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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Dolp und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des H in S, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Jänner 1995, Zl. 4.345.631/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Jänner 1995 wurde in Erledigung der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 27. Dezember 1994 der am 1. Dezember 1994 gestellte Asylantrag des Beschwerdeführers - eines bosnischen Staatsangehörigen, der am 30. November 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist - abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides habe der Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Vernehmung am 6. Dezember 1994 zur Begründung seines Asylantrages im wesentlichen angegeben, am 25. November 1994 von der bosnischen Armee desertiert zu sein, da er nicht länger "in diesem Krieg" habe kämpfen wollen. Er habe die Militärunterkunft in Cazin ohne Probleme in Uniform, welcher er sich unterwegs entledigt und unter der er seine private Kleidung getragen habe, verlassen können. Er sei einfacher Soldat und zum Wachdienst eingeteilt gewesen. Am Tag seiner Desertion habe er frei gehabt und sich deshalb auch frei bewegen können. Seine (ca. 200 Mann starke) Einheit habe gegen die serbische Armee gekämpft. Über das Schicksal seiner Familie könne er nichts sagen, da er bereits seit vier Monaten keinen Kontakt mehr gehabt habe.
Die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung ausschließlich diesen Sachverhalt als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 zugrunde gelegt. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung hat sie ausgeführt, daß der Beschwerdeführer keine Umstände vorgebracht habe, die auf eine individuelle Verfolgung durch staatliche Institutionen aus einem der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründe hindeuten. Er habe vielmehr generell und durch die von ihm vorgebrachten einzelnen Sachverhalte deutlich gemacht, daß der Grund für die Furcht, die ihn zum Verlassen seines Heimatlandes bewogen habe, in der dort herrschenden Kriegssituation liege. Die allgemeinen Folgen, die jemandem wegen Desertion drohten, seien jedoch auch dann, "wenn sie streng gefaßt sind", für sich allein nicht als Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 anzusehen. Die Tatsache allein, daß es im Heimatland des Beschwerdeführers zu kriegerischen Handlungen komme, stelle keine gegen ihn selbst konkret gerichtete Verfolgungshandlung dar. Die Bürgerkriegssituation im Heimatstaat indiziere nach der ständigen Judikatur der österreichischen Behörden und Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, aber auch nach der Auslegung, die die Genfer Flüchtlingskonvention in anderen Staaten und auf internationaler Ebene gefunden habe, für sich allein nicht die Flüchtlingseigenschaft. Das Asylrecht habe nicht zur Aufgabe, vor den allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die aus Krieg, Bürgerkrieg, Revolution und sonstigen Ursachen hervorgingen. Wesentlich für den Flüchtlingsbegriff sei die Furcht vor einer gegen den Asylwerber selbst konkret gerichteten Verfolgungshandlung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991, nicht die Tatsache, daß es Kämpfe zwischen der Gruppe, welcher der Asylwerber angehöre, und anderen Gruppen im Heimatstaat gebe. Der Beschwerdeführer habe ausdrücklich angeführt, daß er keine anderen Gründe für seinen Entschluß, die Heimat zu verlassen, gehabt habe als den - vereinfacht ausgedrückt -, daß er "nicht länger in diesen Krieg verwickelt sein wollte". Dies rechtfertige aber, bei allem Verständnis für seinen Entschluß und die von ihm gezogene Konsequenz, "weder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch die Gewährung von Asyl".
Diese Ausführungen stehen insofern im Einklang mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, als danach die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - worunter sowohl die Nichtbefolgung der Einberufung zum Militärdienst als auch nach dessen Antritt die Desertion zu verstehen ist - grundsätzlich die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht rechtfertigt, was auch in den Fällen gilt, in denen in dem betreffenden Heimatstaat unter anderem ein Bürgerkrieg oder eine bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung stattfindet. Allerdings kann eine darauf zurückzuführende Furcht vor Verfolgung dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung bzw. unterschiedliche Behandlung während des Militärdienstes aus einem der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen schärfere Sanktionen drohen (vgl. dazu insbesondere das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377). Auf der von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltsgrundlage kann davon, daß die belangte Behörde (im Sinne des zitierten Erkenntnisses) rechtlich das Problem eines vom Beschwerdeführer behaupteten Zusammenhanges zwischen seiner Desertion und einem der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 angeführten Verfolgungsgründe verkannt habe, nicht die Rede sein, wurde doch vom Beschwerdeführer im Zuge seiner protokollierten erstinstanzlichen Angaben ein derartiger Zusammenhang gar nicht hergestellt.
Der Beschwerdeführer macht in der Beschwerde nicht mehr - wie dies in der Berufung an einer Stelle geschehen ist, dann allerdings wieder weitgehend abgeschwächt wurde - geltend, daß seine Angaben bei der (unter Beiziehung eines Dolmetschers durchgeführten) Vernehmung nicht vollständig protokolliert worden seien. Er rügt aber, daß aus anderen Gründen das Ermittlungsverfahren erster Instanz zu ergänzen gewesen wäre, was dann zuträfe, wenn - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - dieses Ermittlungsverfahren gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 (in der bereinigten Fassung nach der Kundmachung BGBl. Nr. 610/1994) mangelhaft gewesen wäre. Wenn er diesbezüglich meint, er habe "mit Fug und Recht" davon ausgehen können, daß der belangten Behörde "die katastrophalen menschenrechtlichen Verhältnisse bekannt waren", und "eine genaue Erörterung dieser Umstände" für ihn "daher nicht erforderlich schien", so ist ihm entgegenzuhalten, daß zentrale Entscheidungsgrundlage des Asylverfahrens das Vorbringen das Asylwerbers ist und es diesem obliegt, alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. September 1995, Zl. 95/01/0092). Auch wenn der belangten Behörde die allgemeine Lage im Heimatland des Beschwerdeführers zumindest hätte bekannt sein müssen, würde dies noch nicht bedeuten, daß daraus in Verbindung mit dem von ihm bei seiner Vernehmung dargestellten Sachverhalt asylrechtlich relevante Rückschlüsse auf seine konkrete Situation hätten gezogen werden können. Der Beschwerdeführer führt ins Treffen, "daß Übergriffe von örtlichen Mehrheiten gegen Minderheiten an der Tagesordnung stehen, ohne daß die staatliche Autorität dies unterbindet oder dies zu unterbinden in der Lage ist", und "gerade" seine Heimatgemeinde Velica Kladusa "Ort der Aggression durch die serbische Volksgruppe ist und bosnische Minderheiten mit brutaler Gewalt verfolgt werden, ohne daß der Heimatstaat Bosnien-Herzegowina diese Gewalttaten in den Griff bekommt", womit er offensichtlich an sein Berufungsvorbringen anknüpft. Dabei übersieht er aber, daß er den genannten Ort, den er schon bei der Vernehmung als Geburts- und letzten Wohnort bezeichnet hat, zufolge seines Militärdienstes verlassen hatte und daher von den dort sich ereignenden, die Zivilbevölkerung treffenden Vorkommnissen nicht selbst betroffen war.
Der Vorwurf des Beschwerdeführers, es sei "eine Erörterung des Grundes", warum er nicht länger habe kämpfen wollen, zur Gänze unterblieben, ist nicht berechtigt, geht doch aus der Niederschrift hervor, daß der Beschwerdeführer nicht nur anfangs auf die Frage, warum er aus seinem Heimatland geflüchtet sei, geantwortet hat, daß er nicht länger im Krieg habe kämpfen wollen und desertiert sei, sondern nochmals gefragt wurde, warum er desertiert sei, und er daraufhin erklärt hat, daß er "keinen Krieg mehr will". Einen deutlichen Hinweis auf einen asylrechtlich relevanten Zusammenhang, auf Grund dessen die belangte Behörde ihn diesbezüglich weiter zu befragen gehabt hätte, hat er damit nicht gegeben. Erst in der Berufung findet sich als von ihm hiefür maßgeblich erachteter Umstand, daß ihm im Zeitpunkt seiner Flucht bereits bekannt gewesen sei, daß es in seiner "Heimat" (nach dem übrigen Vorbringen gemeint: in Velica Kladusa) zu heftigen Kämpfen kommen und er dort als Soldat eingesetzt würde, er aber nicht gegen (dort wohnende) Nachbarn, ehemalige Freunde und eigene Verwandte habe kämpfen und diese gegebenenfalls habe erschießen wollen, weshalb er nur die Möglichkeit der Flucht oder der Befehlsverweigerung mit der ernsthaft drohenden Gefahr, selbst erschossen zu werden, gehabt habe. Dies war eine nach § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 unbeachtliche Neuerung, wozu noch kommt, daß darauf in der Beschwerde nicht mehr zurückgekommen wird, weshalb eine rechtliche Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen entbehrlich ist. In der Beschwerde wird dazu - ausgehend von der "unbestrittenen Aktenlage", wonach der Beschwerdeführer desertiert sei, weil er nicht länger habe kämpfen wollen - lediglich behauptet, es sei angesichts der notorischen Zustände, die in seinem Heimatland herrschten, "keine Frage", daß er "bei Verbleib in der Armee früher oder später als deren Angehöriger jedenfalls zu Handlungen gezwungen worden wäre, die nicht den europäischen Menschenrechten entsprechen", und "die Konsequenzen einer Befehlsverweigerung in einem solchen Fall" seien "bekannt", sodaß er "derzeit auch aus diesen Gründen gerechtfertigte Angst vor einem Weiterverbleib" in seinem Heimatland habe. Auch damit wäre aber für den Standpunkt des Beschwerdeführers nichts zu gewinnen, ergibt sich doch daraus nicht, daß davon Belange erfaßt wären, in denen nach dem bereits zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes zur Zl. 93/01/0377 eine Benachteiligung des Beschwerdeführers gegenüber anderen aus einem der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 angeführten Gründe gelegen wäre.
Insofern irrt der Beschwerdeführer auch mit seinem weiteren Vorbringen, daß sein "Verhalten in der Heimat mit derartigen Konsequenzen bedroht ist, die für" ihn "eine Lebensgefahr darstellen". Sicherlich liegt "bei aktueller Lebensgefahr durch den Staat bzw. seine Exekutive eine massive Verfolgung" vor; nicht jeder, der Verfolgung zu erleiden hat, genießt aber den Schutz des Asylrechtes, sondern nur derjenige, dessen Verfolgung auf einem der taxativ aufgezählten Verfolgungsgründe beruht. Daß eine Bestrafung für Desertion im Heimatland des Beschwerdeführers strenger ausfiele als in Österreich nach § 9 MilStrG, vermag daran nichts zu ändern. Schließlich ist auch der Einwand des Beschwerdeführers, es sei kein Fall des § 17 Abs. 1 in Verbindung mit dessen Abs. 3 Asylgesetz 1991 vorgelegen und wäre daher ein weiteres Ermittlungsverfahren durchzuführen gewesen, verfehlt, weil der Beschwerdeführer - wie gesagt - die Wesentlichkeit eines solchen Verfahrensmangels nicht aufgezeigt hat.
Da sich somit die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995010052.X00Im RIS seit
20.11.2000