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67/01 VersorgungsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Aufhebung von Wortfolgen einer Bestimmung des SozialhilfegrundsatzG betreffend das ausnahmslose Sachleistungsgebot für die Wohnkostenpauschale sowie für Zusatzleistungen bei Härtefällen; Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen des Wr MindestsicherungsG auf Grund der Überschreitung der Höhe der Leistungen für Haushaltsgemeinschaften (75% des maßgeblichen Ausgleichszulagenrichtsatzes) gegenüber der im SozialhilfegrundsatzG festgelegten Höchstgrenze von 70%; kein Spielraum für Landesgesetzgeber, die im Grundsatzgesetz festgelegten Höchstsätze zu überschreiten; keine Bedenken gegen Bestimmungen des Wr MindestsicherungsG und den Verordnungen hinsichtlich der – anders als die Wohnkostenpauschale berechneten – Gewährung von Mietbeihilfe in Form einer Geldleistung anstelle einer Sachleistung, solange die Höchstsätze nicht überschritten werdenRechtssatz
Aufhebung der Wortfolge "anstelle von Geldleistungen in Form von Sachleistungen" in §5 Abs5 zweiter Satz und der Wortfolge "ausschließlich in Form von Sachleistungen" in §5 Abs5 letzter Satz Sozialhilfe-GrundsatzG (SH-GG) sowie der Wortfolge "in Form zusätzlicher Sachleistungen" in §6 SH-GG, keine Aufhebung der übrigen Wortfolgen des §5 Abs5 SH-GG (alle idF BGBl I 41/20199).
Aufhebung des §8 Abs2 Z2 Wr MindestsicherungsG; Inkrafttreten der Aufhebung mit Ablauf des 31.12.2023. Keine Aufhebung des §7 Abs2 Z2 und des §9 Wr MindestsicherungsG (alle idF LGBl 2/2018).
Aufhebung des §1 Abs3 der Verordnung der Wiener Landesregierung zum Wiener MindestsicherungsG 2020 idF LGBl für Wien 67/2019, des §1 Abs3 der Verordnung der Wiener Landesregierung zum Wr MindestsicherungsG 2021 idF LGBl für Wien 8/2021, sowie des §1 Abs3 der Verordnung der Wiener Landesregierung zum Wr MindestsicherungsG für das Jahr 2022 idF LGBl für Wien 81/2021. Keine Aufhebung der §2 der jeweiligen Verordnungen.
Unsachlichkeit des ausnahmslosen Sachleistungsgebotes gemäß §5 Abs5 SH-GG und §6 SH-GG: Das SH-GG differenziert in einer sachlich nicht begründbaren Weise zwischen Richtsatzleistungen gemäß §5 Abs2 SH-GG und darüber hinausgehenden Leistungen gemäß §5 Abs5 SH-GG. Den höheren Leistungen gemäß §5 Abs5 SH-GG steht ein höherer Bedarf gegenüber, dessen Ausmaß von Umständen abhängt, die außerhalb des persönlichen Einflussbereichs der Hilfsbedürftigen liegen. Es ist nicht nachvollziehbar, wie aus der bloßen Höhe der Leistung der Schluss zu ziehen ist, dass der Bedarf nur durch Sachleistungen abgedeckt werden kann. Wie bei Richtsatzleistungen kann es auch bei darüber hinausgehenden Leistungen sachliche Gründe dafür geben, diese - vorrangig - durch Sachleistungen abzudecken. Der kategorische Ausschluss von Geldleistungen im Fall zusätzlicher Leistungen gemäß §5 Abs5 SH-GG entbehrt aber einer sachlichen Rechtfertigung. Auf Grund der Aufhebung der Wortfolgen in §5 Abs5 SH-GG gilt der allgemeine Sachleistungsvorrang nach Maßgabe der Kriterien des §3 Abs5 SH-GG.
Verstoß des Ausführungsgesetzes gegen das Grundsatzgesetz sowie Gesetzwidrigkeit der Verordnungsbestimmungen: Die Höhe der Leistungen für Personen, die mit anderen Personen in einer Ehe, eingetragenen Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft leben, beträgt gemäß §8 Abs2 Z2 iVm §7 Abs2 Z2 Wr MindestsicherungsG (WMG) 75 % des maßgeblichen Ausgleichszulagenrichtsatzes, obwohl §5 Abs2 Z2 lita SH-GG für Haushaltsgemeinschaften pro Person und Monat einen Höchstsatz von 70 % des maßgeblichen Ausgleichszulagenrichtsatzes festlegt. Das SH-GG erfasst als Grundsatzgesetz die Bedarfsbereiche des allgemeinen Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs. Für diese Bedarfsbereiche nahm der Bundesgesetzgeber somit seine Kompetenz gemäß Art12 Abs1 Z1 B-VG wahr, Grundsätze im Bereich des Armenwesens für die Landesgesetzgebung aufzustellen. §2 Abs4 SH-GG stellt hiezu klar, welche Bedarfsbereiche nicht dem SH-GG unterfallen (etwa der Sonderbedarf bei Alter, Schwangerschaft, Krankheit, Pflege oder Behinderung). Soweit der Wiener Landesgesetzgeber daher im Rahmen des Armenwesens gemäß Art12 Abs1 Z1 B-VG Leistungen zur Deckung des allgemeinen Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs gewährt, ist er bei der Ausgestaltung dieser Bedarfsbereiche in seinem Ausführungsgesetz an die von der Bundesgesetzgebung im SH-GG aufgestellten Grundsätze gebunden.
Anders als die bisherigen Mindestsicherungs- und Sozialhilfegesetze der Länder sieht das SH-GG ein System von Höchstsätzen, nicht aber ein System von Mindestsätzen für die erfassten Sozialhilfeleistungen vor. Für die Landesgesetzgeber besteht im Anwendungsbereich des SH-GG somit kein Spielraum, die in §5 Abs2 SH-GG festgelegten Höchstsätze für die Bedarfsbereiche des allgemeinen Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs ohne entsprechende Ermächtigung zu überschreiten. Auch die Härtefallklausel des §6 SH-GG bietet entgegen der Auffassung der Wiener Landesregierung keine Grundlage für eine abstrakt-allgemeine, vom Einzelfall losgelöste Erhöhung der in §5 Abs2 SH-GG festgelegten Höchstsätze.
Keine Bedenken gegen die Ausgestaltung der Mietbeihilfe gemäß §9 WMG iVm jeweils §2 WMG-VO 2020, WMG-VO 2021 und WMG-VO 2022:
Nach der mit diesem Erkenntnis erfolgenden Aufhebung des ausnahmslosen Sachleistungsgebotes in §5 Abs5 und §6 SH-GG idF BGBl I 41/2019 und der hienach bereinigten Rechtslage bestehen keine Bedenken mehr dagegen, dass die Mietbeihilfe grundsätzlich als Geldleistung gewährt wird. Wie der VfGH schon mehrfach ausgesprochen hat, ist bei der Auslegung eines Grundsatzgesetzes im Zweifelsfall diejenige Möglichkeit als zutreffend anzusehen, die der Ausführungsgesetzgebung den weiteren Spielraum lässt. Der weiterhin bestehende Sachleistungsvorrang nach Maßgabe der Kriterien des §3 Abs5 SH-GG belässt der Landesgesetzgebung einen Ausgestaltungsspielraum, um Sachleistungen nur für jene Fälle vorzusehen, in denen dies effizient, wirtschaftlich und zweckmäßig ist.
Auf Grund des Ausgestaltungsspielraumes der Ausführungsgesetzgebung ist es auch nicht verfassungswidrig, dass der Mietbeihilfe eine andere Berechnungsmethode zugrunde liegt als der Wohnkostenpauschale, solange im Ergebnis die Höchstsätze des SH-GG eingehalten werden. Die für die Berechnung der Mietbeihilfe maßgeblichen Bestimmungen des §9 WMG iVm jeweils §2 WMG-VO 2020, WMG-VO 2021 und WMG-VO 2022 lassen nicht erkennen, dass die Mietbeihilfe die im Falle der Wohnkostenpauschale erhöhten Höchstsätze des SH-GG überschreitet.
(Anlassfälle E3778/2021 ua und E 4447/2021 beide B v 15.03.2023, Ablehnung der Behandlung der Beschwerde).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Mindestsicherung, Kompetenz Bund - Länder Sozialhilfe, Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, Wohnbeihilfe, Berücksichtigungsprinzip, Rechtspolitik, Armenwesen, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / FristsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2023:G270.2022Zuletzt aktualisiert am
06.04.2023