TE Vwgh Erkenntnis 2023/3/3 Ra 2021/22/0037

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.03.2023
beobachten
merken

Index

Auswertung in Arbeit!

Norm

Auswertung in Arbeit!

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie Hofrat Dr. Mayr und Hofrätin Dr. Holzinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des M S, vertreten durch Mag. Volkan Kaya, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Senefeldergasse 11/1E, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 19. Oktober 2020, VGW-151/094/9854/2020-10, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist indischer Staatsangehöriger und seit 25. Dezember 2017 mit einer indischen Staatsangehörigen, die in Österreich über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ verfügt, verheiratet. Die Ehefrau des Revisionswerbers lebt mit ihren beiden Kindern in Österreich. Der Revisionswerber verfügte in Österreich noch nie über einen Aufenthaltstitel.

2        Am 18. September 2019 stellte der Revisionswerber bei der Österreichischen Botschaft Neu Delhi einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

3        Dieser Antrag wurde von der belangten Behörde mit Bescheid vom 4. Juni 2020 insbesondere gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG abgewiesen, da sein Aufenthalt zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte.

4        Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis ab. Außerdem erklärte es die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.

Begründend verwies das Verwaltungsgericht im Wesentlichen darauf, dass bei der Beurteilung nach § 11 Abs. 5 NAG auf das vorhandene Haushaltsnettoeinkommen und die in § 293 Abs. 1 ASVG enthaltenen Richtsätze abzustellen sei. Vorliegend müsse demgemäß ein Haushaltsnettoeinkommen von monatlich € 1.823,29 erreicht werden. Die Ehefrau des Revisionswerbers erziele - aus zwei Beschäftigungsverhältnissen - monatliche Einkünfte in Höhe von € 2.313,57; unter Berücksichtigung des Kinderabsetzbetrages ergebe sich ein Betrag in Höhe von € 2.430,37 pro Monat.

Dem stünden - nach Abzug des Wertes der freien Station - monatliche Ausgaben in Höhe von € 630,43 gegenüber. Es ergebe sich somit ein „verfügbarer Lebensunterhalt“ von € 1.799,94, weshalb der gemäß § 11 Abs. 5 NAG „erforderliche Lebensunterhalt“ unterschritten werde und die Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG nicht erfüllt sei. Auch die Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG falle - aus näher angeführten Gründen - zu Lasten des Revisionswerbers aus.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung insbesondere geltend gemacht wird, dass im Rahmen der monatlichen Belastungen der Ehefrau des Revisionswerbers zu Unrecht auch Einzahlungen auf das Bausparkonto in Höhe von € 100,- monatlich berücksichtigt worden seien und dass bei der Berechnung der Höhe des monatlichen Nettoeinkommens der Ehefrau des Revisionswerbers auf Sonderzahlungen nicht Bedacht genommen worden sei.

6        Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        Die Revision erweist sich schon im Hinblick auf das oben wiedergegebene Zulässigkeitsvorbringen als zulässig und berechtigt.

9        Das Verwaltungsgericht stützte die Abweisung der Beschwerde des Revisionswerbers allein auf das Fehlen der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG.

10       § 11 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, lautet auszugsweise:

„§ 11. ...

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

...

4.   der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

...

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.“

11       Vorliegend hat das Verwaltungsgericht Wien in dem angefochtenen Erkenntnis festgestellt, dass die Ehefrau des Revisionswerbers aus einer ihrer beiden Tätigkeiten als Angestellte einen monatlichen Verdienst in Höhe von € 896,14 erzielt. Dieses monatliche Nettoeinkommen wurde durch die Ehefrau des Revisionswerbers im Verfahren durch Vorlage von Lohnzetteln nachgewiesen. Ungeachtet dessen, dass in der Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde weiters ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass die Ehefrau des Revisionswerbers aus diesem Arbeitsverhältnis Sonderzahlungen erhalte, hat das Verwaltungsgericht sich mit diesem Vorbringen nicht auseinandergesetzt, sondern ist vielmehr ohne jegliche Begründung vom monatlichen Normalbezug ausgegangen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wären aber bei der Berechnung des vorhandenen Einkommens iSd § 11 Abs. 5 NAG auch Sonderzahlungen anteilig zu berücksichtigen (vgl. VwGH 21.6.2011, 2008/22/0356).

12       Schon damit erweist sich das vorliegende Erkenntnis als rechtswidrig, weil nicht nachvollzogen werden kann, aus welchem Grund das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass im Hinblick auf das in Rede stehende Arbeitsverhältnis der Ehefrau des Revisionswerbers keine Sonderzahlungen zu berücksichtigen sind. Im Hinblick darauf, dass nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts der maßgebliche Richtsatz des § 293 Abs. 1 ASVG um bloß € 23,35 monatlich nicht erreicht werde (was im Übrigen, wie der Revisionswerber zutreffend vorbringt, im Besonderen eine individuelle Prüfung erforderlich gemacht hätte, ob der Lebensunterhalt trotz Unterschreitens der gesetzlichen Richtsätze gesichert sei; vgl. etwa VwGH 15.12.2021, Ra 2021/20/0105, Rn. 109), erweist sich die nicht nachvollziehbare Nichtberücksichtigung der von der Ehefrau des Revisionswerbers behaupteterweise erhaltenen Sonderzahlungen als jedenfalls entscheidungsrelevant.

13       Weiters ging das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass die Höhe eines von der Ehefrau des Revisionswerbers aus ihrer Tätigkeit als Kellnerin, Küchenhilfe und Reinigungskraft etwaig bezogenen Trinkgeldes nicht festgestellt werden könne. Demgegenüber war in der Beschwerde an das Verwaltungsgericht vorgebracht worden, dass die Ehefrau des Revisionswerbers ein monatliches Trinkgeld in der Höhe von € 200,- erhalte. Zwar hat der Arbeitgeber der Ehefrau des Revisionswerbers ausgesagt, dass diese lediglich dann ein Trinkgeld erhalte, wenn sie als Kellnerin tätig sei, dies sei aber an zwei Tagen pro Woche der Fall. Selbst wenn das Verwaltungsgericht an der behaupteten Höhe des von der Ehefrau des Revisionswerbers monatlich lukrierten Trinkgeldes Zweifel gehabt hat, ist darauf hinzuweisen, dass nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts der maßgebliche Richtsatz des § 293 Abs. 1 ASVG vorliegend monatlich bloß um € 23,35 unterschritten wird. Aus welchem Grund das Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Ehefrau des Revisionswerbers, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts jedenfalls auch als Kellnerin tätig ist, monatlich nicht einmal ein Trinkgeld in dieser Höhe erhalte, bleibt aufgrund des angefochtenen Erkenntnisses offen.

14       Zu dem anderen Arbeitsverhältnis der Ehefrau des Revisionswerbers ist nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund das Verwaltungsgericht das durchschnittliche monatliche Einkommen mit € 1.417,43 ansetzt. Nach dem Beschwerdevorbringen verdient die Ehefrau des Revisionswerbers aus diesem weiteren Arbeitsverhältnis monatlich netto € 1.246,86 zuzüglich Sonderzahlungen. Aus welchem Grund das Verwaltungsgericht davon ausgehend € 1.417,43 als durchschnittliches monatliches Einkommen annimmt, lässt sich seinem Erkenntnis nicht entnehmen.

15       Verfehlt ist jedenfalls die Ansicht, monatliche Zahlungen auf Grund eines Bausparvertrages seien als Belastungen zu berücksichtigen, und zwar schon deshalb, weil ein Bausparvertrag auch vorzeitig gekündigt werden kann. Auch insofern ist die Revision daher im Recht.

16       Im Übrigen ist noch darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur über die gewöhnliche Lebensführung hinausgehende regelmäßige finanzielle Belastungen (wie z.B. im Fall einer besonders hohen Miete) zu einer Schmälerung der regelmäßig zur Verfügung stehenden festen Einkünften führen sollen. Dies trifft etwa auf die Gebühren, die für den Betrieb von Rundfunkempfangseinrichtungen im Sinn des Rundfunkgebührengesetzes anfallen, nicht zu. Derartige finanzielle Belastungen bewegen sich weder ihrer Art noch ihrer Höhe nach außerhalb des Rahmens der bei einer Durchschnittsbetrachtung zu erwartenden Lebensführungskosten. Sie treten nicht zu jenen Kosten hinzu, die im Regelfall für die Lebensführung des Fremden ohnehin zu erwarten sind und sind auch nicht einer kurzfristigen Disposition entzogen, sodass einerseits eine Reduktion dieser Ausgaben jederzeit möglich wäre und andererseits nicht notwendigerweise davon auszugehen ist, dass die betreffenden Kosten während der Gültigkeitsdauer des in Rede stehenden Aufenthaltstitels quasi zwingend, ohne dass darauf unverzüglich Einfluss genommen werden könnte, anfallen würden (vgl. dazu ausführlich VwGH 9.9.2021, Ra 2021/22/0029, Rn. 20 ff). Demgemäß hätte das Verwaltungsgericht die Rundfunkgebühren nicht als Abzugsposten heranziehen dürfen.

17       Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

18       Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 bis 6 VwGG unterbleiben.

19       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 3. März 2023

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021220037.L00

Im RIS seit

07.04.2023

Zuletzt aktualisiert am

07.04.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten