Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §13a;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jaksuch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde der R in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 7. Juni 1995, Zl. 318.033/2-III/4/95, betreffend Zurückweisung einer Berufung i. A. Nachsicht vom Befähigungsnachweis, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem für den Landeshauptmann von Wien gefertigten Bescheid vom 13. März 1995 wurde gemäß § 28 GewO 1994 der Beschwerdeführerin die Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis für das Gastgewerbe in der Betriebsart eines Espressos verweigert.
Der Bescheid enthält folgende Rechtsmittelbelehrung:
"Gegen diesen Bescheid kann binnen zwei Wochen nach Zustellung bei diesem Amt (Magistratsabteilung 63, Wien 1, Wipplingerstraße 8) oder beim Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten (Wien 1, Stubenring 1) schriftlich, telegrafisch, fernschriftlich, im Wege automationsunterstützter Datenübertragung oder in jeder anderen technisch möglichen Weise Berufung eingebracht werden, die einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten hat. Die Berufung ist zu vergebühren: die Eingabe mit S 120,--, Beilagen mit S 30,-- pro Bogen, maximal mit S 180,-- Bundesstempelmarken. Die telefonische oder mündliche Einbringung der Berufung ist nicht zulässig."
Nach dem Zustellnachweis wurde dieser Bescheid der Beschwerdeführerin eigenhändig am 28. März 1995 zugestellt.
Die Beschwerdeführerin brachte am 13. April 1995 beim Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 63, persönlich einen mit 12. April 1995 datierten Schriftsatz ein. Darin heißt es:
"Ich hebe ein Berufung gegen den Bescheid vom o.g. Behörde mit Begründung:
Ich bin seit 17.05.1991 beschäftigt bei Fa. X-GmbH als Geschäftsführerin und Kellnerin. Vor dem war ich beschäftigt bei Fa. "J" als Kfm. Angestellte und als Verkäuferin. (Zeugnis beil.)
Ich war auch in Jugosl. beschäftigt als Serviererin ca. 4 Jahre, das kann ich Euch auch belegen, aber ich kann in dem Moment nicht dazugeben dzb. Beschtätigung, den muß ich erst besorgen.
Auch daß ich heuer werde schon 52 Jahre alt, bin der Meinung daß Sie mein Bescheid positiv erledigen.
Aus gesundheitlichen Gründen und Gründen meines Alters, ich bitte Sie um Verständnis und mir entgegenzukommen.
Hochachtungsvoll
..."
Mit Bescheid vom 7. Juni 1995 wies der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 i. V.m. § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück. Zur Begründung heißt es, laut dem im Verfahrensakt erliegenden Rückschein sei der angefochtene Bescheid am 28. März 1995 persönlich übernommen worden. Die Berufungsfrist habe sohin mit Ablauf des 11. April 1995 geendet. Die gegenständliche Berufung sei jedoch erst am 13. April 1995, somit nach Ablauf der Berufungsfrist eingebracht worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihren "gesetzlich gewährleisteten Rechten auf rechtliches Gehör, auf ein mängelfreies Verfahren und auf Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis gemäß § 28 Abs. 1 GewO 1994" verletzt. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes wird unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften im wesentlichen vorgebracht, eine Zurückweisung der Berufung wegen Verspätung habe nur bei Anwendung des § 66 Abs. 4 AVG zu erfolgen, nicht aber im Falle des § 66 Abs. 2 AVG. Infolge "qualifizierter Mangelhaftigkeit" des vorliegenden Sachverhaltes hätte eine mündliche Verhandlung durchgeführt werden müssen, weshalb die Behörde "infolge Vorrangs des § 66 Abs. 2 vor § 66 Abs. 4" AVG trotz Verspätung der Berufung nicht mit einer Zurückweisung hätte vorgehen dürfen. Die Eingabe vom 12. April 1995 sei nicht "ohne weiteres" als Berufung zu qualifizieren. Tatsächlich habe die Beschwerdeführerin einen Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 AVG gegen die Versäumung der Berufungsfrist wegen eines unvorhergesehenen Ereignisses mit der Berufung verbunden. Jedenfalls sei die Eingabe mehrdeutig und es wäre eine amtswegige Klärung des Inhaltes dieser undeutlichen Prozeßhandlung schon nach § 37 AVG geboten gewesen. Die Berufungsbehörde verletze § 45 Abs. 3 AVG, wenn sie es unterlasse, der Partei die von ihr angenommene Versäumung der Rechtsmittelfrist vorzuhalten. Die belangte Behörde hätte daher der Beschwerdeführerin vor ihrer Entscheidung vorhalten müssen, daß ihre Eingabe als Berufung verfristet sei, dies schon im Hinblick auf eine Wiedereinsetzung. Auch hätte sie vorhalten müssen, daß sie dieses Schreiben ausschließlich als Berufung zu beurteilen gedenke. Tatsächlich habe die Beschwerdeführerin am 12. April 1995 einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt und diesen mit der Berufung verbunden, selbst wenn dies für die Behörde nicht klar ersichtlich gewesen wäre, hätte sie Gelegenheit zu entsprechender Klarstellung geben müssen, "da das Schreiben schon auf Grund seines Inhaltes aber auch meines darin angegebenen Alters und zum Ausdruck kommenden Sprachkenntnissen nicht ohne weiteres ausschließlich als Berufung beurteilt werden kann und zumindest Zweifel an einem diesbezüglich eingeschränkten Rechtsschutzinteresse hätte erwecken müssen, welche die Behörde von Amts wegen aufzuklären gehabt hätte". Wenn der Beschwerdeführerin die Möglichkeit einer Stellungnahme zu den Feststellungen der Behörde zweiter Instanz vor deren Entscheidung gegeben worden wäre, hätte die Beschwerdeführerin dargelegt, daß sie "am 12.4.1995 einen Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Berufungsfrist gestellt und hiermit die Berufung verbunden habe". In diesem Fall wäre die Behörde zu einem anderen Entscheidungsergebnis gelangt. Unter anderem gehe aus dem Schreiben hervor, daß die Beschwerdeführerin irrig der Meinung gewesen sei, die Berufung gegen den Bescheid gleich mit entsprechenden Beweismitteln belegen zu müssen, dieser aber "innerhalb der Berufungsfrist nicht habhaft werden konnte". Die darin liegende Gesetzesunkenntnis sei infolge der Besonderheit des Falles, nämlich des Alters, des Gesundheitszustandes, der Sprachkenntnisse und der mangelnden Anleitung im Verfahren erster Instanz als Wiedereinsetzungsgrund geeignet, weil die Beschwerdeführerin unter diesen Voraussetzungen - wenn überhaupt - nur ein minderer Grad des Versehens treffe.
Wenn in der Beschwerde zunächst die Auffassung vertreten wird, daß bei Zutreffen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 66 Abs. 2 AVG die Berufung nicht als verspätet zurückzuweisen sei, so verkennt die Beschwerdeführerin die Rechtslage. Auch eine Entscheidung nach § 66 Abs. 2 AVG hat vielmehr eine zulässige (und rechtzeitige) Berufung zur Voraussetzung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. September 1995, Zl. 95/04/0063).
Auch mit ihrer Verfahrensrüge, die belangte Behörde habe eine undeutliche Prozeßhandlung nicht amtswegig geklärt, zeigt die Beschwerdeführerin einen entscheidungswesentlichen Verfahrensmangel nicht auf. Ob nämlich der oben wiedergegebene Schriftsatz vom 12. April 1995 tatsächlich eine Mehrdeutigkeit im Sinne des Beschwerdevorbringes aufweist, hat im Beschwerdefall dahinzustehen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist nämlich die Rechtmäßigkeit eines Bescheides zur Zeit seiner Erlassung zu beurteilen, was bedeutet, daß der Zurückweisungsbescheid wegen Fristversäumung dann rechtmäßig ist, wenn zur Zeit seiner Erlassung die Wiedereinsetzung nicht bewilligt war. Wird die Wiedereinsetzung später bewilligt, so tritt der Zurückweisungsbescheid nach § 72 Abs. 1 AVG von Gesetz wegen außer Kraft. Es ist daher von Gesetz wegen dafür gesorgt, daß auch die nachträgliche Bewilligung der Wiedereinsetzung die Versäumungsfolgen beseitigt. Umso weniger besteht ein Grund dafür, mit der Zurückweisung eines verspäteten Rechtsmittels zuzuwarten, wenn über einen Wiedereinsetzungsantrag noch nicht bejahend entschieden worden ist. Dies trifft nur auf solche Fälle zu, in denen die Behörde dem Wiedereinsetzungsantrag nicht aufschiebende Wirkung beigelegt hat. Übt sie ihre diesbezügliche im § 71 Abs. 6 AVG festgelegte Befugnis aus, so wird bis zur Entscheidung über die Wiedereinsetzung mit keinem Zurückweisungsbescheid vorgegangen werden dürfen (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Oktober 1986, Slg. N.F. Nr. 12.275/A, u.a.).
Auf dem Boden dieser Rechtsprechung, von der abzugehen der Verwaltungsgerichtshof keinen Anlaß findet, konnte die Beschwerdeführerin selbst dann, wenn der oben wiedergegebene Schriftsatz auch einen Wiedereinsetzungsantrag enthielte oder diesbezüglich mehrdeutig wäre, im Beschwerdefall nicht in ihren Rechten verletzt sein. Ein - allfälliger - Wiedereinsetzungsantrag wäre vielmehr (noch) offen. Ob dies tatsächlich zutrifft, ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, zumal mit dem angefochtenen Bescheid diesbezüglich keine (bindende) Aussage getroffen wird.
Aus gleichartigen Überlegungen zeigt die Beschwerdeführerin mit ihrer Verfahrensrüge der Verletzung des Parteiengehörs einen entscheidungswesentlichen Verfahrensmangel nicht auf. Es trifft zwar zu, daß die Rechtsmittelbehörde das Risiko einer Bescheidaufhebung dann trägt, wenn sie von der Feststellung der Versäumung der Rechtsmittelfrist ausgeht, diese Feststellung dem Rechtsmittelwerber aber vor ihrer Entscheidung nicht vorhält (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 1982, Zl. 81/05/0038). Da im Sinne des oben Gesagten die (allfällige) Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages gegen die Versäumung der Berufungsfrist (für das Vorliegen eines Ausnahmefalles im Grunde des § 71 Abs. 6 AVG besteht keinerlei Anhaltspunkt) nicht als Hindernis anzusehen ist, über eine verspätet eingebrachte Berufung zu entscheiden, wird mit dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen die Wesentlichkeit des behaupteten Verfahrensmangels nicht dargetan.
Sollte das Beschwerdevorbringen aber (auch) dahin aufzufassen sein, daß eine Verletzung der Manuduktionspflicht der Behörde geltend gemacht wird, ist auf die
hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach in dem Umstand, daß die Behörde den Beschwerdeführer nicht ausdrücklich auf die Möglichkeit der Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages hingewiesen hat, keine Verletzung der Manuduktionspflicht erblickt werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 1985, Zl. 84/01/0374).
Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich, daß die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten weder wegen der geltend gemachten noch wegen einer vom Verwaltungsgerichtshof aus eigenem aufzugreifenden Rechtswidrigkeit verletzt worden ist.
Die Beschwerde war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Auf dem Boden der oben dargelegten verfahrensrechtlichen Situation lassen die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt. Im Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG war daher von der beantragten mündlichen Verhandlung abzusehen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995040150.X00Im RIS seit
20.11.2000