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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
BAO §192Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Wien 1/23 in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 31. März 2022, Zl. RV/7104573/2020, betreffend Antrag auf Feststellung einer Unternehmensgruppe (mitbeteiligte Partei: B B Gesellschaft mbH in B [Deutschland], vertreten durch die ARTUS Steuerberatung GmbH & Co KG in 1010 Wien, Stubenring 24), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Eingabe vom 11. Dezember 2017 beantragte die BB GmbH (die mitbeteiligte Partei), eine in Deutschland ansässige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Feststellung einer Unternehmensgruppe gemäß § 9 Abs. 8 KStG 1988 ab dem Veranlagungsjahr 2017. Gruppenträger solle die mitbeteiligte Partei sein, Gruppenmitglieder die B GmbH und die BE GmbH, zwei in Österreich ansässige Gesellschaften mit beschränkter Haftung.
2 Mit - an die mitbeteiligte Partei, die B GmbH und die BE GmbH gerichtetem - Bescheid vom 26. Juni 2019 wies das Finanzamt den Antrag ab. In der Begründung führte das Finanzamt im Wesentlichen aus, die mitbeteiligte Partei sei eine in Deutschland ansässige Kapitalgesellschaft, die in Österreich weder beschränkt noch unbeschränkt steuerpflichtig sei. Sie habe weder eine im österreichischen Firmenbuch eingetragene Zweigniederlassung, noch eine Beteiligung an einer operativ tätigen, im Firmenbuch eingetragenen Personengesellschaft, die die Beteiligungen an den Gruppenmitgliedern im Betriebsvermögen halte.
3 Die mitbeteiligte Partei erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Sie machte geltend, die Ablehnung des Gruppenbildungsantrags verstoße gegen die Niederlassungsfreiheit. Gestützt auf diese unionsrechtliche Grundfreiheit müsse eine Gruppenbildung zwischen inländischen Tochtergesellschaften auch in jenen Fällen möglich seien, in denen deren Anteile von einer gemeinsamen ausländischen EU-Muttergesellschaft gehalten würden, die im Inland keine eingetragene Zweigniederlassung besitze. Es wurde auch ausgeführt, gleichlautende Beschwerden würden für die B GmbH und für die BE GmbH eingebracht.
4 Mit - an die mitbeteiligte Partei, die B GmbH und die BE GmbH gerichteter - Beschwerdevorentscheidung vom 10. Juli 2020 wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab.
5 Die mitbeteiligte Partei, die BE GmbH und die B GmbH beantragten, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen.
6 In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht wurde erörtert, dass eine horizontale Verlustverrechnung angestrebt werde; es solle kein Ergebnis nach Deutschland transferiert werden.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht „in der Beschwerdesache [der mitbeteiligten Partei]“ der Beschwerde Folge. Es änderte den Bescheid dahin ab, dass der Antrag auf Feststellung der Unternehmensgruppe mit der mitbeteiligten Partei als Gruppenträgerin und den inländischen Gesellschaften BE GmbH und B GmbH als Gruppenmitglieder, in folgender Form stattgebend erledigt werde:
Der B GmbH komme „die steuerliche Funktion der Gruppenträgerin in dem Sinne zu, dass ihr das gesamte inländische Gruppeneinkommen, das sich aus den steuerlichen Einzelergebnissen der inländischen Gruppengesellschaften ergibt, zugerechnet wird. Die Funktion der [mitbeteiligten Partei] als Muttergesellschaft der inländischen Tochtergesellschaften beschränkt sich auf jene eines Referenzobjekts für die inländische horizontale Ergebniszurechnung.“
8 Das Bundesfinanzgericht sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.
9 Nach der Zustellverfügung erfolgte die Zustellung des Erkenntnisses an das Finanzamt und an die mitbeteiligte Partei (zu Handen ihrer Vertreterin) als Beschwerdeführerin.
10 Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die mitbeteiligte Partei sei eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung deutschen Rechts mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland. Der Geschäftsgegenstand liege in der Bündelung und einheitlichen Leitung der Auslandsaktivitäten des Familienunternehmens B. Die B Gruppe sei international tätig, sie verfüge über etwa 40 weltweit verstreute Gesellschaften, die allesamt unter der mitbeteiligten Partei gebündelt seien.
11 In Österreich verfüge die Mitbeteiligte über keinen von der Hauptniederlassung räumlich abgesonderten und organisatorisch weitgehend verselbständigten Gesellschaftsteil, der unter eigener Leitung tätig sei und fortlaufend im Namen der mitbeteiligten Partei handeln dürfe.
12 Die mitbeteiligte Partei sei unmittelbar am Stammkapital und an den Stimmrechten der B GmbH (Beteiligungsausmaß 99,8 %) und der BE GmbH (Beteiligungsausmaß 100 %) beteiligt. Diese beiden Gesellschaften hätten sowohl Sitz als auch Ort ihrer Geschäftsleitung in Österreich; sie seien in Österreich operativ tätig.
13 Sowohl die mitbeteiligte Partei als auch die beiden inländischen Tochtergesellschaften hätten ihren Bilanzstichtag jeweils zum 31. Dezember eines Jahres. Der Antrag auf Feststellung der Unternehmensgruppe sei von den gesetzlichen Vertretern sowohl der mitbeteiligten Partei als auch der beiden inländischen Tochtergesellschaften unterfertigt worden. Es sei angegeben worden, dass ein Steuerausgleich zwischen Gruppenträger und Gruppenmitgliedern vereinbart worden sei.
14 Die Gruppenbildung scheitere im vorliegenden Fall nur daran, dass die als Gruppenträgerin beantragte mitbeteiligte Partei in Österreich weder unbeschränkt steuerpflichtig sei noch über eine inländische Zweigniederlassung verfüge. Diese in § 9 Abs. 3 KStG 1988 normierte Einschränkung der Gruppenbildung sei - wie näher ausgeführt wird - eine unionsrechtlich grundsätzlich verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Das Unionsrecht verlange, dass den inländischen Tochtergesellschaften der begehrte horizontale Ergebnisausgleich prinzipiell zuzuerkennen sei. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses, die die Beschränkung rechtfertigen könnten, lägen - wie ebenfalls näher dargelegt wird - nicht vor. Auch seien hier grenzüberschreitende Sachverhalte mit rein innerstaatlichen Sachverhalten vergleichbar.
15 Die dem Unionsrecht widersprechende Vorschrift des Erfordernisses einer inländischen Zweigniederlassung werde daher verdrängt. Der beabsichtigte Ausgleich der im Inlandskreis erzielten steuerlichen Einzelergebnisse sei zuzulassen.
16 Im Sinne einer geltungserhaltenden Reduktion habe eine Zurechnung der Ergebnisse zu einem inländischen Gruppenmitglied zu erfolgen. Die Besteuerung der inländischen Ergebnisse bleibe auch bei der horizontalen Zurechnung gesichert. Als praktikabel werde dazu ein den Gruppengesellschaften eingeräumtes Wahlrecht erachtet, eine inländische Gesellschaft zu bestimmen, die gegenüber der Finanzverwaltung die eigentliche steuerliche Funktion des Gruppenträgers übernehme, der somit die steuerlichen Ergebnisse zugerechnet würden und bei der die Steuer erhoben werde. Im vorliegenden Fall hätten die Gruppengesellschaften die Zurechnung zur B GmbH beantragt.
17 Das Bundesfinanzgericht weise somit der B GmbH die steuerliche Funktion des Gruppenträgers in dem Sinne zu, dass ihr das gesamte inländische Gruppeneinkommen, das sich aus den steuerlichen Einzelergebnissen der inländischen Gruppengesellschaften ergebe, zugerechnet werde. Die Funktion der mitbeteiligten Partei als Muttergesellschaft der inländischen Tochtergesellschaften werde auf jene eines Referenzobjekts für die inländische horizontale Ergebniszurechnung beschränkt.
18 Der Europäische Gerichtshof habe sich zwar bereits den zugrunde liegenden Rechtsfragen gewidmet. Es liege aber bisher noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den speziellen Ausgestaltungen des österreichischen Gruppenbesteuerungssystems vor. Insbesondere sei bislang die Frage, wie eine konkrete unionsrechtskonforme Umsetzung vorzunehmen sei, höchstgerichtlich nicht geklärt, sodass die Revision für zulässig zu erklären gewesen sei.
19 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision des Finanzamts.
20 Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
21 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
22 Die Revision ist zulässig und begründet.
23 Gemäß § 9 Abs. 8 KStG 1988 erstreckt sich die Gruppenbesteuerung auf den Gruppenträger und die Gruppenmitglieder, die in einem schriftlichen Gruppenantrag genannt sind. Dabei gilt u.a., dass der Gruppenantrag von den gesetzlichen Vertretern des Gruppenträgers und aller einzubeziehenden inländischen Körperschaften zu unterfertigen ist. Der Gruppenantrag ist vom Gruppenträger bei dem für den Antragsteller für die Erhebung der Körperschaftsteuer zuständigen Finanzamt zu stellen. Alle übrigen einzubeziehenden inländischen Körperschaften haben dem jeweils für jede Körperschaft zuständigen Finanzamt die Tatsache einer Antragstellung anzuzeigen. Das für die Erhebung der Körperschaftsteuer des Antragstellers zuständige Finanzamt hat das Vorliegen der Voraussetzungen für das Bestehen der Unternehmensgruppe gegenüber alle den Antrag „unterfertigten“ Körperschaften bescheidmäßig festzustellen.
24 Nach § 281 Abs. 1 BAO können im Beschwerdeverfahren nur einheitliche Entscheidungen getroffen werden. Sie wirken für und gegen die gleichen Personen wie der angefochtene Bescheid.
25 Der Gruppenfeststellungsbescheid nach § 9 Abs. 8 KStG 1988 ist ein Grundlagenbescheid für die folgenden Körperschaftsteuerverfahren. Er entfaltet für die Fragen, ob eine Gruppe besteht und welche Gesellschaften in welchem Zeitraum Gruppenmitglieder sind, Bindungswirkung gemäß § 192 BAO (vgl. VwGH 3.2.2022, Ro 2020/15/0014). Voraussetzung für eine derartige Bindungswirkung ist, dass der Bescheid auch an die betroffenen Gesellschaften ergangen ist (vgl. - im Hinblick auf eine Änderung einer Unternehmensgruppe nach § 9 Abs. 9 KStG 1988 - VwGH 26.11.2015, 2012/15/0097).
26 Der Bescheid des Finanzamts vom 26. Juni 2019, mit dem der Antrag auf Feststellung einer Unternehmensgruppe abgewiesen worden war, erging ebenso wie die Beschwerdevorentscheidung vom 10. Juli 2020 jeweils an die mitbeteiligte Partei sowie an die B GmbH und die BE GmbH; er wurde diesen Gesellschaften auch jeweils zugestellt.
27 Das angefochtene Erkenntnis erging hingegen (nur) in der Beschwerdesache der mitbeteiligten Partei; es wurde - neben dem Finanzamt - nur an diese als „Beschwerdeführerin“ zugestellt. Es erweist sich schon deswegen, weil es nicht einheitlich an die betroffenen Gesellschaften (Gruppenträger und Gruppenmitglieder) ergangen ist (vgl. VwGH 24.6.2010, 2007/15/0284), als rechtswidrig.
28 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 1. März 2023
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RO2022130015.J00Im RIS seit
04.04.2023Zuletzt aktualisiert am
04.04.2023