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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
BAO §262Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie den Hofrat Mag. Straßegger und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über den Fristsetzungsantrag der G W in J, vertreten durch Mag. Wolfgang Kleinhappel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rabensteig 8/3a, aufgrund des Vorlageantrages der Antragstellerin gegen den Zurückweisungsbeschluss des Bundesfinanzgerichtes vom 24. Oktober 2022, RV/7103113/2022, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht betreffend Säumnisschutz in einer Angelegenheit der Familienbeihilfe, den Beschluss gefasst:
Spruch
Der Fristsetzungsantrag wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 4. Februar 2020 wies das damalige Finanzamt Waldviertel (nunmehr: Finanzamt Österreich, im Folgenden: Finanzamt) den Antrag der Antragstellerin auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für Ihre Tochter für den Zeitraum September 2019 bis August 2021 ab. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
2 Mit Schreiben vom 14. Juni 2021 beantragte die Antragstellerin beim Finanzamt erneut die Zuerkennung der Familienbeihilfe für ihre Tochter für den Zeitraum März 2020 bis April 2021 und brachte begründend die Änderung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Familienbeihilfeanspruch für Polizeischüler vor.
3 Mit Schriftsatz vom 18. Jänner 2022 brachte die Antragstellerin beim Finanzamt eine Säumnisbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 iVm Art. 132 Abs. 3 B-VG ein und beantragte, das Bundesfinanzgericht (BFG) möge in der Sache selbst erkennen und der Antragstellerin für ihre Tochter Familienbeihilfe für den Zeitraum März 2020 bis April 2021 zuerkennen.
4 Das Finanzamt legte dem BFG die Säumnisbeschwerde nicht vor.
5 Mit Bescheid vom 28. September 2022 wies das Finanzamt den Antrag der Antragstellerin vom 14. Juni 2021 auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für ihre Tochter im Zeitraum März 2020 bis April 2021 zurück.
6 Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2022, beim BFG eingelangt am 14. Oktober 2022, brachte die Antragstellerin beim BFG einen Fristsetzungsantrag ein, den sie damit begründete, dass das BFG bislang nicht über ihre Säumnisbeschwerde vom 18. Jänner 2022 entschieden habe und beantragte, der Verwaltungsgerichtshof möge dem BFG eine Frist zur Entscheidung setzen und der Antragstellerin Kostenersatz zusprechen.
7 Mit Beschluss vom 24. Oktober 2022 wies das BFG den Fristsetzungsantrag der Antragstellerin vom 10. Oktober 2022 betreffend die behauptete Säumigkeit des BFG im Säumnisbeschwerdeverfahren gegen das Finanzamt betreffend den Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für die Tochter der Antragstellerin im Zeitraum März 2020 bis April 2021 gemäß § 30a Abs. 1 VwGG iVm § 30a Abs. 8 erster Satz VwGG als unzulässig zurück.
8 Begründend führte das BFG aus, mangels Vorlage der Säumnisbeschwerde an das BFG habe die Frist des § 284 Abs. 2 BAO nicht zu laufen beginnen können, folglich sei die Zuständigkeit zur Entscheidung noch nicht auf das BFG übergegangen. Auch zum Zeitpunkt des Einbringens des Fristsetzungsantrages sei die Säumnisbeschwerde noch nicht beim BFG eingelangt gewesen, weshalb die Frist des § 291 Abs. 1 BAO noch nicht zu laufen begonnen habe. Es liege daher keine Säumnis und keine Verletzung der Entscheidungspflicht des BFG vor, weshalb der Fristsetzungsantrag zurückzuweisen sei.
9 Mit rechtzeitig erhobenem Vorlageantrag vom 8. November 2022 beantragte die Antragstellerin, den Fristsetzungsantrag vom 10. Oktober 2022 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen. Die Antragstellerin brachte im Vorlageantrag vor, die Säumnisbeschwerde vom 18. Jänner 2022 sei bei der belangten Behörde einzubringen gewesen und dieser per Post übermittelt worden.
10 Gemäß § 38 Abs. 1 VwGG kann ein Fristsetzungsantrag gestellt werden, wenn das Verwaltungsgericht die Rechtssache - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - nicht binnen sechs Monaten entschieden hat. Voraussetzung für eine Säumnis ist, dass das Bundesfinanzgericht zur Entscheidung in dieser Rechtssache, im vorliegenden Fall über die Säumnisbeschwerde betreffend den Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für die Tochter der Antragstellerin im Zeitraum März 2020 bis April 2021, zuständig ist, wobei sich die Säumnis auch aus einer nicht wahrgenommenen Zuständigkeit zur Zurückweisung eines unzulässigen Antrags ergeben kann (vgl. VwGH 26.2.2020, Fr 2019/13/0005, mwN).
11 Gemäß § 291 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) ist das Verwaltungsgericht verpflichtet, soweit die Bundes- oder Landesgesetze nicht anderes vorsehen, über Anträge der Parteien und über Beschwerden ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen zu entscheiden. Im Verfahren über Bescheidbeschwerden beginnt die Entscheidungsfrist mit der Vorlage der Beschwerde (§ 265 BAO) oder nach Einbringung einer Vorlageerinnerung (§ 264 Abs. 6 BAO). In den Fällen des § 284 Abs. 5 BAO beginnt die Entscheidungsfrist mit Ablauf der vom Verwaltungsgericht gesetzten Frist.
12 Gemäß § 284 Abs. 1 BAO kann die Partei wegen Verletzung der Entscheidungspflicht Beschwerde (Säumnisbeschwerde) beim Verwaltungsgericht erheben, wenn ihr Bescheide der Abgabenbehörden nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen der Anbringen oder nach dem Eintritt zur Verpflichtung zu ihrer amtswegigen Erlassung bekanntgegeben (§ 97 BAO) werden. Hiezu ist jede Partei befugt, der gegenüber der Bescheid zu ergehen hat. Das Verwaltungsgericht hat der Abgabenbehörde gemäß § 284 Abs. 2 BAO aufzutragen, innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten ab Einlangen der Säumnisbeschwerde zu entscheiden und gegebenenfalls eine Abschrift des Bescheides vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht oder nicht mehr vorliegt.
13 Die Zuständigkeit zur Entscheidung geht gemäß § 284 Abs. 3 BAO erst dann auf das Verwaltungsgericht über, wenn die Frist (Abs. 2) abgelaufen ist oder wenn die Abgabenbehörde vor Ablauf der Frist mitteilt, dass keine Verletzung der Entscheidungspflicht vorliegt. Gemäß § 284 Abs. 5 BAO kann das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Abgabenbehörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Abgabenbehörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst.
14 Soweit die Bundes- oder Landesgesetze nicht anderes vorsehen, ist das Verwaltungsgericht gemäß § 291 Abs. 1 BAO verpflichtet, über Anträge der Parteien und über Beschwerden ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen zu entscheiden. Im Verfahren über Bescheidbeschwerden beginnt die Entscheidungsfrist mit der Vorlage der Beschwerde (§ 265 BAO). In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum FVwGG 2012 (2007 BlgNR 24. GP 18) wird u.a. ausgeführt, § 265 Abs. 2 und 3 BAO „soll den Verwaltungsgerichten den Überblick über die strittigen Sach- und Rechtsfragen erleichtern“. Der Entscheidungspflicht des Bundesfinanzgerichtes unterliegt nach diesen Bestimmungen die von der Abgabenbehörde dem Bundesfinanzgericht vorgelegte Bescheidbeschwerde. Zuständig zu einer Entscheidung (in der Sache) ist das Bundesfinanzgericht freilich im Regelfall nur dann, wenn zuvor bereits die Abgabenbehörde mit Beschwerdevorentscheidung entschieden hat und dagegen ein Vorlageantrag erhoben wurde. Der Vorlagebericht dient hingegen - wie aus den Gesetzesmaterialien hervorgeht - bloß dazu, um den Verwaltungsgerichten den Überblick zu erleichtern. Der Vorlagebericht (für sich) ist nicht als Antrag der Abgabenbehörde als Partei im Beschwerdeverfahren (§ 265 Abs. 5 BAO) zu beurteilen, der gemäß § 291 Abs. 1 BAO der Entscheidungspflicht unterliegen würde. Auch ist es nicht der Vorlagebericht, der den Lauf der Entscheidungsfrist auslöst; die Entscheidungsfrist beginnt vielmehr mit der Vorlage der Beschwerde. Dass eine Mangelhaftigkeit des Vorlageberichts Auswirkungen auf die Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes zur Entscheidung in der Sache oder auf den Beginn des Laufes der Entscheidungsfrist hätte, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Anders als das Unterlassen der Vorlage der Akten (vgl. § 266 Abs. 4 BAO) ermöglicht das bloße Unterlassen der Übermittlung eines Vorlageberichtes auch nicht eine Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes auf Grund der Behauptungen des Beschwerdeführers (VwGH 29.1.2015, Ro 2015/15/0001).
Gemäß § 38 Abs. 1 VwGG kann ein Fristsetzungsantrag erst gestellt werden, wenn das Verwaltungsgericht die Rechtssache nicht binnen sechs Monaten entschieden hat. Damit korrespondiert die Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Die Frist für die Entscheidung beginnt in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem die Beschwerde beim Verwaltungsgericht einlangt. Erst das tatsächliche Einlagen beim Verwaltungsgericht ist maßgeblich. Dies gilt auch dann, wenn die Behörde die Vorlage der Beschwerde (und einer Beschwerdevorentscheidung sowie eines dagegen eingebrachten Vorlageantrags) rechtswidrig verzögert (VwGH 29.6.2021, Fr 2021/22/0005, mwN zum Verfahren nach dem VwGVG).
15 Die Antragstellerin tritt in ihrem Fristsetzungsantrag den Feststellungen des BFG, wonach die Säumnisbeschwerde vom 18. Jänner 2022 im Zeitpunkt des Einlangens des Fristsetzungsantrages vom 10. Oktober 2022 weder vom Finanzamt noch von Seiten der Antragstellerin dem BFG vorgelegt gewesen worden sei und die Säumnisbeschwerde beim BFG nicht eingelangt gewesen sei, nicht entgegen und bringt dazu in ihrem Vorlageantrag vor, dass die Säumnisbeschwerde beim Finanzamt eingebracht worden sei. Ein Einlangen der Säumnisbeschwerde der Antragstellerin vom 18. Jänner 2022 beim BFG ergibt sich auch nicht aus dem vom BFG mit dem Fristsetzungsantrag vorgelegten Verwaltungs- und verwaltungsgerichtlichen Akt.
16 Da mangels Einlangens der Säumnisbeschwerde der Antragstellerin beim BFG weder die Frist des § 284 Abs. 2 BAO zu laufen begonnen hatte noch die Entscheidungszuständigkeit des Finanzamtes infolge des Ablaufes der Frist gemäß § 284 Abs. 3 BAO auf das BFG übergegangen war, hatte im Zeitpunkt des Einlangens des Fristsetzungsantrages beim BFG dessen Entscheidungsfrist gemäß § 291 Abs. 1 letzter Satz BAO iVm § 284 Abs. 5 BAO noch nicht begonnen.
17 Ausgehend davon war der vorliegende Fristsetzungsantrag mangels Ablaufs der Entscheidungsfrist unzulässig und daher gemäß § 38 Abs. 1 und 4 in Verbindung mit § 34 Abs. 1 VwGG mangels Berechtigung zu seiner Erhebung ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Diese auf Grund des Vorlageantrags der Antragstellerin ergangene Entscheidung tritt an die Stelle des Zurückweisungsbeschlusses des BFG vom 24. Oktober 2022 (vgl. VwGH 14.11.2019, Fr 2019/22/0012, mwN).
Wien, am 23. März 2023
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:FR2022160005.F00Im RIS seit
25.04.2023Zuletzt aktualisiert am
25.04.2023