TE Vwgh Erkenntnis 1995/9/26 94/08/0131

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Veröffentlicht am 26.09.1995
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Index

20 Privatrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
60 Arbeitsrecht;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66 Sozialversicherung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;
68/01 Behinderteneinstellung;
68/02 Sonstiges Sozialrecht;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs1 idF idF 1993/502 ;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AMFG §19 Abs1 litb;
AVG §45 Abs3;
AVG §66 Abs4;
BEinstG §11;
BeschäftigungssicherungsNov 1993 Art4 Z1;
BeschäftigungssicherungsNov 1993 Art4 Z11;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt, gegen den aufgrund eines Beschlusses des zuständigen Unterausschusses des Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Salzburg (nunmehr: Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Salzburg) vom 7. Februar 1994, Zl. IV - 7022 B, VNR.: 1150 240864, betreffend Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 15. November 1993 bis 12. Dezember 1993 gemäß § 10 AlVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das auf Ersatz der Stempelgebühren gerichtete Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde ausgesprochen, daß der Beschwerdeführer für den Zeitraum vom 15. November 1993 bis 12. Dezember 1993 seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 10 Abs. 1 AlVG verloren habe. Nach der Begründung dieses Bescheides sei der Beschwerdeführer am 12. November 1993 einer Beschäftigung als Hilfsarbeiter in einer geschützten Werkstätte mit Beschäftigungsbeginn 15. November 1993 zugewiesen worden. Zur Aufnahme dieses Arbeitstrainings sei es jedoch nicht gekommen. Gegen den daraufhin vom Arbeitsamt verfügten Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld gemäß § 10 Abs. 1 AlVG für vier Wochen habe der Beschwerdeführer in seiner Berufung gesundheitliche Gründe für die Nichtannahme dieses Arbeitstrainings geltend gemacht. Der Beschwerdeführer sei seit 9. Oktober 1993 arbeitslos. Als Bezieher von Arbeitslosengeld müsse er bereit sein, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen. Zumutbar sei eine solche Maßnahme unter anderem dann, wenn sie die Gesundheit des Arbeitslosen nicht gefährde. Aufgrund der vom Beschwerdeführer geltend gemachten gesundheitlichen Bedenken sei eine amtsärztliche Untersuchung veranlaßt worden. Der Amtsarzt komme in seinem Gutachten im wesentlichen zum Ergebnis, daß der Beschwerdeführer für die vorgesehen gewesene Beschäftigungsmaßnahme ohne Einschränkung geeignet gewesen sei. Dieses Gutachten sei dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden, er habe dazu jedoch keine weiteren Angaben gemacht. Dies bedeute, daß die "zugewiesene Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt aus gesundheitlichen Gründen" für den Beschwerdeführer zumutbar gewesen sei. Darauf, daß dem Beschwerdeführer - wie er vorgebracht habe - wegen fehlender geistiger und körperlicher Eignung die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Guppe B nicht erteilt worden sei und dies der Verwaltungsgerichtshof bestätigt habe, komme es im vorliegenden Zusammenhang nicht an.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ein Abspruch betreffend den Anspruch auf Arbeitslosengeld ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zeitraumbezogen, d.h. daß die in den jeweiligen Zeiträumen, für welche Arbeitslosengeld beantragt wurde, gegebene Sach- und Rechtslage maßgebend ist (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 25. Oktober 1994, 93/08/0033).

Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG in der danach anzuwendenden Fassung der Beschäftigungssicherungsnovelle 1993, BGBl. Nr. 502/1993, ist arbeitswillig, wer u.a. bereit ist, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- und umschulen zu lassen oder an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen.

Gemäß § 10 Abs. 1 AlVG verliert der Arbeitslose für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden vier Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn er sich ohne wichtigen Grund weigert, einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen oder durch sein Verschulden den Erfolg der Nach(Um)schulung vereitelt oder ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Anspruch und Bezug des Arbeitslosengeldes als beschwert. Im Rahmen des so umschriebenen Beschwerdepunktes ist der Verwaltungsgerichtshof nach ständiger Rechtsprechung nicht an die für die behauptete Rechtswidrigkeit in der Beschwerde geltend gemachten Gründe gebunden; er hat vielmehr eine für die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit im Rahmen des Beschwerdepunktes maßgebende inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auch dann aufzugreifen, wenn sie vom Beschwerdeführer weder ausdrücklich noch nach dem Inhalt der Beschwerde geltend gemacht wurde (vgl. u.a. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. September 1984, Slg. Nr. 11525/A, uva.).

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinen Erkenntnissen vom 21. Dezember 1993, Zl. 93/08/0215-0218, und vom 20. Dezember 1994, 93/08/0134, die Auffassung vertreten, daß es nicht im freien Belieben des Arbeitsamtes steht, einem Arbeitslosen (auch einem Langzeitarbeitslosen) entweder eine Arbeitsstelle zu vermitteln oder ihn zu einer Nachschulung oder Umschulung zuzuweisen. Für eine solche Maßnahme sei vielmehr Voraussetzung, daß die Kenntnisse des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend sind. Ein Arbeitsloser, dem solche Maßnahmen ohne nähere Spezifikation und ohne Vorhalt jener Umstände zugewiesen werden, aus denen sich das Arbeitsamt zur Zuweisung berechtigt erachtet, kann im Falle der Weigerung, einer solchen Zuweisung Folge zu leisten, nicht vom Bezug der Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG ausgeschlossen werden (vgl. das bereits erwähnte Erkenntnis vom 21. Dezember 1993, Zl. 93/08/0215-0218).

Diese Grundsätze sind auch auf die seither (nämlich durch Art. IV Z. 1 der Beschäftigungssicherungsnovelle 1993, BGBl. Nr. 502/1993, gemäß deren Art. IV Z. 11(ua) - in diesem Punkt in Kraft getreten mit 1. August 1993 -) geänderte Fassung des § 9 Abs. 1 AlVG übertragbar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0246), wonach ein Arbeitsloser - um arbeitswillig zu sein - auch bereit sein muß, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen: Auch die Zuweisung zu einer solchen Maßnahme setzt voraus, daß die Gründe, nach denen das Arbeitsamt eine solche Maßnahme für erforderlich erachtet, dem Beschwerdeführer eröffnet und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird. Dies ist im Beschwerdefall nach der Aktenlage nicht erfolgt, sodaß der Beschwerdeführer schon deshalb nicht verpflichtet war, an der Maßnahme teilzunehmen.

Darüber hinaus war die vom Arbeitsamt ins Auge gefaßte Maßnahme auch der Sache nach nicht durch § 9 Abs. 1 AlVG gedeckt: Geschützte Werkstätten sind gemäß § 11 Abs. 1 des Behinderteneinstellungsgesetzes Einrichtungen zur Beschäftigung geistig Behinderter, die wegen Art und Schwere der Behinderung noch nicht oder nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, bei denen aber eine wirtschaftlich verwertbare Minderleistungsfähigkeit vorliegt. Gemäß § 11 Abs. 2 leg. cit. muß es die geschützte Werkstätte begünstigten Behinderten ermöglichen, ihre Leistungsfähigkeit mit dem Ziel der Eingliederung in den freien Arbeitsmarkt zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen.

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde selbst festgestellt, daß der Beschwerdeführer unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen leidet. In Anbetracht der Aufgabe einer geschützten Werkstätte, Behinderte durch geeignete Maßnahmen an den freien Arbeitsmarkt heranzuführen, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen, daß die Tätigkeit in einer geschützten Werkstätte geeignet sein könnte, einem Nichtbehinderten jene Arbeitsbedingungen zu vermitteln, denen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Nichtbehinderte begegnen.

Da der angefochtene Bescheid schon aus diesen Gründen mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet ist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß es einer Auseinandersetzung mit dem sonstigen Beschwerdevorbringen bedarf.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Da dem Beschwerdeführer Verfahrenshilfe durch die einstweilige Befreiung von der Entrichtung der Stempel- und Kommissionsgebühren gewährt wurde, Anspruch auf Ersatz der Stempelgebühren jedoch nur soweit besteht, als diese im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof zu entrichten waren (§ 48 Abs. 1 Z. 1 VwGG), konnte ein Ersatz für solche - derzeit nicht zu entrichtende - Stempelgebühren nicht zugesprochen werden.

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Diverses Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994080131.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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