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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Abweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Flächenwidmungsplanänderung hinsichtlich der Widmung von Grundstücken als "Wohngebiet für förderbare Wohnbauten" nach dem Tir RaumOG; Verhinderung der Errichtung von stärker als Zweitwohnsitz dienenden Typen von Wohnungen (Appartements) innerhalb des Planungsermessens des VerordnungsgebersSpruch
Der auf Art140 Abs1 B-VG gestützte Antrag wird zurückgewiesen.
Der auf Art139 Abs1 B-VG gestützte Antrag wird
abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Die Antragsteller sind Eigentümer der Grundstücke Nr. 152/21 und 152/10, KG Reith bei Kitzbühel (Tirol).
Sie beantragen gemäß Art140 Abs1 und Art139 Abs1 B-VG die Aufhebung
1. des ArtIII der 4. Novelle zum Tiroler Raumordnungsgesetz, LGBl. 88/1983, sowie
2. des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Reith bei Kitzbühel vom 6. April 1987, genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 10. Juli 1987, soweit er die Grundstücke Nr. 152/21 und 152/10, KG Reith bei Kitzbühel betrifft.
II. Zur Antragslegitimation:
1. ArtIII der 4. Novelle zum Tiroler Raumordnungsgesetz (TROG), LGBl. 88/1983, lautet wie folgt:
"Abweichend von den Bestimmungen des §28 Abs2 dürfen Flächenwidmungs- und Bebauungspläne auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes geändert werden, wenn die Änderung in erstmaliger Anwendung einer Ermächtigung erfolgt, die durch dieses Gesetz neu eingeführt wird, und den Zielen der örtlichen Raumordnung nicht widerspricht."
Die Legitimation der Antragsteller zur unmittelbaren Bekämpfung dieser Gesetzesstelle ist schon deshalb nicht gegeben, weil der angefochtene ArtIII sich ausschließlich an den Verordnungsgeber wendet und regelt, wie der Verordnungsgeber anläßlich der Erlassung bestimmter Verordnungen vorzugehen hat; ein unmittelbarer Eingriff in die Rechtssphäre einer Person könnte erst durch eine aufgrund der Gesetzesbestimmung erlassene Verordnung bewirkt werden (s. VfSlg. 8978/1980 S. 346).
Der auf Art140 Abs1 B-VG gestützte Antrag ist daher gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG zurückzuweisen.
2. Der auf Art139 Abs1 B-VG beruhende Antrag ist hingegen, da die Prozeßvoraussetzungen gegeben sind (vgl. VfSlg. 9260/1981), zulässig.
III. Zur Sache:
1. Mit der bekämpften Änderung des Flächenwidmungsplanes vom 6. April 1987 wurden die Grundstücke der Antragsteller in Wohngebiet für förderbare Wohnbauten gemäß §12 Abs3 TROG umgewidmet.
Die Antragsteller erachten diese Widmung (bzw. die Widmungsänderung) als gesetzwidrig. Ihr liege eine "klar rechtswidrige" Anwendung des §12 Abs3 TROG zugrunde, ebenso werde "der Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen" verletzt. Der Wortlaut des §12 Abs3 TROG weise in die Zukunft, weil er Grundflächen behandle, auf denen Wohnbauten "errichtet werden dürfen". Die Umwidmung bereits bebauter Grundstücke - wie hier - gemäß §12 Abs3 TROG sei "sicher nicht sinnvoll". So dürften sämtliche Zweitwohnungsbesitzer ihr eigenes Haus nicht mehr bewohnen, bestehende Mietverträge wären rechtswidrig und "die Bewohner auf die Straße zu setzen".
§12 Abs3 TROG gestatte auch nur die Umwidmung von Teilen des Wohngebietes. In der Gemeinde Reith sei allerdings das gesamte unbebaute Wohngebiet im Sinne des §12 Abs3 leg.cit. umgewidmet worden und der Großteil der bebauten Grundstücke ebenfalls. Diese Vorgangsweise widerspreche dem Gesetz. Ebenso fehle eine Abwägung, warum bestimmte bebaute Grundstücke umgewidmet worden seien, andere ebenfalls bebaute aber nicht.
Die Planänderung widerspreche auch dem §28 TROG, wonach wichtige Gründe vorliegen müßten und die Änderung den Zielen der örtlichen Raumordnung nicht widersprechen dürfe; nach dieser Gesetzesstelle seien auch im privaten Interesse gelegene wichtige Gründe zu berücksichtigen. Gerade die hier vorliegende Umwidmung greife in eine bestehende Wohnstruktur ein und beeinträchtige die berechtigten privaten Interessen der Antragsteller gravierend.
Schließlich geben die Antragsteller noch der Vermutung Ausdruck, daß die Kundmachung der bekämpften Verordnung nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Sie bezeichnen es als "denkbar", daß die Kundmachung erst (geringfügig) später begonnen und (ebenso geringfügig) früher geendet habe, als das Gesetz dies vorsehe. Zudem sei die in §27 TROG - neben dem Anschlag an der Amtstafel - vorgesehene Kundmachung in sonst üblicher Weise unterblieben.
2.a) In ihrer - die Abweisung des Antrages auf Aufhebung der bekämpften Verordnungsbestimmungen begehrenden - Äußerung führt die Tiroler Landesregierung im wesentlichen aus, entgegen der Meinung der Antragsteller sei die Widmung bereits bebauter Grundstücke als Wohngebiet für förderbare Wohnbauten keineswegs generell unzulässig. Eine Bestimmung, wonach ein bereits bebautes Grundstück nicht Gegenstand einer Widmung sein könne, sei dem TROG fremd.
Im Hinblick auf das Raumordnungsziel des §8 Abs1 TROG könne es nicht zweifelhaft sein, daß es ein wesentliches Ziel der örtlichen Raumordnung sein müsse, insbesondere der ortsansässigen Bevölkerung ausreichende Wohnmöglichkeiten zu sichern, um diese nicht zum Abwandern zu zwingen. Den im Akt befindlichen Auszügen aus den Sitzungsniederschriften des Gemeinderates Reith sei eindeutig zu entnehmen, daß die Umwidmung in Wohngebiet für förderbare Wohnbauten deshalb erfolgt sei, um die ausufernde Zweitwohnungsentwicklung auf ein vertretbares Maß zurückzuführen.
Wenn die Antragsteller in diesem Zusammenhang meinten, die Widmung bebauter Grundstücke als Wohngebiet für förderbare Wohnbauten sei nicht im Sinne dieser Zielsetzung gelegen, verkennten sie dabei die Rechtswirkungen einer derartigen Widmung. Zum einen hindere die Widmung als Wohngebiet für förderbare Wohnbauten im Zeitpunkt der Widmung bestehende rechtmäßige Zweitwohnungsnutzungen nicht. Zum anderen könne ein im Wohngebiet für förderbare Wohnbauten bestehendes Gebäude, welches rechtmäßig als Zweitwohnsitz genutzt wird, wieder an einen Zweitwohnsitzwerber veräußert werden. Mit der Widmung als Wohngebiet für förderbare Wohnbauten könne lediglich mittelfristig eine Verwendung der Grundstücke entsprechend dem aktuellen Widmungszweck erreicht werden.
Entgegen dem Antragsvorbringen seien mit der bekämpften Verordnung vom 6. April 1987 keineswegs einseitig bereits bebaute Grundstücke in Wohngebiet für förderbare Wohnbauten umgewidmet worden. Vielmehr sei ein insgesamt zusammenhängendes Gebiet, welches neben etlichen noch unbebauten Grundstücken auch Freilandflächen umfasse, der Widmung nach §12 Abs3 TROG zugeführt worden. Dieser Entscheidung sei eine eingehende Analyse der Zweitwohnsitzentwicklung in der Gemeinde Reith bei Kitzbühel zugrundegelegen, derzufolge das in Rede stehende Gebiet ein äußerst ungünstiges Verhältnis zwischen Haupt- und Zweitwohnsitzen aufweise. Im Zeitpunkt der Widmung seien dort 23 ständigen Wohnsitzen 31 Zweitwohnsitze gegenübergestanden. Darüberhinaus seien in andern Teilen des Gemeindegebietes ebenfalls - näher bezeichnete - Widmungen im Sinne des §12 Abs3 TROG vorgenommen worden.
Die hier bekämpfte Änderung des Flächenwidmungsplanes habe ihre Grundlage - entgegen der Auffassung der Antragsteller - nicht in §28 Abs2 TROG, sondern in Abs1 lita dieses Paragraphen. Danach seien Flächenwidmungspläne zu ändern, soweit dies durch eine Änderung der für die Planung bedeutsamen Gegebenheiten erforderlich ist. Eine solche erhebliche Änderung der Planungsgrundlagen habe in der früher jedenfalls in dieser Form nicht vorhersehbaren Zweitwohnsitzentwicklung bestanden, wozu noch komme, daß erst die durch die 4. Raumordnungsgesetz-Novelle geschaffene Möglichkeit der Widmung als Wohngebiet für förderbare Wohnbauten ein taugliches Mittel geboten habe, dieser Entwicklung "umfassend zu begegnen".
Der Gemeinderat habe sich jedenfalls, aufbauend auf den bereits erwähnten Erhebungen ausführlich mit der Zweitwohnungssituation in der Gemeinde Reith auseinandergesetzt und seine Entscheidung auf der Grundlage einer entsprechenden Bestandsaufnahme vorgenommen.
Schließlich führte die Tiroler Landesregierung in ihrer Äußerung aus, die Kundmachung sei ordnungsgemäß erfolgt. Der Anschlag an der Amtstafel sei erst an dem Ende des nach Ablauf der gesetzlichen Frist folgenden Tages von der Amtstafel abgenommen worden. Die Verpflichtung zur Vornahme der Kundmachung auch in sonst üblicher Weise nach §27 Abs1 TROG sei nicht zum Tragen gekommen, da in der Gemeinde Reith bei Kitzbühel keine weitere Form der Kundmachung ortsüblich sei.
b) Auch von Seiten der Gemeinde Reith wurde im verfassungsgerichtlichen Verfahren eine Äußerung abgegeben.
c) Die Antragsteller haben auf diese Äußerungen repliziert.
3.a) Zunächst ist festzuhalten, daß die hier vorgenommene Umwidmung - wie die Tiroler Landesregierung zu Recht ausführt - anhand der Voraussetzungen des §28 Abs1 lita TROG, nicht aber jener des §28 Abs2 leg.cit. (auf welche sich die Übergangsbestimmung des ArtIII der 4. Raumordnungsgesetz-Novelle bezieht) zu beurteilen ist. Es ist nämlich durchaus einzuräumen, daß die - auch von den Antragstellern nicht in Abrede gestellte - starke Zunahme von Zweitwohnsitzen in Tirol, insbesondere auch in Kitzbühel und dessen Umgebung, eine Änderung der für die Planung bedeutsamen Gegebenheiten darstellte, welche Grundlage einer - gegebenenfalls auch umfangreichen - Planänderung im Sinne des §28 Abs1 lita TROG sein kann.
Der - sich ausschließlich auf Änderungen nach dem zweiten Absatz des §28 TROG beziehende - ArtIII der Novelle LGBl. 88/1983 ist daher - entgegen der Auffassung der Antragsteller - bei Erlassung der hier angefochtenen Verordnung nicht angewendet worden und war auch nicht anzuwenden. Er war somit auch nicht Rechtsgrundlage der Verordnung vom 6. April 1987.
b) §12 Abs3 TROG lautet:
"Im Flächenwidmungsplan kann für Teile des Wohngebietes festgelegt werden, daß auf den in diesem Gebiet liegenden Grundflächen nur Wohnbauten errichtet werden dürfen, bei denen die darin vorgesehenen Wohnungen hinsichtlich ihrer Größe und ihres Verwendungszweckes nach den wohnbauförderungsrechtlichen Vorschriften förderbar sind. Für diese Teile des Wohngebietes kann im Flächenwidmungsplan überdies im Interesse der Errichtung von Wohngebäuden in verdichteter Bauweise die höchstzulässige Größe neu zu schaffender Bauplätze festgelegt werden."
Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom heutigen Tag, V55/92, unter Hinweis auf das Erkenntnis VfSlg. 12384/1990 ausgesprochen hat, bestehen gegen diese Vorschrift keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch aus dem Blickwinkel des vorliegenden Falles ergibt sich nichts, was zu einer anderen Auffassung führen könnte.
c) Zur Widerlegung des Antragsvorbringens betreffend die bekämpften Umwidmungen ist darauf hinzuweisen, daß, wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 11850/1988 betont hat, eine Bedachtnahme auf den vorhandenen Bestand (hier: auf bereits bebaute Grundstücke) bei einer für die zukünftige Entwicklung bestimmten Planung nicht dazu führen kann, daß der vorliegende Zustand festgeschrieben werden muß, weil dann neue Planungsabsichten in vielen Fällen überhaupt nicht verwirklichbar wären. Es liegt gundsätzlich durchaus (noch) innerhalb des dem Verordnungsgeber zustehenden Ermessens, seine Planung auch in einem gewissen Widerspruch zu den bestehenden Gegebenheiten vorzunehmen.
Ausgehend von dieser Prämisse konnte der Gemeinderat, der Änderung der für die Planung bedeutsamen Umstände Rechnung tragend, auf der Basis des - unbedenklichen - §12 Abs3 TROG zusammenhängende Teile des Gemeindegebietes als Wohngebiet für förderbare Wohnbauten widmen und auf diese Weise dafür sorgen, daß nicht Wohnungen geschaffen werden, die baulich (hinsichtlich ihrer Größe und Ausgestaltung) stärker als andere Wohnungen als Zweitwohnsitz dienen könnten. Der Gemeinderat hat sich hiebei im Rahmen der in §12 Abs3 TROG enthaltenen Ermächtigung im Sinne einer Vorsorge für Wohnbauten, die an sich auch förderbar sind (s. das Erkenntnis des VfGH vom heutigen Tag, V55/92), gehalten, um auf diese Weise den (vorhandenen) Raum mittel- bzw. langfristig zu gestalten. Daß damit keineswegs bewirkt wird, daß "sämtliche Zweitwohnbesitzer ihr eigenes Haus nicht mehr bewohnen dürften, derartige bestehende Mietverträge rechtswidrig und die Bewohner auf die Straße zu setzen" wären - wie im Antrag in rechtlich abwegiger Weise behauptet wird -, bedarf keiner näheren Begründung.
Ungeachtet dessen muß aber festgehalten werden, daß die Tiroler Landesregierung und der Gemeinderat der Gemeinde Reith bei Kitzbühel in ihrem Vorbringen von einem unzutreffenden Verständnis des §12 Abs3 TROG ausgehen, wonach durch die in dieser Vorschrift geschaffene Widmung allgemein die Errichtung von Objekten, welche Zweitwohnungen dienen sollen, verboten werden kann. §12 Abs3 TROG regelt - wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 12569/1990 S. 591 und in seinem bereits zitierten Erkenntnis vom heutigen Tag, V55/92, betont hat - lediglich die bauliche Gestaltung der bei dieser Widmungsart zulässigen Bauwerke, und zwar hinsichtlich der Größe und Ausgestaltung von Wohnungen. Durch die Widmungskategorie Wohngebiet für förderbare Wohnbauten wird im Ergebnis also nur die Errichtung bestimmter Typen von Wohnungen (insbesondere von Appartements) verhindert.
d) Aus dem Vorbringen der Tiroler Landesregierung, welches mit der Aktenlage übereinstimmt, ergibt sich schließlich, daß die - zum Teil undeutlich formulierten - Bedenken der Antragsteller betreffend die Kundmachung der angefochtenen Verordnung ebenfalls nicht zutreffen.
4. Der Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Verordnungsstellen ist somit abzuweisen.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Individualantrag, Wohnbauförderung, Wohngebiet, Raumordnung, Planungsakte (Flächenwidmungsplan), Flächenwidmungsplan, VfGH / Präjudizialität, Wohnsitz Zweit-, Planungsermessen, ErmessenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1993:V8.1993Dokumentnummer
JFT_10069299_93V00008_00