Entscheidungsdatum
27.03.2023Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §38Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Dr. Stöbich über die Beschwerde des Herrn AA, **** Z, vertreten durch Herrn Rechtsanwalt BB, **** Y, gegen den führerscheinrechtlichen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 11.11.2022, Zl ***, betreffend die Entziehung der Lenkberechtigung und eine Antrages auf Ausfolgung des Führerscheines nach Durchführung einer Verhandlung
zu Recht:
I.
1. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte 1. und 2. des angefochtenen Bescheides (Entziehung der Lenkberechtigung und Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer dagegen erhobenen Beschwerde) wird als unbegründet abgewiesen.
2. Es gelangen die Bestimmungen des Führerscheingesetzes BGBl I Nr 120/1997 in der Fassung BGBl I Nr 154/2022 zur Anwendung.
II.
Der Beschwerde wird hinsichtlich des Spruchpunktes 3. (Einstellung des Verfahrens wegen Verletzung der Entscheidungspflicht) Folge gegeben und der angefochtene Bescheid insoweit behoben.
III.
Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
Mit einem Mandatsbescheid vom 08.10.2021, Zl ***, wurde dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung, gerechnet ab 27.10.2021, für die Dauer von zehn Monaten entzogen. Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer das Recht aberkannt, von einer allfällig im Ausland erworbenen Lenkberechtigung für die Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit in Österreich Gebrauch zu machen. Weiters wurden die Absolvierung einer Nachschulung (vor Ablauf der Entzugsdauer) angeordnet.
In der Begründung wurde darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer am 27.10.2021 ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe. Bei einer danach erfolgten Untersuchung sei ein Alkoholgehalt von 0,63 mg/l Alkoholgehalt der Atemluft festgestellt worden. Es sei daher die Verkehrszuverlässigkeit nicht mehr gegeben. Bei einem derartigen Delikt betrage die Mindestentziehungsdauer gemäß § 26 Abs 2 Z 4 FSG vier Monate. Der Beschwerdeführer hätte bereits einmal im Jahre 2020 ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt. Aus § 24 Abs 3 FSG ergebe sich, dass im Falle der Begehung eines Delikts iSd § 99 Abs 1a StVO zwingend eine Nachschulung anzuordnen sei.
Gegen diesen Entziehungsbescheid wurde innerhalb offener Frist (per Email am 23.11.2021) Vorstellung erhoben. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer das Fahrzeug nicht gelenkt hätte. Es wurden auch Einwendungen in Bezug auf das Vorliegen einer Alkoholisierung erhoben und verfahrensrechtliche Bedenken geäußert.
Die Bezirkshauptmannschaft Y leitete innerhalb von zwei Wochen, nämlich durch eine entsprechende Verfügung vom 30.11.2021 bzw durch ein Ersuchen an die Polizeiinspektion X um Stellungnahme vom 02.12.2021 das Ermittlungsverfahren ein.
Nach Durchführung von Ermittlungen im parallel geführten Verwaltungsstrafverfahren sowie im gegenständlichen führerscheinrechtlichen Verfahren erließ die belangte Behörde einerseits ein Straferkenntnis vom 11.11.2022, Zl ***, sowie andererseits den Bescheid vom 25.02.2022, Zl ***, mit dem die Vorstellung gegen den Mandatsbescheid vom 08.11.2021 abgewiesen wurde.
Mit Erkenntnis vom 14.03.2022 hat das Landesverwaltungsgericht der Beschwerde gegen das Straferkenntnis Folge und hat dieses ersatzlos behoben. In der Begründung wurde ausgeführt, dass sowohl in der Ladung zur Rechtfertigung als auch im Straferkenntnis weder die Zeitangabe noch die Tatortangabe so konkret vorgeworfen worden sei, dass eine Bestrafung des Beschwerdeführers zulässig wäre. Es liege ein Verstoß gegen das Konkretisierungsgebot des § 44a VStG vor und sei eine Bestrafung nicht zulässig, zumal der Beschwerdeführer durch diesen nicht ausreichend konkretisierten Tatvorwurf der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt sei. Es wurde darauf hingewiesen, dass die belangte Behörde die Tat dem Beschwerdeführer entsprechend der Anzeige der PI X vom 29.10.2021 konkret vorzuwerfen habe
Mit Beschluss vom 15.04.2022, Zl ***, gab das Landesverwaltungsgericht der gegen den führerscheinrechtlichen Bescheid erhobenen Beschwerde Folge, behob den angefochtenen Bescheid und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurück. In der Begründung führte das Landesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass die belangte Behörde keinerlei Ermittlungstätigkeit in Bezug darauf durchgeführt habe, ob der Beschwerdeführer das Kraftfahrzeug zum Tatzeitpunkt tatsächlich gelenkt habe. Es wurde auch auf die im parallel geführten Verwaltungsstrafverfahren ergangene Entscheidung hingewiesen
Der Beschwerdeführer stellte mit Schreiben vom 06.05.2022 einen Antrag auf sofortige Ausfolgung des Führerscheins. Da keine diesbezügliche Entscheidung erging, nahm der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 02.06.2022 auf diesen Antrag auf Ausfolgung des Führerscheins neuerlich Bezug. Der Antrag auf sofortige Ausfolgung des Führerscheins wurde mit Schreiben vom 24.08.2022 und mit Schriftsatz vom 14.10.2022 weitere Male gestellt. Schließlich wurde mit Schriftsatz vom 07.11.2022 in Bezug auf den Antrag auf sofortige Ausfolgung des Führerscheins eine Säumnisbeschwerde gemäß § 8 Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz (VwGVG) erhoben.
Mit dem nunmehr angefochtenen führerscheinrechtlichen Bescheid vom 11.11.2022 wies die belangte Behörde die Vorstellung gegen den Mandatsbescheid vom 08.11.2021 als unbegründet ab. Gleichzeitig wurde die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde wegen Gefahr in Verzug ausgeschlossen. Darüber hinaus wurde unter Spruchpunkt 3. ausgesprochen, dass das über die Säumnisbeschwerde vom 07.11.2022 eingeleitete Verfahren wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß § 16 Abs 1 zweiter Satz VwGVG eingestellt werde.
In der Begründung wurde ausführlich dargelegt, dass das Beweisverfahren ergeben hätte, dass der Beschwerdeführer das Fahrzeug zuvor in Betrieb genommen habe. Aufgrund des Vorentzuges im Jahr 2020 sei die Entziehungsdauer mit zehn Monaten festgelegt worden.
In Bezug auf die Entscheidung betreffend die Säumnisbeschwerde wurde ausgeführt, dass mit dem gegenständlichen Bescheid die begehrte Entscheidung ergangen sei und daher im Einklang mit § 16 Abs 2 VwGVG vor dem Hintergrund der dazu ergangenen höchstgerichtlichen Judikatur das Verfahren über die Säumnisbeschwerde vom 07.11.2022 einzustellen gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist mit einem Schriftsatz vom 13.12.2022 Beschwerde erhoben. In der Begründung wurden im Wesentlichen die bisher vorgebrachten Einwendungen wiederholt.
Der gegenständliche Akt wurde von der Bezirkshauptmannschaft Y mit Schreiben vom 15.12.2022 mit dem Ersuchen um Entscheidung an das Landesverwaltungsgericht Tirol übermittelt. Aufgrund dieser Beschwerde wurde am 13.03.2023 eine Verhandlung durchgeführt. An dieser nahm der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers teil.
Mit dem im parallel geführten Verwaltungsstrafverfahren ergangenen Erkenntnis vom 21.03.2023, Zl ***, gab das Landesverwaltungsgericht der Beschwerde gegen das Straferkenntnis vom 11.11.2022 Folge, behob dieses und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 3 Verwaltungsstrafgesetz ein. In der Begründung wurde letztlich darauf verwiesen, dass das Verwaltungsgericht im ersten Rechtsgang zur Vornahme einer Sachentscheidung (im Sinne einer Einstellung des Strafverfahrens oder eines Schuldspruches), mithin auch zur Konkretisierung bzw zur Korrektur des Spruches verpflichtet gewesen wäre und eine neuerliche Bestrafung den Grundsatz "ne bis in idem" verletzt habe.
II. Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer lenkte am 27.10.2021 um ca 17.00 Uhr den auf ihn zugelassenen PKW mit dem amtlichen Kennzeichen *** in der Gemeinde W auf der B *** talwärts in Richtung X. Er befand sich dabei in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (Alkoholgehalt der Atemluft von 0,63 mg/l). Weil er gesundheitliche Probleme hatte, lenkte er seinen PKW bei Strkm *** auf einen vor dem Ortsteil V befindlichen, ohne Beschränkung benutzbaren Parkplatz.
Um ca. 17:15 Uhr wurde der Lenker eines an dieser Stelle vorbeifahrenden Rettungsfahrzeuges auf den Beschwerdeführer aufmerksam, zumal dieser hinter dem Fahrzeug rückwärts torkelnd in einen Abfallkorb fiel. Er steuerte daher das Rettungsfahrzeug hin zum Parkplatz und kümmerte sich um den Beschwerdeführer. Der Lenker des Rettungsfahrzeuges vermutete eine Alkoholbeeinträchtigung und dass der Beschwerdeführer das Fahrzeug in diesem Zustand zum Abstellort gelenkt habe. Aufgrund der vorliegenden Umstände verständigte er um ca. 17:25 die Landesleitzentrale Tirol, welche wiederum die Streife „X 1“ und zum Vorfallort beorderte.
Ca. 10-15 Minuten später traf die Polizeistreife dort ein. Im Zuge der Amtshandlung durch die Polizei wurde beim Beschwerdeführer auch ein Alkomattest durchgeführt, wobei sich ein Wert von 0,63 mg/l Alkoholgehalt der Atemluft ergab. Sowohl seitens des Fahrers des Rettungsfahrzeuges als auch auf Seiten des amtshandelnden Polizisten (CC) ergab sich der massive Verdacht, dass der Beschwerdeführer das Fahrzeug selbst zum Vorfallsort hingelenkt hat. Die vom Beschwerdeführer geäußerten Angaben, eine andere Person (ein „Kollege“, dessen Name er nicht kenne, der nicht mehr da sei), hätte das Fahrzeug dorthin gelenkt, wurde als unglaubwürdig angesehen.
Der Beschwerdeführer wurde wegen einer am 04.01.2020 begangenen Übertretung gemäß
§ 99 Abs 1b StVO bestraft (Geldstrafe Euro 900,--) und wurde ihm deswegen die Lenkberechtigung auf die Dauer von einem Monat entzogen. Es wurde auch die Absolvierung einer Nachschulung angeordnet.
III. Beweiswürdigung:
Beweis wurde aufgenommen durch Einvernahme der Zeugen CC und DD, weiters durch Einsichtnahme in die Akten der Bezirkshauptmannschaft Y.
Seitens der Rechtsvertretung wurde während der Anhängigkeit des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahrens zweimal (vom 23.01.2023 und am 07.03.2023) Akteneinsicht in die Akten der Bezirkshauptmannschaft Y bzw. des Landesverwaltungsgerichtes genommen.
Beide einvernommenen Zeugen bestätigten, dass sich der Beschwerdeführer allein im Nahebereich des Pkws auf dem Parkplatz (der B *** bei Strkm **) befunden und sich dabei in einem offensichtlich gesundheitlich bzw durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe. Beide Zeugen sprachen von Kotspuren an der Kleidung des Beschwerdeführers sowie auch auf dem Fahrersitz des auf den Beschwerdeführer zugelassenen Kraftfahrzeuges.
Sowohl der Polizist CC als auch der Rettungsfahrer DD gaben an, dass der Beschwerdeführer davon gesprochen habe, dass ein „Kollege“, dessen Name er jedoch nicht angab (Zeuge DD) nicht kenne (Zeuge CC), zuvor das Fahrzeug gelenkt habe, dieser jedoch nicht mehr anwesend sei. CC gab als Zeuge glaubwürdig an, dass der Beschwerdeführer während der Amtshandlung ihm gegenüber kurzzeitig auch eingeräumt habe, das Fahrzeug selbst zum Abstellort gelenkt zu haben und auf Vorhalt des Zeugen die vorangegangene Behauptung als Schutzbehauptung bezeichnete.
Hätte tatsächlich eine andere Person als der Beschwerdeführer das Fahrzeug dorthin gelenkt, wäre es naheliegend gewesen, diese Person umgehend gegenüber dem Fahrer des Rettungsfahrzeuges oder den amtshandelnden Polizisten bzw später im Rahmen des ca. eineinhalb Jahre dauernden Verwaltungsverfahrens gegenüber der Behörde bzw. gegenüber dem Verwaltungsgericht namentlich zu benennen. Der Beschwerdeführer wurde von der Behörde mit einem Schreiben vom 29.09.2022 ausdrücklich diesbezüglich zu einer Mitwirkung aufgefordert. Er kam dieser Aufforderung jedoch nicht ansatzweise nach.
Dass der Beschwerdeführer das Fahrzeug vor Eintreffen des Rettungsfahrzeuges selbst gelenkt hat, ergibt sich nicht nur aus der mangelnden Mitwirkung an Ort und Stelle und im Verwaltungsverfahren, sondern auch aufgrund der Angaben der vom Verwaltungsgericht einvernommenen Zeugen bzw durch die Lichtbildbeilage der Anzeige kommentierten Umstands, dass sich Kotspuren sowohl auf der Kleidung des Beschwerdeführers als auch auf dem Fahrersitz des Pkws befunden haben.
Die Untersuchung der Atemluft auf Alkohol erfolgte, wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, mittels eines geeichten Messgerätes der Marke EE Alkomat ***, Gerät Nr. ***. Der Verwaltungsgerichtshof hat schon mehrfach ausgesprochen, dass das mit einem solchen (in der AlkomatV angeführten) Messgerät erzielte Ergebnis einer Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt einen Beweis über die Alkoholbeeinträchtigung liefert und dass der Gesetzgeber dabei grundsätzlich von der Tauglichkeit solcher Messgeräte ausgegangen ist (vgl Erk vom 26.02.2010, 2009/02/0315).
Es gibt keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bedienung des Alkomaten durch die amtshandelnden Beamten oder für eine Fehlfunktion am Gerät selbst. Dass die 15-minütige Wartezeit eingehalten wurde, ergibt sich aufgrund des in der Anzeige näher dargestellten chronologischen Ablaufes und wird in der Beschwerde auch nicht bestritten. Die Alkoholisierung ist das Ergebnis einer unbedenklichen Alkomatmessung mit einem geeichten Alkomaten. Die entsprechende Eichbestätigung (Datum der Eichung 10.06.2020) und der entsprechende Überprüfungsbericht des Alkomaten vom 17.06.2021 befinden sich im führerscheinrechtlichen Akt der belangten Behörde. Im Hinblick auf die Unbedenklichkeit der Alkomatmessung war die Einholung eines (medizinischen oder technischen) Sachverständigengutachtens nicht erforderlich.
Die Einvernahme der Zeugen FF, GG, JJ und KK war nicht erforderlich, zumal diese keine unmittelbaren Wahrnehmungen zum Tatgeschehen machen konnten bzw. ohnedies bereits klare Angaben zum Tatgeschehen der Zeugen DD und CC vorliegen.
Der Verfahrensgang ergibt sich aus den beiden Akten der Verwaltungsbehörde (führerscheinrechtlicher und verwaltungsstrafrechtlicher Akt). Daraus ergibt sich auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer bereits am 04.01.2020 eine einschlägige Übertretung begangen hat und ihm deshalb die Lenkberechtigung entzogen wurde.
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt konnte aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens geklärt werden. Es bedurfte daher nicht der Aufnahme weiterer Beweise, insbesondere auch nicht der Einholung einer ortspolizeilichen Verordnung.
IV. Rechtsgrundlagen:
Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960,
idF BGBI I Nr 6/2017 (§ 5) und BGBl I Nr 154/2021 (§ 99) lauten wie folgt:
„§ 5
Besondere Sicherungsmaßnahmen gegen Beeinträchtigung durch Alkohol.
(1) Wer sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet, darf ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen. Bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder darüber oder bei einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder darüber gilt der Zustand einer Person jedenfalls als von Alkohol beeinträchtigt.
[…]
§ 99
Strafbestimmungen
[…]
(1a) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 1200 Euro bis 4400 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von zehn Tagen bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt, obwohl der Alkoholgehalt seines Blutes 1,2 g/l (1,2 Promille) oder mehr, aber weniger als 1,6 g/l (1,6 Promille) oder der Alkoholgehalt seiner Atemluft 0,6 mg/l oder mehr, aber weniger als 0,8 mg/l beträgt.
[…]“
Die maßgeblichen Bestimmungen des Führerscheingesetzes (FSG) BGBl. Nr. 120/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 169/2020, lauten wie folgt:
§ 7
(1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen
1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder
2. sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.
(2) Handelt es sich bei den in Abs. 3 angeführten Tatbeständen um Verkehrsverstöße oder strafbare Handlungen, die im Ausland begangen wurden, so sind diese nach Maßgabe der inländischen Rechtsvorschriften zu beurteilen.
(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:
1. ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen und hiebei eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 bis 1b StVO 1960 begangen hat, auch wenn die Tat nach § 83 Sicherheitspolizeigesetz – SPG, BGBl. Nr. 566/1991, zu beurteilen ist;
…
(4) Für die Wertung der in Abs. 1 genannten und in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, wobei bei den in Abs. 3 Z 14 und 15 genannten bestimmten Tatsachen die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit nicht zu berücksichtigen ist.
§ 24
(3) Bei der Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung kann die Behörde begleitende Maßnahmen (Nachschulung und dgl.) oder die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung anordnen. Die Behörde hat unbeschadet der Bestimmungen des Abs. 3a eine Nachschulung anzuordnen:
[...]
3. wegen einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 oder 1a StVO 1960.
[...]
§ 26
[...]
(2) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges
[...]
4. erstmalig ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1a StVO 1960 begangen, so ist die Lenkberechtigung auf die Dauer von mindestens vier Monaten zu entziehen.
[...]
§ 28
(1) Der Führerschein ist nach Ablauf der Entziehungsdauer auf Antrag wieder auszufolgen, wenn
1. die Entziehungsdauer nicht länger als 18 Monate war und
2. keine weitere Entziehung der Lenkberechtigung angeordnet
wird.
V. Rechtliche Erwägungen:
V.1. Zur Entziehung der Lenkberechtigung:
Für die Verwirklichung eines Entziehungstatbestandes des § 26 Abs. 2 Z 4 FSG 1997 ist - anders als etwa in den in § 26 Abs 4 FSG 1997 genannten Fällen - eine Bestrafung nicht erforderlich. Liegt eine solche jedoch vor, sind die Führerscheinbehörden daran gebunden (vgl. VwGH 31.8.2015, Ro 2015/11/0012 [Slg. Nr. 19.178A]; 2.11.2021, Ra 2021/11/0146; jeweils mwN). Liegt hingegen im Zeitpunkt der Entscheidung der mit der Entziehung der Lenkberechtigung befassten Behörde (noch) keine sie bindende, rechtskräftige, über die Begehung der als Grundlage der Entziehung angenommenen, eine bestimmte Tatsache darstellenden Übertretung absprechende Strafentscheidung vor, hat sie die Frage, ob das in Rede stehende Delikt begangen wurde, als Vorfrage nach § 38 AVG selbständig zu prüfen und rechtlich zu beurteilen. Nichts anderes gilt für das im Beschwerdeweg angerufene und deshalb zur Sachentscheidung berufene Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 26.7.2018, Ra 2018/11/0085, mwN). Dabei besteht auch keine Bindung an eine Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens aus formalen Gründen (vgl VwGH 26.08.2022, Ra 2021/11/0182, uHa VwGH 18.11.1997, 97/11/0173, zu einer Einstellung wegen Verfolgungsverjährung; 23.04.2002, 2000/11/0025, zu einer Einstellung wegen Strafbarkeitsverjährung; 27.09.2007, 2006/11/0027, zu einer Einstellung wegen Außerkrafttretens des Straferkenntnisses gemäß § 51 Abs 7 VStG; vgl. auch VwGH 26.04.2013, 2013/11/0015).
Beim Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung handelt es sich nicht um ein (Verwaltungs-)Strafverfahren handelt, sondern um ein Administrativverfahren. Die in § 44a Z 1 VStG umschriebenen Erfordernisse an die Umschreibung des Schuldvorwurfes gelangen im Administrativverfahren nicht zur Anwendung (vgl VwGH 23.04.2002, 2002/11/0069; 20.06.2006, 2003/11/0184). Dazu kommt, dass im Administrativverfahren anders als im Verwaltungsstrafverfahren nach Maßgabe des § 28 Abs 3 VwGVG grundsätzlich eine Zurückverweisungsmöglichkeit besteht. Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies, dass die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz „ne bis in idem“ einer Entziehung der Lenkberechtigung wegen der Setzung einer bestimmten Tatsache gemäß § 7 Abs 3 Z 1 FSG (Begehung einer Übertretung gemäß § 99 Abs 1a StVO) nicht entgegensteht.
Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts hat der Beschwerdeführer eine entziehungsrelevante Übertretung gemäß § 99 Abs 1a iVm § 5 Abs 1 StVO begangen. Dies bedeutet, dass dem Beschwerdeführer daher die Lenkberechtigung zu entziehen war.
Die Mindestentziehungsdauer für eine Übertretung gemäß § 99 Abs 1a StVO beträgt bei erstmaliger Begehung gemäß § 26 Abs 2 Z 4 FSG vier Monate. Die Behörde hat die Entziehungsdauer mit zehn Monaten festgesetzt. Im gegenständlichen Fall hat der Beschwerdeführer einen Pkw in einem durch Alkohol und gesundheitlich beeinträchtigten Zustand gelenkt, woraus sich ein hohes Gefährdungspotential ergab. Die Kontaktaufnahme mit dem Beschwerdeführer erfolgte deshalb, weil auf Grund seines Torkelns und Hineinfallen in einen neben seinem Kraftfahrzeug befindlichen Mülleimer eine gesundheitliche Beeinträchtigung gemutmaßt wurde. Dies führte letztlich auch zu einem Einschreiten der Polizei. Den Rettungskräften als auch der Polizei gegenüber verschleierte der Beschwerdeführer, dass er das Kraftfahrzeug selbst gelenkt habe, indem er von einem Kollegen als Lenker sprach. Dies ist als verwerflich zu bezeichnen.
Der Beschwerdeführer musste im Jahr 2020 die Rechtfolgen wegen der Begehung eines Alkodeliktes iSd § 5 Abs 1 StVO hinnehmen. Dennoch wurde er bereits im Jahr 2021 wieder rückfällig. § 26 Abs 2 FSG beinhaltet verschärfte Rechtsfolgen (höhere Mindestentziehungsdauern) für Wiederholungstäter. Auf Grund dieser Umstände des Beschwerdeführers vermag das Verwaltungsgericht die festgesetzte Entziehungsdauer von zehn Monaten, obwohl es sich um eine Übertretung gemäß § 99 Abs 1a StVO und nicht, wie von der belangten Behörde angenommen, um eine solche nach § 99 Abs 1 lit a StVO handelt, nicht als rechtswidrig zu erkennen.
Der Beginn der Entziehung war gemäß § 29 Abs 4 FSG mit dem Tag der vorläufigen Abnahme (dem Tattag) festzulegen. Die Verpflichtung zur Absolvierung einer Nachschulung ist bei einer Übertretung gemäß § 99 Abs 1a StVO nach § 24 Abs 3 FSG zwingend.
§ 24 Abs 3 vierter Satz FSG normiert, dass in dem Fall, dass eine der Anordnungen des § 24 Abs 3 FSG innerhalb der festgesetzten Frist nicht befolgt oder die zur Erstellung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde nicht beigebracht oder die Mitarbeit bei Absolvierung der begleitenden Maßnahme unterlassen werden, die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung endet.
V.2. Zur Einstellung des Verfahrens wegen Verletzung der Entscheidungspflicht:
Diesbezüglich verkannte die belangte Behörde, dass sich die Säumnisbeschwerde nicht auf den neuerlich zu erlassenden Bescheid über die Vorstellung gegen den Mandatsbescheid, sondern vielmehr auf den (gesondert davon) gestellten Antrag auf Ausfolgung des Führerscheins bezog. Über diesen Antrag hat die belangte Behörde nach wie vor nicht entschieden, sodass von einer Erlassung der begehrten Entscheidung nicht gesprochen werden kann. Auch wenn der Antrag auf Ausfolgung eines Führerscheins während einer aufrechten Entziehung der Lenkberechtigung nach Maßgabe des § 28 Abs 1 FSG ohne Erfolg bleiben wird, ist über einen solchen Antrag formell zu entscheiden und erst dann ein Verfahren betreffend die Erhebung einer Säumnisbeschwerde einzustellen.
Sache des gegenständlichen Verfahrens ist die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 11.11.2022. Insofern ist die belangte Behörde hinsichtlich des Antrags auf Ausfolgung eines Führerscheins nach wie vor säumig. Grundsätzlich obliegt es der belangten Behörde, die von der Säumnisbeschwerde betroffene Sache umgehend dem Verwaltungsgericht vorzulegen oder binnen drei Monaten die ausständige Verwaltungshandlung nachzuholen. Holt die Behörde den Bescheid nach, ist das Säumnisbeschwerdeverfahren einzustellen und kann der erlassene Bescheid mit Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht bekämpft werden.
Eine (förmliche) Vorlage der Säumnisbeschwerde betreffend den Antrag auf Ausfolgung des Führerscheins ist, da die belangte Behörde im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Vorstellung betreffend die Entziehung der Lenkberechtigung (irrtümlicherweise) von der Erlassung des mittels Säumnisbeschwerde urgierten Bescheides ausgegangen ist, bislang noch nicht erfolgt. Insofern trifft das Landesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit dem Antrag auf Ausfolgung des Führerscheines derzeit (noch) keine Zuständigkeit.
VI. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Es war daher wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Dr. Stöbich
(Richter)
Schlagworte
AlkoholdeliktEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2023:LVwG.2022.20.3237.6Zuletzt aktualisiert am
07.04.2023