufenden Bescheides nicht legitimiert.

Spruch

Die Erstbeschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Beschwerde wird, soweit sie vom Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der Erstbeschwerdeführerin erhoben wurde, zurückgewiesen.

Der Bund (Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz) ist schuldig, der Erstbeschwerdeführerin zu Handen ihres bevollmächtigten Vertreters die mit 15.000 S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die als Fachärztin für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde freiberuflich tätige Erstbeschwerdeführerin hat ihren Berufssitz in 8480 Mureck, Kernstockallee 13. Mit Bescheid der Österreichischen Ärztekammer vom 26. März 1980 wurde ihr die Bewilligung erteilt, ihre Tätigkeit auch an einem zweiten Berufssitz (8462 Gamlitz 120) auszuüben.

Diese Bewilligung wurde, da seit 1. Oktober 1990 ein Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in Gamlitz seinen (einzigen) Berufssitz hat, von der Österreichischen Ärztekammer unter Berufung auf §19 Abs4 Ärztegesetz 1984, BGBl. 373 idF BGBl. 314/1987, mit Bescheid zurückgenommen.

2. Der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung der Erstbeschwerdeführerin gab der Landeshauptmann von Steiermark mit Bescheid vom 3. April 1992 keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Dies wurde der Sache nach damit begründet, die der Erstbeschwerdeführerin erteilte Bewilligung habe gemäß §19 Abs4 (dritter Satz) Ärztegesetz 1984 zurückgenommen werden müssen, weil der für ihre Erteilung maßgebend gewesene Bedarf infolge der Eröffnung der (einzigen) Ordination durch einen Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in Gamlitz nicht mehr bestehe.

3. Gegen den Bescheid des Landeshauptmannes richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, die von der Erstbeschwerdeführerin und vom "Konkurs Dr. C S" (dem Zweitbeschwerdeführer) erhoben wurde und mit der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

4. Der Landeshauptmann von Steiermark als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

5. Auf Grund eines vom Verwaltungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG gestellten Antrages hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 2. Oktober 1992, G338/91, die Worte "der Facharzt" im ersten Satz des §19 Abs3 Ärztegesetz 1984 sowie die Worte "oder ein Facharzt" im ersten Satz und die Worte "oder fachärztliche" im zweiten Satz des §19 Abs4 Ärztegesetz 1984 als verfassungswidrig auf und sprach gleichzeitig aus, daß frühere gesetzliche Vorschriften nicht wieder in Wirksamkeit treten.

II. 1. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zur Zeit der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem im Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall im engeren Sinn (anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist) sind all jene Fälle gleichzuhalten, die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in dem eine präjudizielle Gesetzesstelle betreffenden Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung mit Beginn der nichtöffentlichen Beratung) bereits anhängig waren (VfSlg. 10616/1985, 11711/1988).

Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 11. Juni 1992. Die von der Erstbeschwerdeführerin erhobene Beschwerde ist als am 20. Mai 1992 eingelangt anzusehen.

Nach dem Gesagten ist der Fall daher einem Anlaßfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig befundene Vorschrift an. Nach Lage des Falles ist es offenkundig, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Erstbeschwerdeführerin nachteilig war.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde somit durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von 2.500 S enthalten.

III. Soweit die Beschwerde vom Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der Erstbeschwerdeführerin erhoben wurde, ist sie unzulässig.

Nach Konkurseröffnung tritt - auch im Verwaltungsverfahren - der Masseverwalter an die Stelle des Gemeinschuldners, soweit Aktiv- oder Passivbestandteile der Konkursmasse betroffen sind (zB. VfSlg. 9828/1983).

Mit der hier in Rede stehenden (mit dem angefochtenen Bescheid widerrufenen) Bewilligung wurde der Erstbeschwerdeführerin jedoch eine höchstpersönliche Befugnis eingeräumt, die das zur Konkursmasse gehörige Vermögen nicht betrifft. Der Masseverwalter ist daher zur Anfechtung des eine solche Bewilligung widerrufenden Bescheides nicht legitimiert.

Schon deshalb war die Beschwerde, soweit sie vom Masseverwalter erhoben wurde, zurückzuweisen.

IV. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 und §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall, VfGH / Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B634.1992

Dokumentnummer

JFT_10069375_92B00634_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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