TE Vfgh Erkenntnis 1993/6/30 B1579/92

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Veröffentlicht am 30.06.1993
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Index

60 Arbeitsrecht
60/02 Arbeitnehmerschutz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
KarenzurlaubserweiterungsG
MutterschutzG 1979 §15c idF KarenzurlaubserweiterungsG
AlVG §31a

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Versagung von Teilzeitbeschäftigungs-Karenzurlaubsgeld aufgrund einer erst im Lauf des zweiten Karenzjahres aufgenommenen Teilzeitbeschäftigung; gleichheitswidrige Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen des MutterschutzG 1979 und des AlVG; Schließung der Gesetzeslücke im Wege der Analogie erforderlich

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) ist verpflichtet, der Beschwerdeführerin zuhanden des Vertreters die mit 30.040 S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Nach §15c Abs2 Mutterschutzgesetz 1979 in der Fassung des Karenzurlaubserweiterungsgesetzes BGBl. 408/1990 kann die Dienstnehmerin im zweiten Lebensjahr des Kindes die Herabsetzung der Arbeitszeit um mindestens zwei Fünftel der Normalarbeitszeit in Anspruch nehmen, wenn ein Karenzurlaub bis zum Ablauf des ersten Lebensjahres in Anspruch genommen wurde und im zweiten Lebensjahr des Kindes kein Karenzurlaub in Anspruch genommen wird. Nehmen die Eltern im zweiten Lebensjahr des Kindes nicht gleichzeitig Teilzeitbeschäftigung in Anspruch, kann die Dienstnehmerin auch für das dritte Lebensjahr des Kindes eine Teilzeitbeschäftigung in Anspruch nehmen, sofern nicht der Vater Teilzeitbeschäftigung in Anspruch nimmt (Abs3). Die Teilzeitbeschäftigung ist zwischen Dienstgeber und Dienstnehmerin zu vereinbaren (Abs1). Ein Anspruch hierauf besteht unter der Voraussetzung, daß die Dienstnehmerin ihrem Dienstgeber die Absicht, Teilzeitbeschäftigung in Anspruch zu nehmen, und deren Dauer, Ausmaß und Lage bis zum Ende der Schutzfrist (§5 Abs11) bekanntzugeben hat (Abs6). Die Klage auf Einwilligung ist jedoch insoweit abzuweisen, als der Dienstgeber aus sachlichen Gründen die Einwilligung in die begehrte Teilzeitbeschäftigung verweigert hat (Abs7).

§26 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 in der Fassung des Karenzurlaubserweiterungsgesetzes BGBl. 408/1990 gewährt ein Anspruch auf Karenzurlaubsgeld bis zum Höchstausmaß von zwei Jahren vom Tag der Geburt des Kindes an (Abs1 Z1 litb). Nach §31a Abs3 dieses Gesetzes gebührt dem Elternteil, der nach Ablauf des ersten Lebensjahres des Kindes "eine Teilzeitbeschäftigung gemäß §15c des Mutterschutzgesetzes ..."

aufnimmt, das Karenzurlaubsgeld für die Dauer der Teilzeitbeschäftigung, höchstens bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes in verhältnismäßig herabgesetzter Höhe, höchstens zu 50 v.H. Hat er vermindertes Karenzurlaubsgeld wegen Teilzeitbeschäftigung erhalten, ist die Teilzeitbeschäftigung aber während des zweiten Lebensjahres des Kindes ohne sein Verschulden beendet worden und hat er anschließend das volle Karenzurlaubsgeld bezogen, so gebührt ihm danach, sofern kein Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht, 50 v.H. des Karenzurlaubsentgeltes für die Dauer, die dem Bezugszeitraum des verminderten Karenzurlaubsgeldes entspricht (Abs7). Mit der AlVG-Novelle 1992, BGBl. 416, wurde §31a ein (neuer) Abs9 eingefügt, wonach ein Elternteil, der im zweiten Lebensjahr des Kindes keinen Karenzurlaub, aber eine Teilzeitbeschäftigung in Anspruch nimmt, "die nicht gemäß §15c des Mutterschutzgesetzes ... vereinbart wurde", solche Ansprüche mit der Maßgabe hat, daß die Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigung drei Fünftel der Normalarbeitszeit nicht übersteigen darf.

1. Die Beschwerdeführerin bezog nach Geburt eines Kindes am 7. Dezember 1990 vom 5. Februar 1991 bis 30. Juni 1992 Karenzurlaubsgeld. Am 1. Juli 1992 nahm sie bei ihrem Arbeitgeber eine Teilzeitbeschäftigung im Ausmaß von 23 Stunden wöchentlich auf. Im Hinblick darauf stellte das Arbeitsamt die Gewährung von Karenzurlaubsgeld zur Gänze ein: Da nach Vollendung des ersten Lebensjahres noch Karenzurlaubsgeld in Anspruch genommen wurde, sei ein Umstieg auf Teilzeitbeschäftigungs-Karenzurlaubsgeld nicht mehr möglich.

Die Berufung blieb erfolglos. Karenzurlaubsgeld bei Teilzeitbeschäftigung gebühre nur, wenn eine Teilzeitbeschäftigung gemäß §15c MSchG aufgenommen werde. Auch nach der Novelle 1992 könne von den Anforderungen des Mutterschutzgesetzes nur insoweit abgegangen werden, als noch nach Ablauf der Vierwochenfrist die Möglichkeit der Vereinbarung von Teilzeitbeschäftigung (unter Fortbezug von Karenzurlaubsgeld) bestehe; auch dann gebühre aber Karenzurlaubsgeld nur, wenn im zweiten Lebensjahr des Kindes kein Karenzurlaub in Anspruch genommen wird. Nur in §31a Abs7 AlVG sei für den dort näher beschriebenen Fall, in dem die Teilzeitbeschäftigung weniger als 20 Wochen gedauert habe (sodaß kein Anspruch auf Arbeitslosengeld entstanden ist), ein solcher - begrenzter - Anspruch festgelegt.

2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hält die Verweisung des §31a Abs3 AlVG auf §15c MSchG für gleichheitswidrig. Die Regelungen des §15c MSchG seien aus arbeitsrechtlicher Sicht sinnvoll und notwendig, da der Dienstnehmerin ein Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung eingeräumt werde und der Dienstgeber frühzeitig über ihre Absicht informiert werden und damit rechnen können solle, daß die Teilzeitbeschäftigung mit Beginn des zweiten Lebensjahres des Kindes aufgenommen wird. Sie schlössen aber die freiwillige Vereinbarung nach Ablauf dieser Fristen nicht aus. Für die Gewährung von Karenzurlaubsgeld sei diesfalls die Einhaltung der Voraussetzungen bedeutungslos. Es sei schlichtweg kein vernünftiger Grund erkennbar, warum der Anspruch auf Karenzurlaubsgeld entfallen solle, wenn Teilzeitbeschäftigung erst während des zweiten Lebensjahres vereinbart werde. In bezug auf das Karenzurlaubsgeld würden solche Dienstnehmerinnen daher grundlos benachteiligt.

Aus der Begründung der für den Fall der Abweisung und Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde geht die Beschwerdeführerin davon aus, Sinn und Zweck des §31a AlVG sei es, nach einjähriger Inanspruchnahme von Karenzurlaub bei Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung Karenzurlaubsgeld in vermindertem Maße zu gewähren, wobei das insgesamt bezogene Karenzurlaubsgeld mit jenem Betrag begrenzt sei, der innerhalb zweier Jahre bei Nichtaufnahme einer Teilzeitbeschäftigung hätte bezogen werden können. Die belangte Behörde hätte somit (vermindertes) Karenzurlaubsgeld solange gewähren müssen, bis der Beschwerdeführerin jener Betrag zugegangen wäre, welchen sie erhalten hätte, wenn sie bis zum Ende des zweiten Lebensjahres des Kindes volles Karenzurlaubsgeld bezogen hätte.

3. Die belangte Behörde hat keine Gegenschrift eingebracht. Über Einladung des Verfassungsgerichtshofes hat sich jedoch der Bundesminister für Arbeit und Soziales zum Gegenstand geäußert und nach Hinweis auf den Umstand, daß der Widerstand der Arbeitgeberseite gegen die Erweiterung des Karenzurlaubes nur durch eine Lösung überwunden werden konnte, welche die Dienstnehmerin vor die Wahl stellt, nach dem ersten Karenzjahr entweder das zweite zu nehmen oder eine Teilzeitbeschäftigung zu beanspruchen, zur Frage der Rechtfertigung der Regelung folgendes bemerkt:

"Der Gesetzgeber hat daher für den Fall, daß während des zweiten Lebensjahres des Kindes zunächst ein Karenzurlaub konsumiert und dann aufgrund einer Vereinbarung eine Teilzeitbeschäftigung aufgenommen wird, im Arbeitsrecht und Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 offenbar keinen Regelungsbedarf gesehen.

Aufgrund des Arbeitsrechtlichen Begleitgesetzes, BGBl. Nr. 833/1992, kann seit 1. Jänner 1993 die gesetzliche Teilzeitbeschäftigung bereits nach der Schutzfrist bis zum Ende des vierten Lebensjahres des Kindes in Anspruch genommen werden, wenn im ersten und zweiten Lebensjahr kein Karenzurlaub in Anspruch genommen wird (ArtI: §15c Mutterschutzgesetz; ArtII: §8 Eltern-Karenzurlaubsgesetz). Im §31a AlVG wurden mit den neuen Abs10 bis 12 die entsprechenden Bestimmungen über das Teilzeitkarenzurlaubsgeld für diese Fälle angefügt (ArtXII des Begleitgesetzes). Eine Lösung des gegenständlichen Problems bringen diese gesetzlichen Änderungen jedoch nicht. Diese Lösung könnte nach ho. Auffassung nur dadurch erfolgen, daß eine gesetzliche Regelung auch für die Fälle einer Teilzeitbeschäftigung, die nicht gemäß §15c Mutterschutzgesetz oder §8 Eltern- Karenzurlaubsgesetz aufgenommen wurde, aber in ihrem wöchentlichen zeitlichen Ausmaß den gesetzlichen Teilzeitbeschäftigungen gleichwertig ist, getroffen wird. Die Dauer des Teilzeitkarenzurlaubsgeldes in diesen Fällen wäre mit der doppelten Zahl der Tage, für die noch ein Anspruch auf das volle Karenzurlaubsgeld bestehen würde, festzulegen."

II. Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet.

1. Der angefochtene Bescheid des Landesarbeitsamtes beantwortet ausschließlich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf (vermindertes) Karenzurlaubsgeld besteht, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach teilweiser Inanspruchnahme von Karenzurlaub im zweiten Lebensjahr des Kindes eine Herabsetzung der Arbeitszeit auf Teilzeitbeschäftigung vereinbaren. Es geht daher auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht um die - im Gesetzgebungsverfahren strittig gewesene - Frage, wann und unter welchen Umständen die Arbeitnehmerin einen Anspruch auf eine solche Herabsetzung der Arbeitszeit hat, sondern nur darum, ob bei vereinbarter Teilzeitbeschäftigung während des zweiten Lebensjahres des Kindes noch (vermindertes) Karenzurlaubsgeld gebührt.

Auf den ersten Blick scheint es zwar, daß §31a AlVG, wenn er in Abs3 von einer "Teilzeitbeschäftigung gemäß §15c des Mutterschutzgesetzes ..." spricht, in dieser Frage an die Regelung des arbeitsrechtlichen Anspruches auf Teilzeitbeschäftigung anknüpft. Ob er mit dieser Wortfolge allerdings tatsächlich alle in §15c MSchG enthaltenen Tatbestandsmerkmale meint, die in ihrer Summe den arbeitsrechtlichen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung begründen, ist zweifelhaft. Die Materialien geben dazu keinen Hinweis. Daß eine "Teilzeitbeschäftigung gemäß §15c des Mutterschutzgesetzes" im Sinne des §31a AlVG etwa erst dann vorläge, wenn sie durch Klage nach §15c Abs7 erzwungen ist, läßt sich ausschließen. Grundlegend ist nämlich die Vorschrift des §15c Abs1 MSchG, wonach die Teilzeitbeschäftigung, ihr Beginn, ihre Dauer, ihr Ausmaß und ihre Lage zwischen Dienstgeber und Dienstnehmerin zu vereinbaren sind. Eine "Teilzeitbeschäftigung gemäß §15c des Mutterschutzgesetzes ..."

liegt also vor, wenn sie gemäß dieser Gesetzesstelle vereinbart ist.

Ob es sich dabei um eine Teilzeitbeschäftigung handeln muß, die im Sinne des §15c Abs2 MSchG erst für die Zeit nach einem Karenzurlaub bis zum Ablauf des ersten Lebensjahres vereinbart wird, kann unter dem Blickwinkel des vorliegenden Beschwerdefalles dahingestellt bleiben, weil hier diese Voraussetzung jedenfalls gegeben ist. Daß es sich andererseits um eine Teilzeitbeschäftigung höchstens bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes handeln muß, braucht nicht §15c Abs3 MSchG entnommen zu werden, weil §31a Abs3 AlVG für den Karenzgeldbezug dieselbe Höchstgrenze setzt. Würde der Verweis des §31a AlVG auf §15c MSchG auch die Begrenzung des arbeitsrechtlichen Anspruchs auf das zweite und dritte Jahr zum Inhalt haben, wäre die (neuerliche) Begrenzung des Anspruchs auf (vermindertes) Karenzurlaubsgeld mit der Vollendung des dritten Lebensjahres sogar überflüssig: Eine Teilzeitbeschäftigung "gemäß §15c des Mutterschutzgesetzes ..." über diesen Zeitpunkt hinaus wäre dann ja garnicht denkbar. Das öffentliche Interesse an dieser zeitlichen Grenze unabhängig von der arbeitsrechtlichen Lage im Einzelfall liegt zudem auf der Hand. Ob aber für eine Teilzeitbeschäftigung (vermindertes) Karenzurlaubsgeld nur gebühren soll, wenn im Sinne des §15c Abs2 MSchG "im zweiten Lebensjahr des Kindes kein Karenzurlaub in Anspruch genommen wird", ist nicht allein dem Wortlaut der Verweisung zu entnehmen, sondern hängt davon ab, ob dem Gesetzgeber zuzusinnen ist, die Unterstützung der Eltern von diesem Umstand abhängig gemacht zu haben. Dafür müßte es einen plausiblen Grund geben.

Die Beschwerde behauptet, die Voraussetzung der Nichtinanspruchnahme von Karenzurlaub nach Vollendung des ersten Lebensjahres hätte nur im Zusammenhang des §15c MSchG, nicht aber für das Karenzurlaubsgeld Bedeutung. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales legt dar, daß der Gesetzgeber im AlVG an die Regelung des MSchG angeknüpft und weiter keinen Regelungsbedarf gesehen habe. Das läßt sich als Eingeständnis werten, daß der Gesetzgeber das Problem nicht gesehen hat. Wie jedoch der Verfassungsgerichtshof schon im Erkenntnis 9071/1981 (zum Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz) ausgesprochen hat, kann die ausschließliche Übernahme einer auf den Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abstellenden Regelung, für welche die Möglichkeit abweichender Vereinbarungen wesentlich ist, als Grundlage einer zwingenden Vorschrift ohne Berücksichtigung allenfalls nötiger Korrekturen eine unsachliche Differenzierung bewirken. Die durch den Wortlaut des §31a AlVG nicht erzwungene Auslegung der Behörde, daß nur dann Anspruch auf (vermindertes) Karenzurlaubsgeld besteht, wenn nicht über das erste Lebensjahr des Kindes hinaus bereits Karenzurlaubsgeld in Anspruch genommen wurde, könnte nur dann vor dem Gleichheitssatz Bestand haben, wenn diesem Umstand für die Gewährung von Karenzurlaubsgeld Bedeutung zukäme.

2. Das kann der Verfassungsgerichtshof nicht finden.

Gewiß ist aus dem Zusammenhalt des §31a AlVG mit §15c MSchG die einleuchtende Absicht des Gesetzgebers zu entnehmen, Karenzurlaubsgeld höchstens im Ausmaß des vollen Anspruches bis zur Vollendung des ersten und darüber hinaus des halben Anspruchs für das zweite und dritte Jahr zu gewähren (was auf den Betrag des vollen Anspruchs für zwei Jahre hinausläuft). Es kann also keinesfalls rechtens sein - und die Beschwerde wäre im Unrecht, wenn sie solches für verfassungsrechtlich geboten hielte -, daß etwa ein voller Anspruch für eineinhalb Jahre mit einem verminderten Anspruch für weitere eineinhalb Jahre gebührt; denn dann könnte durch Manipulationen mit der Teilzeitbeschäftigung ein höherer Gesamtanspruch erlangt werden als bei voller Inanspruchnahme von zwei Karenzjahren. Die Zeit, für die über das erste Lebensjahr des Kindes hinaus volles Karenzurlaubsgeld beansprucht wurde, muß daher bei Berechnung des verbliebenen Anspruchs auf vermindertes Karenzurlaubsgeld doppelt rechnen, sodaß das verminderte Karenzurlaubsgeld diesfalls nicht bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres, sondern entsprechend weniger lang gebührt. Da es dem in Betracht kommenden Elternteil jedenfalls freisteht, bei gleichem Karenzgeldbezug entweder ein zweites Karenzjahr oder zwei Jahre Teilzeitbeschäftigung zu wählen, spricht unter dem Gesichtspunkt der Belastung der Arbeitslosenversicherung nichts dagegen, eine das erste Lebensjahr des Kindes übersteigende Karenzzeit mit einer entsprechend kürzeren Teilzeitbeschäftigung zu verbinden. Unter diesem Gesichtspunkt läßt sich also die Auslegung der Behörde nicht rechtfertigen.

Aus §31a Abs7 AlVG ergibt sich - entgegen der Auffassung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid - deshalb nichts, weil diese Gesetzesstelle ausnahmsweise einen Anspruch auf (vermindertes) Karenzurlaubsgeld ohne Beschäftigung (Teilzeitbeschäftigung) vorsieht, während es hier um den Karenzgeldbezug bei Teilzeitbeschäftigung geht.

Daß der Gesetzgeber die Erfüllung der in §15c Abs6 MSchG näher beschriebenen, in Abs2 dieses Gesetzes bezogenen Voraussetzungen zur Voraussetzung eines Karenzgeldanspruchs machen wollte, tut aber auch die AlVG-Novelle 1992 nicht dar. Sie sieht im neuen Abs9 die Möglichkeit des Karenzgeldbezuges auch für den Fall vor, daß die Teilzeitbeschäftigung "nicht gemäß §15c des Mutterschutzgesetzes ..." vereinbart wurde (für welchen Fall sie das Maximum der Teilarbeitszeit festlegt), löst den vorliegenden Fall aber deshalb nicht, weil auch sie bei Umschreibung des Tatbestandes die Formulierung enthält, daß der Elternteil "im zweiten Lebensjahr des Kindes keinen Karenzurlaub, aber eine Teilzeitbeschäftigung" in Anspruch nimmt. Allerdings ist diese Novelle mit dem möglichen praktischen Bedürfnis der Festlegung einer Teilzeitbeschäftigung im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber motiviert, und die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (497 BlgNR, 18.GP, 9) enthalten dazu die Bemerkung:

"In diesen Fällen soll das Teilkarenzurlaubsgeld gewährt werden, zumal die Sachlage völlig gleich ist ... Die praktische und finanzielle Situation dieses Elternteiles ist nicht von der Mutter oder dem Vater (gemeint offenbar: jener der Mutter oder des Vaters) unterschieden, die bzw. der die Teilzeitbeschäftigung aufgrund eines rechtlichen Anspruches vereinbart hat."

Aus dieser Motivation ergibt sich, daß auch aus dem Abs9 kein Gegenschluß gezogen werden kann. Wenn nicht einmal die in §15c Abs2 als "Voraussetzungen" (für einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung) genannten Erfordernisse erfüllt sein müssen, um den Anspruch auf (vermindertes) Karenzurlaubsgeld zu begründen, bleibt offen, ob die Bedeutung der Wortfolgen "im zweiten Lebensjahr des Kindes kein Karenzurlaub in Anspruch genommen" in §15c Abs2 MSchG und "im zweiten Lebensjahr des Kindes keinen Karenzurlaub, aber" in §31a Abs9 AlVG über ihren unmittelbaren Zweck hinausgehen, einerseits die Voraussetzungen des arbeitsrechtlichen Anspruchs zu umschreiben (MSchG) und andererseits die Prämisse festzuhalten, unter der eine (abgesehen von der nachfolgenden Maßgabe) unmittelbare Anwendung der vorangegangenen Abs1 bis 7 in Betracht kommt (AlVG).

Die für den Fall eines die Vollendung des ersten Lebensjahres des Kindes überdauernden Karenzurlaubes verbliebene Gesetzeslücke kann aber in Anlehnung an diese Motivation durch analoge - nunmehr bloß sinngemäße - Anwendung der vorhandenen Regeln auf den nicht geregelten Sachverhalt geschlossen werden. Diese analoge Anwendung ist aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Nichts könnte es rechtfertigen, einen Elternteil, der nach Vollendung des ersten Lebensjahres des Kindes nach seiner Wahl Anspruch auf (volles) Karenzurlaubsgeld bis zum Ende des zweiten Lebensjahres des Kindes oder Anspruch auf vermindertes Karenzurlaubsgeld bis zum Ende des dritten Lebensjahres hat, bloß dann, wenn er während des zweiten Lebensjahres (im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber) auf Teilzeitbeschäftigung übergeht, jeglichen weiteren Anspruch auf Karenzurlaubsgeld zu versagen. Eine solche Regelung wäre dem Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zusinnbar.

Vielmehr verringert sich in diesem Fall der Anspruch auf vermindertes Karenzurlaubsgeld mit jedem Tag, den der Karenzurlaub über das erste Lebensjahr des Kindes hinaus gedauert hat, um zwei Tage.

Da die Behörde die Notwendigkeit einer solchen verfassungskonformen Auslegung verkannt und der Beschwerdeführerin jedes weitere Karenzurlaubsgeld vorenthalten hat, ist diese im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag sind 5.000 S an Umsatzsteuer enthalten.

Schlagworte

Analogie, Arbeitsrecht, Mutterschutz, Karenzurlaub, Arbeitslosenversicherung, Arbeitnehmerschutz, Teilzeitbeschäftigung, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B1579.1992

Dokumentnummer

JFT_10069370_92B01579_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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