TE Vwgh Beschluss 1995/10/10 95/20/0523

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Veröffentlicht am 10.10.1995
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über den Antrag des M in L, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung der Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. September 1994, Zl. 4.328.230/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung stattgegeben.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 8. September 1994 war der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen worden. Aufgrund eines fristgerecht gestellten Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wurde dem Beschwerdeführer unter anderem die Beigebung eines Rechtsanwaltes zur Einbringung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bewilligt. Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich bestellte Dr. P mit Bescheid vom 1. Dezember 1994 zum Verfahrenshelfer. Der Bescheid wurde unter Beilage des anzufechtenden Bescheides dem Verfahrenshelfer am 9. Dezember 1994 persönlich, dem Antragsteller durch Hinterlegung und Bereithaltung zur Abholung zugestellt. Innerhalb der Frist von 6 Wochen (§ 26 VwGG) wurde keine Beschwerde eingebracht.

Der nunmehrige gewillkürte Vertreter des Beschwerdeführers, Dr. H, stellte mit Schriftsatz vom 23. August 1995 den gegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und erhob zugleich Beschwerde. Der Beschwerdeführer begründet den Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde gegen den angeführten Bescheid damit, daß dem bestellten Verfahrenshelfer glaublich aufgrund einer Nervenkrankheit "die Anwaltschaft" entzogen worden sei. Sein bestellter Vertreter Dr. U sei über den gegenständlichen Fall nicht informiert gewesen und habe über keine Unterlagen und Handakten verfügt. Der Beschwerdeführer sei seit der Mitteilung von der Bestellung eines Verfahrenshelfers davon ausgegangen, daß dieser gemäß der Standesrichtlinien der Rechtsanwälte und des Verfahrenshilfeauftrages fristgerecht Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof einbringen würde. Er hätte bis zu seiner Vorsprache bei Amnesty International am 9. August 1995, anläßlich der er durch Zufall erstmals davon erfahren habe, daß keine Beschwerde eingebracht worden sei, keinen Grund gehabt, daran zu zweifeln, daß der Verfahrenshelfer seiner Verpflichtung nicht nachkommen würde. Auch habe er nicht gewußt, daß dem Verfahrenshelfer die Rechtsanwaltschaft entzogen worden sei; sein Stellvertreter sei ihm völlig unbekannt gewesen. Als syrischer Staatsangehöriger kenne er sich in den österreichischen Rechtsvorschriften und den Gewohnheiten der Rechtspflege nicht aus, weshalb er keine Veranlassung gehabt habe, zu überprüfen, ob der Verfahrenshelfer seinem Auftrag nachkomme. Deshalb habe sich die Nichtdurchführung nur durch Zufall herausgestellt. Den Beschwerdeführer treffe an der Pflichtversäumnis kein Verschulden.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Im gegenständlichen Fall ist zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer selbst ein Verschulden an der Nichteinbringung der Beschwerde zur Last liegt und ob ein Verschulden dem Verfahrenshelfer vorwerfbar ist.

1. In dem dem Beschwerdeführer zugestellten Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. November 1994 wird der die Verfahrenshilfe genießenden Partei aufgetragen, sich mit dem zur Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwalt unverzüglich in Verbindung zu setzen und ihm alle ihre Rechtsangelegenheiten betreffenden Schriftstücke zur Verfügung zu stellen. Aus der gegenständlichen Beschwerde ergibt sich, daß sich der Beschwerdeführer nicht auf vorzulegende Schriftstücke beruft und sich aus dem angefochtenen Bescheid sein niederschriftliches Vorbringen vom 15. Oktober 1991 entnehmen läßt. Es kann dem Beschwerdeführer daher nicht als auffallende Sorglosigkeit zugerechnet werden, daß er die Kontaktaufnahme mit dem bestellten Verfahrenshelfer unterließ, wäre dieser doch aufgrund des übermittelten angefochtenen Bescheides grundsätzlich in der Lage gewesen, eine Beschwerde zu formulieren. Bei der unterbliebenen Nachfrage, ob die Beschwerde eingebracht werde, sind zudem die persönlichen Fähigkeiten des Beschwerdeführers (syrischer Staatsbürger, eingeschränkte Sprach- und Rechtskenntnisse) zu berücksichtigen, sodaß der Beschwerdeführer die Kontaktnahme und Nachfrage beim bestellten Verfahrenshelfer nur aus einem minderen Grad des Versehens unterließ.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Verschulden des Rechtsvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen. In der Person eines Vertreters der Partei eingetretene Tatumstände vermögen für die vertretene Partei nur dann einen Wiedereinsetzungsgrund zu bilden, wenn sich die Umstände für den Vertreter selbst als ein unverschuldetes, bzw. nur mit einem minderen Grad des Versehens verschuldetes und entweder unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen. Dies trifft bei einer Erkrankung erst dann zu, wenn sie einen Zustand der Dispositionsunfähigkeit zur Folge hat und so plötzlich und so schwer auftritt, daß der Erkrankte nicht mehr in der Lage ist, die nach der Sachlage gebotenen Maßnahmen zu treffen (vgl. die in Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, Seite 625, zitierte hg. Rechtsprechung). Eine Nervenkrankheit von derartiger Schwere, daß sie den Entzug der Anwaltschaft zur Folge hat, ist im Sinne der obzitierten Kriterien so anzusehen, daß der erkrankte Verfahrenshelfer infolge Dispositionsunfähigkeit nicht mehr in der Lage war, die nach der Sachlage gebotenen Maßnahmen (Einbringung der Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde, Ergreifung von Maßnahmen zwecks rechtzeitiger Umbestellung u. dgl.) zu treffen.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung war daher gemäß § 46 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 1 lit. e VwGG gebildeten Senat stattzugeben.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995200523.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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