TE OGH 2023/3/22 7Ob29/23z

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Veröffentlicht am 22.03.2023
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H* AG, *, 2. W* AG, *, 3. ACE E* Limited, *, 4. D* AG, *, vertreten durch Mag. Petra Cernochova, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei C* Sp. z.o.o., *, vertreten durch Sokolski Madany Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 1.783,95 EUR sA (erstklagende Partei), 2.757 EUR sA (zweitklagende Partei), 1.297,41 EUR sA (drittklagende Partei) und 648,70 EUR sA (viertklagende Partei), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Zwischen- und Teilurteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 29. September 2022, GZ 18 R 45/22d-59, womit das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 11. April 2022, GZ 4 C 97/21m-52, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]            Die Erstklägerin begehrt die Zahlung von 1.783,95 EUR sA, die Zweitklägerin von 2.757 EUR sA, die Drittklägerin von 1.297,41 EUR sA und die Viertklägerin von 648,70 EUR sA. Die S* GmbH (in Hinkunft S-GmbH) habe als Versicherungsnehmerin mit den Klägerinnen unter Führung der Erstklägerin einen Verkehrshaftungsversicherungsvertrag abgeschlossen. Auf das Versicherungsverhältnis gelange deutsches Recht zur Anwendung. Die Erstklägerin sei zu 27,5 %, die Zweitklägerin zu 42,5 %, die Drittklägerin zu 20 % und die Viertklägerin zu 10 % an diesem Versicherungsvertrag beteiligt. Die S-GmbH sei mit dem Transport einer Fracht von B* (I*) nach N* (Ö*) beauftragt worden und habe ihrerseits die Beklagte mit diesem Transport beauftragt. Die S-GmbH sei vor dem Landesgericht Stuttgart zum Ersatz des – von der Beklagten schuldhaft verursachten – Schadens wegen Überschreitung der Lieferfrist und der Verfahrenskosten des Gegners verurteilt worden. Die Klägerinnen hätten – entsprechend ihrer jeweiligen Beteiligungen – der S-GmbH Ersatz für die Schadenersatzverpflichtung, der Verfahrenskosten des Gegners und ihrer eigener Verfahrenskosten geleistet. Die Forderungen seien daher entsprechend der übernommenen Quoten der Klägerinnen nach § 86 Abs 1 dVVG auf sie übergegangen.

[2]       Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil die Klagsforderungen dem Grunde nach als zu Recht bestehend.

[3]            Das Berufungsgericht gab mit seinem Teil- und Zwischenurteil der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Zwischenurteil dahin ab, dass es die Klagsforderungen in Höhe von 649,56 EUR sA (Erstklägerin), 1.003,86 EUR sA (Zweitklägerin), 472,40 EUR sA (Drittklägerin) und 236,20 EUR sA (Viertklägerin) abwies. Es erklärte die ordentliche Revision der Klägerinnen gegen die Abweisung ihrer Klagebegehren nachträglich für zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[4]       Die von der Beklagten nicht beantwortete Revision der Klägerinnen ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts jedenfalls unzulässig.

[5]       1. Der erkennende Senat teilt die Auffassung des Berufungsgerichts, es habe eine Zusammenrechnung der Forderungen der Klägerinnen stattzufinden, weil sie Streitgenossen nach § 11 Abs 1 ZPO seien, nicht.

[6]       2.1 Die Revision ist jedenfalls unzulässig, wenn der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat (Entscheidungsgegenstand), an Geld oder Geldeswert insgesamt 5.000 EUR nicht übersteigt (§ 502 Abs 3 ZPO).

[7]            2.2 Bilden mehrere Ansprüche den Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts, hat eine Zusammenrechnung nur zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN erfüllt sind (RS0042741; RS0053096). Demnach sind mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammenzurechnen, wenn 1. sie von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhoben werden und in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen oder 2. sie von mehreren Parteien oder gegen mehrere Parteien erhoben werden, die Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind. Findet keine Zusammenrechnung statt, ist die Revisionszulässigkeit für jeden einzelnen Entscheidungsgegenstand gesondert zu beurteilen (RS0130936; RS0042642; RS0042741 [T18]).

[8]            2.3 Im Fall einer Parteienhäufung (subjektive Klagenhäufung) sind gemäß § 55 Abs 1 Z 2 JN die von mehreren Parteien oder gegen mehrere Parteien erhobenen Ansprüche zusammenzurechnen, wenn diese materielle Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind. Nach dieser Bestimmung liegt eine materielle Streitgenossenschaft vor, wenn mehrere Kläger oder Beklagte in Ansehung des Streitgegenstands in Rechtsgemeinschaft stehen oder aus demselben tatsächlichen Grund oder solidarisch berechtigt oder verpflichtet sind. Eine Berechtigung oder Verpflichtung aus demselben tatsächlichen oder rechtlichen Grund iSd § 11 Z 1 ZPO setzt einen einheitlichen rechtserzeugenden Tatbestand voraus, ohne dass für einen Streitgenossen noch weitere rechtserzeugende Tatsachen für die Ableitung des Anspruchs hinzutreten (RS0035450; RS0035411).

[9]            3.1 Beteiligen sich mehrere Versicherer für den Versicherungsnehmer erkennbar an einem Versicherungsvertrag wird dies als Konsortialversicherung oder auch offene Mitversicherung bezeichnet. Auch wenn sie sich unter dem führenden Versicherer an dem Versicherungsvertrag beteiligen, sind diese Beteiligungen in der Regel rechtlich selbständige Verträge und durch den ausgestellten Versicherungsschein lediglich „gebündelt“. Die Übernahme der Quoten stellt eine teilbare Leistung iSd § 420 BGB dar. Das heißt im Versicherungsfall sind sie nur im Umfang ihres übernommenen Anteils zur Leistung verpflichtet (vgl W. Schneider in Höra/Schubach, Münchner Anwaltshandbuch, Versicherungsrecht5 § 9 Industrielle Sachversicherung Rn 69 f). Gegenteiliges wurde hier nicht behauptet.

[10]           3.2 Die Klägerinnen übernahmen gegenüber ihrer Versicherungsnehmerin die Haftung entsprechend ihren konkreten Beteiligungen als Einzelschuldnerinnen
(Art 7.1 Versicherungsbedingungen (VB) – Allgemeine Bestimmungen) und ersetzten in diesem Umfang die Verbindlichkeiten der Versicherungsnehmerin, wodurch sie die Forderung der Versicherungsnehmerin gegen die Beklagte nach § 86 Abs 1 dVVG (entspricht insoweit § 67 Abs 1 VersVG) im Umfang ihrer jeweiligen Quoten erwarben.

[11]           3.3 Die auf Legalzessionen (vgl Kloth/Neuhaus in Schwintowski/Brömmelmeyer, Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht2 § 86 VVG Rn 4; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG31 § 86 VVG Rn 32) gestützten Forderungen mehrerer Versicherer eines Konsortiums auf Ersatz der von ihnen ihrem Versicherungsnehmer – entsprechend ihrem Anteil – erbrachten Versicherungsleistungen sind getrennt zu betrachten, weil es sich bei den Versicherern dem Schädiger gegenüber nicht – wie nach § 55 Abs 4 iVm § 55 Abs 1 Z 2 JN erforderlich – um materielle Streitgenossen handelt. Weder stehen sie hier in Ansehung des Streitgegenstands dem Schädiger gegenüber in Rechtsgemeinschaft iSd § 11 Z 1 ZPO – allfällige Rechtsgemeinschaft gegenüber dem Versicherungsnehmer genügt nicht – noch sind sie aus demselben Grund berechtigt, weil im Ersatz des Schadens des Versicherungsnehmers durch den einzelnen Versicherer jeweils die rechtserzeugende Tatsache für die Ableitung der jeweiligen Forderung zu sehen ist. Eine solidarische Berechtigung kommt ebenfalls nicht in Betracht.

[12]     4. Damit fällt die Revision jeweils unter § 502 Abs 3 ZPO.

Textnummer

E137880

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00029.23Z.0322.000

Im RIS seit

14.04.2023

Zuletzt aktualisiert am

14.04.2023
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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