TE Vwgh Erkenntnis 2023/3/2 Ro 2022/21/0005

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Veröffentlicht am 02.03.2023
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AufwandersatzV VwGH 2014
AVG §56
AVG §68 Abs1
BFA-VG 2014 §22a Abs1
BFA-VG 2014 §22a Abs3
BFA-VG 2014 §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2
FrPolG 2005 §80 Abs1
FrPolG 2005 §83 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGG §48
VwGVG 2014 §17
VwRallg
  1. B-VG Art. 133 heute
  2. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2019 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. B-VG Art. 133 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  4. B-VG Art. 133 gültig von 25.05.2018 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  5. B-VG Art. 133 gültig von 01.08.2014 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 164/2013
  6. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2014 bis 31.07.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  7. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.1975 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  9. B-VG Art. 133 gültig von 25.12.1946 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 133 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 133 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. VwGG § 34 heute
  2. VwGG § 34 gültig ab 01.07.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 2/2021
  3. VwGG § 34 gültig von 01.01.2014 bis 30.06.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  4. VwGG § 34 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  5. VwGG § 34 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  6. VwGG § 34 gültig von 01.08.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 89/2004
  7. VwGG § 34 gültig von 01.09.1997 bis 31.07.2004 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 88/1997
  8. VwGG § 34 gültig von 05.01.1985 bis 31.08.1997
  1. VwGG § 42 heute
  2. VwGG § 42 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  3. VwGG § 42 gültig von 01.07.2012 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. VwGG § 42 gültig von 01.07.2008 bis 30.06.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  5. VwGG § 42 gültig von 01.01.1991 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 330/1990
  6. VwGG § 42 gültig von 05.01.1985 bis 31.12.1990
  1. VwGG § 48 heute
  2. VwGG § 48 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  3. VwGG § 48 gültig von 01.07.2008 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  4. VwGG § 48 gültig von 01.01.1999 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 158/1998
  5. VwGG § 48 gültig von 01.09.1997 bis 31.12.1998 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 88/1997
  6. VwGG § 48 gültig von 05.01.1985 bis 31.08.1997

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ro 2022/21/0006

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger, den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. Holzinger und die Hofrätin Dr.in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, 1. über die zu Ro 2022/21/0005 protokollierte Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (= belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht) und 2. über die zu Ro 2022/21/0006 protokollierte Revision des K S (= Mitbeteiligter im Verfahren über die Amtsrevision), vertreten durch Dr. Gerhard Wildmoser, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Hopfengasse 23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18. Februar 2022, W282 2237075-8/25E, betreffend Schubhaft,

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses wird zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Spruch

Spruchpunkt A.II. dieses Erkenntnisses wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber (= Mitbeteiligter), ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet im Jahr 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, der erfolglos blieb, wobei gegen ihn auch eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung erlassen wurde.

2        Wegen strafgerichtlicher Verurteilungen befand sich der Revisionswerber ab Juni 2019 in Strafhaft. Am 23. September 2020 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) durch die Übermittlung des Beschlusses des Strafvollzugsgerichtes über die bedingte Entlassung des Revisionswerbers am 16. November 2020 vom vorzeitigen Ende seiner Strafhaft in Kenntnis gesetzt. Nachdem das BFA den Revisionswerber am 7. Oktober 2020 über die beabsichtigte Verhängung der Schubhaft informiert und Vorbereitungen für die Einleitung eines Verfahrens zur Erlangung eines Heimreisezertifikates bei der pakistanischen Botschaft begonnen hatte, ordnete es über ihn mit Bescheid vom 11. November 2020 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung an.

3        Eine gegen diesen im Anschluss an die Strafhaft am 16. November 2020 in Vollzug gesetzten Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem in der mündlichen Verhandlung am 24. November 2020 verkündeten und sodann mit 18. Dezember 2020 ausgefertigten Erkenntnis als unbegründet ab. Das BVwG stellte unter einem (erkennbar) gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

4        Einen Asylfolgeantrag, den der Revisionswerber am 16. November 2020 im Stande der Schubhaft gestellt hatte, wies das BVwG im Beschwerdeweg mit Erkenntnis vom 21. Jänner 2021 wegen entschiedener Sache zurück, wobei unter einem ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den Revisionswerber erlassen wurde.

5        Im Rahmen der Überprüfungen gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG stellte das BVwG mit den Erkenntnissen vom 16. März 2021, 13. April 2021, 31. Mai 2021 und 23. Juni 2021 (vgl. dazu das Erkenntnis VwGH 2.3.2023, Ra 2021/21/0254) jeweils das Vorliegen der für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen und die Verhältnismäßigkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung fest.

6        Eine zweite Schubhaftbeschwerde hatte das BVwG mit dem in der mündlichen Verhandlung am 30. April 2021 verkündeten und mit 10. Mai 2021 ausgefertigten Erkenntnis erkennbar im Umfang des ausdrücklichen Beschwerdeantrags für den Zeitraum nach Erlassung des Erkenntnisses vom 13. April 2021 bis zum 23. April 2021 als unbegründet abgewiesen. Unter einem stellte das BVwG gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

7        Schließlich stellte das BVwG bei einer weiteren Überprüfung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19. Juli 2021 mündlich verkündeten und mit 5. August 2021 gekürzt ausgefertigten Erkenntnis fest, dass die weitere Anhaltung des Revisionswerbers unzulässig sei. Im Anschluss an die Verhandlung wurde der Revisionswerber aus der Schubhaft entlassen.

8        Mit am 17. August 2021 beim BVwG eingebrachten Schriftsatz erhob der Revisionswerber eine weitere Schubhaftbeschwerde, die sich gegen die Anhaltung in Schubhaft in jenen näher genannten Zeiträumen richtete, deren Rechtmäßigkeit noch nicht vom BVwG rechtskräftig festgestellt worden war.

9        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 18. Februar 2022 entschied das BVwG über diese Beschwerde im Spruch wie folgt:

„A)

I. Der Beschwerde gegen die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft von

?        24.04.2021 bis 29.04.2021,

?        01.05.2021 bis 30.05.2021,

?        01.06.2021 bis 22.06.2021,

?        24.06.2021 bis 19.07.2021,

wird stattgegeben und die Anhaltung in diesen Zeiträumen gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 28 Abs. 6 VwGVG für rechtswidrig erklärt.

II. Die Beschwerde gegen die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft von 25.11.2020 bis zum 15.03.2021 und vom 17.03.2021 bis zum 12.04.2021 wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 u. Abs. 6 FPG als unbegründet abgewiesen.

III. Gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG werden die Kostenersatzanträge des Beschwerdeführers als auch des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.“

10       Nach ausführlicher Wiedergabe des Verfahrensganges, insbesondere auch der Entscheidungsgründe des am 19. Juli 2021 mündlich verkündeten und mit 5. August 2021 gekürzt ausgefertigten Erkenntnisses, stellte das BVwG unter anderem fest, dass ein Heimreisezertifikat bei der pakistanischen Botschaft im Regelfall bei korrekten Angaben in dem hierfür vorgesehenen Formblatt und entsprechenden Urgenzen nach einem zirka drei- bis viermonatigen Zeitraum ausgestellt werde. Im vorliegenden Fall habe das BFA im Oktober 2020 der Botschaft jedoch ein Formblatt vorgelegt, das nicht vom Revisionswerber selbst, sondern vom BFA ausgefüllt worden sei und in dem das BFA weder das vom Revisionswerber im Asylverfahren bekannt gegebene Geburtsdatum (2. August 2000) noch die dort ebenfalls genannte Heimatadresse in Pakistan angegeben habe. Statt dessen sei im Formblatt (ohne konkretisierte Heimatadresse) lediglich ein fiktives Geburtsdatum (1. Mai 1999) vermerkt worden, das aufgrund eines vom BFA eingeholten Gutachtens zur Altersfeststellung im Asylverfahren festgelegt worden sei. Daraufhin habe die pakistanische Botschaft am 26. April 2021 dem BFA mitgeteilt, dass der Revisionswerber mit diesen Angaben nicht als pakistanischer Staatsangehöriger identifiziert habe werden können. Damit habe das Verfahren zur Ausstellung des Heimreisezertifikates, in dem sich der Revisionswerber „nicht maßgeblich unkooperativ“ verhalten habe, wieder bei „Null“ begonnen.

11       Rechtlich führte das BVwG in diesem Zusammenhang aus, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine zur Sicherung der Abschiebung angeordnete Schubhaft unverhältnismäßig und damit rechtswidrig sei, wenn die Behörde rechtzeitige Bemühungen zur Gänze unterlassen habe, um ein Heimreisezertifikat für den Fremden bei der jeweiligen Botschaft zu erlangen. Im vorliegenden Fall sei das BFA nicht gänzlich untätig geblieben, sondern habe zur zeitnahen Ausstellung eines Heimreisezertifikates rechtzeitig Bemühungen unternommen, die jedoch angesichts des festgestellten „Missgeschicks“ nicht zielführend gewesen und nicht als „angemessen“ iSd Art. 15 Abs. 6 der RückführungsRL (Richtlinie 2008/115/EG) zu bewerten seien. Von Anfang an zielführende Bemühungen des BFA hätten bei einer drei- bis viermonatigen Dauer des Verfahrens zur Beschaffung eines Heimreisezertifikates Anfang Februar 2021 einen positiven Abschluss bewirkt. Allerdings habe der Asylfolgeantrag des Revisionswerbers vom 16. November 2020 wegen des damit verbundenen „Bleiberechts nach der AufnahmeRL“ regelmäßige Urgenzen bei der pakistanischen Botschaft für den Zeitraum bis zu dessen rechtskräftiger Zurückweisung mit Erkenntnis des BVwG vom 21. Jänner 2021 verhindert. Daher sei bei Unterstellung rechtzeitiger angemessener Bemühungen die hypothetische Ausstellung eines Heimreisezertifikates noch vor dem Abschiebecharterflug am 10. Februar 2021 nicht realistisch gewesen. Im günstigsten Fall hätte der Revisionswerber somit erst mit dem nächsten Charterflug am 14. April 2021 nach Pakistan abgeschoben werden können, sodass die Schubhaft bis zu diesem Zeitpunkt - das Vorliegen von Sicherungsbedarf und Fluchtgefahr sei in der Beschwerde nicht bestritten worden - nicht unverhältnismäßig gewesen sei. Daher sei die Beschwerde, soweit damit davor liegende Zeiträume angefochten wurden, mit Spruchpunkt A.II. abzuweisen gewesen. Da das BFA - so lassen sich die diesbezüglichen weiteren Überlegungen des BVwG zusammenfassen - keine „angemessenen Bemühungen“ iSd Art. 15 Abs. 6 der RückführungsRL unternommen habe, sei im vorliegenden Fall der unionsrechtskonform auszulegende Verlängerungstatbestand des § 80 Abs. 4 Z 2 FPG nicht anzuwenden, sodass die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft gemäß § 80 Abs. 2 Z 2 FPG höchstens sechs Monate hätte dauern dürfen. Demnach sei die weitere Anhaltung ab 16. Mai 2021 jedenfalls und ab 24. April 2021 mangels ausreichend verbleibender Zeit zur Effektuierung der Abschiebung innerhalb der zulässigen Schubhafthöchstdauer in den mit der Beschwerde angefochtenen Zeiträumen mit Spruchpunkt A.I. für rechtswidrig zu erklären gewesen.

12       Die Zulässigkeit der Revision begründete das BVwG damit, dass noch keine Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob nicht zielführende Bemühungen der Behörde um ein Heimreisezertifikat schon „per se“ die Unverhältnismäßigkeit und Rechtswidrigkeit der Schubhaft bewirken oder ob darauf abzustellen sei, zu welchem Zeitpunkt die Schubhaft bei zielführenden Bemühungen im günstigsten Fall durch Realisierung der Abschiebung geendet hätte.

Zu Spruchpunkt I.:

13       Die zu Ro 2022/21/0005 protokollierte Amtsrevision, zu der im Rahmen des vom BVwG durchgeführten Vorverfahrens der Revisionswerber eine Revisionsbeantwortung erstattete, richtet sich ausdrücklich nur gegen Spruchpunkt A.I. dieses Erkenntnisses und nicht auch gegen Spruchpunkt A.III., soweit damit der Antrag auf Kostenersatz des BFA abgewiesen wurde. Sie erweist sich wegen Fehlens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig.

14       Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

15       Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision in dieser Hinsicht ist der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Das BFA verweist in Bezug auf die Begründung des BVwG für die Zulässigkeit einer Revision zu Recht darauf, dass die vom BVwG aufgeworfene Rechtsfrage lediglich für den von der Amtsrevision nicht bekämpften Spruchpunkt A.II., nicht aber auch für Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses präjudiziell sei. Hinsichtlich dieses der Beschwerde stattgebenden Teiles des Erkenntnisses führt das BFA dann zur Zulässigkeit seiner (eigentlich: außerordentlichen) Revision zusammengefasst aus, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtskraft von Entscheidungen abgewichen, indem es mit dem angefochtenen Erkenntnis die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft ab 24. April 2021 - anders als in dem davor gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG erlassenen Erkenntnis des BVwG vom 13. April 2021 und in den danach ergangenen Erkenntnissen - für rechtswidrig erklärt habe, obwohl im Vergleich zu diesen „Fortsetzungsentscheidungen“ des BVwG keine wesentliche Sachverhaltsänderung vorgelegen sei. Es fehle „konkrete“ Rechtsprechung, inwiefern das BVwG eine Neubeurteilung nach einer rechtskräftigen und nicht angefochtenen „vorherigen Fortsetzungsentscheidung des BVwG“ vornehmen dürfe.

16       Das BFA argumentierte im Wesentlichen inhaltsgleich wie in der vorliegenden Amtsrevision auch in der zu Ra 2021/21/0121 protokollierten Amtsrevision in Bezug auf die mit der Feststellung nach § 22a Abs. 4 BFA-VG strukturell vergleichbare Feststellung der Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft nach § 22a Abs. 3 BFA-VG. Dem trat der Verwaltungsgerichtshof in dem dazu ergangenen Beschluss VwGH 5.4.2022, Ra 2021/21/0121, mit ausführlicher Begründung (siehe Rn. 11 ff.), auf die gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG verwiesen werden kann, entgegen. Dort referierte der Verwaltungsgerichtshof zunächst die auch schon zur inhaltsgleichen Vorgängerregelung des § 83 Abs. 4 FPG ergangene und auch zu § 22a Abs. 3 BFA-VG fortgeführte Judikatur, wonach der - (nur) einen Titelbescheid darstellende - Ausspruch, dass „zum Zeitpunkt seiner Entscheidung“ die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, im Verhältnis zu einer sich auf den danach liegenden Zeitraum beziehenden Schubhaftbeschwerde nicht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache begründe. Mit dieser eingeschränkten Rechtskraftwirkung eines positiven Fortsetzungsausspruchs nach § 22a Abs. 3 BFA-VG wäre eine darüberhinausgehende, in der Amtsrevision geltend gemachte Bindungswirkung nicht in Einklang zu bringen. Die im erwähnten Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof noch angestellten weiteren Überlegungen zur auch aus Rechtsschutzgründen bestehenden mangelnden Bindung des BFA an einen positiven Fortsetzungsausspruch würden sinngemäß auch für das BVwG gelten, das infolge einer zulässigen Beschwerde über einen Schubhaftzeitraum abspreche, über den noch nicht entschieden worden sei.

17       Auch mit Entscheidungen gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird - wie der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls schon klarstellte - in Übereinstimmung mit dessen Wortlaut über die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft nur bezogen auf den jeweiligen Entscheidungszeitpunkt, nicht aber hinsichtlich der davor und danach liegenden Zeiträume der Anhaltung des Fremden in Schubhaft rechtskräftig abgesprochen. Ein Erkenntnis nach § 22a Abs. 4 BFA-VG steht daher einer Beschwerde nach § 22a Abs. 1 BFA-VG, mit der die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von vor oder nach der Erlassung des Erkenntnisses liegenden Haftzeiten begehrt werde, nicht entgegen. Es ist dem Fremden somit unbenommen, betreffend Zeiträume vor oder nach der Erlassung der Entscheidung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG eine Schubhaftbeschwerde gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG einzubringen, sofern hierüber nicht bereits durch ein Erkenntnis des BVwG abgesprochen wurde. (siehe dazu VwGH 11.5.2021, Ra 2021/21/0066, Rn. 27 iVm Rn. 23, insbesondere mit dem Hinweis auf VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0163, Rn. 15/16; siehe zum Ganzen auch VwGH 30.8.2018, Ra 2018/21/0111, Rn. 11/14).

18       Dieser auch vom BVwG ins Treffen geführten Judikatur trug das angefochtene Erkenntnis Rechnung, indem (entsprechend den in Beschwerde gezogenen Zeiträumen) die Anhaltung des Mitbeteiligten lediglich für jene Zeiten für rechtswidrig erklärt wurde, deren Rechtmäßigkeit noch nicht bereits vom BVwG rechtskräftig festgestellt worden war.

19       Da die Amtsrevision, die sich nicht gegen die inhaltliche Beurteilung des BVwG in Bezug auf Spruchpunkt A.I. wendet, somit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzeigt, weil bereits Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der in der Amtsrevision aufgeworfenen Frage existiert, von der das BVwG auch nicht abgewichen ist, war sie in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

Zu Spruchpunkt II.:

20       Ausdrücklich nur gegen den die Beschwerde abweisenden Spruchpunkt A.II. dieses Erkenntnisses und nicht auch gegen Spruchpunkt A.III., soweit damit der Antrag auf Kostenersatz des Revisionswerbers abgewiesen wurde, richtet sich die vorliegende, zu Ro 2022/21/0006 protokollierte Parteirevision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens durch das BVwG, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

21       Der Begründung des BVwG zur Zulässigkeit der Revision, auf die sich auch der Revisionswerber bezieht, ist insofern zu folgen, als es keine ausdrückliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der aufgeworfenen Frage gibt. Die demnach zulässige ordentliche Revision ist auch berechtigt.

22       Zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Anhaltung des Revisionswerbers verwies das BVwG zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der zufolge Schubhaft stets nur „ultima ratio“ sein darf. Diesem Grundsatz entspricht nicht nur die in § 80 Abs. 1 FPG ausdrücklich festgehaltene behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauere, vielmehr ist daraus auch abzuleiten, dass das BFA schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden seine Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt es das, so ist die Schubhaft unverhältnismäßig. Demzufolge erweist sich die Verhängung von Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung im Anschluss an eine Strafhaft regelmäßig als unverhältnismäßig, wenn das BFA auch zum absehbaren Ende einer Strafhaft hin mit der (versuchten) Beschaffung eines Heimreisezertifikates untätig bleibt (vgl. etwa VwGH 31.5.2022, Ra 2021/21/0321, Rn. 10, mwN).

23       Der gänzlichen Untätigkeit in Bezug auf die Beschaffung eines für die Außerlandesbringung notwendigen Heimreisezertifikates sind entgegen der tragenden Begründung des BVwG auch Bemühungen gleichzuhalten, die - wie hier vom BFA im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof auch nicht in Frage gestellt - von vornherein evident keine Aussicht auf Erfolg haben, widerspricht doch eine solche Vorgangsweise ebenfalls dem Gebot, dass die Anhaltung in Schubhaft so kurz wie möglich dauert. In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof schon im Erkenntnis VwGH 11.5.2017, Ra 2016/21/0144, unter Rn. 11 dem BFA nur unter der Bedingung zugestanden, Versuche zur Erlangung eines Heimreisezertifikates zu starten, dass diese nicht von vornherein aussichtslos erscheinen. Auch im Hinblick auf länger andauernde Schubhaften wurde in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Übrigen bereits festgehalten, dass bloße Bemühungen der Behörde für die Annahme einer rechtzeitigen Erlangbarkeit des Heimreisezertifikats nicht genügen, sie müssten vielmehr zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend sein (vgl. etwa VwGH 12.1.2021, Ra 2020/21/0378, Rn. 20, mit Hinweis auf VwGH 26.11.2020, Ra 2020/21/0070, Rn. 13). Entsprechend der in Rn. 22 referierten Rechtsprechung erweist sich somit die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft während jenes Zeitraums, in dem vom BFA von vornherein evident nicht zielführende Bemühungen zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates geführt wurden, schon deshalb als unverhältnismäßig. Vor diesem Hintergrund besteht für die Auffassung des BVwG, dass die Schubhaft für die Dauer hypothetischer Bemühungen erfolgversprechender Art als verhältnismäßig angesehen werden könnte, keine Basis.

24       Ausgehend davon war die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft auch in jenen Zeiträumen, für die das BVwG die Beschwerde abwies, unverhältnismäßig. Das angefochtene Erkenntnis war daher in Stattgebung der Parteirevision im von ihr bekämpften Spruchpunkt A.II. gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

25       Der Kostenzuspruch beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, soweit der als Schriftsatzaufwand verzeichnete Betrag den Pauschalsatz nach § 1 Z 1 lit a erster Satz der genannten Verordnung übersteigt. Die ebenfalls geltend gemachte Umsatzsteuer und der ERV-Zuschlag sind in den Pauschalbeträgen nach der genannten Verordnung bereits enthalten.

Wien, am 2. März 2023

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Zurückweisung wegen entschiedener Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2023:RO2022210005.J00

Im RIS seit

04.04.2023

Zuletzt aktualisiert am

04.04.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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