TE Vfgh Erkenntnis 1993/9/27 B1121/92

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Veröffentlicht am 27.09.1993
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Index

16 Medienrecht
16/02 Rundfunk

Norm

B-VG Art83 Abs2
RundfunkG §27 Abs1 Z1 lita

Leitsatz

Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung einer Beschwerde an die Rundfunkkommission mangels Legitimation; verfehlte Annahme der fehlenden Beschwerdelegitimation eines Vereinsmitglieds aufgrund bereits erfolgter Beschwerdeführung durch den Verein selbst

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Vertreters die mit 15.000 S bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mag. G W, ein "Anhänger von S Y Austria, Verein für interkonfessionelle Meditation" in Wien, erhob am 21. April 1992 bei der Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes (RFK) eine Beschwerde gemäß §27 RFG, worin es ua. wörtlich hieß:

"Die Beschwerde richtet sich gegen einen Bericht, der Teil der Zeit im Bild 2 (später als 22.00 Uhr) vom 12. März 1992 war. Dieser Bericht betrifft 'S Y' und beginnt mit der Wiedergabe eines Bildes von S M N D, der Gründerin von S Y. Der Beschwerdeinhalt richtet sich gegen Teile dieses Berichtes. Ich bin durch die inkriminierten Teile dieses Berichtes unmittelbar geschädigt..."

1.2. Die RFK entschied über diese Beschwerde mit Bescheid vom 19. Mai 1992, Z532/3-RFK/92, wie folgt:

"Die Beschwerde des Mag. G W ... (wird) zurückgewiesen."

1.3.1. Gegen den Kommissionsbescheid wendet sich Mag. G W mit Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 Abs1 B-VG. Der Beschwerdeführer macht die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG geltend und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts.

1.3.2.1. Die RFK als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf Erstattung einer Gegenschrift.

1.3.2.2. Hingegen brachten die für die streitverfangene Sendung verantwortlichen Bediensteten des ORF, nämlich der Informationsintendant J K, der Hauptabteilungsleiter Dr. H F M, der Leitende Redakteur K P K und der Redakteur C B als Beteiligte des verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens eine (gemeinsame) Gegenäußerung ein, in der sie für die

kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde eintraten.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Die RFK ist eine nach Art133 Z4 B-VG eingerichtete Verwaltungsbehörde. Ihre Entscheidungen unterliegen nach §29 Abs5 RFG nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg. Der administrative Instanzenzug iSd Art144 Abs1 Satz 2 B-VG ist also ausgeschöpft (vgl. zB VfSlg. 8906/1980, 11062/1986, 11213/1987, 11572/1987, 11670/1988, 12022/1989, 12035/1989, 12086/1989).

2.1.2. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Beschwerde zulässig.

2.2.1. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofs verletzt ein Bescheid das - vom Beschwerdeführer relevierte - verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter ua. dann, wenn die bescheiderlassende Verwaltungsbehörde in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie eine Sachentscheidung zu Unrecht verweigert (VfSlg. 12125/1989 uva.).

Der Verfassungsgerichtshof hat folglich zu prüfen, ob die hier bekämpfte Zurückweisung der (Administrativ-)Beschwerde als unzulässig dem Gesetz entsprach.

2.2.2.1. Die RFK entscheidet gemäß §27 Abs1 Z1 lita RFG "über die Verletzung von Bestimmungen dieses Bundesgesetzes ... auf Grund von Beschwerden ... einer Person, die durch eine Rechtsverletzung unmittelbar geschädigt zu sein behauptet" (soweit für diese Entscheidung nicht eine andere Verwaltungsbehörde oder ein Gericht zuständig ist). Als Zulässigkeitsvoraussetzung der Beschwerde (einer natürlichen oder juristischen Person) fordert das RFG demnach nicht etwa den Nachweis oder die Glaubhaftmachung, sondern (nur) die Behauptung einer entsprechenden Rechtsverletzung (vgl. Art131 Abs1 Z1, 144 Abs1 B-VG), einer Verletzung, die freilich nicht von vornherein ausgeschlossen sein darf, vielmehr den Umständen nach zumindest im Bereich der Möglichkeit liegen muß, um die Beschwerdelegitimation zu begründen (vgl. zB Dolp-Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Aufl., 1987, S 44, FN 4 (zu §34 Abs1 VwGG iVm Art131 Abs1 Z1 B-VG); VfSlg. 5038/1965, 6716/1972 (zu Art144 Abs1 B-VG)). Als weiteres Erfordernis tritt hinzu, daß die behauptete Rechtsverletzung von bestimmter Beschaffenheit zu sein hat: Sie muß den Beschwerdeführer - nach seinen Beschwerdebehauptungen - "unmittelbar", dh. (ihn) selbst "schädigen". Dabei ist eine derartige "Schädigung" in der Bedeutung des §27 Abs1 Z1 lita RFG nach dem klaren Gesetzeswortlaut nicht auf den Kreis der in §1330 Abs2 ABGB umschriebenen Rechtsgüter beschränkt (zu §1330 ABGB s. ua. Wolff, in: Klang (Hrsg.), Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., Bd. 6, S 161); sie kann darum (auch) bloß immaterieller Natur sein, wie der Verfassungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis VfSlg. 12125/1989 darlegte.

Erfüllt eine Beschwerde nach §27 Abs1 Z1 lita RFG diese Kriterien, ist sie also zulässig, dann kann die Entscheidung der Kommission nur in der Feststellung (materieller Art) bestehen, ob und - bejahendenfalls - durch welchen Sachverhalt eine Vorschrift des RFG verletzt wurde.

2.2.2.2. Der Verfassungsgerichtshof vermag der belangten Behörde nicht beizupflichten, wenn sie der Auffassung anhängt, daß es hier jedenfalls an den Zulässigkeitsbedingungen des §27 Abs1 Z1 lita RFG fehle. Die belangte Kommission ging zwar im Einklang mit den Ergebnissen des Administrativverfahrens erkennbar davon aus, es sei durchaus möglich, daß die umstrittene (Rundfunk-)Sendung Mitglieder des Vereins "S Y" in berechtigten immateriellen Interessen geschädigt habe, und daß der Beschwerdeführer derartiges in seiner Administrativbeschwerde tatsächlich behaupte: Sie verneinte aber die Beschwerdelegitimation aus einem anderen Grund, nämlich deshalb, weil (auch) der Verein "S Y" selbst Beschwerde führe und mit diesem seinem Rechtsmittel "das gesamte Spektrum der Interessenverfolgung seiner Mitglieder ab(decke)". Der Beschwerdeführer hält dem in seiner Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof mit Recht (sinngemäß) entgegen, das RFG biete keinerlei Handhabe, daß die Beschwerde eines Vereins das jedem unmittelbar Betroffenen ("Person, die durch eine Rechtsverletzung unmittelbar geschädigt zu sein behauptet") gesetzlich eingeräumte Beschwerderecht aufhebe, sofern er nur Vereinsmitglied sei, zumal ein Vereinsmitglied weder die Erhebung einer Vereinsbeschwerde erzwingen noch die Zurückziehung einer solchen Beschwerde verhindern könne.

2.2.3. Daraus folgt, daß die belangte Behörde, die sich zur Stützung ihrer verfehlten Rechtsansicht ua. auf die in wesentlichen Punkten von einer anderen Sach- und Rechtslage ausgehende Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom "25.9.1989 RfR 1990, 48" (zitiert nach Twaroch/Buchner, Rundfunkrecht in Österreich, 4. Aufl., 1992, E 28 zu §27 RFG) (= VfSlg. 12125/1989) beruft, dem Beschwerdeführer zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigerte, indem sie seine (Administrativ-)Beschwerde sogleich als unzulässig abtat.

Dadurch wurde der Beschwerdeführer, wie er richtig rügt, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

2.2.4. Der bekämpfte Bescheid war daher als verfassungswidrig aufzuheben.

Im fortzusetzenden Administrativverfahren wird die belangte Behörde die Beschwerdeberechtigung unter Abstandnahme von ihrer im angefochtenen Bescheid vertretenen rechtsirrigen Begründung neuerlich zu prüfen haben.

2.3. Der Kostenausspruch stützt sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.500 S enthalten.

2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Rundfunk, Beschwerdeverfahren (Rundfunk)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B1121.1992

Dokumentnummer

JFT_10069073_92B01121_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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