Index
16/01 Medien, PresseförderungNorm
B-VG Art140 Abs1 Z1 litdLeitsatz
Aufhebung einer Bestimmung des MedienG betreffend die Höhe des Einschaltungsentgelts für eine zu Unrecht veranlasste Gegendarstellung sowie für die Veröffentlichung des Berufungsurteils; Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privat und Familienlebens sowie die Meinungsäußerungsfreiheit wegen Unverhältnismäßigkeit der potentiellen Kosten der Geltendmachung der Gegendarstellung; keine Möglichkeit der Begrenzung des Zahlungsrisikos eines Betroffenen gegenüber dem Medienunternehmen; richterliches Mäßigungsrecht zur Minderung des Entschädigungsentgelts im Härtefall bei Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz nicht ausreichendRechtssatz
Verfassungswidrigkeit des §17 Abs5 MedienG idF BGBl 20/1993. Inkrafttreten der Aufhebung mit Ablauf des 30.06.2024. Die Verfassungswidrigkeit kann nur durch Aufhebung von (Teilen des) §17 Abs5 MedienG beseitigt werden und nicht durch Aufhebung sonstiger gesetzlicher Bestimmungen, auch wenn sie die gemäß §17 Abs5 MedienG festzusetzende Höhe des Einschaltungsentgeltes mitbeeinflussen. Nach allfälliger Aufhebung (von Teilen) des § 17 Abs5 MedienG sind diese Bestimmungen unbedenklich und stehen angesichts ihres eigenständigen und von der Frage der Höhe des Einschaltungsentgeltes zunächst unabhängigen Regelungsinhaltes mit § 17 Abs5 MedienG nicht in einem untrennbaren Zusammenhang.
Vor dem Hintergrund des Art8 EMRK und des Art10 EMRK, in denen der Gegendarstellungsanspruch des von einer unwahren oder irreführenden Tatsachenmitteilung Betroffenen grundgelegt ist, darf das Einschaltungsentgelt gemäß §17 Abs5 MedienG nicht eine Höhe erreichen (können), die - im Sinne eines "chilling effects" - die von einer medialen Tatsachenberichterstattung Betroffenen von vornherein davon abhält, ihr Recht auf Gegendarstellung in Anspruch zu nehmen.
Die Faktoren der Höhe des Einschaltungsentgelts (Tarife des Medieninhabers, Marktposition des Mediums, Dauer der Veröffentlichung auf einer Website) kann der Gegendarstellungsberechtigte nicht beeinflussen. Er muss sich - im Sinne einer Entweder-Oder-Entscheidung - für die Veröffentlichung der Gegendarstellung im gesetzlich angeordneten Umfang und zu einem Zeitpunkt entscheiden, zu dem der Ausgang des gerichtlichen Verfahrens, mit dem über die Rechtmäßigkeit der Gegendarstellung entschieden wird, noch anhängig ist. Auch wenn den einschlägigen Regelungen über den Veröffentlichungszeitpunkt in Verbindung mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in §15 Abs5 MedienG wie den genannten Regelungen zur Sicherstellung eines gleichen Veröffentlichungswertes auch der Zweck einer vollständigen Information der Öffentlichkeit zukommt, lassen die gesetzlichen Regelungen doch dem zunächst durch das Gegendarstellungsrecht geschützten einzelnen Betroffenen keinen Raum dafür, sein Zahlungsrisiko für den Fall, dass sich letztlich die Unrechtmäßigkeit seiner Gegendarstellung herausstellt, zu begrenzen. Der Medieninhaber hat mit der die Gegendarstellung auslösenden Berichterstattung ein bestimmtes mediales Feld - und damit bestimmte Vorgaben für die der Bemessung des Einschaltungsentgeltes gemäß §17 Abs5 MedienG nach der Rsp zugrunde liegende Tarifierung - vorgegeben, auf dem sich der Gegendarstellungsberechtigte bewegen muss. Er kann weder den zeitlichen Zusammenhang zur Veröffentlichung (und sei es, um das Urteil des Berufungsgerichtes abzuwarten) noch die Veröffentlichungsdauer auf einer Website beeinflussen. Dem steht gegenüber, dass die Verpflichtung des Medieninhabers zur Veröffentlichung der Gegendarstellung auf Grund gerichtlicher Anordnung erfolgt. Auch ist zu berücksichtigen, dass ein aus einer entsprechenden Marktstellung des periodischen Mediums resultierendes hohes Einschaltungsentgelt in aller Regel mit einer entsprechenden wirtschaftlichen Stellung des Mediums und damit des Medieninhabers einhergeht, die der "anderen Seite" des vom periodischen Medium selbst eröffneten Kommunikationsprozesses in vielen Fällen überlegen sein wird.
Damit erweist sich die in §17 Abs5 MedienG bestimmte Höhe des Einschaltungsentgeltes, zu dessen Zahlung derjenige, der eine sich letztlich als unrechtmäßig herausstellende Gegendarstellung veranlasst hat, verpflichtet wird, aber als unverhältnismäßig: Sie setzt den Betroffenen einem wirtschaftlichen Risiko aus (oder zwingt ihn zum gänzlichen Verzicht auf eine Gegendarstellung), das für ihn nicht mehr tragfähig sein kann. Damit birgt die Regelung des §17 Abs5 MedienG aber vor allem auch die Gefahr, Betroffene von der Geltendmachung einer Gegendarstellung von vornherein abzuhalten und damit auch, die allgemeine Informationsfunktion des Gegendarstellungsrechtes einzuschränken. Demgegenüber lässt sich der - aus Sicht des Art10 EMRK ebenso wesentliche - Schutz des Medieninhabers vor unzulässigem Zwang, Inhalte Dritter zu veröffentlichen, im Verfahren zur Durchsetzung eines Gegendarstellungsbegehrens auch sicherstellen, wenn die Zahlungsverpflichtung des Gegendarstellungsberechtigten für eine letztlich unrechtmäßige Gegendarstellung und die darauf bezogene Urteilsveröffentlichung keine potentiell Gegendarstellungsberechtigte von vornherein abschreckende Höhe erreicht. Insofern erzielt §17 Abs5 MedienG mit den festzusetzenden Kosten des Einschaltungsentgeltes im System der mediengesetzlichen Ausgestaltung des Gegendarstellungsrechtes keinen verhältnismäßigen Ausgleich (der Gesetzgeber verfehlt es, "[to strike] a fair balance" zwischen den in Rede stehenden Rechten des Medieninhabers und des Gegendarstellungsberechtigten).
An diesem Ergebnis ändert auch das richterliche Mäßigungsrecht für Härtefälle in §17 Abs5 dritter Satz MedienG nichts, wonach das Gericht das Einschaltungsentgelt nach billigem Ermessen mäßigen und eine längere, ein Jahr nicht übersteigende Leistungsfrist festsetzen kann. Der "Härtefall" im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung stellt auf eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz ab und vermag daher die Gefahr, dass die Höhe des Einschaltungsentgeltes Gegendarstellungswerber davon abhält, von ihrem Recht überhaupt Gebrauch zu machen, nicht entscheidend abzumildern.
Im Hinblick auf §13 Abs3a MedienG ist schließlich darauf hinzuweisen, dass in VfSlg 20.217/2017 die Sachlichkeit dieser Regelung im Hinblick auf die Herstellung eines gleichen Veröffentlichungswertes bejaht, gleichzeitig aber auch darauf hingewiesen wurde, dass diese Form der Gegendarstellung nicht die einzig mögliche Art und Weise ist, auf die den Grundsätzen des Gegendarstellungsrechtes in elektronischen Medien Rechnung getragen werden kann. Im Hinblick auf die sich stetig verändernden Kommunikationsbedingungen wesentlicher elektronischer Medien steht es - auch mit Blick auf die Auswirkungen auf die Höhe des Einschaltungsentgeltes - dem Gesetzgeber offen, diese Regelung etwa im Hinblick auf die Dauer der Veröffentlichung der Gegendarstellung anders zu gestalten.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Medienrecht, Privat- und Familienleben, Meinungsäußerungsfreiheit, Kostenrisiko, Verhältnismäßigkeit, Kosten, VfGH / Parteiantrag, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / FristsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2023:G297.2022Zuletzt aktualisiert am
19.04.2023