Entscheidungsdatum
27.03.2023Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art. 140 Abs1 Z1 litaText
Das Verwaltungsgericht Wien stellt durch seinen Richter Dr. Gerhard Kienast im Verfahren über die Beschwerde der A. B. gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Wien, Magistratsabteilung 63, vom 12.12.2022, Zl. ..., betreffend eine Angelegenheit nach dem Personenstandsgesetz 2013, an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a iVm Art. 135 Abs. 4 B-VG und Art. 89 Abs. 2 B-VG den
A n t r a g,
der Verfassungsgerichtshof möge im Personenstandsgesetz 2013, BGBl. I 2013/16 (in seiner Stammfassung) (PStG 2013), § 35 Abs. 2 mit Ausnahme des ersten Halbsatzes und des diesen Absatz abschließenden Punktes als verfassungswidrig aufheben (sodass als Abs. 2 „Ein im Ausland eingetretener Personenstandsfall ist einzutragen.“ verbleibt).
B e g r ü n d u n g:
I. Anlassfall:
A. B. (Beschwerdeführerin vor dem Verwaltungsgerichts Wien, im Folgenden: beteiligte Partei) wurde am ...1982 im Irak intergeschlechtlich geboren und als Bub/Mann großgezogen; 2011 ließ sie an sich in Indien geschlechtsanpassende Maßnahmen vornehmen.
Am 14.1.2017 wurde ihr (damals noch als irakischer Staatsangehöriger männlichen Geschlechts und namens C. D. E.) in Österreich der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Asylgesetz 2015 zuerkannt; 2019 bewilligte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Verlängerung des Status der beteiligten Partei (bereits als A. B. und damit als Person weiblichen Geschlechts) als subsidiär Schutzberechtigte, ebenso (nun aktuell) 2021 (bis 15.12.2023). Die beteiligte Partei hat ihren Wohnsitz in Österreich.
Mit Schreiben vom 24.6.2020 brachte die beteiligte Partei beim Standesamt Wien – Zentrum ihren Antrag auf Eintragung ihrer Geburt ins zentrale Personenstandsregister gemäß §§ 9 ff PStG 2013 und auf Ausstellung einer Geburtsurkunde gemäß § 53 Abs. 3 Z 1, § 54 PStG 2013 ein. Mit Bescheid vom 11.12.2020 wies der Magistrat der Stadt Wien diese Anträge gemäß § 35 Abs. 2 Z 3 PStG 2013 (mangels Rechtsgrundlage) ab.
Mit Erkenntnis vom 16.9.2021 gab das Verwaltungsgericht Wien der von der beteiligten Partei erhobenen Beschwerde Folge und ihren Anträgen vom 24.6.2020 im Wesentlichen mit der Begründung statt, § 35 Abs. 2 Z 3 PStG 2013 sei analog auch auf subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 8 Asylgesetz 2015 anzuwenden. Mit Erkenntnis vom 25.8.2022, Ra 2021/01/0416, gab der VwGH der Amtsrevision Folge und änderte Spruchpunkt I des bekämpften Erkenntnisses dahin ab, dass der Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 11.12.2020 wegen Unzuständigkeit des Magistrats der Stadt Wien ersatzlos aufgehoben werde.
Mit Bescheid vom 12.12.2022 wies (nunmehr) der Bürgermeister der Stadt Wien die Anträge der beteiligten Partei vom 24.6.2020 ab und begründete dies im Wesentlichen wiederum damit, für diese Eintragung liege keine Rechtsgrundlage vor. Mit Schriftsatz vom 22.12.2022 zog die beteiligte Partei diesen Bescheid (form- und fristgerecht) in Beschwerde, die der belangte Bürgermeister mit Note vom 11.1.2023 dem antragstellenden Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vorlegte; zudem gab er den bezughabenden Verwaltungsakt im ELAK zur Einsicht frei.
II. Rechtslage:
1. § 9 des IPR-Gesetzes, BGBl. 1978/304 (IPRG), lautet (auszugsweise):
„Personalstatut einer natürlichen Person
§ 9. (1) Das Personalstatut einer natürlichen Person ist das Recht des Staates, dem die Person angehört. Hat eine Person neben einer fremden Staatsangehörigkeit auch die österreichische Staatsangehörigkeit, so ist diese maßgebend. […]
(2) […]
(3) Das Personalstatut einer Person, die Flüchtling im Sinn der für Österreich geltenden internationalen Übereinkommen ist oder deren Beziehung zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen sind, ist das Recht des Staates, in dem sie ihren Wohnsitz, mangels eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat; eine Verweisung dieses Rechtes auf das Recht des Heimatstaates (§ 5) ist unbeachtlich.“
2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Personenstandsgesetzes 2013, BGBl. I 2013/16 idF BGBl. I 2016/120 (PStG 2013), lauten:
Personenstand und Personenstandsfall
§ 1. (1) Personenstand im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die sich aus den Merkmalen des Familienrechts ergebende Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung einschließlich ihres Namens.
(2) Personenstandsfälle sind Geburt, Eheschließung, Begründung einer eingetragenen Partnerschaft und Tod.
Personenstandsdaten
§ 2. (1) Personenstandsdaten einer Person sind:
1. allgemeine Personenstandsdaten (Daten zum Personenkern);
2. besondere Personenstandsdaten sowie
3. sonstige Personenstandsdaten.
(2) Allgemeine Personenstandsdaten sind:
1. Namen;
2. Tag und Ort der Geburt;
3. Geschlecht;
4. Familienstand (ledig, verheiratet, in eingetragener Partnerschaft lebend, geschieden, Ehe aufgehoben, Ehe für nichtig erklärt, aufgelöste eingetragene Partnerschaft, eingetragene Partnerschaft für nichtig erklärt, verwitwet, hinterbliebener eingetragener Partner);
5. akademische Grade und Standesbezeichnungen;
6. Tag und Ort des Todes;
7. Bereichsspezifisches Personenkennzeichen (bPK-ZP gemäß §§ 9 ff des E-Government-Gesetzes – E-GovG, BGBl. I Nr. 10/2004);
8. Staatsangehörigkeit.
(3) – (7) […]
Pflicht zur Eintragung
§ 35. (1) Jeder im Inland eingetretene Personenstandsfall sowie Änderungen, Ergänzungen und Berichtigungen des Personenstandes sind einzutragen.
(2) Ein im Ausland eingetretener Personenstandsfall ist einzutragen, wenn der Personenstandsfall betrifft:
1. einen österreichischen Staatsbürger;
2. einen Staatenlosen oder eine Person ungeklärter Staatsangehörigkeit, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben;
3. einen Flüchtling im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, und des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, wenn er seinen Wohnsitz, mangels eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.
(3) – (6) […]
Personenstandsurkunde
§ 53. (1) Personenstandsurkunden sind Registerauszüge aus dem ZPR. Soweit kein schutzwürdiges Interesse entgegensteht und in den nachfolgenden Bestimmungen nichts anderes bestimmt ist, geben diese den wesentlichen aktuellen Inhalt der Eintragung wieder. Auf Antrag können Personenstandsurkunden mit den Daten zu einem bestimmten Zeitpunkt erstellt und gefertigt werden. Dieser Zeitpunkt ist auf der Urkunde ersichtlich zu machen.
(2) Auf Antrag kann eine Personenstandsurkunde mit dem Religionsbekenntnis ausgestellt werden, sofern dieses für die jeweilige Eintragung bekannt gegeben wurde.
(3) Die Personenstandsbehörden haben auszustellen:
1. Geburtsurkunden;
2. Heiratsurkunden;
3. Partnerschaftsurkunden;
4. Urkunden über Todesfälle.
(4) Im Ausland können Personenstandsurkunden, Registerauszüge, Ehefähigkeitszeugnisse sowie Bestätigungen über die Fähigkeit, eine eingetragene Partnerschaft begründen zu können, auch von den österreichischen Vertretungsbehörden ausgestellt werden. Zu diesem Zwecke sind sie ermächtigt, die erforderlichen Personenstandsdaten zu ermitteln.
(5) Auf Antrag sind Personenstandsurkunden mit bestimmten förmlichen Gestaltungsmerkmalen auszustellen, deren Erscheinungsbild durch Verordnung des Bundesministers für Inneres festzulegen ist.
(6) Auf Verlangen sind Personenstandsurkunden von der Bezirksverwaltungsbehörde und dem Landeshauptmann zu beglaubigen. Rechtsvorschriften über allfällige weitere Beglaubigungen bleiben unberührt.
(7) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt vorzusehen, dass die Echtheit der aus dem ZPR ausgestellten Urkunden mit Hilfe eines Codes überprüft werden kann. Abgesehen von den in Abs. 5 genannten Fällen ist die Urkunde mit der Amtssignatur des Bundesministers für Inneres zu versehen.
Geburtsurkunde
§ 54. (1) Die Geburtsurkunde hat zu enthalten:
1. die Namen des Kindes;
2. das Geschlecht des Kindes;
3. den Zeitpunkt und Ort der Geburt des Kindes;
4. die Namen der Eltern;
5. das Datum der Ausstellung;
6. die Namen des Standesbeamten.
(2) Auf Antrag ist eine Geburtsurkunde auszustellen, die nur die Angaben nach § 54 Abs. 1 Z 1 bis 3 enthält.
III. Zur Zulässigkeit des Antrags:
1. Präjudizialität:
Nach ständiger Rechtsprechung des VfGH ist ein Antrag iSd Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückzuweisen, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglichen) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichts im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfGH 16.12.2021, G 390/2020 ua, mwN).
Der belangte Bürgermeister wies mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid die Anträge der beteiligten Partei deshalb ab, weil der von der Beteiligten Partei namhaft gemachte im Ausland eingetretene Personenstandsfall keine der in § 35 Abs. 2 Z 1 bis 3 PStG 2013 aufgezählten Personengruppen betrifft; insbesondere ist die beteiligte Partei mangels Asylberechtigung auch kein (iSd § 35 Abs. 2 Z 3 PStG 2013) Flüchtling iSd Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention). Das antragstellende Verwaltungsgericht Wien hat daher bei Beurteilung der Rechtmäßigkeit des bekämpften Bescheids § 35 Abs. 2 PStG 2013 anzuwenden.
2. Anfechtungsgegenstand und -umfang:
Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind – wie der VfGH sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Normenprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat – notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden. Dieser Grundposition folgend hat der VfGH die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrags nicht zu eng gewählt werden darf. Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für das anfechtende Gericht präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des VfGH, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit, sollte der VfGH die Auffassung des antragstellenden Gerichts teilen, beseitigt werden kann (vgl. z.B. VfGH 16.12.2021, G 390/2020 ua, mwN).
Das antragstellende Verwaltungsgericht Wien hegt das Bedenken, dass § 35 Abs. 2 PStG 2013 gegen Art. 8 EMRK iVm Art. 14 EMRK sowie § 35 Abs. 2 Z 3 PStG 2013 gegen das Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander (BVG betreffend das Verbot rassischer Diskriminierung) verstoßen. Art. 8 EMRK iVm Art 14 EMRK wird deshalb verletzt, weil in § 35 Abs. 2 PStG subsidiär Schutzberechtigte nach § 8 Asylgesetz 2015 nicht angeführt sind und es somit dieser Personengruppe nicht möglich ist, ihre in Art. 8 EMRK verankerten Rechte durchzusetzen (siehe dazu genauer unten Pkt. IV.1.). Das Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander wiederum wird durch § 35 Abs. 2 Z 3 PStG 2013 dadurch verletzt, dass diese Gesetzesbestimmung zwar Flüchtlingen iSd Genfer Flüchtlingskonvention mit gewöhnlichen Aufenthalt im Inland die Eintragung im Ausland eingetretener Personenstandsfälle ermöglicht, nicht aber subsidiär Schutzberechtigten, auch wenn deren Beziehung zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen ist (siehe dazu genauer unter Pkt. IV.2.).
Diese Verfassungswidrigkeit der unterbliebenen Aufnahme von im Ausland eingetretener Personenstandsfälle jener Personen, deren Beziehung zu ihren Heimatstaaten aus mit Flüchtlingen der Genfer Flüchtlingskonvention vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen ist, ist nach Auffassung des antragstellenden Verwaltungsgerichts Wien jener Gesetzesstelle des PStG 2013 anzulasten, in der der Personenkreis festgelegt ist, dessen im Ausland eingetretener Personenstandsfall die behördliche Pflicht zur Eintragung ins zentrale Personenstandsregister begründet (vgl. ähnliche Überlegungen des VfGH bei [verfassungswidrigem] Unterbleiben der Bezeichnung einer Angelegenheit als solche des eigenen Wirkungsbereichs z.B. VfSlg. 11.653/1988); dies ist in casu § 35 Abs. 2 Z 3 PStG 2013, der Flüchtlinge iSd Genfer Flüchtlingskonvention nennt, nicht aber auch Personen, deren Beziehung zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen ist. Diese Verfassungswidrigkeit lässt sich dadurch beseitigen, dass der in § 35 Abs. 2 PStG 2013 enthaltene, einschränkende Verweis auf die in den nachfolgenden Ziffern 1 bis 3 näher umschriebenen Personengruppen entfällt.
3. Auswirkungen der Entscheidung des VfGH auf die anhängige Rechtssache:
Sollte der VfGH antragsgemäß die angefochtenen Wortfolgen aufheben, hätte das antragstellende Verwaltungsgericht Wien der Beschwerde – da ein im Ausland eingetretener Personenstandsfall vorliegt – stattzugeben. Daher ist die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Gesetzesbestimmungen eine Vorfrage iSd § 62 Abs. 2 VfGG für die Entscheidung der beim antragstellenden Verwaltungsgericht Wien anhängigen Rechtssache.
IV. Verfassungsrechtliche Bedenken:
1. Verletzung der beteiligten Partei in ihrem Recht auf Eintragung im zentralen Personenstandsregister mit ihrer weiblichen Geschlechtsidentität (Art. 8 EMRK iVm Art. 14 EMRK):
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Art. 8 EMRK stellt die menschliche Persönlichkeit in ihrer Identität, Individualität und Integrität unter Schutz und ist dabei auch auf den Schutz der unterschiedlichen Ausdrucksformen dieser menschlichen Persönlichkeit gerichtet. In den von Art. 8 EMRK geschützten persönlichen Bereich fällt auch die geschlechtliche Identität und Selbstbestimmung. Die geschlechtliche Identität bezieht sich dabei auf einen besonders sensiblen Bereich des Privatlebens einer Person. Dieses von Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Recht auf individuelle Geschlechtsidentität umfasst auch, dass Menschen – nach Maßgabe des Abs. 2 dieser Verfassungsbestimmung – (nur) jene Geschlechtszuschreibung durch staatliche Regelung akzeptieren müssen, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen. Art. 8 EMRK enthält auch Gewährleistungspflichten des Staates und damit insbesondere des Gesetzgebers zum Schutz der durch seinen Abs. 1 gewährleisteten Rechte. Stellt der Gesetzgeber (wie in § 2 Abs. 2 Z 3 PStG 2013) für personenstandsrechtliche Zwecke in einem öffentlichen Register auf das Geschlecht als Personenstandsdatum ab, ist er durch Art. 8 EMRK grundsätzlich gehalten, eine Eintragung vorzusehen, die die jeweilige individuelle Geschlechtsidentität zu reflektieren vermag. Art. 8 EMRK gewährleistet diesen Menschen damit, dass ihr allfälliges weibliches oder männliches Geschlechtszugehörigkeitsempfinden im Einzelfall anzuerkennen ist. Ordnet der Gesetzgeber an, dass Personenstandsregister das Geschlecht ausweisen, hat er dabei die Anforderungen aus Art. 8 EMRK zur Wahrung der individuellen Geschlechtsidentität zu beachten und sicherzustellen (so ausdrücklich VfGH in VfSlg. 20.258/2018, jeweils mwN).
Die beteiligte Partei verfügt über den Status als subsidiär Schutzberechtigte iSd § 8 Asylgesetze 2015. Damit ist rechtskräftig festgestellt, dass „eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in ihren Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens und der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde“. Kurz: Die beteiligte Partei hat wegen schwerwiegender Gründe ihre Beziehung zu ihrem Heimatstaat Irak abgebrochen.
Gemäß § 9 Abs. 3 IPRG ist ihr Personalstatut – da sie in Österreich auch ihren Wohnsitz hat – das Recht des Staates Österreich. § 9 Abs. 3 IPRG verweist somit die beteiligte Partei hinsichtlich der Eintragungen ins zentrale Personenstandsregister auf das österreichische Recht, konkret somit auf das PStG 2013.
Wie bereits ausgeführt, verbürgt Art. 8 EMRK der beteiligten Partei das Recht, dass ihre weibliche Geschlechtsidentität von Seiten des Staates anerkannt wird; der Gesetzgeber hat daher im PStG 2013 sicherzustellen, dass das zentrale Personenstandsregister die weibliche Geschlechtsidentität der beteiligten Partei ausweist. Dieses ihr aus Art. 8 EMRK zukommende Recht wird nun dadurch verletzt, dass § 35 Abs. 2 PStG 2013 ihr das Recht nimmt, überhaupt ins zentrale Personenstandsregister eingetragen zu werden. Sie hat damit keine Möglichkeit, ihre weibliche Geschlechtsidentität in Personenstandsurkunden (wie ihre Geburtsurkunde; vgl. §§ 53 ff PStG 2013) zum Ausdruck zu bringen.
2. Verletzung der beteiligten Partei in ihrem Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander (Art. I Abs. 1 BVG BGBl 1973/390):
Nach ständiger Rechtsprechung des VfGH (z.B. VfGH 27.2.2023, E 89/2023) enthält Art. I Abs. 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 1973/390, das allgemeine, auch an den Gesetzgeber gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbaren Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließende – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als dafür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
§ 35 Abs. 2 Z 3 PStG 2013 begrenzt den Anwendungsbereich auf Flüchtlinge iSd Genfer Flüchtlingskonvention und grenzt damit subsidiär Schutzberechtigte aus, auch wenn deren Beziehung zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen ist. Für diese Differenzierung ist dem antragstellenden Verwaltungsgericht Wien kein vernünftiger Grund erkennbar (auch den Gesetzesmaterialien ist ein derartiger Grund nicht zu entnehmen). Dies erscheint sachlich nicht gerechtfertigt; es ist nämlich hinsichtlich des Abbruchs der Beziehungen zum jeweiligen Heimatstaat bei Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten kein Unterschied im Tatsächlichen zu erkennen; und zwar gerade wenn und weil die Beziehung von subsidiär Schutzberechtigten zu ihrem Heimatstaat aus Gründen abgebrochen ist, die vergleichbar schwerwiegend wie bei Flüchtlingen iSd Genfer Flüchtlingskonvention sind. In beiden Fällen ist es der betroffenen Person nicht zumutbar, in ihrem Heimatstaat Angelegenheiten des Personenstandes zu regeln.
Neben dieser komparativen Unsachlichkeit ist der Ausschluss der beteiligten Partei von der rechtlichen Möglichkeit, in Österreich in das zentrale Personenstandsregister eingetragen zu werden, auch (allgemein) unsachlich. § 9 Abs. 1 IPRG legt als Personalstatut der beteiligten Partei das österreichische Recht und damit das PStG 2013 fest. Diese Zuweisung ins österreichische Recht hängt aber – bildlich gesprochen – in der Luft, wenn keine nationale Vorschrift (hier verortet in § 35 Abs. 2 PStG 2013) diese Zuweisung aufgreift; der Gesetzgeber hat es somit aus nicht nachvollziehbaren Gründen unterlassen, auch jene Personengruppe in § 35 Abs. 2 PStG 2013 aufzunehmen, als deren Personalstatut von § 9 Abs. 1 IPRG das österreichische Recht, in concreto das PStG 2013, festgelegt ist. Nach Auffassung des antragstellenden Verwaltungsgerichts Wien hat er damit § 35 Abs. 2 Z 3 PStG 2013, der (allein) die Flüchtlinge iSd Genfer Flüchtlingskonvention anführt, mit Unsachlichkeit und damit mit Verfassungswidrigkeit beladen.
Schlagworte
Normprüfungsverfahren; subsidiär Schutzberechtigte; im Ausland eingetretener Personenstandsfall; verfassungsrechtliche Bedenken; Zentrales Personenstandsregister; GeschlechtsidentitätEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2023:VGW.101.092.484.2023.7Zuletzt aktualisiert am
12.04.2023