TE Vfgh Beschluss 1993/9/27 G117/93, G118/93

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Veröffentlicht am 27.09.1993
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
RechtsanwaltstarifG §23 Abs7 idF BGBl 343/1989
Wertgrenzen-Nov 1989, BGBl 343

Leitsatz

Zurückweisung von Individualanträgen auf Aufhebung einer Bestimmung des RechtsanwaltstarifG idF der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989 bezüglich der Begrenzung des Tarifs für Mahnklagen mangels Legitimation infolge Beschreitung des Zivilrechtsweges

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Gestützt auf Art140 B-VG begehren die Antragsteller jeweils, §23 Abs7 des Rechtsanwaltstarifgesetzes (RATG) idF der Wertgrenzen-Novelle 1989, BGBl. Nr. 343/1989, als verfassungswidrig aufzuheben und ihnen gemäß §27 iVm §65a VerfGG den Ersatz der Kosten zuzusprechen.

1.2. Die angefochtene Bestimmung lautet:

"(7) In Rechtsstreitigkeiten, in denen die Zahlung eines 5.000 S nicht übersteigenden Geldbetrages begehrt wird und ein bedingter Zahlungsbefehl (§448 der Zivilprozeßordnung) zu erlassen ist, gebührt für die in der Tarifpost 2 genannten Klagen der Einheitssatz nach Abs3. Wird gegen den Zahlungsbefehl Einspruch erhoben und findet keine erste Tagsatzung statt, so ist stattdessen für die Klage der doppelte Einheitssatz zuzusprechen."

1.3. Die Antragsteller führen zu ihrer Antragslegitimation jeweils im wesentlichen aus, daß sie als Rechtsanwälte Normadressaten des RATG seien und dieses in zivilrechtlichen Angelegenheiten sowohl im Innenverhältnis zwischen der von ihnen jeweils vertretenen Partei und ihnen selbst als auch bei der Bestimmung der Kosten, deren Ersatz den Prozeßgegnern obliege, jeweils anzuwenden haben. Das RATG berühre sie daher unmittelbar in ihren subjektiven Rechten, in welchen sie durch den behaupteterweise verfassungswidrigen §23 Abs7 RATG ihrer Ansicht nach verletzt werden.

Der ihnen zumutbare Umweg sei ausgeschöpft worden. Obwohl sie ihrem eigenen Vorbringen zufolge in mehreren Verfahren vor dem Bezirksgericht für Handelssachen Wien den doppelten Einheitssatz verzeichnet haben, seien in den Zahlungsbefehlen die Kosten jeweils gesetzeskonform mit 60 % Einheitssatz bestimmt worden. Den dagegen fristgerecht erhobenen Kostenrekursen habe das Handelsgericht Wien mit Beschlüssen vom 3.6.1993, Z1 R 135/93, vom 4.6.1993, Z1 R 446/92 und vom 15.6.1993, Z1 R 187/83, keine Folge gegeben, da es §23 Abs7 RATG für verfassungskonform erachtet habe. Ein Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof sei vom Rechtsmittelgericht nicht gestellt worden. "Nach Wahrnehmung des zumutbaren Umweges und Ausschöpfung des Instanzenzuges" seien die Antragsteller, wie sie in ihren Anträgen gleichlautend ausführen, "nunmehr zur Erhebung einer Individualbeschwerde legitimiert."

1.4. Im übrigen legen die Antragsteller jeweils im Detail dar, weshalb sie §23 Abs7 RATG für gleichheitswidrig erachten.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit der Individualanträge erwogen:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und daß der durch Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 10481/1985, 11684/1988).

Wie der Verfassungsgerichtshof im Zusammenhang mit nach Art139 und 140 B-VG gestellten Individualanträgen wiederholt ausgeführt hat, ist dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren bereits anhängig ist, das dem von einem Gesetz oder von einer Verordnung Betroffenen Gelegenheit zur Anregung einer amtswegigen Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof bietet, nur bei Vorliegen - im gegenständlichen Verfahren gar nicht behaupteter - besonderer außergewöhnlicher Umstände der Partei das Recht zur Einbringung eines Verordnungs- oder Gesetzesprüfungsantrages eingeräumt; andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht im Einklang stünde (vgl. VfSlg. 8312/1978, 10857/1986, 11045/1986, 11823/1988).

Diese Überlegungen gelten auch für Fälle wie die vorliegenden, in welchen ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren anhängig war, wobei die Möglichkeit bestand, eine amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen (vgl. VfSlg. 8890/1980, 1280/1991 und VfGH 7.10.1992 G63/92).

2.2. Die Antragsteller haben den ihnen zur Verfügung stehenden zumutbaren Weg, der ihnen die Möglichkeit zur Anregung einer amtswegigen Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof bietet, wohl beschritten. Daß jedoch das zur Entscheidung in II. Instanz berufene Gericht nicht auf die Kritik der Antragsteller an der Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzesbestimmung eingegangen ist, ändert nichts daran, daß durch die Möglichkeit, bei diesem Gericht eine amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen, dem Rechtsschutzbedürfnis iS der vom Verfassungsgesetzgeber im Art140 Abs1 B-VG getroffenen Grundsatzentscheidung entsprochen ist. Dieser Grundsatzentscheidung zufolge ist nämlich nicht in jedem Fall die unmittelbare Anrufung des Verfassungsgerichtshofes zugelassen, sondern - wenn die Möglichkeit gegeben ist, einen Prüfungsantrag durch ein Gericht anzuregen - die Initiative zur generellen Normenkontrolle - vom Standpunkt des jeweils Betroffenen aus gesehen - mediatisiert (VfSlg. 8552/1979). Dabei kommt es nicht auf die materiellen Erfolgschancen des einem Antragsteller zur Verfügung stehenden Rechtsweges an (VfSlg. 10592/1985).

2.3. Die Inidvidualanträge waren darum allein schon aus diesem Grund mangels Legitimation als unzulässig zurückzuweisen.

3. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Rechtsanwälte, Rechtsanwaltstarif, Wertgrenzen (Rechtsanwaltstarif)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:G117.1993

Dokumentnummer

JFT_10069073_93G00117_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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