Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 lita;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 95/13/0203 95/13/0204 95/13/0205 95/13/0206 95/13/0207 95/13/0208 95/13/0209 95/13/0210 95/13/0211Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über den Antrag der F-GmbH in W, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der Beschwerde in dem mit Beschluß vom 11. Juli 1995, 95/13/0091, abgeschlossenen Verfahren, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Antrag wird stattgegeben.
Begründung
Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Juli 1995, 95/13/0091, wurde das Verfahren betreffend die von der Antragstellerin erhobene Beschwerde gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 28. September 1994, Zl GA 6/2-KVZ0178/94-05, betreffend Festsetzung von Vorauszahlungen an Körperschaftsteuer für 1994 und Folgejahre, eingestellt, weil die Antragstellerin dem an sie ergangenen Auftrag zur Verbesserung der Beschwerde insoweit nicht entsprochen hat, als sie zwar innerhalb offener Frist einen ergänzenden Schriftsatz in dreifacher Ausfertigung einbrachte, die an sie zurückgestellten Beschwerdeausfertigungen aber nicht wieder vorlegte. Der Beschluß wurde der Antragstellerin am 17. August 1995 zugestellt.
Mit fristgerecht zur Post gegebenem Antrag wird unter gleichzeitiger Vorlage der zurückgestellten Beschwerdeausfertigungen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln begehrt. Dies mit folgender Begründung: Bei der gegenständlichen Beschwerdeergänzung handle es sich um eine von 16 gleichartigen Beschwerdeergänzungen.
Am 6. Juni 1995 habe die in der Kanzlei des Rechtsvertreters der Antragstellerin beschäftigte Frau K die ersten Beschwerdeergänzungen an den Verwaltungsgerichtshof mit dem Vermerk auf dem Deckblatt "ursprüngliche Beschwerde samt Beilagen (3-fach)" unter der begleitenden Kontrolle des Konzipienten Dr. H sowohl geschrieben als auch abgefertigt. Da in diesen Fällen vom Verwaltungsgerichtshof die Verfassungsgerichtshofbeschwerden nicht zurückgestellt worden seien, habe Frau K den Beschwerdeergänzungen nach Rücksprache mit Dr. H drei Kopien der bei Übergabe der Verfassungsgerichtshofbeschwerden in der Einlaufstelle des Verfassungsgerichtshofes mit dem Eingangsstempel versehenen Halbschrift beigelegt.
Auch am 14. Juni 1995 - an diesem Tag sei die dem gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrag zugrunde liegende Beschwerdeergänzung abgefertigt worden - habe Frau K mit Dr. H abermals besprochen, wie bezüglich der Beilagen vorzugehen sei. Dabei habe Dr. H entschieden, daß, falls Originale im Akt lägen, diese beizulegen seien, falls nicht, sollten wieder die Halbschriften kopiert und beigefügt werden. In der Folge seien die Beschwerdeergänzungen dem Rechtsvertreter der Antragstellerin vorgelegt worden. Dieser habe die Beschwerdeergänzungen unterschrieben, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß die im Deckblatt genannten Beilagen, ua die ursprünglichen Beschwerden - gesondert und zusammengefaßt -, der Beschwerdeergänzung angeschlossen waren. Anschließend habe er den Akt seinem Konzipienten Dr. H mit dem Auftrag übergeben, für eine ordnungsgemäße Abfertigung durch die zuständige Kanzleikraft zu sorgen. In Ausführung dieses Auftrages habe Dr. H Frau K erklärt, daß entsprechend der Angabe auf dem Deckblatt der Eingaben die angeschlossenen Originale mitzuschicken seien. Da Frau K bereits seit über drei Jahren in der Kanzlei diese Aufgaben wahrnehme und es sich bei Frau K um eine überaus verläßliche Angestellte handle, habe Dr. H davon ausgehen können, daß diese seinen Anweisungen folgend der Eingabe die Originale auch wirklich anschließt.
Frau K habe aber die Anweisung von Dr. H mißverstanden und den Beschwerdeergänzungen nicht die ursprünglichen Beschwerden im Original, sondern - wie schon acht Tage zuvor - Kopien der mit dem Eingangsstempel des Verfassungsgerichtshofes versehenen Halbschriften beigelegt.
Dem Antrag ist je eine eidesstattliche Erklärung von Dr. H und Frau K beigeschlossen, in welchen die Ausführungen der Antragstellerin bestätigt werden.
Ausgehend vom dargestellten Sachverhalt, den der Verwaltungsgerichtshof durch die vorgelegten Bescheinigungsmittel in ausreichender Weise als glaubhaft gemacht ansieht, erweist sich der gestellte Antrag aus folgenden Erwägungen als berechtigt: Gemäß § 46 Abs 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist (vgl Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Aufl, S 656 f). Die Bewilligung der Wiedereinsetzung kommt somit im Hinblick auf die Bestimmungen des § 46 Abs 1 zweiter Satz VwGG nur in Betracht, wenn dem Antragsteller und seinem Vertreter kein Versehen oder nur ein minderer Grad eines Versehens angelastet werden kann. Ein Versehen einer Kanzleikraft eines Rechtsanwaltes ist diesem nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber der Kanzleikraft unterlassen hat. Unterläuft einer Kanzleikraft, deren Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach Kontrolle desselben samt den dazugehörigen Beilagen durch den Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung ein Fehler, so stellt dies nach der
hg Rechtsprechung ein unvorhergesehenes Ereignis dar (vgl etwa den hg Beschluß vom 20. Juni 1990, 90/13/0136). Eine regelmäßige Kontrolle der Kuvertierung durch eine verläßliche Kanzleikraft ist einem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht dessen Sorgfaltspflicht überspannen.
Diese in der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes enthaltenen Erwägungen kommen auch im vorliegenden Fall zum Tragen. Auch hier hat der Rechtsvertreter der Antragstellerin das für die fristgerechte Erfüllung des ihm erteilten Auftrages zur Verbesserung der Beschwerde Erforderliche vorgekehrt. Zur Versäumung der aufgetragenen Frist kam es nur auf Grund der beschriebenen Fehlleistung einer Kanzleikraft, welche erst nach fristgerechter Unterfertigung aller Ausfertigungen des Mängelbehebungsschriftsatzes durch den Rechtsvertreter der Antragstellerin und Erteilung der Weisung, diese Ausfertigungen samt den zurückgestellten Verfassungsgerichtshofbeschwerde-Ausfertigungen und dem Bescheid der Finanzlandesdirektion dem Verwaltungsgerichtshof zu übersenden, im Zuge der Abfertigung unterlaufen ist. Da der Antragstellerin und ihrem Rechtsvertreter ein Verschulden an der Versäumung nicht vorgeworfen werden kann, war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattzugeben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995130202.X00Im RIS seit
20.11.2000