RS Vfgh 2023/3/15 E2042/2022 ua

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Veröffentlicht am 15.03.2023
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
EU-Grundrechte-Charta Art4
EMRK Art3
Dublin III-VO vom 26.06.2013, EU 604/2013 Art3, Art12, Art34
AsylG 2005 §5
FremdenpolizeiG 2005 §61, §62
ZPO §68
VfGG §7 Abs1, §35
  1. ZPO § 68 heute
  2. ZPO § 68 gültig ab 01.05.2022 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 61/2022
  3. ZPO § 68 gültig von 01.12.2004 bis 30.04.2022 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 128/2004
  4. ZPO § 68 gültig von 01.01.1998 bis 30.11.2004 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 140/1997
  5. ZPO § 68 gültig von 01.12.1973 bis 31.12.1997 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 569/1973
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Zurückweisung von Anträgen auf internationalen Schutz einer Familie afghanischer Staatsangehöriger, die aus Kabul mit dem Flugzeug nach Ungarn evakuiert wurden; mangelhafte Auseinandersetzung mit aktuellen Länderberichten; keine Auseinandersetzung mit dem "Botschaftsverfahren" und der Versorgungssituation rücküberstellter Asylwerber in Ungarn im Rahmen der Dublin III-Verordnung

Rechtssatz

Eine Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat iSd Dublin III-Verordnung hat dann zu unterbleiben, wenn dem die Zuständigkeit prüfenden Gericht (bzw der Behörde) "nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylwerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden" (EuGH 19.03.2019, C-163/17, Jawo). Das befasste Gericht trifft die Verpflichtung, zu prüfen ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen. Diese "Schwachstellen" sind nur dann im Hinblick auf Art4 GRC bzw Art3 EMRK relevant, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen (Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats, dass sich eine Person in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen).

Das BVwG lässt außer Acht, dass zum Entscheidungszeitpunkt am 12.07.2022 bereits aktuellere Länderberichte, wie die Länderinformation der Staatendokumentation Ungarn vom 12.04.2022 vorlagen. Mit den in den Länderinformationen festgehaltenen Umständen (keine Unterbringung und Versorgung in Transitzonen bzw dem Drittstaat, in dem Asylsuchende auf die Einreiseerlaubnis warten) setzt sich das BVwG nicht auseinander. Es geht nicht auf das bereits in der Beschwerde an das BVwG vorgebrachte "Botschaftsverfahren" (Asylantragstellung in der ungarischen Botschaft in Belgrad oder Kiew) als mögliches Hindernis für den Zugang zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren und als Folge zur Versorgung in Ungarn ein. Es stellt keine eigenen Ermittlungen zur Situation von im Rahmen der Dublin III-Verordnung rücküberstellten Asylwerbern in Ungarn an, sondern legt seiner Entscheidung ausschließlich die in den Bescheiden des BFA vom 14.06.2022 getroffenen Feststellungen zugrunde. Das BVwG hätte Berichtsmaterial heranziehen und würdigen müssen, das die für Dublin-Rückkehrer in Ungarn neu entstandene Situation berücksichtigt.

Ein pauschaler Verweis darauf, dass man den ungarischen Behörden nicht unterstellen könne, die Personen mittels Evakuierungsfluges aus Afghanistan ins Land geholt zu haben, nur um sie dann sich selbst zu überlassen, und die Annahme, dass die Beschwerdeführer weiterhin die oder ähnliche Betreuung und Unterstützung wie nach ihrer Ankunft in Ungarn genießen würden, stellen vor dem Hintergrund der aktuellsten Berichtslage keine ausreichende Begründung für das Ergebnis dar, dass bei einer Rückkehr der Zugang zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren gesichert und damit eine entsprechende Versorgung gegeben sei. Insbesondere im Hinblick auf die minderjährigen Beschwerdeführer gilt, dass in Fällen, in denen die Versorgungslage von Asylwerbern notorisch unsicher ist, eine individuelle Versorgungszusage einzuholen ist.

Zurückweisung der Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin mangels Legitimation, da diese vor Einbringung der Beschwerde durch den zum Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt verstorben ist. Gemäß §35 VfGG iVm §68 Abs1 ZPO erlischt die Verfahrenshilfe mit dem Tod der Partei.

Entscheidungstexte

  • E2042/2022 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 15.03.2023 E2042/2022 ua

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, VfGH / Verfahrenshilfe, VfGH / Legitimation, Asylrecht / Vulnerabilität, Kinder, EU-Recht, Außerlandesbringung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2023:E2042.2022

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2023
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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