Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1993 §19;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte
Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 29. Dezember 1994, Zl. SD 1073/94, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 29. Dezember 1994 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen bosnischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das "Bundesgebiet der Republik Österreich" erlassen.
Die belangte Behörde nahm als erwiesen an, daß der Beschwerdeführer, der sich seit April 1992 in Österreich aufhalte, am 21. März 1994 vom Jugendgerichtshof Wien wegen des Verbrechens des schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate bedingt auf drei Jahre Probezeit, rechtskräftig verurteilt worden sei. Demnach lägen die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG vor. Das der Verurteilung zugrunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers sowie die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung rechtfertigten auch die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme. In einem solchen Fall sei gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn dem nicht die Bestimmungen der §§ 19 und 20 leg. cit. entgegenstünden.
Diesbezüglich sei zunächst festzuhalten, daß sich der Beschwerdeführer aufgrund seines relativ kurzen Aufenthaltes in Österreich nicht mit Erfolg auf einen hohen Grad seiner Integration berufen könne. Da sich jedoch auch seine Mutter und seine Schwester im Bundesgebiet befänden, liege zweifellos ein mit dem Aufenthaltsverbot verbundener relevanter Eingriff in sein Privat- und Familienleben i.S. des § 19 FrG vor. Dessen ungeachtet sei aber diese fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Zielen dringend geboten. Immerhin lägen dem Beschwerdeführer mehrere Raubüberfälle, die er gemeinsam mit einem anderen begangen habe, zur Last. Angesichts der Schwere der der gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers zugrunde gelegenen Straftaten und der darin zum Ausdruck kommenden krassen Mißachtung der körperlichen Sicherheit und des Eigentums anderer Menschen sei das Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen des Beschwerdeführers sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (Art. 8 Abs. 2 MRK) im Grunde des § 19 FrG zulässig. Die vom Gericht ausgesprochene bedingte Strafnachsicht ändere daran nichts. Denn abgesehen davon, daß dieser Umstand keine Garantie für künftiges Wohlverhalten des Beschwerdeführers sein könne, habe die Behörde die Frage der Erforderlichkeit des Aufenthaltsverbotes eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes zu beurteilen, somit ohne an die Erwägungen gebunden zu sein, die das Gericht veranlaßt hätten, die Strafe teilweise bedingt nachzusehen.
Aufgrund des gegebenen Sachverhaltes habe auch die gemäß § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmende Interessenabwägung selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der Beschwerdeführer nunmehr eine Beschäftigungsbewilligung besitze, zu seinen Ungunsten ausgehen müssen. Die eine krasse Mißachtung der körperlichen Integrität und des Eigentums anderer zum Ausdruck bringenden Straftaten des Beschwerdeführers begründeten eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, sodaß den maßgeblichen, für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes sprechenden öffentlichen Interessen das weitaus größere Gewicht beizumessen sei als den damit verbundenen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie.
Die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgung in seiner Heimat sei bei der hier zu treffenden Entscheidung nicht von Bedeutung, weil im Verfahren betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht zu beurteilen sei, in welchen Staat der Fremde zulässigerweise abgeschoben werden könne.
Da somit die Voraussetzungen der §§ 19 und 20 FrG nicht vorlägen, sei das Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer zu Recht erlassen worden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, daß im vorliegenden Fall die Tatbestandsmäßigkeit nach § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 FrG nicht gegeben sei. Obwohl ein unabhängiges Gericht, dem insoweit eine höhere Kompetenz zuzumessen sei, dem Beschwerdeführer eine günstige Zukunftsprognose ausgestellt und dementsprechend eine bedingte Strafnachsicht ausgesprochen habe, habe sich die belangte Behörde über diese Entscheidung hinweggesetzt und demgegenüber die Auffassung vertreten, daß der Beschwerdeführer auch in Zukunft die Rechte und Freiheiten anderer gefährde. In "Art. 3 Abs. 2 B-VG" sei festgeschrieben, daß niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden dürfe; Art. 6 Abs. 1 MRK bestimme, daß in Strafsachen ein auf Gesetz beruhendes Gericht zu entscheiden habe. Durch den angefochtenen Bescheid würden diese verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte verletzt, da sich weisungsgebundene Verwaltungsbehörden über die Entscheidung eines unabhängigen Gerichtes hinwegsetzen und die endgültige Entscheidung an sich ziehen würden. Während nach den Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes die Entscheidung der Gerichte von den Verwaltungsbehörden respektiert worden seien und im Fall einer bedingten Verurteilung ein - immer wieder verlängerter - Vollstreckungsaufschub gewährt worden sei, könne im Geltungsbereich des Fremdengesetzes ein Vollstreckungsaufschub nicht mehr bzw. nur mehr für kurze Zeit gewährt werden, somit die Entscheidung eines unabhängigen Gerichtes von einer weisungsgebundenen Verwaltungsbehörde außer Kraft gesetzt werden. § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG, wonach auch bei teilbedingt bzw. bedingt nachgesehenen Freihheitsstrafen ein Aufenthaltsverbot zu verhängen sei, sei daher verfassungswidrig.
1.2. Mit diesem Vorbringen vermag die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides aufzuzeigen. Wie der Gerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat, ist die zur Vollziehung des Fremdengesetzes zuständige Behörde bei der Prüfung der Frage, ob die von einem Fremden begangene Straftat die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme rechtfertigt, nicht an die für die Gewährung bedingter Strafnachsicht maßgeblichen Erwägungen des Gerichtes gebunden; sie hat diese Frage vielmehr eigenständig und ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes zu beurteilen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 20. Juli 1995, Zl. 95/18/0896, mwN). Darin kann weder ein "Sich-Hinwegsetzen" über die noch ein "Außerkraftsetzen" der Entscheidung des Gerichtes noch ein "An-sich-Ziehen der endgültigen Entscheidung" durch die Verwaltungsbehörde erblickt werden, ist doch die "Sache" über die einerseits das Strafgericht und andererseits die Fremdenbehörde zu befinden hat, eine gänzlich verschiedene. Insbesondere handelt es sich bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht um einen Abspruch in einer Strafsache, weshalb in dem Umstand, daß in dieser Angelegenheit eine Verwaltungsbehörde zur Entscheidung berufen ist, kein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 erster Satz MRK gelegen ist. Inwiefern darin eine Verletzung des Rechtes auf den gesetzlichen Richter (Art. 83 Abs. 2 B-VG) begründet sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Gleiches gilt für die Ansicht des Beschwerdeführers, das Fehlen einer die Gewährung eines Vollstreckungsaufschubes ermöglichenden Regelung im Fremdengesetz bewirke die Verfassungswidrigkeit des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG.
2. Weshalb dadurch, daß mit der Verhängung des Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer der Kontakt zu seiner Familie, aber auch seine Lehrstelle verloren gehe, "eher die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet wird", vermag die Beschwerde nicht zu begründen und ist auch für den Gerichtshof nicht erkennbar. Wenn die Beschwerde dazu weiter ausführt, es sei zu befürchten, daß der Beschwerdeführer, da er nicht in seine Heimat zurück könne und auch in Slowenien oder Kroatien kein Aufenthaltsrecht erhalte, als "Illegaler" in Österreich bleiben werde, was "sicherlich nicht zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (beitrage)", so wird mit diesem bloß spekulativen Vorbringen in keiner Weise die Auffassung der belangten Behörde entkräftet, daß aufgrund der der gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers zugrunde liegenden Straftaten die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei.
3. Als Zwischenergebnis ist - unter Bedachtnahme auf die vorstehenden Ausführungen - festzuhalten, daß die auf der unbestritten gebliebenen maßgeblichen Sachverhaltsfeststellung der rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Verbrechens des schweren Raubes beruhende rechtliche Beurteilung der belangten Behörde, daß im Beschwerdefall der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG wie auch jener des § 18 Abs. 1 leg. cit. verwirklicht sei, auf keine Bedenken stößt.
4. Was die Frage der Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 19 FrG anlangt, so ist die belangte Behörde zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß mit dieser Maßnahme in relevanter Weise in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen würde. Sie hat aber gleichfalls zutreffend das Dringend-geboten-Sein des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele des Schutzes der öffentlichen Ordnung, der Verhinderung strafbarer Handlungen und des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer bejaht. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht, daß die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes aufgrund einer "einmaligen Fehlleistung" des Beschwerdeführers nicht dringend geboten sei, ist der Gerichtshof mit der belangten Behörde der Auffassung, daß die der gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Verbrechens des (teils vollendeten und teils versuchten) schweren Raubes zugrunde liegenden zahlreichen strafbaren Handlungen gegen die körperliche Integrität und das Eigentum anderer Menschen die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes zum Schutz maßgeblicher, im Art. 8 Abs. 2 MRK genannter Rechtsgüter erforderlich macht.
5.1. Die Beschwerde hält die Entscheidung der belangten Behörde auch deshalb für rechtswidrig, weil sie, ohne auf die Dauer des Aufenthaltes bzw. das Ausmaß der Integration des Beschwerdeführers sowie seiner familiären Bindungen in Österreich konkret einzugehen, also "ohne jegliche Interessenabwägung", das Aufenthaltsverbot erlassen habe. Aufgrund der sozialen und wirtschaftlichen Integration des Beschwerdeführers hätten die Auswirkungen dieser Maßnahme auf das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers wesentlich schwerer gewichtet werden müssen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.
5.2. Dieses Vorbringen ist verfehlt. Anders als der Beschwerdeführer meint, hat die belangte Behörde die im § 20 Abs. 1 FrG vorgesehene Interessenabwägung durchgeführt, und zwar unter Bedachtnahme auf alle dazu von der Beschwerde ins Treffen geführten Gesichtspunkte. Daß sie hiebei zu einem dem Beschwerdeführer nachteiligen Ergebnis gelangt ist, kann nicht als rechtswidrig erkannt werden. Zutreffend hat nämlich die belangte Behörde auf der einen Seite dem eine krasse Mißachtung der körperlichen Integrität und des Eigentums anderer zum Ausdruck bringenden Fehlverhalten des Beschwerdeführers und der darin begründeten erheblichen Beeinträchtigung maßgeblicher öffentlicher Interessen sehr großes Gewicht beigemessen und auf der anderen Seite den privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers keinen hohen Stellenwert eingeräumt. Letzteres vor allem im Hinblick darauf zu Recht, daß der erst ca. zweieinhalbjährige Aufenthalt des Beschwerdeführers schon an sich keinesfalls einen hohen Grad an Integration bewirkt und überdies die für eine Integration wesentliche soziale Komponente durch die schweren Straftaten stark beeinträchtigt wird (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 20. Juli 1995, Zl. 95/18/1142, mwN). Daß der Beschwerdeführer behauptetermaßen mit Wirksamkeit vom 17. Oktober 1994 über eine Beschäftigungsbewilligung verfügt, hat auf das von der belangten Behörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung zu beurteilende Ausmaß der Integration keinen wesentlichen Einfluß. Schließlich vermag auch der Umstand, daß die Mutter und die Schwester des Beschwerdeführers in Österreich leben und letztere - so die Beschwerde - pflegebedürftig sei, nicht entscheidend zu seinen Gunsten auszuschlagen, zumal er nicht behauptet, daß seine Schwester auf seine Hilfe und Unterstützung angewiesen sei.
6. Daß, wie die Beschwerde geltend macht, aufgrund der kriegerischen Ereignisse im Heimatland des Beschwerdeführers eine Abschiebung bzw. eine Ausreise nach Bosnien zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausgeschlossen sei, war von der belangten Behörde nicht zu berücksichtigen. Denn mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist (bloß) die Verpflichtung zur Ausreise verbunden (§ 22 FrG); nicht hingegen wird damit darüber abgesprochen, daß der Fremde in ein bestimmtes Land auszureisen habe, oder daß er (allenfalls) abgeschoben werde.
7. Nach dem Gesagten liegt die behauptete Rechtsverletzung nicht vor - was bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt -, weshalb die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen war.
8. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995181170.X00Im RIS seit
20.11.2000