Index
44 ZivildienstNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung infolge eines wesentlichen Verfahrensmangels; willkürliche Qualifizierung einer Erklärung wegen Fehlens des Lebenslaufes als nicht rechtswirksam trotz Verwendung eines von der Behörde für die Erklärung samt Lebenslauf aufgelegten FormularsSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen seines Rechtsvertreters, die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer brachte im Juni 1992 beim Militärkommando Steiermark eine Erklärung nach §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes 1986 - ZDG, BGBl. 679, idF der Zivildienstgesetz-Novelle 1991, BGBl. 675, (im folgenden: ZDG), ein, wonach er die Wehrpflicht aus Gewissensgründen nicht erfüllen könne und daher Zivildienst leisten wolle.
Mit Bescheid vom 30. Oktober 1992 stellte der Bundesminister für Inneres (im folgenden: BMI) fest, daß diese Erklärung nicht rechtswirksam werden könne. Der Spruch des Bescheides lautet:
"Gemäß §5 Abs4 und 5 Z6 ZDG, BGBl. Nr. 675/91, wird festgestellt: Ihre Erklärung vom 23.06.1992, wonach Sie die Wehrpflicht aus Gewissensgründen gegen die Anwendung von Waffengewalt gegen andere Menschen nicht erfüllen können, kann wegen Fehlens des Lebenslaufes (§2 Abs2 ZDG) nicht rechtswirksam werden."
Der Bescheid ist wie folgt begründet:
"Gemäß §2 Abs2 ZDG hat der Wehrpflichtige der Erklärung nach §2 Abs1 ZDG einen Lebenslauf und eine Strafregisterbescheinigung gemäß §10 des Strafregistergesetzes 1968, BGBl. Nr. 277, beizuschließen, deren Ausstellungsdatum nicht länger als einen Monat zurückliegen darf.
Zu Ihrer Erklärung fehlt der Lebenslauf.
Da das Fehlen des Lebenslaufes gemäß §5 Abs5 Z6 ZDG als gesetzlicher Mangel gilt und für Feststellungen gemäß §5 Abs4 ZDG die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Einbringens der Erklärung maßgeblich ist, war spruchgemäß zu entscheiden."
2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und der Sache nach auch die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
3. Der BMI als belangte Behörde legte den Verwaltungsakt vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
4. Der Verfassungsgerichtshof hat am 18. März 1993 beschlossen, aus Anlaß der vorliegenden Beschwerde gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen die Verfassungsmäßigkeit des §2 Abs2 vorletzter und letzter Satz ZDG zu prüfen.
Mit Erkenntnis vom heutigen Tag, G74/93 u.a. Zlen., hob er diese Rechtsvorschriften als verfassungswidrig auf.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Wie in Pkt. II.1 des soeben zitierten Erkenntnisses dargetan wird, waren die nun aufgehobenen Gesetzesstellen ungeachtet des Umstandes präjudiziell, daß der angefochtene Bescheid nicht auf diese Bestimmungen gegründet war.
Zwar wurde durch das Gesetzesprüfungsverfahren die Bedeutung des aufgrund einer nach §2 Abs1 ZDG abgegebenen Erklärung ergangenen Bescheides des BMI geklärt. Im Hinblick darauf, daß die aufgehobenen Bestimmungen von der Behörde nicht als Grundlage des angefochtenen Bescheides herangezogen wurden, kann sich aber das zitierte, im Gesetzesprüfungsverfahren ergangene Erkenntnis auf das vorliegende Beschwerdeverfahren nicht dahin auswirken, daß der Beschwerdeführer in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes verletzt worden wäre.
2. Zu erörtern bleibt, ob der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde.
a) Die für den vorliegenden Fall maßgebende Rechtslage stellt sich seit der ZDG-Novelle 1991, BGBl. 675, wie folgt dar:
"§1. ...
§2. (1) (Verfassungsbestimmung) Der Wehrpflichtige im Sinne des Wehrgesetzes 1990 - WG, BGBl. Nr. 305, der tauglich zum Wehrdienst befunden wurde, kann nach Maßgabe des §5 Abs1, 4 und 5 ausdrücklich erklären,
1.
die Wehrpflicht nicht erfüllen zu können, weil er es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus Gewissensgründen ablehnt, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in Gewissensnot geraten würde,
2.
aus den in Z1 angeführten Gründen Zivildienst leisten und die Zivildienstpflichten gewissenhaft erfüllen zu wollen und
3.
keinem der in §5 a Abs1 Z2 genannten Wachkörper anzugehören.
Er hat nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes Zivildienst zu leisten. Die Dauer des Zivildienstes kann die Dauer des Wehrdienstes übersteigen.
(2) Der Wehrpflichtige hat der Erklärung nach Abs1 einen Lebenslauf und eine Strafregisterbescheinigung gemäß §10 des Strafregistergesetzes 1968, BGBl. Nr. 277, oder den Nachweis über die Einbringung des Antrages auf Ausstellung einer solchen Bescheinigung beizuschließen, deren Ausstellungsdatum nicht länger als einen Monat zurückliegen darf. (Mit Rechtskraft des Bescheides, mit dem die rechtsgültige Abgabe der Erklärung nach Abs1 festgestellt wird (§5 Abs4), ist der Wehrpflichtige zivildienstpflichtig. Ein zu diesem Zeitpunkt bestehender Einberufungsbefehl tritt außer Kraft.)
(3) Der Zivildienst (Abschnitt II a) ist außerhalb des Bundesheeres zu leisten.
§§3. - 4 a. ...
§5. (1) ...
(2) Die Erklärung nach §2 Abs1 ist im Stellungsverfahren bei der Stellungskommission, sonst bei dem nach dem Wohnsitz des Wehrpflichtigen zuständigen Militärkommando schriftlich einzubringen oder mündlich zu Protokoll zu geben.
(3) Das Militärkommando, oder im Stellungsverfahren die Stellungskommission, hat innerhalb von zwei Wochen die Erklärung an den Bundesminister für Inneres unter Bekanntgabe des Beschlusses über die Eignung zum Wehrdienst weiterzuleiten.
(4) Der Bundesminister für Inneres hat ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber zwei Monate, nachdem die Erklärung nach §2 Abs1 bei ihm eingelangt ist, mit Bescheid festzustellen, ob die Erklärung den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Weist die Erklärung Mängel auf (Abs5), wodurch sie nicht rechtswirksam werden kann, so sind diese im Feststellungsbescheid einzeln anzuführen.
(5) Als Mängel nach Abs4 gelten:
1.
Untauglichkeit für den Wehrdienst (§2 Abs1 erster Satz),
2.
Unvollständigkeit der Erklärung (§2 Abs1 Z1 bis 3),
3.
Vorliegen von Tatsachen gemäß §5 a Abs1,
4.
Abgabe der Erklärung unter Vorbehalten oder Bedingungen,
5.
Ruhen des Rechtes zur Abgabe der Erklärung (§5 Abs1 Z1 bis 3) und
6.
Fehlen des Lebenslaufes oder der Strafregisterbescheinigung oder des Nachweises über die Einbringung des Antrages auf Ausstellung einer solchen Bescheinigung (§2 Abs2).
(6) Das Bundesministerium für Inneres hat innerhalb von zwei Wochen nach Eintritt der Rechtskraft des Feststellungsbescheides diesen unter Angabe des Tages des Eintrittes der Rechtskraft dem nach Abs2 zuständigen Militärkommando zur Kenntnis zu bringen.
(7) ...
§5 a. ...
§6. (1) Der Zivildienstpflichtige kann dem Bundesminister
für Inneres gegenüber schriftlich erklären oder mündlich zu Protokoll geben, daß er die Erfüllung der Wehrpflicht nicht mehr aus den im §2 Abs1 genannten Gewissensgründen verweigere. ...
(2) Der Bundesminister für Inneres hat mit Bescheid festzustellen, ob eine rechtsgültige Erklärung vorliegt.
(3) Werden dem Zivildienstrat über den Zivildienstpflichtigen Tatsachen gemäß §5 a Abs1 bekannt, so hat er den gemäß §2 Abs1 rechtskräftig gewordenen Bescheid zu widerrufen.
(4) Mit Rechtskraft der in Abs2 und 3 genannten Bescheide unterliegt der Betreffende der Wehrpflicht im Sinne des Wehrgesetzes. ...
(5) ..."
b) aa) Der Beschwerdeführer behauptet in erster Linie die Verletzung eines von ihm aus §2 Abs1 ZDG abgeleiteten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes und beruft sich hiebei auf die mit Erk. VfSlg. 8033/1977 eingeleitete und bis zum Inkrafttreten der ZDG-Novelle 1991 ständig beibehaltene Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. z.B. VfSlg. 10379/1985, 12426/1990). Danach war durch den auf Verfassungsstufe stehenden §2 Abs1 ZDG i.d. Stammfassung dem antragstellenden Wehrpflichtigen ein subjektives Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht bei Zutreffen der festgelegten Voraussetzungen eingeräumt und weiters dessen Verpflichtung zur Zivildienstleistung geschaffen worden. Dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht wurde nach dieser ständigen Judikatur einerseits dann verletzt, wenn die Behörde die in §2 Abs1 ZDG i.d. Stammfassung umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat; andererseits auch dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße im Verfahren zur Glaubhaftmachung der Gewissensgründe unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Zutreffen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.
bb) Diese Rechtsprechung kann grundsätzlich auf die durch die ZDG-Novelle 1991 geänderte, neue Rechtslage übertragen werden:
Die nun geltende Fassung des (nach wie vor auf Verfassungsstufe stehenden) §2 Abs1 ZDG besagt - im Gegensatz zur früheren Formulierung - nicht ausdrücklich, daß der Wehrpflichtige bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen von der Wehrpflicht zu befreien ist. Schon die Entstehungsgeschichte der ZDG-Novelle 1991 läßt aber deutlich erkennen, daß der Gesetzgeber in dieser Hinsicht keine inhaltliche Änderung beabsichtigt, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt hat, eine rechtswirksam abgegebene Erklärung nach §2 Abs1 ZDG idF dieser Novelle stelle zugleich die (nunmehr ohne Gewissensprüfung und ohne konstitutiven Akt einer Behörde eintretende) "Befreiung von der Wehrpflicht" - sohin richtiger:
"Ausnahme von der Wehrpflicht" - dar. Der (auch nach Erlassung der erwähnten Novelle beibehaltene) Wortlaut der Überschrift des Abschnittes II (§§5, 5 a und 6 ZDG) "Befreiung von der Wehrpflicht und Widerruf der Befreiung" bestätigt dieses Ergebnis ebenso wie ein aus §6 Abs4 erster Satz ZDG idF der Novelle 1991 zu ziehender Gegenschluß.
Auch nach der ZDG-Novelle 1991 besteht sohin ein subjektives Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung, sofern der Wehrpflichtige eine dem Gesetz entsprechende Erklärung nach Maßgabe des §5 Abs1, 4 und 5 ZDG abgibt.
Soweit §2 Abs1 ZDG idF der Novelle 1991 subjektive Rechte begründet, sind diese - im Hinblick auf den Verfassungsrang der Gesetzesbestimmung - (iS des Art144 Abs1 B-VG) verfassungsgesetzlich gewährleistet (s. VfSlg. 8033/1977).
Das durch §2 Abs1 ZDG (nF) - ohne Gesetzesvorbehalt - verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht hat zunächst zum Inhalt, daß die in dieser Norm umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der Zivildienstpflicht und die damit verbundene Ausnahme von der Wehrpflicht von der Behörde richtig beurteilt werden. Dieses Recht wird - ähnlich wie nach der alten Rechtslage (vgl. hiezu VfSlg. 8033/1977) - aber auch dann verletzt, wenn wesentliche Verfahrensfehler dazu führen, daß eine nach §2 Abs1 ZDG abgegebene Erklärung von der Behörde als nicht rechtswirksam qualifiziert wird.
c) Voraussetzung dafür, daß überhaupt eine - zur Ausnahme von der Wehrpflicht führende - Erklärung iS des §2 Abs1 ZDG vorliegt, ist u.a., daß dieser ein Lebenslauf angeschlossen wird (§2 Abs2 erster Satz und §5 Abs5 Z6 ZDG). Ist kein
Lebenslauf beigefügt, so liegt keine rechtswirksame Erklärung vor (§5 Abs4 letzter Satz leg.cit.).
Mit der Feststellung, der Erklärung sei kein Lebenslauf angeschlossen gewesen, verneint die Behörde, daß die Voraussetzungen für die Ausnahme von der Wehrpflicht vorliegen. Ist diese Entscheidung mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet, so verletzt dies nach dem Gesagten den Zivildienstwerber in dem durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht.
Ein solcher Fehler ist der Behörde im vorliegenden Fall anzulasten:
Der angefochtene Bescheid wird ausschließlich damit begründet, daß zur Erklärung der Lebenslauf fehle. Diese Behauptung widerspricht dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes:
Der Beschwerdeführer verwendete für seine Eingabe ein vom Bundesministerium für Inneres aufgelegtes Formular. Dieses enthält nach einem Vordruck für die Erklärung (auf Seite 3) einen mit "Lebenslauf" überschriebenen Abschnitt, der folgende Gliederung aufweist:
"1. Schulbildung: ...
2. Beruf:
Erlernter Beruf: ...
Ausgeübter Beruf: ...
Angaben, die für die Zuweisung zu einer Zivildiensteinrichtung hilfreich sein können:
Mitglied einer freiwilligen Feuerwehr
Mitglied einer Rettungsorganisation
Führerschein
Welche Fremdsprachen ...
Sonstige Kenntnisse ..."
Dieser Formularteil wurde vom Beschwerdeführer derart ausgefüllt, daß ihm zumindest jene Informationen entnommen werden können, die die Behörde bei ihrer Entscheidung benötigt, welcher Einrichtung der Zivildienstpflichtige zweckmäßigerweise zugewiesen werden soll. Welchen anderen Sinn der geforderte Anschluß des Lebenslaufes haben könnte, ist unerfindlich. Im übrigen widerspricht es dem auch von den Verwaltungsbehörden - auf Grund des Gleichheitsgrundsatzes - zu beachtenden Prinzip von Treu und Glauben, wenn die Behörde eine Eingabe als (grob) mangelhaft erachtet, obgleich sich der Einschreiter eines von ihr selbst aufgelegten und von ihm ordnungsgemäß ausgefüllten Formulares bedient. Wenn die Behörde meinen sollte, der eingereichte Lebenslauf entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen, ist ihr zu erwidern, daß sie dies hätte begründen müssen.
d) Der Beschwerdeführer wurde - wie zusammenfassend festzuhalten ist - durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung (§2 Abs1 ZDG) verletzt.
Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.
3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.
Schlagworte
Zivildienst, Rechtsgrundsätze, Treu und Glauben, Verwaltungsverfahren, Eingaben, FormgebrechenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1993:B2069.1992Dokumentnummer
JFT_10069299_92B02069_00