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Auswertung in Arbeit!Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger sowie die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 6. Februar 2020, VGW-151/005/12909/2019-11, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: D B, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 13), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (Revisionswerber) vom 2. September 2020 wurde der Antrag der Mitbeteiligten, einer philippinischen Staatsangehörigen, vom 9. November 2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU“ gemäß § 45 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.
2 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Verwaltungsgericht Wien mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis statt; es hob den angefochtenen Bescheid auf und erteilte der Mitbeteiligten einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ gemäß § 45 Abs. 1 NAG. Weiters sprach es aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, die Mitbeteiligte sei am 3. Juni 2012 mit einem Visum rechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Von 10. Oktober 2013 bis 12. Dezember 2013 und von 2. Mai 2014 bis 16. Juni 2014 habe sich die Mitbeteiligte nicht in Österreich aufgehalten. Sie sei von 20. Juni 2012 bis 14. Mai 2018 durchgehend als private Hausangestellte des Botschafters des Staates Kuwait in Österreich angestellt gewesen und ihr seien zu den nachstehend angeführten Zeitpunkten für die jeweils genannte Gültigkeitsdauer „Legitimationskarten grau“ nach der Verordnung des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres über die Ausstellung von Lichtbildausweisen an Angehörige jener Personengruppen, die in Österreich Privilegien und Immunität genießen, BGBl. II Nr. 60/2017, ausgestellt worden:
Am 20. Juni 2012, gültig bis 20. Juni 2013;
am 6. Juni 2013, gültig bis 27. September 2013;
am 2. Oktober 2013 (beantragt am 19. September 2013), gültig bis 2. Oktober 2014;
am 29. September 2014, gültig bis 21. März 2015;
am 29. April 2015 (beantragt am 27. April 2015), gültig bis 24. Februar 2016;
am 9. März 2016, gültig bis 9. März 2017;
am 10. März 2017, gültig bis 16. Februar 2018;
am 14. Februar 2018, gültig bis 14. Mai 2018.
Aufgrund der Beendigung ihres Dienstverhältnisses sei die zuletzt am 14. Februar 2018 ausgestellte Legitimationskarte vorzeitig am 14. Mai 2018 eingezogen worden.
4 Nach dem Ende ihrer Anstellung beim Botschafter des Staates Kuwait sei die Mitbeteiligte noch bis Oktober 2018 beim Botschafter des Staates Afghanistan beschäftigt gewesen.
5 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, die Mitbeteiligte habe zwar von 21. März 2015 bis 27. April 2015 und von 24. Februar 2016 bis 9. März 2016 über keine Legitimationskarte verfügt. Insoweit habe sie sich während dieser Zeiträume nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Vor dem Hintergrund der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen ergebe sich aus diesen Lücken jedoch nicht, dass sie nicht über fünf Jahre hindurch ununterbrochen im Bundesgebiet im Sinn des § 45 Abs. 1 NAG niedergelassen gewesen sei. Sowohl § 2 Abs. 2 NAG als auch § 45 Abs. 1 NAG stellten nämlich auf eine tatsächliche ununterbrochene Niederlassung ab. Die besondere Erteilungsvoraussetzung einer tatsächlichen und ununterbrochenen Niederlassung in den letzten fünf Jahren gemäß § 45 Abs. 1 NAG sei aber - ebenso wie die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen - erfüllt.
6 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision.
7 In der Zulässigkeitsbegründung führt die Revision im Wesentlichen aus, angesichts der Zeiten unrechtmäßigen Aufenthalts 2015 bzw. 2016 sei die Mitbeteiligte in den letzten fünf Jahren nicht ununterbrochen tatsächlich niedergelassen gewesen.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:
9 Die Revision erweist sich als zulässig und aus nachstehenden Erwägungen auch als berechtigt.
10 Gemäß § 45 Abs. 1 NAG kann Drittstaatsangehörigen, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen tatsächlich niedergelassen waren, - unter weiteren Voraussetzungen - ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ erteilt werden.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass für die Erteilung des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“ gemäß § 45 NAG eine in den letzten fünf Jahren ununterbrochene rechtmäßige Niederlassung erforderlich ist (vgl. VwGH 5.5.2022, Ra 2018/22/0201, Pkt. 7.2., unter Hinweis auf VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0045, Rn. 10). Die Ansicht des Verwaltungsgerichtes, wonach eine bloß tatsächliche ununterbrochene Niederlassung ausreichend sei, ist somit unzutreffend.
12 Zudem begründet - unabhängig davon, ob der aufgrund einer Legitimationskarte gemäß dem hier noch maßgeblichen § 95 FPG rechtmäßige Aufenthalt als Niederlassung im Sinn des § 2 Abs. 2 NAG gilt - die über Antrag des Fremden erst nach Ablauf der Gültigkeitsdauer seiner Legitimationskarte gemäß § 95 FPG ausgestellte Verlängerung weder ein rückwirkendes Aufenthaltsrecht, noch wird dadurch ein unrechtmäßiger Aufenthalt legalisiert, worauf die Revision zutreffend hinweist (vgl. schon VwGH 26.6.2013, 2011/01/0280).
13 Gemäß den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes verfügte die Mitbeteiligte - eine „private Hausangestellte“ im Sinn von Art. 1 lit. h des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen samt Fakultativprotokoll, BGBl. Nr. 66/1966, für die Art. 26 dieses Übereinkommens nicht gilt - von 22. März 2015 bis 28. April 2015 und von 25. Februar 2016 bis 8. März 2016 sowie seit Mai 2018 über keine Legitimationskarte, sodass ihr Aufenthalt demnach in diesen Zeiträumen auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes nicht rechtmäßig war. Die besondere Erteilungsvoraussetzung des § 45 Abs. 1 NAG lag somit - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts - nicht vor (vgl. auch Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2003/109/EG; siehe dazu etwa EuGH 17.7.2014, Tahir, C-469/13, Rn. 34).
14 Da das Verwaltungsgericht aus den genannten Gründen die Rechtslage verkannte und das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastete, war dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 16. März 2023
Schlagworte
Auswertung in Arbeit!European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2020220069.L00Im RIS seit
25.04.2023Zuletzt aktualisiert am
25.04.2023