Entscheidungsdatum
09.03.2023Index
82/04 Apotheken ArzneimittelNorm
ArzneiwareneinfuhrG 2010 §2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Dr. Hirn über die Beschwerde des AA, pA BB m.b.H. & Co. KG., Adresse 1, **** Z, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y (= belangte Behörde) vom 13.12.2022, Zl ***, betreffend eine Beschlagnahme nach dem Arzneiwareneinfuhrgesetz 2010 (AWEG 2010),
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
Mit Bescheid vom 13.12.2022, Zl ***, hat die belangte Behörde aufgrund des gegen AA (= Beschwerdeführer), pA BB m.b.H. & Co. KG., Adresse 1, **** Z, erhobenen Vorwurfs, näher bezeichnete Arzneiwaren gemäß § 2 Abs 1 lit c AWEG 2010 ohne Meldung in das Bundesgebiet eingeführt zu haben, zur Sicherung der Strafe des Verfalls beschlagnahmt.
Von der Beschlagnahme sind folgende Arzneiwaren erfasst:
25 Stück Atarax 25 mg, KN-Code 30049000
28 Stück Adepend 50 mg, KN-Code 30049000
30 Stück Agen5 5 mg, KN-Code 30049000
50 Stück Concor 5mg, KN-Code 30049000
Mit E-Mail vom 19.12.2022 teilte der Beschwerdeführer der zuständigen Sachbearbeiterin der belangten Behörde Folgendes mit:
„[…] ich antworte auf Ihren Brief ***, Y 13.12.2022 und erkläre: Ich arbeite schon Jahre für Firma BB in Österreich. Meine Frau hat mir per Post Medikamente gegen Bluthochdruck an die Adresse des Wohnheims geschickt, weil ich aus beruflichen Gründen nicht in die Slowakei zurückkehren konnte. Die Ärztin hat mir ein E-Rezept verschrieben, das in AT noch nicht auswählbar ist und so hat mir meine Frau das Medikament per Post geschickt, obwohl sie keine Ahnung hatte, dass es nicht möglich ist. Ich muss seit April regelmäßig Medikamente einnehmen, die Sie bei der Krankenkasse erfragen können. Wenn sie mir nicht geliefert wurden, bliebe ich mehrere Tage ohne Medikamente, was meine Gesundheit gefährdete, und bis sie mir persönlich geliefert wurden. Ich bitte daher um Verständnis und Überprüfung dieser Anklage, danke und mit freundlichen Grüßen AA“
Die belangte Behörde hat mit Schriftsatz vom 21.12.2022, Zahl ***, den Gegenstandsakt dem Landesverwaltungsgericht Tirol mit dem Ersuchen um Entscheidung über die Beschwerde gegen den Beschlagnahmebescheid vom 13.12.2022 vorgelegt und gleichzeitig auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie für den Fall der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung auf eine Teilnahme daran verzichtet.
Das Landesverwaltungsgericht Tirol ersuchte den Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 26.01.2023, das im Schriftsatz vom 19.12.2022 angeführte E-Rezept zu übersenden. CC, die Ehefrau des Beschwerdeführers, übermittelte am 30.01.2023 die ihren Ehemann betreffenden Rezepte. Das Landesverwaltungsgericht Tirol ließ diese Rezepte über eine offizielle Webseite der Europäischen Union übersetzen.
Mit Schriftsatz vom 31.01.2023, Zahl ***, übermittelte das Landesverwaltungsgericht Tirol der belangten Behörde und dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen die Mitteilung der CC vom 30.01.2023 samt Beilage einschließlich der vom Landesverwaltungsgericht Tirol angefertigten Übersetzung und räumte unter Bezugnahme auf die Ausnahmebestimmung des § 11 Abs 1 Z 7 AWEG 2010 die Möglichkeit der Stellungnahme ein. Dazu äußerte sich das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen im Schriftsatz vom 31.01.2023.
Das Landesverwaltungsgericht Tirol verwies in dem weiteren an die belangte Behörde und das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen gerichteten Schreiben vom 08.02.2023, Zl ***, auf den Ausnahmetatbestand des § 11 Abs 1 Z 17 AWEG 2010 und räumte wiederum die Möglichkeit einer Stellungnahme binnen 14 Tagen ein.
II. Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer arbeitet schon seit Jahren für die BB m.b.H. & Co. KG. mit dem Firmensitz in **** X, Adresse 2. Am Standort Adresse 1 in **** Z, besteht eine Niederlassung dieses Personaldienstleistungs-unternehmens.
Über den Zeitraum vom 24.11.2022 bis einschließlich 16.12.2022 hatte die BB m.b.H. & Co. KG. die Ferienwohnung an der Adresse 3, **** W, für deren Leiharbeiter angemietet. Der Beschwerdeführer hielt sich bis 16.12.2022 an dieser Adresse auf.
Im Zeitraum vom 08.07.2022 bis 21.11.2022 wurden dem Beschwerdeführer von DD, Fachärztin für Psychiatrie, die Medikamente Atarax und Adepend 50 mg Filmtablette, sowie von EE, Allgemeinmedizinerin, die Medikamente Concor 5 sowie Agen 5 verschrieben.
CC, die Ehefrau des Beschwerdeführers, hat die nachfolgenden Arzneimittel per Post an die Adresse 3, **** W, zugesandt:
25 Stück Atarax 25 mg, KN-Code 30049000
28 Stück Adepend 50 mg, KN-Code 30049000
30 Stück Agen5 5 mg, KN-Code 30049000
50 Stück Concor 5mg, KN-Code 30049000
Am 24.11.2022 kontrollierten bei einer Schwerpunktaktion im Postverteilerzentrum, Adresse 4, **** V, Organe des Zollamtes Österreich, Zollstelle Flughafen U und Zollstelle Y, das von CC, Adresse 5, T Slowakei, an den Beschwerdeführer an der Adresse 3, **** W, versendete Paket. Das Paket enthielt die eben angeführten Medikamente.
III. Beweiswürdigung:
Der Beschwerdeführer selbst hat sich in seiner Beschwerde zu seiner beruflichen Tätigkeit geäußert. Die Versendung der beschlagnahmten Arzneiwaren durch die Ehefrau des Beschwerdeführers an die Adresse 3 in **** W, ist unbestritten. Die beschlagnahmten Arzneiwaren sind sowohl in der Anzeige des Zollamtes Österreich vom 25.11.2022, Zl ***, als auch im angefochtenen Bescheid angeführt.
CC, die Ehefrau des Beschwerdeführers, übermittelte am 30.01.2023 die von DD, Fachärztin für Psychiatrie, sowie von EE, Allgemeinmedizinerin, für ihren Ehemann und Beschwerdeführer ausgestellten Rezepte. Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat diese ärztlichen Verschreibungen über eine offizielle Webseite der Europäischen Union übersetzen lassen.
IV. Rechtslage:
1. Arzneiwareneinfuhrgesetz 2010:
Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen des Arzneiwareneinfuhrgesetzes (AWEG 2010), BGBl I Nr 79/2010 in den Fassungen BGBl I Nr 79/2010 (§§ 2, 3, 4, 11, 17 und 21) sowie in der Fassung BGBl I Nr 162/2013 (§ 6), lauten samt Überschriften auszugsweise wie folgt:
„Begriffsbestimmungen
§ 2. Im Sinne dieses Bundesgesetzes bedeutet:
1. Arzneiwaren: Nachstehende Waren im Sinne der Verordnung (EWG) Nr 2658/87 über die zolltarifliche und statische Nomenklatur sowie den GEMEINSAMEN Zolltarif,
ABL. Nr L 256 vom 07.09.1987, S 1:
[…]
c) Waren der Position 3004
[…]
5. Verbringen: Beförderung von Arzneiwaren oder Blutprodukten aus einer Vertragspartei des EWR in das Bundesgebiet mit Ausnahme der nachweislichen Durchfuhr;
6. Fernabsatz: Abschluss eines Vertrages unter ausschließlicher Verwendung eines oder mehrerer Fernkommunikationsmittel;
7. Fernkommunikationsmittel: Kommunikationsmittel, die zum Abschluss eines Vertrages ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Parteien verwendet werden können, insbesondere Drucksachen mit oder ohne Anschrift, Kataloge, Pressewerbungen mit Bestellschein, vorgefertigte Standardbriefe, Ferngespräche mit Personen oder Automaten als Gesprächspartner, Hörfunk, Bildtelefon, Telekopie, Teleshopping sowie öffentlich zugängliche elektronische Medien, die eine individuelle Kommunikation ermöglichen, wie etwa das Internet oder die elektronische Post.“
„Einfuhr, Verbringen, Behördenzuständigkeit:
§ 3. (1) Die Einfuhr oder das Verbringen von Arzneiwaren dosiert oder in Aufmachung für den Kleinverkauf, ist, soweit dieses Bundesgesetz nichts anderes bestimmt, nur zulässig, wenn im Fall der Einfuhr eine Einfuhrbescheinigung ausgestellt wurde oder im Falle des Verbringens eine Meldung erfolgt ist.
(2) Für die Ausstellung von Einfuhrbescheinigungen und die Entgegennahme von Meldungen ist das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen zuständig.“
„Antrags- und Meldeberechtigung
§ 4. (1) Zur Antragsstellung und Ausstellung einer Einfuhrbescheinigung und zur Meldung sind berechtigt:
1. öffentliche Apotheken,
2. Anstaltsapotheken, und
3. Unternehmen, die in einer Vertragspartei des EWR zum Vertrieb von Arzneiwaren berechtigt sind.
[…]“
„Meldung
§ 6. (1) Das Verbringen von in einer Vertragspartei des EWR zugelassenen oder hergestellten Arzneiwaren darf nur für Zwecke gemäß § 5 Abs. 1 und 2 erfolgen und bedarf – sofern Abs. 2 nicht anderes bestimmt – einer Meldung gemäß § 3.
[…]“
„Ausnahmen
§ 11. (1) Die §§ 3 bis 10 gelten nicht für
[…]
7. Arzneispezialitäten zur Anwendung am Menschen, die in einer den üblichen persönlichen Bedarf des Empfängers entsprechenden Menge aus einer Vertragspartei des EWR bezogen werden und dort in Verkehr gebracht werden dürfen,
[…]
17. aus dem Ausland nachgesendete Arzneispezialitäten ausschließlich für den persönlichen Bedarf von Reisenden, die ihren gewöhnlichen Wohnsitz (§ 4 Abs. 2 Z 8 des Zollrechts-Durchführungsgesetzes – ZollR-DG) nicht in Österreich haben, zur Weiterbehandlung während der Dauer des Aufenthaltes in Österreich, und
[…]
(3) Der Bezug von Arzneispezialitäten im Sinne des Abs. 1 Z 7 hat über eine inländische öffentliche Apotheke zu erfolgen. Bei Bezug von Arzneispezialitäten, die in der EWR-Vertragspartei, aus der sie bezogen werden, der Rezeptpflicht unterliegen, ist eine ärztliche oder zahnärztliche Verschreibung vorzulegen.
[…]
(7) Das Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 Z 17 ist durch eine Kopie der auf die jeweilige Person ausgestellten Verschreibung durch den behandelnden Arzt oder Zahnarzt, aus der der Sachverhalt eindeutig hervorgeht, nachzuweisen oder zumindest glaubhaft zu machen.“
„Bezug von Arzneiwaren und Blutprodukten im Fernabsatz
§ 17. (1) Der Bezug von Arzneiwaren und Blutprodukten, die im Fernabsatz bestellt wurden, durch Personen, die nicht zur Antragstellung auf Ausstellung einer Einfuhrbescheinigung oder einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung oder zur Meldung berechtigt sind, ist verboten.
(2) Arzneiwaren und Blutprodukte, die entgegen Abs. 1 eingeführt oder verbracht werden, sind dem Absender zurück zu übermitteln, oder sofern dies nicht möglich ist, zu vernichten. Die Kosten dafür trägt jeweils der Besteller.
[…].“
„Strafbestimmungen
§ 21. (1) Wer
[…]
2. bei Arzneiwaren, die nachträgliche Meldung des Verbringens gemäß § 6 unterlässt oder Arzneiwaren ohne Meldung entgegen §§ 7, 8 oder 9 verbringt, oder
[…]
begeht, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 3.600 Euro, im Wiederholungsfall mit einer Geldstrafe bis zu 7.260 Euro zu bestrafen.
[…]
(3) Die dem Täter oder Mitschuldigen gehörigen Waren, die den Gegenstand der strafbaren Handlung bilden, können für verfallen erklärt werden, wenn die Tat vorsätzlich begangen worden ist. Auf den Verfall dieser Waren kann auch selbständig erkannt werden, wenn keine bestimmte Person verfolgt oder bestraft werden kann.“
2. Verwaltungsstrafgesetz 1991:
Die entscheidungswesentliche Bestimmung des § 39 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG), BGBl Nr 52/1991 in der Fassung BGBl I Nr 57/2018, lautet samt Überschrift auszugsweise wie folgt:
„Beschlagnahme von Verfallsgegenständen
§ 39. (1) Liegt der Verdacht einer Verwaltungsübertretung vor, für die der Verfall von Gegenständen als Strafe vorgesehen ist, so kann die Behörde zur Sicherung des Verfalls die Beschlagnahme dieser Gegenstände anordnen.
3. Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz:
Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 in der Fassung BGBl I Nr 24/2017 (§ 44) und BGBl I Nr 57/2018 (§ 50), lauten samt Überschriften auszugsweise wie folgt:
„Verhandlung
§ 44. (1) Das Verwaltungsgericht hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
[…]
(3) Das Verwaltungsgericht kann von einer Verhandlung absehen, wenn
[…]
4. sich die Beschwerde gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
[…]“
„Erkenntnisse
§ 50. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.
[…]“
V. Erwägungen:
1. Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde:
Das Schreiben des AA vom 19.12.2022 ist als Beschwerde gegen den Beschlagnahmebescheid vom 13.12.2022, Zl ***, zu qualifizieren. Im Hinblick auf den am 13.12.2022 versendeten Beschlagnahmebescheid vom 13.12.2022, Zl ***, ist die Beschwerde jedenfalls innerhalb der vierwöchigen Beschwerde-frist bei der belangten Behörde eingebracht worden. Die Erhebung der Beschwerde erfolgte somit fristgerecht.
2. In der Sache:
Gegenstand des angefochtenen Bescheides ist die Beschlagnahme näher bezeichneter Arzneiwaren auf der Grundlage des § 39 Abs 1 VStG. Bei der angefochtenen Entscheidung handelt es sich um einen verfahrensrechtlichen Bescheid. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 39 Abs 1 VStG genügt für die Rechtmäßigkeit der Sicherungsmaßnahmen der bloße Verdacht einer Verwaltungsübertretung, für die der Verfall von Gegenständen als Strafe vorgesehen ist (vgl VwGH 29.04.2002, 96/17/0431).
Bei den verfahrensgegenständlichen Arzneimitteln handelt es sich um Waren der Position 3004 im Sinne der VO (EWG) Nr 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif, ABL Nr L 256 vom 07.09.1967, und damit um Arzneiwaren gemäß § 2 Abs 1 lit c AWEG 2010. Das Verbringen von derartigen Arzneiwaren (vgl § 2 Z 5 AWEG 2010) ist nur zulässig, wenn eine entsprechende Meldung erfolgt ist (vgl § 3 Abs 1 AWEG 2010). Allerdings sind zur Meldung gemäß § 4 Abs 1 Z 1 bis 3 AWEG 2010 nur öffentliche Apotheken, Anstaltsapotheken und näher bezeichnete Unternehmen berechtigt.
§ 17 Abs 1 AWEG 2010 verbietet den Bezug von Arzneiwaren und Blutprodukten, die im Fernabsatz bestellt wurden, durch Personen, die nicht zur Meldung berechtigt sind. Der Bezug von Arzneiwaren oder Blutprodukten nach § 17 AWEG 2010 ist somit als Einfuhr oder Verbringen im Sinne des § 3 Abs 1 AWEG 2010 zu qualifizieren. Das Bestellen von Arzneiwaren im Fernabsatz ist mit der Einfuhr oder dem Verbringen im Sinne des § 2 Z 4 und 5 in Verbindung mit § 3 AWEG 2010 gleichzusetzen (vgl VwGH 16.07.2010, 2008/07/0215). Ein Verhalten, das sowohl § 3 Abs 1 AWEG 2010 sowie § 17 Abs 1 AWEG 2010 verwirklicht, ist folglich im Grunde des § 21 Abs 1 strafbar, auch wenn ein Verstoß gegen § 17 Abs 1 AWEG 2010 nicht mit Strafe bedroht ist (so ausdrücklich VwGH 27.02.2019, Ro 2019/10/0004).
Für aus dem Ausland nachgesendete Arzneispezialitäten, die ausschließlich für den persönlichen Bedarf von Reisenden, die ihren gewöhnlichen Wohnsitz nicht in Österreich haben, zur Weiterbehandlung während der Dauer des Aufenthaltes in Österreich bestimmt sind, gilt § 3 AWEG 2010 nicht. Das Vorliegen dieser in § 11 Abs 1 Z 17 AWEG 2010 definierten Ausnahme ist durch eine Kopie der auf die betreffende Person ausgestellten Verschreibung durch den behandelnden Arzt oder Zahnarzt, aus der der Sachverhalt eindeutig hervorgeht, nachzuweisen oder zumindest glaubhaft zu machen.
Der Beschwerdeführer hat dem Landesverwaltungsgericht Tirol nachgewiesen, dass ihm die im angefochtenen Bescheid angeführten Medikamente ärztlich verschrieben worden sind. Es ist davon auszugehen, dass ausschließlich der Beschwerdeführer die Medikamente zur Weiterbehandlung der bei ihm diagnostizierten Beschwerden verwendete. Umstände für eine Verwendung der zugesandten Medikamente zu anderen Zwecken sind nicht aktenkundig.
Der Beschwerdeführer hielt sich nur vorübergehend an der Adresse 3 in **** W auf. Die Ferienwohnung war bis zum 16.12.2022 von der BB m.b.H. & Co. KG.– für dieses Unternehmen ist der Beschwerdeführer als Leiharbeiter tätig – angemietet. Sein vorübergehender Aufenthalt ist dem eines Reisenden im Sinne des § 11 Abs 1 Z 17 AWEG 2010 gleichzuhalten. Im gegenständlichen Fall ist daher der Ausnahmetatbestand des § 11 Abs 1 Z 17 AWEG 2010 erfüllt. Unabhängig davon hat der Beschwerdeführer die gegenständlichen Waren auch nicht im Fernabsatz bestellt. Vielmehr hat diese Medikamente dessen Ehefrau nachgesandt.
Der Beschwerde war daher Folge zu geben und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben. Dementsprechend lautet Spruchpunkt 1. des gegenständlichen Erkenntnisses.
Die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Bescheides bildet eine materielle Erledigung im Sinne des § 28 Abs 5 VwGVG.
3. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:
In der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlagnahmebescheides vom 13.12.2022, ***, heißt es ausdrücklich:
„Sie haben das Recht, in der Beschwerde zu beantragen, dass eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt wird. Bitte beachten Sie, dass Sie, falls die Behörde von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, auf Ihr Recht auf Durchführung einer Verhandlung verzichten, wenn Sie in der Beschwerde keinen Antrag stellen.“
Der Beschwerdeführer hat in seinem als Beschwerde zu qualifizierenden Schriftsatz vom 19.12.2022 die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht beantragt. Die belangte Behörde hat in ihrem Vorlageschreiben vom 21.12.2022, Zl ***, ausdrücklich auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung sowie auf die Teilnahme an einer allfälligen mündlichen Verhandlung verzichtet.
Gegenstand des angefochtenen Bescheides ist die Beschlagnahme näher bezeichneter Arzneiwaren auf der Grundlage des § 39 Abs 1 VStG. Bei der angefochtenen Entscheidung handelt es sich um einen verfahrensrechtlichen Bescheid. Das Landesverwaltungsgericht Tirol konnte daher gemäß § 44 Abs 3 Z 4 VwGVG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen.
4. Ergebnis:
Im gegenständlichen Fall war der Ausnahmetatbestand des § 11 Abs 1 Z 17 AWEG 2010 erfüllt. Eine Meldung für das Verbringen der verfahrensgegenständlichen Arzneiwaren war daher nicht erforderlich. Folglich sind auch die Voraussetzungen für eine Beschlagnahme nach § 39 Abs 1 VStG in Verbindung mit § 21 Abs 3 AWEG 2010 nicht erfüllt. Der Beschwerde war daher Folge zu geben und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben. Dementsprechend lautet Spruchpunkt 1. des gegenständlichen Erkenntnisses.
VI. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Das Landesverwaltungsgericht Tirol hatte die verfahrensrelevanten Rechtsfragen anhand des § 39 Abs 1 VStG unter Berücksichtigung des AWEG 2010 zu prüfen. Aufgrund des klaren und eindeutigen Wortlautes der anzuwendenden Bestimmungen, insbesondere des Ausnahmetatbestandes des § 11 Abs 1 Z 17 AWEG 2010, liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor (vgl VwGH 13.12.2018, Ro 2018/07/0048). Dementsprechend wird die ordentliche Revision in Spruchpunkt 2. des gegenständlichen Erkenntnisses nicht zugelassen.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen. Soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
Der Antrag auf Verfahrenshilfe ist innerhalb der oben angeführten Frist für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof beim Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof ist, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Dr. Hirn
(Richter)
Schlagworte
ArnzeiwareEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2023:LVwG.2023.37.3314.5Zuletzt aktualisiert am
20.04.2023