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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
VwGG §46 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über den Antrag des M in W, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Oktober 1994, Zl. 107.149/4-III/11/94, betreffend Aufenthaltsbewilligung, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird bewilligt.
Begründung
Mit hg. Verfügung vom 20. März 1995 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 34 Abs. 2 VwGG zur Mängelbehebung durch Anschluß einer Ausfertigung, Gleichschrift oder Kopie des anzufechtenden Bescheides (§ 28 Abs. 5 VwGG) binnen zwei Wochen aufgefordert. Innerhalb der ihm gesetzten Frist legte der Beschwerdeführer den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 2. August 1994 vor, nicht jedoch den angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Oktober 1994.
Mit hg. Beschluß vom 17. Mai 1995 wurde das Verfahren über die oben angeführte, zur Zl. 95/21/0114 protokollierte Beschwerde gemäß § 33 Abs. 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 VwGG eingestellt.
Mit dem vorliegenden, am 4. August 1995 zur Post gegebenen Schriftsatz begehrt der Antragsteller unter gleichzeitiger Vorlage des oben näher bezeichneten angefochtenen Bescheides die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Mängelbehebungsfrist mit dem Vorbringen, erst durch den Beschluß, mit welchem die Beschwerde als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt worden war, habe der Vertreter des Beschwerdeführers davon Kenntnis erlangt, daß dem Schriftsatz vom 24. April 1995 nicht der angefochtene Bescheid beigelegt worden sei. Am Wochenende vor dem 24. April 1995 habe der Vertreter des Beschwerdeführers den Schriftsatz an den Verwaltungsgerichtshof diktiert. Am Montag, dem 24. April 1995, habe in der Kanzlei eine angespannte Arbeitssituation geherrscht. Die Kanzleileiterin, Frau M, habe die zu unterfertigenden Schriftstücke mit den dazugehörenden Beilagen in die Unterschriftenmappen gegeben. Dem Mängelbehebungsschriftsatz habe sie vorsichtshalber sowohl den Bescheid des Landeshauptmannes für Wien als auch den angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres beigelegt. Der Vertreter des Beschwerdeführers habe den Schriftsatz unterschrieben und den angefochtenen Bescheid zum Zeichen dafür, daß nur dieser beizulegen sei, aus der Unterschriftenmappe herausstehen lassen. Diese Vorgangsweise, das Herausstehenlassen einer Beilage zum Zeichen dafür, daß diese beizufügen sei, sei bisher stets problemlos gehandhabt worden. Wegen des Zeitdruckes sei es geschehen, daß Frau M zu dem gegenständlichen Schriftsatz anstelle des angefochtenen Bescheides jenen des Landeshauptmannes für Wien in das Kuvert gelegt habe. Sie leite bereits seit 12 Jahren die Kanzlei des Vertreters des Beschwerdeführers und sei stets zuverlässig und gewissenhaft gewesen und ihren Obliegenheiten genauestens nachgekommen. Der Beschwerdeführer sei somit durch ein unvorhergesehenes bzw. unabwendbares Ereignis daran gehindert worden, den angefochtenen Bescheid mit dem Schriftsatz vom 24. April 1995 vorzulegen.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Der Begriff des minderen Grades des Versehens wird als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit nicht die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. den hg. Beschluß vom 18. Mai 1995, Zl. 95/18/0523).
Auf dem Boden dieser Rechtslage ist das durch Vorlage einer eidesstättigen Erklärung der M bescheinigte Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag geeignet, einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund darzutun. Das Verhalten der Kanzleibediensteten des Vertreters des Antragstellers stellt sich im Verhältnis zum Antragsteller als ein unvorhergesehenes Ereignis dar, durch welches dieser ohne sein Verschulden gehindert war, die Beschwerdefrist einzuhalten (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 650, angeführte Rechtsprechung). Ein Verschulden des Vertreters trifft auch die von ihm vertretene Partei (vgl. die bei Dolp, aaO, Seite 656, angeführte Rechtsprechung). Ein Rechtsanwalt mit einem ordnungsmäßigen Kanzleibetrieb darf sich im allgemeinen, solange er nicht durch Fälle von Unzuverlässigkeit zu persönlicher Aufsicht und zu Kontrollmaßnahmen genötigt wird, darauf verlassen, daß sein Kanzleipersonal einem von ihm diktierten Schriftsatz die aufgetragene Beilage auch tatsächlich anschließt (vgl. die bei Dolp, aaO, Seite 658, angeführte Rechtsprechung). Dem Vertreter des Antragstellers kann somit ein Sorgfaltsverstoß im Sinne einer mangelhaften Überwachung seines Kanzleibetriebes nicht angelastet werden, weshalb die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen war.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995210889.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
20.03.2009