Index
E000 EU- Recht allgemein;Norm
11992E005 EGV Art5;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde der Republik Österreich - Bund (Bundesstraßenverwaltung), vertreten durch den Landeshauptmann von Steiermark, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 4. Mai 1995, Zl. 6 - 54/3 Bu 3/117-1995, betreffend Verlängerung einer naturschutzbehördlichen Bauvollendungsfrist, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 18. Dezember 1988 erteilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin gemäß § 6 Abs. 3 lit. c und e, Abs. 4 lit. a und Abs. 7 des Steiermärkischen Naturschutzgesetzes 1976, LGBl. Nr. 65, idF LGBl. Nr. 79/1985 (NSchG) in Verbindung mit der Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung vom 29. Juni 1981 über die Erklärung von Gebieten des mittleren Ennstales zum Landschaftsschutzgebiet die naturschutzrechtliche Bewilligung für den Ausbau der B 146 Ennstalstraße im Abschnitt Trautenfels-Liezen von der bestehenden Bundesstraße westlich von Stainach, nördlich von Projektskilometer 54.1 bis zur bestehenden Bundesstraße östlich von Liezen bei Projektskilometer 68.4 nach Maßgabe von Projektsunterlagen unter Vorschreibung von Auflagen bzw. Bedingungen. In der Begründung wird nach einer Beschreibung der Gegebenheiten des Projektes und des betroffenen Naturraumes die Auffassung vertreten, mit dem Vorhaben seien Auswirkungen im Sinne des § 2 Abs. 1 NSchG verbunden. Insbesondere würden artenreiche Lebensräume wildlebender Pflanzen und Tiere vernichtet. Das Ennstal werde ökologisch und optisch durch die Trasse in zwei Teile geteilt. Eine Bewilligung könne daher nur gemäß § 6 Abs. 7 auf Grund von besonderen volks- oder regionalwirtschaftlichen Interessen, die jene des Landschaftsschutzes überwiegen, erteilt werden. Auf Grund der eingeholten Gutachten stehe die Notwendigkeit fest, die Leistungsfähigkeit der bestehenden Verkehrsverbindung zu verbessern, um die Ballungsräume vom Durchzugsverkehr zu entlasten, die Reisezeiten zu verkürzen, die Verkehrsbehinderungen zu entschärfen, die Verkehrssicherheit zu erhöhen und die Raum- und Siedlungsentwicklung zu verbessern. Damit sei ein besonderes volks- und regionalwirtschaftliches Interesse gegeben. Ob diese Interessen jene des Naturschutzes überwiegen, werde letztlich immer eine Wertfrage bleiben, die weniger nach objektiven, wissenschaftlich fundierten, sondern überwiegend nach politischen Kriterien entschieden werden könne. Dies treffe auch im Zusammenhang mit der Frage zu, ob der angestrebte Zweck auf eine technisch und wirtschaftlich vertretbare andere Weise erreicht werden könne und dadurch die im § 2 Abs. 1 leg. cit. erwähnten Interessen im geringeren Umfang beeinträchtigt würden. Im Zuge des Planungsverfahrens sei eine Reihe von Varianten erarbeitet und sachverständig überprüft worden. Als Ergebnis dieser Prüfung seien zwei Varianten, nämlich eine ennsnahe Trasse und der Bestandsausbau "der Behörde zur Entscheidung empfohlen" worden. Dabei habe der Sachverständige dargelegt, daß eine objektive Entscheidung zwischen einer ennsnahen und bestandsnahen Trasse nicht möglich sei und auch durch die Anwendung eines formalen Verfahrens nicht herbeigeführt werden könne. Entweder werde der Entlastung der Wohnbevölkerung von verkehrsbedingter Umweltbeeinträchtigung oder der Schonung von Natur und Landschaft der Vorzug gegeben. Die untersuchten ennsnahen Trassen böten dabei eine relativ kurzfristige und auch wirtschaftliche Lösung der Probleme entlang der bestehenden B 146 vor allem in Wörschach und Liezen. Die untersuchten bestandsnahen Trassen entsprächen hingegen den Zielen eines ganzheitlichen Umweltschutzes, der in der Schonung der bereits knapp gewordenen naturnahen Räume eine langfristige Vorsorge zur Erhaltung der Lebensgrundlage des Menschen sehe. Der Landesnaturschutzbeirat habe sich mehrheitlich für die Verwirklichung der ennsnahen Trasse ausgesprochen, wobei bauliche und ökologische Detailmaßnahmen vorgeschlagen worden seien. Diese Entscheidung des Landesnaturschutzbeirates werde der behördlichen Entscheidung zugrunde gelegt.
Mit Bescheid vom 10. November 1989 sprach die belangte Behörde aus, daß die Rechtswirksamkeit des Bescheides vom 18. Februar 1988 gemäß § 21 Abs. 3 NSchG um zwei Jahre verlängert werde.
Mit Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 7. September 1990, BGBl. Nr. 599/1990, wurde der Straßenverlauf der B 146 Ennstalstraße im Bereich der Gemeinden Stainach, Aigen im Ennstal, Wörschach, Weißenbach bei Liezen, Lassing und Liezen bestimmt.
Am 25. August 1994 beantragte die Beschwerdeführerin die Verlängerung der Bauvollendungsfrist bis zum 31. Oktober 1996. Sie legte dar, es sei am 31. Oktober 1991 mit den Bauarbeiten begonnen und somit die Baubeginnsfrist gewahrt worden. An der rechtzeitigen Vollendung des Vorhabens sei die Beschwerdeführerin ohne ihr Verschulden verhindert. Die Hinderungsgründe lägen in näher dargestellten Gegebenheiten von Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts und der Wasserrechtsbehörde.
Mit dem angefochtenen Bescheid verlängerte die belangte Behörde die naturschutzrechtliche Bauvollendungsfrist bis zum 31. Oktober 1996 betreffend den Abschnitt km 53.770 - km 56.0 (Sallabergbrücke) der B 146 Ennstalstraße. Für den Abschnitt km 56.0 (Sallabergbrücke) - km 96.0 (Einbindung in die bestehende B 146 östlich von Liezen) wies sie den Fristverlängerungsantrag ab. Begründend wurde u.a. dargelegt, die Baubeginnsfrist sei durch am 31. Oktober 1991 beginnende Bauarbeiten gewahrt worden. Im folgenden werden in der Begründung des angefochtenen Bescheides umfangreich der Inhalt der Beratungen einer "naturschutzfachlichen Expertengruppe", die sich mit "Straßenalternativen A und B" befaßt habe, der Inhalt eines Beschlusses des Landesnaturschutzbeirates vom 20. Juli 1994, einer "naturwissenschaftlichen Studie", ein "Vorbringen des Planers der Alternativvarianten", eines im November 1994 überreichten naturschutzfachlichen Gutachtens des Landesnaturschutzbeauftragten und einer Empfehlung des Landesnaturschutzbeirates wiedergegeben. Sodann wird die Auffassung vertreten, für den Abschnitt km 53.770 bis km 56.0 sei die Bauvollendungsfrist antragsgemäß zu verlängern gewesen, weil für diesen Bereich die naturschutzrechtliche Bewilligung beinahe zur Gänze konsumiert worden sei. Im übrigen sei dem Antrag gemäß § 21 Abs. 3 NSchG nicht Folge zu geben. Die Beschwerdeführerin habe glaubhaft gemacht, daß sie an der rechtzeitigen Vollendung des Bauvorhabens ohne ihr Verschulden verhindert gewesen sei. Die weitere Voraussetzung einer Fristverlängerung, daß in der Zwischenzeit die Erteilung einer Bewilligung nicht unzulässig geworden sei, liege jedoch nicht vor. Anläßlich der Entscheidung über eine Verlängerung einer bislang nicht genutzten Bewilligung sei die Behörde dazu berufen, die Voraussetzungen der Erteilung einer Bewilligung vollinhaltlich zu prüfen, so, wie wenn die Bewilligung in diesem Zeitpunkt erstmalig zu erteilen wäre. Zum einen seien daher alle Sachverhaltselemente vom heutigen Wissens- und Informationsstand zu berücksichtigen, und zugleich sei die heutige Rechtslage für die Beurteilung des Projektes heranzuziehen, wie wenn es heute zu genehmigen wäre. Ebenso sei die Interessenabwägung gemäß § 6 Abs. 7 NSchG nach heutigen Kriterien vorzunehmen. Dabei ergebe sich auf der Grundlage der wiedergegebenen neuen Ermittlungsergebnisse, daß das Straßenbauvorhaben nach wie vor nachhaltige Auswirkungen auf den dortigen Landschaftscharakter erwarten lasse und somit einer der Versagungstatbestände des § 2 Abs. 1 NSchG erfüllt sei. Ebenso sei ein besonderes regionalwirtschaftliches Interesse für die Neuerrichtung einer Bundesstraße zwischen Stainach und Liezen nach wie vor zu bejahen; dazu werden Auszüge aus einem "technischen Bericht" zitiert. Die Naturschutzbehörde sei daher im Sinne des § 6 Abs. 7 NSchG zur Interessenabwägung verpflichtet. Bei dieser Interessenabwägung sei gemäß § 6 Abs. 7 zweiter Satz NSchG zu berücksichtigen, ob der angestrebte Zweck auf eine technisch und wirtschaftlich vertretbare andere Weise erreicht werden könne und dadurch die in § 2 Abs. 1 NSchG erwähnten Interessen im geringeren Umfang beeinträchtigt würden. Unter Hinweis auf das steirische Gesamtverkehrsprogramm und das regionale Entwicklungsprogramm für die Planungsregion Liezen sowie eine "Wirkungsanalyse" gelangte die Behörde zur Auffassung, daß eine nunmehr vorliegende "Straßenalternative A" in der Summe ihrer Wirkungen den öffentlichen Interessen, insgesamt somit dem Gemeinwohl, besser dienen könne, weil sie insgesamt für Mensch und Natur die langfristig gesehen zweckdienlichere Lösung darstelle als die verordnete ennsnahe Trasse. Eine neuerliche Baubewilligung für den strittigen Abschnitt der ennsnahen Trasse könnte somit nicht erteilt werden, wohl jedoch für die Straßenalternative A (bestandsnaher Ausbau). Dem Fristverlängerungsantrag könne daher nicht Folge gegeben werden. Weiters habe die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung "das naturschutzrelevante Gemeinschaftsrecht zu berücksichtigen". Es sei die Richtlinie 92/43 EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen als auch die Richtlinie 79/409 EWG des Rates vom 2. April 1979 "heranzuziehen". Nach auszugsweiser Wiedergabe des Richtlinientextes vertritt die belangte Behörde die Auffassung, im Ennstal zwischen Trautenfels und Liezen seien "mehrere prioritäre Lebensräume vorhanden". Lebensräume von gemeinschaftlichen Interessen nach der EU-Richtlinie seien in größerer Anzahl vorhanden und berührten Trassen im unterschiedlichen Ausmaß. Im besprochenen Ennstalabschnitt kämen acht Vogelarten nach dem Anhang 1 der EU-Vogelschutzrichtlinie als Brutvögel vor, darüber hinaus 24 Arten an Durchzüglern und Wintergästen. Deren Vorkommen werde von der ennsnahen Trasse an elf Stellen berührt. Die Variante B betreffe vier Stellen, die Variante A keine besonderen Vogelvorkommen. Zwingende Gründe im Sinne des Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie rechtfertigten den Neubau einer Bundesstraße zwischen Stainach und Liezen. Es stehe fest, daß eine Alternativlösung (Straßenalternative A) vorhanden sei, die in vertretbarer schonenderer Weise den angestrebten Zweck erreichen könne. Auch nach dem "geltenden und zu berücksichtigenden EU-Gemeinschaftsrecht" sei daher "das verordnete Projekt der ennsnahen Trasse abzuweisen".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 21 Abs. 2 NSchG erlischt eine Bewilligung nach § 4 Abs. 4, § 5 Abs. 6, § 6 Abs. 6 und 7, § 7 Abs. 4, § 12 Abs. 2, § 13 Abs. 5 und § 15 Abs. 3, wenn binnen zwei Jahren nach Eintritt ihrer Rechtskraft hievon kein Gebrauch gemacht oder das Vorhaben binnen drei Jahren nach Beginn der Ausführung nicht vollendet wurde, soweit nicht im Bewilligungsbescheid selbst Fristen für den Beginn oder die Beendigung des Vorhabens festgesetzt sind.
Das Gesetz begrenzt somit die Gültigkeitsdauer einer nach den zitierten Vorschriften erteilten naturschutzrechtlichen Bewilligung, wobei die Regelung zwischen "Baubeginnsfrist" und "Bauvollendungsfrist" unterscheidet.
Nach § 21 Abs. 3 leg. cit. ist die Rechtswirksamkeit einer Bewilligung auf Antrag um höchstens zwei Jahre zu verlängern, wenn ihr Inhaber glaubhaft macht, daß er an der rechtzeitigen Vollendung des Vorhabens oder am Gebrauch der Bewilligung ohne sein Verschulden verhindert war und wenn in der Zwischenzeit die Erteilung einer Bewilligung nicht unzulässig geworden ist.
Die zuletzt zitierte Vorschrift normiert unter den angeführten Voraussetzungen für den aus der Bewilligung Berechtigten einen Rechtsanspruch auf Fristverlängerung.
Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zugrunde, die Beschwerdeführerin habe glaubhaft gemacht, daß sie an der rechtzeitigen Vollendung des Vorhabens (mit dessen Ausführung im Sinne der Bewilligung begonnen worden sei) ohne ihr Verschulden verhindert war; dies ist auch im Beschwerdeverfahren ebensowenig strittig wie die weitere Voraussetzung der Antragstellung vor Fristablauf.
Der angefochtene Bescheid beruht weiters auf der Auffassung, die Anordnung des Gesetzes, wonach die Bauvollendungsfrist u.a. dann zu verlängern ist, "wenn in der Zwischenzeit die Erteilung einer Bewilligung nicht unzulässig geworden ist", sei dahin zu verstehen, daß eine vollständig neue Prüfung der Voraussetzungen einer naturschutzrechtlichen Bewilligung ohne Bedachtnahme auf den seinerzeit erlassenen Bescheid stattzufinden habe. Die Darlegungen der oben zusammenfassend wiedergegebenen Bescheidbegründung verdeutlichen diese Auffassung der belangten Behörde in der Richtung, daß sie bei der Entscheidung über den Fristverlängerungsantrag an die seinerzeit über das Vorhaben im Bewilligungsverfahren getroffene Entscheidung nicht gebunden wäre, noch diese sonst zu beachten hätte; vielmehr hätte sie - auf Grund eines neuerlichen, sämtliche Entscheidungsgrundlagen der Bewilligung des Vorhabens umfassenden Ermittlungsverfahrens - eine Entscheidung zu treffen, "wie wenn die Bewilligung erstmalig zu erteilen wäre".
Die vom Wortlaut des Gesetzes und der systematischen Einordnung der Vorschrift ausgehende Auslegung erlaubt es nicht, diese Auffassung zu teilen. Das Gesetz trägt der zur Entscheidung über den Fristverlängerungsantrag berufenen Behörde auf, zu prüfen, ob "in der Zwischenzeit" - und damit kann nichts anderes als die seit der Erlassung des Bewilligungsbescheides vergangene Zeit gemeint sein - "die Erteilung einer Bewilligung unzulässig geworden ist".
Schon diesem Gesetzeswortlaut ist klar zu entnehmen, daß das Gesetz die Wahrnehmung solcher Versagungsgründe fordert, die nach der Erlassung des Bewilligungsbescheides entstanden
sind (arg.: "in der Zwischenzeit ... unzulässig geworden").
Folgte man der Auffassung der belangten Behörde, wäre es dem Projektwerber - wie dies der Verwaltungsgerichtshof in dem zu einer vergleichbaren baurechtlichen Regelung ergangenen Erkenntnis vom 13. Dezember 1971, Slg. 8134/A, ausgedrückt hat - (im Ergebnis) anheimgestellt, an Stelle einer abgelaufenen Bewilligung eine neue Bewilligung zu erwirken. Dies kann dem Gesetz aber nicht entnommen werden.
§ 21 Abs. 3 NSchG bezweckt vielmehr offenbar den Schutz der durch die seinerzeitige Bewilligung erworbenen Rechtsposition unter dem Gesichtspunkt, daß es unbillig wäre, wenn der Planungs- und Bauaufwand, den der Berechtigte zu tragen hatte, zunichte würde, obwohl er die Verzögerung der Bauvollendung nicht verschuldet hat. Ein solches Verständnis der Vorschrift ist auch unter Sachlichkeitsgesichtspunkten geboten. Im öffentlichen Interesse beschränkt das Gesetz diesen Schutz auf jene Fälle, in denen nicht in der Zwischenzeit solche Änderungen der Sach- oder Rechtslage eingetreten sind, die im Rahmen einer Rechtsentscheidung Gründe für die Versagung einer solchen Bewilligung darstellen. Es ist jedoch kein Anhaltspunkt dafür zu sehen, daß die Fristverlängerung bei unveränderter Sach- und Rechtslage mit der Begründung verweigert werden dürfte, es seien schon seinerzeit die Voraussetzungen einer Bewilligung nicht vorgelegen.
Das strittige Tatbestandsmerkmal des § 21 Abs. 3 NSchG ist somit dahin auszulegen, daß die Verlängerung der Bauvollendungsfrist (nur) dann zu verweigern ist, wenn nach der Erlassung des Bewilligungsbescheides Änderungen der Rechtslage durch Inkrafttreten von Vorschriften erfolgten, auf deren Grundlage im Rahmen einer Rechtsentscheidung - auch bei unverändertem Sachverhalt - die Bewilligung für das Vorhaben versagt werden müßte. Dem ist der Fall einer solchen Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes - im Sinne der tatsächlichen Gegebenheiten - gleichzuhalten, daß von der veränderten Sachverhaltsgrundlage ausgehend die Bewilligung nicht erteilt werden dürfte. Hingegen entspräche es nicht dem Gesetz, die Verlängerung der Baubeginns- oder Bauvollendungsfrist etwa deshalb zu versagen, weil der Behörde bei im wesentlichen unveränderten tatsächlichen Gegebenheiten nach Erlassung des Bewilligungsbescheides Ermittlungsergebnisse zukamen, die - wären sie bekannt gewesen - sie zur Versagung der Bewilligung hätten veranlassen können. Denn die in § 21 Abs. 3 NSchG normierte Einrichtung der Fristverlängerung dient nicht dem Zweck, bei unverändertem Sachverhalt und gleicher Rechtslage die Entscheidungsgrundlagen der seinerzeitigen Bewilligung neuerlich zu überprüfen oder sonst eine Abänderung der Entscheidung herbeizuführen, ohne daß die in den Verfahrensvorschriften normierten Voraussetzungen einer Durchbrechung der Rechtskraft vorlägen.
Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides hängt somit davon ab, ob nach der Erlassung des seinerzeitigen Bewilligungsbescheides solche Änderungen der maßgeblichen Rechtslage oder der wesentlichen tatsächlichen Gegebenheiten entstanden sind, daß bei neuerlicher Entscheidung die Bewilligung nicht erteilt werden dürfte.
Die belangte Behörde beruft sich zur Stützung ihrer Auffassung, die Erteilung einer Bewilligung sei "in der Zwischenzeit unzulässig geworden", im erwähnten Zusammenhang - zusammengefaßt - zunächst auf folgendes: Es sei nach wie vor davon auszugehen, daß das Straßenbauvorhaben nachhaltige Auswirkungen auf den Landschaftscharakter habe. Somit sei einer der Versagungstatbestände des § 2 Abs. 1 NSchG erfüllt. Ebenso stehe fest, daß die Neuerrichtung der B 146 zwischen Stainach und Liezen im besonderen regionalwirtschaftlichen Interesse liege. Es sei daher eine Interessenabwägung im Sinne des § 6 Abs. 7 NSchG vorzunehmen. Bei der Interessenabwägung sei eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes zu beachten: Diese bestehe in der Ausarbeitung von "Straßenalternativen". Auf Grund der vorliegenden neuen naturwissenschaftlichen und planerischen Erkenntnisse ergebe sich, daß eine der in der Zwischenzeit ausgearbeiteten Straßenalternativen (Planfall A) dem Gemeinwohl insgesamt besser dienen könne, als die verordnete Trasse, auf die sich die seinerzeit erteilte Bewilligung beziehe. Es könne somit eine "neuerliche Baubewilligung" für die Straßenvariante A erteilt werden, weil diese die in § 2 Abs. 1 leg. cit. normierten Interessen in wesentlich geringerem Umfang beeinträchtige als das seinerzeit bewilligte Projekt. Zugleich sei zwar davon auszugehen, daß die Straßenalternative A dem Planfall E zwar in der Leistungsfähigkeit nicht gleichwertig sei; im Sinne des § 6 Abs. 7 zweiter Satz NSchG genüge es jedoch, wenn der angestrebte Zweck auf eine vertretbare andere Weise erreicht werden könne. Dies sei die Straßenalternative A betreffend der Fall. Ein neuer Antrag auf Bewilligung des gegenständlichen Vorhabens (Planfall E) wäre daher nicht "bewilligungsfähig". Damit sei die Erteilung einer Bewilligung im Sinne des § 21 Abs. 3 NSchG in der Zwischenzeit unzulässig geworden.
Diese Auffassung entspricht nicht dem Gesetz. Es wurde bereits oben dargelegt, daß nur dann davon gesprochen werden kann, die Erteilung einer Bewilligung wäre im Sinne des § 21 Abs. 3 NSchG "in der Zwischenzeit unzulässig geworden", wenn seit der Erlassung des Bewilligungsbescheides Änderungen der Sach- und Rechtslage erfolgt wären, die bei neuerlicher Beurteilung der Erteilung einer Bewilligung als Versagungsgründe entgegenstünden. Daß die erwähnten Umstände keine Änderung der maßgeblichen Rechtslage bedeuten, bedarf keiner weiteren Begründung. Es handelt sich aber auch nicht um eine Änderung des relevanten Sachverhaltes. Zum relevanten Sachverhalt im dargelegten Sinn gehören jene Tatsachen, die Gegenstand des gesetzlichen Tatbestandes sind. Der Umfang des relevanten Sachverhaltes bestimmt sich im vorliegenden Zusammenhang daher nach § 6 Abs. 7 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 NSchG. Es handelt sich dabei um jene Sachverhalte, die in ihrer Gesamtheit das ökologische Gleichgewicht der Natur, die Landschaft in ihrer Eigenart und in ihrer Erholungswirkung (vgl. § 2 Abs. 1 NSchG) einerseits und die besonderen volkswirtschaftlichen oder besonderen regionalwirtschaftlichen Interessen (vgl. § 6 Abs. 7 leg. cit.) andererseits ausmachen. Eine relevante Änderung der im dargelegten Sinn maßgeblichen tatsächlichen Gegebenheiten, die nach der seinerzeitigen Erteilung der Bewilligung eingetreten wäre, wurde im angefochtenen Bescheid nicht festgestellt. Bei den von der belangten Behörde zur Begründung ihrer Auffassung herangezogenen Umständen handelt es sich um zusätzliche planerische Überlegungen, wobei nicht zu erkennen ist, daß diese auf seit der Erlassung des Bewilligungsbescheides geänderten tatsächlichen Gegebenheiten aufbauten. Auch sonst wurden keine Feststellungen getroffen, aus denen sich ableiten ließe, im maßgeblichen Sachverhalt seien seit der Erlassung des Bewilligungsbescheides solche Änderungen eingetreten, daß wegen dieser neuen Tatsachen eine Bewilligung zu versagen wäre. Die Verlängerung der Bauvollendungsfrist durfte somit nicht unter Berufung darauf versagt werden, daß die Straßenvariante A die in § 2 Abs. 1 NSchG aufgezählten Interessen weniger beeinträchtige als die bewilligte Trassenführung und der angestrebte Zweck damit auf eine vertretbare andere Weise erreicht werde. Es erübrigt sich daher eine Auseinandersetzung mit jenen Beschwerdeausführungen, die sich gegen die Auffassung der belangten Behörde wenden, durch den Bau der Straßenalternative A werde der angestrebte Zweck auf eine vertretbare andere Weise erreicht.
Die belangte Behörde beruft sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides aber auch auf Änderungen der Rechtslage, durch die im Sinne des § 21 Abs. 3 NSchG die Erteilung der Bewilligung in der Zwischenzeit unzulässig geworden sei.
Österreich habe infolge seines Beitrittes zur Europäischen Union mit dem 1. Jänner 1995 den Rechtsbestand der Gemeinschaft übernommen. Es seien daher die Richtlinie des Rates 92/43 vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen und die Richtlinie 79/409 vom 2. April 1979 "heranzuziehen". Nach dem "nunmehr zu berücksichtigenden Gemeinschaftsrecht" (zitiert wird insbesondere Art. 6 Abs. 2 bis 4 der RL 92/43) sei "das verordnete Projekt der ennsnahen Trasse abzuweisen", weil im Trassenbereich schützenswerte (auch prioritäre) Lebensräume vorhanden seien, die gemäß Art. 6 Abs. 2 der RL erhalten werden müßten.
Auch damit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt. Eine nähere Auseinandersetzung mit Inhalt und Wirkungen der von ihr zitierten gemeinschaftsrechtlichen Normen hat die belangte Behörde unterlassen; es sind daher folgende allgemeine Hinweise geboten:
Bei den von der belangten Behörde zitierten gemeinschaftsrechtlichen Normen handelt es sich um in den Jahren 1979 und 1992 ergangene Richtlinien des Rates im Sinne des Art. 189 Abs. 3 EG-Vertrag (EGV).
Nach Art. 2 der dem Beitrittsvertrag, BGBl. Nr. 45/1995, beigefügten Akte über die Bedingungen des Beitrittes (u.a.) der Republik Österreich (BA) sind ab dem Beitritt die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe für die neuen Mitgliedstaaten verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte. Nach Art. 166 BA gelten Richtlinien vom Zeitpunkt des Beitrittes an als an die neuen Mitgliedstaaten gerichtet, sofern diese Richtlinien an alle derzeitigen Mitgliedstaaten gerichtet wurden. Ferner bestimmt Art. 168 BA, daß die neuen Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen in Kraft setzen, um den Richtlinien und Entscheidungen im Sinne des Art. 189 des EG-Vertrages vom Beitritt an nachzukommen.
Regelungen des Beitrittsvertrages bzw. der Beitrittsakte in Richtung von Übergangsvorschriften, die die zitierten Richtlinien erfassen, bestehen nicht. Es ist daher davon auszugehen, daß diese jenem Rechtsbestand der Gemeinschaft angehören, auf die die neuen Mitgliedstaaten vom Beitrittstag an Bedacht zu nehmen haben (vgl. Erläuterungen zum Vertrag über den Beitritt zur Europäischen Union und zur Schlußakte, 11 der Blg NR XIX. GP 409).
Richtlinien im Sinne von Art. 189 Abs. 3 (EGV) bedürfen der Umsetzung in nationales Recht durch innerstaatliche Rechtsakte.
Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zur Frage der Bedeutung von gemäß Art. 189 Abs. 3 EGV ergangenen Richtlinien für Entscheidungen von Gerichten und Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten folgende wesentliche Grundsätze entwickelt:
Die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie die Pflicht der Mitgliedstaaten gemäß Art. 5 EGV, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, obliege allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten. Daraus folge, daß das nationale Gericht (und auch die Verwaltungsbehörde; vgl. hiezu das Urteil des EuGH vom 22. Juni 1989, Slg. 1861) bei der Anwendung des nationalen Rechts, insbesondere auch eines speziell zur Durchführung einer Richtlinie erlassenen Gesetzes, dieses nationale Recht im Lichte des Wortlautes und des Zweckes der Richtlinie auszulegen habe, um das in Art. 189 Abs. 3 EGV genannte Ziel zu erreichen (vgl. z.B. das Urteil des EuGH vom 10. April 1984, Slg. 1891; Ress, Die richtlinienkonforme "Interpretation" innerstaatlichen Rechts, DÖV 1994, 489; Jarass, Richtlinienkonforme bzw. EG-rechtskonforme Auslegung nationalen Rechts, EuR 1991, 211 ff). Die Pflicht zur richtlinienkonformen Interpretation bestehe auch dann, wenn die - noch zu erörternden - Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung der Richtlinie nicht vorlägen (vgl. EuGHE 1984, 1891, EuGHE 1988, 4636; Jarass, Voraussetzungen der innerstaatlichen Wirkung des EG-Rechts, NJW 1990, 2420).
Im bereits erwähnten Urteil vom 10. April 1984 hat der EuGH ferner dargelegt, die richtlinienkonforme Interpretation komme nur insoweit in Betracht, als das nationale Recht dem Rechtsanwender einen Spielraum einräume. Die richtlinienkonforme Auslegung werde durch die nationalen Auslegungsregeln begrenzt. Die Entscheidung darüber, was die nationalen Auslegungsregeln zulassen, liege allein in der Kompetenz der nationalen Gerichte bzw. Rechtsanwender (vgl. auch EuGHE 1987, 3969).
Daraus folgt, daß einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung im Wege der richtlinienkonformen Interpretation kein entgegengesetzter Sinn verliehen werden darf. Die richtlinienkonforme Interpretation darf den normativen Gehalt der nationalen Regelung nicht grundlegend neu bestimmen; mit Hilfe der richtlinienkonformen Interpretation können daher im nationalen Recht keine neuen Institute geschaffen werden (vgl. Jarass, Auslegung aaO, 218).
Unter bestimmten Voraussetzungen nimmt der EuGH die "unmittelbare Wirkung" von Richtlinien im Sinne des Art. 189 Abs. 3 EGV an. Ein Mitgliedsstaat, der die in einer Richtlinie vorgeschriebenen Durchführungsmaßnahmen nicht fristgerecht erlassen habe, könne dem einzelnen nicht entgegenhalten, daß er die aus dieser Richtlinie erwachsenen Verpflichtungen nicht erfüllt habe (vgl. z.B. EuGHE 1982, 53).
Nach ständiger Rechtsprechung könnten sich die einzelnen daher in all den Fällen, in denen Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgerecht oder nur unzulänglich in innerstaatliches Recht umgesetzt hat (vgl. z.B. EuGHE 1987, 4689; weiters die Judikaturhinweise bei Jarass, Voraussetzungen, aaO, 2422 FN 43; Fischer, Zur unmittelbaren Anwendbarkeit von EG-Richtlinien in der öffentlichen Verwaltung, NVwZ 1992, 635; Winter, Direktwirkung von EG-Richtlinien, DVBl. 1991, 657).
Im Urteil vom 22. Juni 1989, Slg. 1861, hat der EuGH dargelegt, daß alle Träger der Verwaltung verpflichtet seien, die Bestimmungen einer Richtlinie anzuwenden, wenn die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes einzuhaltenden Voraussetzungen dafür erfüllt sind, daß die einzelnen sich vor den nationalen Gerichten auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen können. Aus dieser Auffassung wird im Schrifttum (vgl. z.B. Fischer, aaO, 638; Winter, aaO, 664; Jarass, Voraussetzungen aaO, 2422; Freytag/Iven, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für den nationalen Habitatsschutz, NuR 1995, 109) abgeleitet, die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen käme - insbesondere im Zusammenhang mit Vorhaben der öffentlichen Hand - auch dann in Betracht, wenn die Regelung die Träger der öffentlichen Gewalt verpflichte, ohne Rechte und Pflichten einzelner zu begründen.
Die Richtlinie 92/43 EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 206 vom 22. Juli 1992 (Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, FFH-RL) wurde den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft am 5. Juni 1992 bekanntgegeben. Art. 23 Abs. 1 FFH-RL bestimmt, daß die in der Richtlinie enthaltenen Regelungen innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntgabe der Richtlinie von den Mitgliedstaaten in das jeweilige innerstaatliche Recht umzusetzen sind. Diese Umsetzungsfrist ist für die Mitgliedstaaten am 5. Juni 1994 abgelaufen. Mangels einer Übergangsregelung ist davon auszugehen, daß die Umsetzungsverpflichtung für die Republik Österreich mit dem Tag des Beitrittes zu den EG entstand (vgl. Erläuterungen, 11 der Blg NR XIX. GP 415 Abschnitt VIII lit. E).
Die belangte Behörde gründet ihren Bescheid u.a. auf Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL. Sie wendet diese Vorschrift im Ergebnis unmittelbar an. Der Anwendungsbereich der zitierten Regelung ist jedoch auf solche Gebiete beschränkt, die im Sinne des Art. 4 Abs. 1 FFH-RL von den Mitgliedstaaten (von hier nicht vorliegenden Ausnahmsfällen des Art. 5 abgesehen) in der der Kommission vorgelegten Liste ausgewiesen und von der Kommission im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten nach Stellungnahme des Habitatausschusses in die "Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung" aufgenommen wurden. Nur Gebiete, auf die sich die soeben dargelegten Vorgänge bezogen haben, stehen unter dem Schutz des Art. 6 der RL; alle anderen (bestehenden oder noch einzurichtenden) Schutzgebiete unterliegen nur den innerstaatlichen Regelungen (vgl. Freytag/Iven, aaO, 111).
Das in Art. 4 FFH-RL geregelte Verfahren hat in Ansehung des hier fraglichen Gebietes nicht stattgefunden; es handelt sich daher nicht um ein "besonderes Schutzgebiet" im Sinne der FFH-RL. Selbst wenn man die Auffassung vertreten wollte, die Verwaltungsbehörde hätte die Anordnung des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL auch ohne förmliche Ausweisung und Aufnahme des Gebietes in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung unmittelbar anzuwenden, wenn sie die tatsächlichen Voraussetzungen für die formelle Einrichtung eines "besonderen Schutzgebietes" im Sinne der Richtlinie als gegeben ansieht, wäre für den vorliegenden Fall folgendes zu beachten: Nach Art. 4 Abs. 1 erster und fünfter Satz FFH-RL sind die von den Mitgliedstaaten auszuweisenden Gebiete der Kommission binnen drei Jahren nach der Bekanntgabe dieser Richtlinie bekanntzugeben. Diese Frist endete für die Mitgliedstaaten somit nicht vor dem 5. Juni 1995. An dem für die Prüfung des Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof maßgeblichen Tag der Erlassung des angefochtenen Bescheides (5. Mai 1995) konnte somit schon mangels Ablaufes der Frist zur Bekanntgabe von Gebieten im Sinne des Art. 4 Abs. 1 der zitierten Richtlinie kein Umsetzungsdefizit in Ansehung der Ausweisung von Schutzgebieten vorliegen. Ein Verstoß gegen die Umsetzungsverpflichtung als Voraussetzung der unmittelbaren Wirkung der Richtlinie liegt somit schon unter diesem Gesichtspunkt nicht vor. Auf die Problematik, die sich aus Art. 7 FFH-RL in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und 2 der Richtlinie des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (79/409/EWG, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 103 vom 25. April 1979 - Vogelschutz-RL) ergibt, wird unten einzugehen sein.
Mangels unmittelbarer Wirkung konnte der FFH-RL somit lediglich Bedeutung im Wege der richtlinienkonformen Interpretation der anzuwendenden innerstaatlichen Vorschriften zukommen. Oben wurde bereits dargelegt, daß einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung im Wege der richtlinienkonformen Interpretation kein entgegengesetzter Sinn verliehen werden darf. Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, daß auch die richtlinienkonforme Interpretation nicht zum Ergebnis führen kann, es sei die Erteilung der Bewilligung "in der Zwischenzeit unzulässig geworden"; denn auch mit Hilfe der richtlinienkonformen Interpretation kann keiner Vorschrift des innerstaatlichen Rechts die Bedeutung eines Versagungsgrundes beigelegt werden.
Art. 7 FFH-RL lautet:
"Was die nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/409/EWG zu besonderen Schutzgebieten erklärten oder nach Art. 4 Abs. 2 derselben Richtlinie als solche anerkannten Gebiete anbelangt, so treten die Verpflichtungen nach Art. 6 Abs. 2, 3 und 4 der vorliegenden Richtlinie ab dem Datum für die Anwendung der vorliegenden Richtlinie bzw. danach ab dem Datum, zu dem das betreffende Gebiet von einem Mitgliedstaat entsprechend der Richtlinie 79/409/EWG zum besonderen Schutzgebiet erklärt oder als solches anerkannt wird, an die Stelle der Pflichten, die sich aus Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 79/409/EWG ergeben."
Art. 4 Vogelschutz-RL lautet:
"(1) Auf die in Anhang I aufgeführten Arten sind besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer Lebensräume anzuwenden, um ihr Überleben und ihre Vermehrung in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen.
In diesem Zusammenhang ist folgendes zu berücksichtigen:
a)
vom Aussterben bedrohte Arten,
b)
gegen bestimmte Veränderungen ihrer Lebensräume empfindliche Arten,
c)
Arten, die wegen ihres geringen Bestandes oder ihrer beschränkten örtlichen Verbreitung als selten gelten,
d)
andere Arten, die auf Grund des spezifischen Charakters ihres Lebensraumes einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen.
Bei der Bewertung werden Tendenzen und Schwankungen der Bestände der Vogelarten berücksichtigt.
Die Mitgliedstaaten erklären insbesondere die für die Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten, wobei die Erfordernisse des Schutzes dieser Arten in dem geographischen Meeres- und Landgebiet, in dem diese Richtlinie Anwendung findet, zu berücksichtigen sind.
(2) Die Mitgliedstaaten treffen unter Berücksichtigung der Schutzerfordernisse in dem geographischen Meeres- und Landgebiet, in dem diese Richtlinie Anwendung findet, entsprechende Maßnahmen für die nicht in Anhang I aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten hinsichtlich ihrer Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie der Rastplätze in ihren Wanderungsgebieten. Zu diesem Zweck messen die Mitgliedstaaten dem Schutz der Feuchtgebiete und ganz besonders der international bedeutsamen Feuchtgebiete besondere Bedeutung bei.
(3) Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission alle sachdienlichen Informationen, sodaß diese geeignete Initiativen im Hinblick auf die erforderliche Koordinierung ergreifen kann, damit die in Abs. 1 und die in Abs. 2 genannten Gebiete ein zusammenhängendes Netz darstellen, das den Erfordernissen des Schutzes der Arten in dem geographischen Meeres- und Landgebiet, in dem diese Richtlinie Anwendung findet, Rechnung trägt.
(4) Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die Zielsetzungen dieses Artikels erheblich auswirken, in den in Abs. 1 und 2 genannten Schutzgebieten zu vermeiden. Die Mitgliedstaaten bemühen sich ferner, auch außerhalb dieser Schutzgebiete die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume zu vermeiden."
Zur Regelung des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der Vogelschutz-RL hat der EuGH in seinem in einem Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 169 EGV ergangenen Urteil vom 2. August 1993, NuR 1994, 521, die Auffassung vertreten, der Mitgliedstaat habe die Verpflichtungen, die ihm nach Art. 4 Abs. 1 und 2 der RL obliegen, nicht erfüllt, weil er die Deklarierung des fraglichen Gebietes als besonderes Schutzgebiet unterlassen und keine geeigneten Maßnahmen zur Verhinderung der Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume dieses Gebietes getroffen habe (vgl. weiters EuGHE 1991, 93). Das fragliche Gebiet erfülle die - im Tatsächlichen näher ausgeführten - Voraussetzungen für eine Ausweisung als besonderes Schutzgebiet.
Daraus wurde im Schrifttum (vgl. Freytag/Iven, aaO, 117) abgeleitet, die dem Schutz von Vogelschutzgebieten dienenden Richtlinien seien gegenüber Vorhaben der öffentlichen Hand unmittelbar anzuwenden.
Dem soeben zitierten Urteil des EuGH ist eine Aussage, daß es einer Verwaltungsbehörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit zukommen könne, Schutzvorschriften, deren Anwendbarkeit unter räumlichen Gesichtspunkten die Ausweisung als Schutzgebiet in einem besonderen Verfahren unter Befassung von innerstaatlichen Organen und Gemeinschaftsorganen voraussetzt, auch dann unmittelbar anzuwenden, wenn eine solche formelle Ausweisung nicht erfolgte, nicht zu entnehmen. Diese Frage bedarf im Beschwerdefall keiner Klärung. Die belangte Behörde hatte im vorliegenden Zusammenhang die Frage zu prüfen, ob seit der seinerzeitigen Erteilung der Bewilligung solche Regelungen in Kraft traten, die Versagungsgründe im Sinne absolut wirkender Verbote darstellen. Selbst auf der Grundlage der Auffassung, Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL wäre in Verbindung mit Art. 7 FFH-RL, Art. 4 Vogelschutz-RL von der Verwaltungsbehörde für das fragliche Gebiet unmittelbar anzuwenden, läge ein solcher Versagungsgrund nicht vor. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL gestattet eine Zustimmung des Mitgliedstaates zu bestimmten Vorhaben auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Regelungen, die die Bewilligung von Vorhaben in Schutzgebieten ausnahmslos untersagen, enthält die FFH-RL nicht. Ebensowenig enthält die FFH-RL Regelungen, die die Voraussetzungen der Verlängerung einer Bauvollendungsfrist in Fällen betreffen, in denen einem Vorhaben vor Erlassung der Richtlinie bzw. dem Entstehen der Umsetzungsverpflichtung zugestimmt worden war. Das Gemeinschaftsrecht enthält somit keine Vorschrift, die einen bei der Entscheidung über die Fristverlängerung zu beachtenden Versagungsgrund darstellte.
Der angefochtene Bescheid ist somit inhaltlich rechtswidrig, weil die von der belangten Behörde dargelegten Umstände nicht bewirkten, daß "die Erteilung der Bewilligung in der Zwischenzeit unzulässig geworden" wäre. Der Bescheid ist gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
Gerichtsentscheidung
EuGH 688J0103 Fratelli Costanzo Spa VORAB;Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltAnzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Auslegung Allgemein authentische Interpretation VwRallg3/1Gemeinschaftsrecht Richtlinie Umsetzungspflicht EURallg4/2Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden VwRallg3/2Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3Auslegung Diverses VwRallg3/5Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2Gemeinschaftsrecht Richtlinie unmittelbare Anwendung EURallg4/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995100108.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
30.01.2017