TE Vwgh Beschluss 2023/2/27 Ra 2022/12/0178

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Veröffentlicht am 27.02.2023
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §63 Abs1
MRK Art6
VStG §54b Abs3
VwGVG 2014 §44
VwGVG 2014 §44 Abs3
VwGVG 2014 §44 Abs3 Z4
VwRallg
  1. AVG § 63 heute
  2. AVG § 63 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  3. AVG § 63 gültig von 01.01.1999 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 158/1998
  4. AVG § 63 gültig von 01.07.1995 bis 31.12.1998 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 471/1995
  5. AVG § 63 gültig von 01.07.1995 bis 30.06.1995 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 686/1994
  6. AVG § 63 gültig von 01.02.1991 bis 30.06.1995

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie den Hofrat Mag. Cede und die Hofrätin Mag. I. Zehetner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Binder, über die Revision des M R in G, vertreten durch die Hochstöger Nowotny Wohlmacher Rechtsanwälte OG in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10, gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien vom 11. November 2022, VGW-002/085/9058/2022 und VGW-002/V/085/13687/2022, betreffend Zahlungsaufschub gemäß § 54b VStG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Zur Vorgeschichte wird zunächst auf den Beschluss VwGH 8.6.2021, Ra 2020/17/0096, verwiesen, mit dem die Revision gegen die Verhängung von Geldstrafen (im Nichteinbringungsfall: Ersatzfreiheitsstrafen) gegen den Revisionswerber wegen Übertretungen des Glücksspielgesetzes zurückgewiesen wurde.

2        Mit „Bescheid Teilzahlung“ vom 15. Juni 2022 führte die belangte Behörde aus, der Revisionswerber sei „gemäß dem Bescheid des Verwaltungsgericht[s] Wien“ vom 14. Oktober 2019 verpflichtet, insgesamt € 26.400,-- zu zahlen, und wies das „Ansuchen [des Revisionswerbers] vom 10.06.2022 um Aufschub“ ab. Weiters wurde ausgesprochen, dass, sollte der Revisionswerber den Strafbetrag nicht innerhalb von vier Wochen ab Zustellung dieses Bescheides bezahlt haben, er mit dem sofortigen Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe rechnen müsse. Als Rechtsgrundlagen wurden die §§ 54a, 54b VStG genannt. In der Rechtsmittelbelehrung wies die belangte Behörde auf das Recht, in der Beschwerde die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu beantragen, hin und führte weiters wörtlich aus: „Bitte beachten Sie, dass Sie, falls die Behörde von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, auf Ihr Recht auf Durchführung einer Verhandlung verzichten, wenn Sie in der Beschwerde keinen solchen Antrag stellen.“

3        Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) und stellte die Anträge, seinem „Ansuchen um Zahlungsaufschub von 12 Monaten stattzugeben“ und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

4        Mit der angefochtenen Entscheidung vom 11. November 2022 gab das Verwaltungsgericht dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss nicht statt, wies mit Erkenntnis die Beschwerde gemäß § 50 VwGVG als unbegründet ab und bestätigte das „angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe [...], dass die Wortfolge ‚Bescheid des Verwaltungsgericht Wien vom 14.10.2019 zur Zahl VGW-002/094/7158/2019- 9‘ durch die Wortfolge ‚Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 14.20.2019 zur Zahl VGW-002/094/7158/2019-19‘ ersetzt“ werde sowie die Rechtsgrundlage § 54b Abs. 3 VStG laute.

5        Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren relevant - zusammengefasst aus, dass gemäß § 44 Abs. 3 Z 4 VwGVG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, da es sich bei dem angefochtenen Bescheid um einen verfahrensrechtlichen Bescheid handle und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt habe. Der Revisionswerber sei in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Bescheides auf das Recht hingewiesen worden, in der Beschwerde eine mündliche Verhandlung zu beantragen. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sei er aufgefordert worden, eine vollständige Einkommens- und Vermögensübersicht (samt Verbindlichkeiten und Gesamtbetrag der noch offenen Exekutionen bzw. Geldstrafen) zu übermitteln sowie auszuführen, inwiefern er in der Lage sein werde, die Geldstrafen nach einem Zahlungsaufschub von zwölf Monaten zu bezahlen. Er habe daraufhin keine Stellungnahme abgegeben und sei damit seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Der Beschwerde komme bereits aufgrund des § 13 Abs. 1 VwGVG aufschiebende Wirkung zu.

6        Gegen diese Entscheidung richtet sich vorliegende außerordentliche Revision.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vor, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 18.9.2015, Ra 2015/12/0012), wonach ein Verzicht auf eine mündliche Verhandlung dann anzunehmen sei, wenn ein rechtskundig vertretener Beschwerdeführer keinen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung stelle und überdies in seinem Rechtsmittel keine Einvernahmen von Beweispersonen begehre, keine Anwendung finde, wenn kein ausdrücklicher diesbezüglicher Verzicht eines bei Beschwerdeerhebung unvertretenen Rechtsmittelwerbers vorliege. In der gegenständlichen Angelegenheit habe der Revisionswerber zwar keine mündliche Verhandlung beantragt, dieser sei jedoch nicht vertreten gewesen und habe auch keinen Verzicht auf eine mündliche Verhandlung erklärt. Der Revisionswerber habe vielmehr angeboten, dass er seine Zahlungsfähigkeit mit seiner Einvernahme beweisen könne und hätte diese in einer mündlichen Verhandlung dartun können.

11       Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht aufgezeigt:

12       Bei Anträgen auf Gewährung eines Aufschubes oder einer Teilzahlung gemäß § 54b Abs. 3 VStG handelt es sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes um eine Verwaltungsstrafsache. Aus diesem Grund ist für die Beurteilung, ob eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist, § 44 VwGVG maßgeblich (vgl. VwGH 7.1.2021, Ra 2020/17/0121, mwN).

13       Das Verwaltungsgericht hat gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG in Verwaltungsstrafsachen grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich zulässige Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. Ein Absehen von der Verhandlung ist nach dieser Bestimmung zu beurteilen und zu begründen (vgl. VwGH 8.8.2022, Ra 2022/09/0057, mwN).

14       Die Bestimmung des vom Verwaltungsgericht angewendeten § 44 Abs. 3 Z 4 VwGVG sieht vor, dass dieses von einer Verhandlung absehen kann, wenn sich die Beschwerde gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen.

15       § 44 VwGVG ist verfassungskonform dahingehend zu verstehen, dass er ein Absehen von der mündlichen Verhandlung erlaubt, wenn auch nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK von einem konkludenten Verzicht auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung auszugehen ist (vgl. VwGH 24.9.2019, Ra 2017/06/0091, mwN). Die Unterlassung eines Antrages auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung kann unter bestimmten Umständen als (schlüssiger) Verzicht auf eine solche gewertet werden (VwGH 21.3.2022, Ra 2019/11/0154, mwN). Vom Vorliegen eines schlüssigen Verzichts kann aber insbesondere dann nicht ausgegangen werden, wenn eine unvertretene Partei weder über die Möglichkeit einer Antragstellung belehrt wurde noch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen (vgl. VwGH 22.3.2021, Ra 2020/17/0132, mwN).

16       Die erste Voraussetzung des § 44 Abs. 3 Z 4 VwGVG für das Absehen von einer mündlichen Verhandlung durch das Verwaltungsgericht - eine Beschwerde gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid - war erfüllt, da es sich bei der Entscheidung über den Antrag auf Ratenzahlung nach § 54b VStG um einen verfahrensrechtlichen Bescheid handelt (vgl. VwGH 22.2.2013, 2011/02/0232, mwN).

17       Anders als in der Revision vorgebracht, lässt sich dem Verwaltungsakt nicht entnehmen, dass der Revisionswerber angeboten hat, seine Zahlungsfähigkeit mit seiner Einvernahme beweisen zu können.

18       Die Revision legt mit diesem Vorbringen daher nicht dar, inwieweit das Verwaltungsgericht bei dem unvertretenen Revisionswerber nicht von einem (schlüssigen) Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte ausgehen dürfen, nachdem er keinen dahingehenden Antrag stellte, obwohl er unbestrittenermaßen auf diese Möglichkeit in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Bescheides ausdrücklich hingewiesen worden war. Dass die zweite Voraussetzung des § 44 Abs. 3 Z 4 VwGVG für das Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht gegeben gewesen wäre, zeigt die Revision damit nicht auf.

19       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit im Weiteren vor, dass das Verwaltungsgericht gegen die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verstoßen habe, dergemäß der Revisionswerber einen Anspruch auf eine (inhaltlich und verfahrensmäßig) rechtsrichtige Entscheidung habe (unter Hinweis auf VwGH 6.4.2016, Fr 2015/03/0011), da im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses „das angefochtene Straferkenntnis“ der belangten Behörde bestätigt werde, obwohl es sich dabei um einen Bescheid gehandelt habe.

20       Inwiefern das Verwaltungsgericht damit von der in der Revision zitierten Rechtsprechung - die im Wesentlichen die Legitimation einer belangten Behörde zur Einbringung eines Fristsetzungsantrages betrifft - abgewichen wäre, ist nicht nachvollziehbar.

21       Darüber hinaus ist die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts auch vor einer Berichtigung bereits in der entsprechenden richtigen Fassung zu lesen, wenn es sich um offenbar auf Versehen beruhende Unrichtigkeiten, die nach § 62 Abs. 4 AVG jederzeit hätten berichtigt werden können, handelt (vgl. dazu etwa VwGH 14.4.2022, Ra 2022/14/0082 bis 0086; 21.12.2020, Ra 2020/12/0071; jeweils mwN). Dies liegt im konkreten Fall, in dem das Verwaltungsgericht im ersten Satz seines Spruches sowie in den Entscheidungsgründen durchgängig auf den „Bescheid“ der belangten Behörde Bezug nimmt, jedenfalls vor.

22       Zum ebenfalls angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichtes, mit dem dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde nicht stattgegeben wurde, enthält die Zulässigkeitsbegründung der Revision keine Ausführungen.

23       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 27. Februar 2023

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Instanzenzug Zuständigkeit Besondere Rechtsgebiete Verfahrensrechtliche Bescheide Zurückweisung Kostenbescheide Ordnungs- und Mutwillensstrafen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022120178.L00

Im RIS seit

03.04.2023

Zuletzt aktualisiert am

03.04.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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