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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 lita impl;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Robl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über den Antrag des L in E, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in G, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der Beschwerde gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland vom 6. April 1995, Zl. Fr-59/95, betreffend Antrag gemäß § 54 Fremdengesetz, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird bewilligt.
Begründung
Mit hg. Verfügung vom 12. Juli 1995 wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, binnen zwei Wochen eine weitere Ausfertigung der Bescheidbeschwerde vom 7. Juni 1995 (protokolliert zu Zl. 95/18/1129) beizubringen.
Mit dem vorliegenden, am 22. August 1995 zur Post gegebenen Schriftsatz begehrt der Antragsteller unter gleichzeitiger Vorlage von drei Ausfertigungen der Beschwerde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Mängelbehebungsfrist. Die Frist für die Behebung des Mangels habe am 21. August 1995 geendet. Der entsprechende Schriftsatz sei am 21. August 1995 diktiert worden und hätte noch am selben Tag zusammen mit einer Vielzahl weiterer Briefe zur Post gegeben werden sollen. In der Kanzlei des Rechtsvertreters würden alle Poststücke von der Kanzleileiterin, Frau A, am Abend gemeinsam zur Post gebracht. Sämtliche Poststücke seien von Frau A, welche schon seit zehn Jahren in Anwaltskanzleien tätig gewesen sei, bislang immer pünktlich und auch vollständig zur Post gebracht worden. Der eingeschriebene Brief betreffend die aufgetragene Mängelbehebung sei aus unerklärlichen Gründen nicht mit den übrigen Poststücken zur Post gebracht worden. Dieser Umstand sei weder dem Rechtsvertreter, welcher die Büroräumlichkeiten vor der Angestellten verlassen habe, noch der Kanzleiangestellten aufgefallen. Erst bei Dienstbeginn am 22. August 1995 habe festgestellt werden müssen, daß der Brief nicht abgeschickt worden sei. Frau A habe bislang außerordentlich zuverlässig ihre Agenden betreffend Briefaufgabe erledigt, weshalb der Vertreter des Beschwerdeführers davon ausgehen habe können, daß auch im gegenständlichen Fall das Poststück fristgerecht aufgegeben würde. Es sei noch zu keinerlei Beanstandungen gekommen.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Der Begriff des minderen Grades des Versehens wird als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit nicht die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. den hg. Beschluß vom 18. Mai 1995, Zl. 95/18/0523).
Das durch Vorlage einer eidesstättigen Erklärung der A bescheinigte Vorbringen des Antragstellers ist geeignet, einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund darzutun. Grundsätzlich stellt sich das Verhalten eines Kanzleibediensteten des Vertreters des Antragstellers im Verhältnis zum Antragsteller als ein unvorhergesehenes Ereignis dar (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 650, angeführte Rechtsprechung). Wenn auch ein Verschulden des Vertreters der von ihm vertretenen Partei zuzurechnen ist (vgl. die bei Dolp, aaO, Seite 656, angeführte Rechtsprechung), kann vorliegend dem Vertreter des Antragstellers eine Verletzung seiner Sorgfaltspflicht nicht angelastet werden. Unter dem Gesichtspunkt einer rationellen und arbeitsteiligen, die Besorgung abgegrenzter Aufgabenbereiche delegierenden Betriebsführung, ist eine Kontrollmaßnahme der Art nicht erforderlich, daß sich der Anwalt nach der Übergabe der Poststücke an die Kanzleileiterin in jedem Fall noch von der tatsächlichen Durchführung der Expedierung der Sendung überzeugt (vgl. die bei Dolp, aaO, Seite 658, angeführte Rechtsprechung).
Der Antrag auf Wiedereinsetzung war daher zu bewilligen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995181243.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
23.06.2010