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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §147;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Karger, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Traudtner, über die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Salzburg gegen den Becheid der Finanzlandesdirektion für Salzburg (Berufungssenat I) vom 29. September 1994, Zl. 35-GA 3 BK-DRB/92, betreffend Einkommensteuer 1984 und 1985 der mitbeteiligten Partei Dr. O (S, S), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die mitbeteiligte Partei (ein Rechtsanwalt, der in den Streitjahren Einkünfte aus selbständiger Arbeit bezog und seine Gewinne gemäß § 4 Abs. 3 EStG 1972 ermittelte) hatte - was zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unstrittig ist - im Jahre 1982 gemäß § 9 Abs. 3 leg. cit. einen Steuerfreibetrag von S 342.207,-- gebildet, der in der Folge weder bestimmungsgemäß verwendet noch in den Streitjahren 1984 und 1985 gegen als Investitionsfreibeträge geltend gemachte Summen aufgelöst wurde. In der "Gewinn- und Verlustrechnung per 31.12.1984" machte nämlich die mitbeteiligte Partei unter der Bezeichnung "Dotierung IFB" S 325.393,-- und in der "Gewinn- und Verlustrechnung per 31. 12 1985" unter derselben Bezeichnung S 23.880,-- geltend. Die letztgenannte Summe wurde auch in der Einkommensteuererklärung für 1985 als solche ausgewiesen.
Die Einkommensteuerbescheide für 1984 und 1985 wurden insoweit antragsgemäß erlassen.
Im Zuge einer unter anderem die Einkommensteuer 1980 bis 1982 erfassenden Betriebsprüfung wurde (unter Tz 14 des Berichtes vom 31. Oktober 1984) festgestellt, daß für 1982 ein Steuerfreibetrag gemäß § 9 EStG 1972 angesetzt worden war. Ungeachtet dessen blieb aber auch in den auf Grund der Betriebsprüfung wiederaufgenommenen Verfahren für 1984 und 1985 die gewinnwirksame Verrechnung von Investitionsfreibeträgen für 1984 und 1985 bestehen, ohne dabei den Steuerfreibetrag aus dem Jahre 1982 bestimmungsgemäß zu verwenden.
Erst im Rahmen einer unter anderem die Einkommensteuer 1986 und 1988 umfassenden Betriebsprüfung wurde die nicht bestimmungsgemäße Verwendung der 1982 gebildeten Investitionsrücklage festgestellt (Tz 22 des Berichtes vom 14. November 1991).
Daraufhin wurde im wiederaufgenommenen Verfahren betreffend die Einkommensteuer 1986 der genannte Steuerfreibetrag gewinnerhöhend aufgelöst, wogegen die mitbeteiligte Partei mit dem Argument berief, es sei übersehen worden, den Steuerfreibetrag 1982 gegen die Investitionsfreibeträge für 1984 und 1985 aufzulösen; eine gewinnerhöhende Auflösung im Jahr 1986 dagegen sei unzulässig. Die Berufung hatte Erfolg.
In der Folge berichtigte dann das Finanzamt Salzburg-Stadt mit Bescheiden vom 4. Februar 1992 die Bescheide betreffend Einkommensteuer 1984 und 1985 um die als Investitionsfreibeträge geltend gemachten Summen gemäß § 293b
BAO.
Dagegen berief die mitbeteiligte Partei.
Die belangte Behörde gab der Berufung Folge und hob die gemäß 293b BAO berichtigten Bescheide auf. In der Begründung führte die belangte Behörde dazu aus, es sei von der mitbeteiligten Partei unbestrittenermaßen verabsäumt worden, den aus dem Jahr 1982 stammenden Steuerfreibetrag gemäß § 9 Abs. 3 EStG 1972 gegen die in den Jahren 1984 und 1985 als Investitionsfreibeträge geltend gemachten Beträge aufzulösen. Die im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Bescheide betreffend Einkommensteuer 1984 und 1985 seien zweifelsfrei rechtswidrig. Diese Rechtswidrigkeit könne aber nicht mehr als "auf der Übernahme offensichtlicher Unrichtigkeiten aus Abgabenerklärungen" beruhend angesehen werden; die Bescheide seien vielmehr als Ergebnis einer die Berufungsjahre betreffenden Betriebsprüfung ergangen. Die Voraussetzungen für eine Berichtigung gemäß § 293b BAO seien daher nicht erfüllt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes erhobene Präsidentenbeschwerde. Der beschwerdeführende Präsident vertritt die Auffassung, eine Unrichtigkeit sei dann offensichtlich, wenn sie auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruhe. Die von der mitbeteiligten Partei betreffend die Jahre 1984 und 1985 gewählte Vorgangsweise (Investitionsfreibeträge geltend zu machen ohne zuvor den 1982 gebildeten Steuerfreibetrag bestimmungsgemäß zu verwenden) sei ohne jeden Zweifel in völligem Widerspruch zur damals geltenden Rechtslage gestanden und habe daher eine offensichtliche Unrichtigkeit dargestellt. Diese sei aus den Abgabenerklärungen für die Streitjahre im Zusammenhang mit dem übrigen Akteninhalt erkennbar gewesen. Die aus der Berichtigung sich ergebenen Nachforderungen von S 182.515,-- für 1984 und S 6.300,-- für 1985 seien keineswegs als geringfügig anzusehen, weshalb das Finanzamt im Wege der vorgenommenen Berichtigung vom eingeräumten Ermessen auch in gesetzmäßiger Weise Gebrauch gemacht habe.
Die belangte Behörde legte unter Verzicht auf eine Gegenschrift die Verwaltungsakten vor; die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift, in der mit dem Argument, die Unrichtigkeit sei aus den Betriebsprüfungsberichten und nicht aus den Abgabenerklärungen abzuleiten gewesen, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.
Die beschwerdeführende Partei replizierte auf die Gegenschrift der mitbeteiligten Partei mit dem Hinweis, die offensichtliche Unrichtigkeit habe sich im vorliegenden Fall aus den den Einkommensteuererklärungen 1984 und 1985 beigelegten Gewinn- und Verlustrechnungen und dem damit im Widerspruch stehenden Akteninhalt ergeben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 293b BAO kann die Abgabenbehörde auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen einen Bescheid insoweit berichtigen, als seine Rechtswidrigkeit auf der Übernahme offensichtlicher Unrichtigkeiten aus Abgabenerklärungen beruht.
Nach herrschender Meinung gestattet diese Gesetzesstelle die Berichtigung eines Bescheides dann, wenn er qualifiziert rechtswidrig ist (vgl. Stoll, BAO-Kommentar 2830 letzter Absatz); das heißt wenn der Bescheid auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruht (vgl. z.B. Ritz, ÖStZ 1990, 180). Offensichtliche Unrichtigkeit liegt vor, wenn sie ohne nähere Untersuchungen im Rechtsbereich und ohne Ermittlungen im Tatsachenbereich deutlich erkennbar ist (Stoll aaO. 2831 vorletzter Absatz).
Daß die der mitbeteiligten Partei für die Jahre 1984 und 1985 bescheidmäßig zugestandene gewinnwirksame Verrechnung von Investitionsfreibeträgen angesichts der Tatsache, daß Steuerfreibeträge aus dem Jahr 1982 bis dahin nicht bestimmungsgemäß verwendet wurden, auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruhte, wird nicht einmal von der mitbeteiligten Partei in Frage gestellt. Zu klären ist nur, ob der unterlaufene gravierende Fehler iSd § 293b BAO auf der "Übernahme offensichtlicher Unrichtigkeiten aus Abgabenerklärungen beruht". Anders als die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei dies sehen, kann eine offensichtliche Unrichtigkeit auch dann vorliegen, wenn Mitteilungen und Darlegungen des Abgabenpflichtigen in seinen Erklärungen und den dazu vorgelegten Beilagen (im vorliegenden Fall somit die Geltendmachung der Investitionsfreibeträge in den Gewinn- und Verlustrechnungen für die Jahre 1984 und 1985) mit früheren AKTENKUNDIGEN UMSTÄNDEN (Stoll aaO. 2833 letzter Absatz) unvereinbar sind. Nur Unrichtigkeiten, die erst im Wege eines über die Bedachtnahme auf die Aktenlage hinausreichenden Ermittlungsverfahrens erkennbar sind, wären einer Berichtigung gemäß § 293b BAO nicht zugänglich (Ritz aaO. bzw. im BAO-Kommentar Rz 6 zu § 293b BAO). Der Umstand, daß eine Investitionsrücklage gemäß § 9 EStG 1972 zu Unrecht nicht einkunftserhöhend aufgelöst wurde, wird von der Literatur als aktenwidrige Sachverhaltsannahme zum Bereich offensichtlicher Unrichtigkeiten gezählt (Ritz, ÖStZ aaO.).
Da im vorliegenden Fall den von der mitbeteiligten Partei für die Streitjahre gewinnwirksam geltend gemachten Investitionsfreibeträgen auf Grund der Aktenlage ein von ihr 1982 gebildeter und nicht bestimmungsgemäß verwendeter Steuerfreibetrag entgegenstand, haftete den betreffenden Abgabenbescheiden eine Rechtswidrigkeit an, die auf der Übernahme offensichtlicher Unrichtigkeiten aus den Abgabenerklärungen (samt Beilagen) der mitbeteiligten Partei beruhte.
Weil es in diesem Zusammenhang nicht auf das Ausmaß der Aufmerksamkeit oder Vernachlässigung der gebotenen Sorgfalt der Behörde ankommt (vgl. Stoll aaO. 2834), stand der von der belangten Behörde aufgehobenen, vom Finanzamt vorgenommenen Berichtigung auch der Umstand nicht entgegen, daß sie erst im Anschluß an die im Jahr 1991 stattgefundene Betriebsprüfung auf Basis des Betriebsprüfungsberichtes vom 31. Oktober 1984 vorgenommen wurde.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben (§ 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG).
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995150008.X00Im RIS seit
01.03.2002