TE Vwgh Erkenntnis 1995/11/7 95/20/0025

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Veröffentlicht am 07.11.1995
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §14 Abs2;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des F in N, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. August 1994, Zl. 4.342.909/2-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, ist am 19. Juni 1993 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 21. Juni 1993 einen Asylantrag gestellt.

Bei seiner niederschriftlichen Befragung vor dem Bundesasylamt gab er - zu seinen Fluchtgründen befragt - zusammengefaßt an: Seit dem Jahre 1975 sei das Leben als Kurde im Irak ständig schwieriger geworden. Damals sei er mit zahlreichen anderen Mitschülern verhaftet und über bestehende Kontakte zur kurdischen Widerstandsbewegung befragt worden. Seither habe der Beschwerdeführer das Gefühl gehabt, von den Behörden fallweise observiert worden zu sein. Er sei 1979 aktives Mitglied der "Kurdischen Nationalen Union" geworden, wo er die Aufgabe gehabt habe, für diese Partei Propaganda zu betreiben, Flugzettel zu verteilen, neue Mitglieder anzuwerben sowie diese auf ihre Zuverlässigkeit zu überprüfen. Im Mai 1982 habe er als Student an einer von ihm mitveranstalteten Demonstration gegen Saddam Hussein teilgenommen, weshalb er mit 30 weiteren Studenten festgenommen und während 13 Tagen in einem Gefängnis angehalten worden sei. Sie hätten sich in einer 6 m2 großen Gefängniszelle aufhalten müssen und während dieser Zeit fast kein Essen erhalten. Dabei sei er von den Sicherheitsbeamten geschlagen und mißhandelt worden. Schließlich sei er mangels Beweisen für seine politische Tätigkeit wieder freigelassen worden. Als er wegen seiner Weigerung, sich zur Volksmiliz zu melden, im Frühjahr 1984 von seinem Studium an der Universität ausgeschlossen worden sei, habe er sich den kurdischen Widerstandskämpfern im Nordirak angeschlossen. Dort sei er für die politische Organisation zuständig gewesen. Als er im April 1986 unter eine Generalamnestie für Studenten gefallen sei, habe er sein Studium in Mosul zu Ende führen können. Er habe dann als Agraringenieur Land zu Bewirtschaftung zugewiesen bekommen. Ab dem Jahr 1986 habe er für die "Kurdische Nationale Union" kaum noch Aktivitäten gesetzt. Am 10. Jänner 1991 seien aber 5 irakische Sicherheitsbeamte erschienen und hätten ihn in das Gefängnis von Kirkuk gebracht, wo er sich bis zu seiner Befreiung anläßlich des Kurdenaufstandes am 21.3.1991 befunden habe. Während seiner Haft habe er feststellen müssen, daß der irakische Geheimdienst über seine Partei und seine Tätigkeit in dieser gut informiert gewesen sei. Als er den Vorschlag, als Informant für den irakischen Geheimdienst in seiner Partei tätig zu sein, abgelehnt habe, habe man ihn mißhandelt. Er sei täglich mit Kabeln geschlagen worden, man habe ihn mit den Füßen an der Decke aufgehängt und mit Holzstücken auf die Fersen geschlagen. Fallweise habe er auch Elektroschocks versetzt bekommen. Man habe ihm gedroht, seine Ehefrau zu vergewaltigen. Von den Mißhandlungen seien zwar keine sichtbaren Spuren zurückgeblieben, jedoch leide er seither an Kopfschmerzen und Schwächeanfällen. Am 20. Februar 1991 sei er im Gefängnis einem Einzelrichter vorgeführt worden, der ihn in einem Kurzverfahren zum Tode verurteilt habe. Die Vollstreckung des Urteils sei auf unbestimmte Zeit aufgeschoben worden. Nach seiner Befreiung im Zuge des Kurdenaufstandes am 21. März 1991 habe er sich noch 10 Tage in Kirkuk aufgehalten, jedoch angesichts seines schwächlichen Zustandes nicht an Kampfhandlungen teilgenommen. Als dann die Stadt wieder von irakischen Truppen eingenommen worden sei, habe er sich mit seiner Ehefrau zur Flucht in den Iran entschlossen. Dort hätten sie sich nahezu 2 Jahre aufgehalten, wobei er aber aufgrund seines illegalen Aufenthaltes dort nicht sicher gewesen sei. Im Falle einer Festnahme wäre er in den Irak abgeschoben worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde die gegen den abweislichen Bescheid des Bundesasylamtes vom 23. Juni 1993 erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen und ihm damit die Gewährung von Asyl versagt.

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung sowohl mit dem Nichtvorliegen der Flüchtlingseigenschaft als auch mit dem Eintritt der Verfolgungssicherheit im Iran. Im einzelnen führte sie im Rahmen ihrer rechtlichen Überlegungen aus, daß den Behauptungen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Vorfälle zwischen den Jahren 1975 und 1986 die asylrechtliche Relevanz fehle, weil diese Umstände nicht mehr in einem zeitlichen Zusammenhang zu der im Jahr 1991 erfolgten Flucht stünden. Nach herrschender Auffassung müsse die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung bis zur Ausreise des Asylwerbers aus seinem Heimatland angedauert haben, damit von einer aktuellen Verfolgungsgefahr ausgegangen werden könne. Dies sei angesichts des 5-jährigen Zeitraumes seit der geschilderten Vorfälle aus den Jahren vor 1986 nicht anzunehmen. Zu den als Kurde im Irak geschilderten allgemeinen Benachteiligungen und den Beschwerdeausführungen zur schwierigen Situation der kurdischen Bevölkerung in diesem Land sei festzuhalten, daß daraus der Beschwerdeführer keine konkrete, gegen ihn selbst gerichtete asylrechtlich relevante Verfolgungshandlung ableiten könne. Was seine Verhaftung am 10. Jänner 1991 und die nachfolgende Haft bis zum März 1991 anbelange, könnten die diesbezüglichen nicht weiter glaubhaft gemachten Angaben nicht als ausreichend angesehen werden, seine Flüchtlingseigenschaft zu begründen. So habe der Beschwerdeführer zwar von Mißhandlungen und Folterungen gesprochen, könne jedoch keine sichtbaren Verletzungsspuren (Narben und charakteristische Behinderungen des Bewegungsapparates) vorweisen. Als Folgen dieser Mißhandlungen habe er Kopfschmerzen und "Schwächeanfälle" angeführt, die aber kaum objektivierbar und nicht in einen kausalen Zusammenhang mit den behaupteten Folterungen zu bringen seien. Die angebliche Verurteilung zum Tode habe der Beschwerdeführer nur "beiläufig" gegen Ende seiner Einvernahme erwähnt, ohne dieses Urteil "zur Glaubhaftmachung zu erörtern". Gegen die Glaubwürdigkeit dieser Verurteilung spreche die Aussage des Beschwerdeführers, wonach die Vollstreckung auf unbestimmte Zeit aufgeschoben worden sei. Er habe auch keine Maßnahmen erwähnt, die auf eine beabsichtigte Vollziehung des Urteiles schließen ließen. Ein schriftliches Urteil habe der Beschwerdeführer nicht beibringen können. Es sei nicht nachvollziehbar, warum sich der Beschwerdeführer nach seiner Befreiung noch weiter in Kirkuk aufgehalten habe, wenn er tatsächlich zuvor verurteilt worden sein sollte. Offensichtlich habe er in Kirkuk einen möglichen Behördenkontakt subjektiv nicht zu fürchten gehabt.

Des weiteren stützte sich die belangte Behörde auf den Ausschlußtatbestand des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 mit der Begründung, der Beschwerdeführer habe sich nahezu zwei Jahre im Iran aufgehalten, davon 3 Monate mit Wissen der iranischen Behörden in einem Flüchtlingslager. Daraus ließe sich der eindeutige Schluß ziehen, daß der Beschwerdeführer im Iran keiner asylrechtlich relevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei, zumal der Iran seit 28. Juli 1976 Mitgliedstaat der Genfer Flüchtlingskonvention sei und keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß der Iran seine sich aus der Mitgliedschaft ergebenden Verpflichtungen, insbesondere das im Art. 33 verankerte Refoulement-Verbot, vernachlässigen würde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende, zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtet gewesene Beschwerde, die nach Ablehnung ihrer Behandlung durch den Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 5. Dezember 1994 zugleich dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten worden ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Verfügung vom 19. Jänner 1995 dem Beschwerdeführer gemäß § 34 Abs. 2 VwGG die Verbesserung der Beschwerde in näher bezeichneten Punkten aufgetragen. Diesem Auftrag ist der Beschwerdeführer nachgekommen. Nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat zunächst die Auffassung vertreten, die vom Beschwerdeführer dargestellten Festnahmen und Mißhandlungen in den Jahren 1975 bis 1986 lägen zeitlich soweit zurück, daß aus ihnen begründete Furcht vor Verfolgung nicht mehr abgeleitet werden könne. Die vom Beschwerdeführer geschilderten Diskriminierungen sowie sonstigen Nachteile der kurdischen Bevölkerung im Irak beträfen alle Angehörigen dieser Minderheit in gleichem Maße und begründeten nicht eine direkte, gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtete Verfolgungshandlung des Staates.

Insoweit steht diese Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers in Übereinstimmung mit der ständigen hg. Judikatur, derzufolge Umstände, die sich schon längere Zeit vor der Ausreise ereignet haben, nicht mehr beachtlich sind; die wohlbegründete Furcht muß vielmehr bis zur Ausreise andauern (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 16. September 1992, Zl. 92/01/0716). Richtig ist auch, daß aus der allgemein für die kurdische Bevölkerung im Irak geschilderten nachteiligen Situation grundsätzlich keine unmittelbar gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtete, direkte Verfolgungshandlung abgeleitet werden kann. Der Beschwerdeführer hat aber seine Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe im Irak und die dort diskriminierenden gesellschaftlichen Zustände lediglich zur Abrundung seines persönlichen Lebensweges dargestellt. Diese hätten schließlich zu seiner persönlichen Situation geführt, die für ihn die Flucht aus dem Irak unumgänglich habe erscheinen lassen. Der Beschwerdeführer begründete seine Furcht vor Verfolgung nämlich vornehmlich mit seinem Engagement für die politische Widerstandsbewegung der Kurden im Irak, nämlich mit seiner aktiven Mitgliedschaft bei der "Kurdischen Nationalen Union", für die er bis zum Jahre 1986 aktiv tätig gewesen sei. In dieser Zeit sei er mehrmals Verhaftungen und Mißhandlungen ausgesetzt gewesen, sodaß dieser politische Hintergrund, wenn auch die in dieser Zeit stattgefundenen Mißhandlungen von der belangten Behörde zutreffend mangels zeitlichen Konnexes mit seiner späteren Flucht nicht berücksichtigt worden sind, doch auch im Zusammenhang mit der (als maßgeblichen Fluchtgrund behaupteten) Verhaftung im Jänner 1991 gesehen werden muß. Der Beschwerdeführer hat nämlich als Grund für seine Verhaftung im Jahr 1991 seine politische Vergangenheit in der vorerwähnten kurdischen Partei angegeben, sodaß seine Behauptung, aufgrund seiner Weigerung für den irakischen Gemeindienst als "Spitzel" tätig zu sein und deshalb durch ein als Richter auftretendes staatliches Organ zum Tode verurteilt worden zu sein, von vornherein nicht als unschlüssig abgetan werden kann. Allein deshalb, weil das Todesurteil nach seinen Angaben auf vorerst unbestimmte Zeit aufgeschoben worden sei, kann noch nicht auf die Unglaubwürdigkeit der behaupteten Verkündung dieses Urteils - ob es nun tatsächlich von einem richterlichen Organ oder einem dazu nicht Befugten ausgesprochen worden war - geschlossen werden, zumal in Gebieten der bürgerkriegsänhnlichen politisch bedingten Auseinandersetzungen beim Verhalten staatlicher Behörden nicht ohne weiteres jener Maßstab angelegt werden kann, der in einer gefestigten, nicht durch innere Unruhen erschütterten Demokratie angebracht erscheint. Mit welchen Mitteln ein Staat daher vermeintliche staatsgefährdende Elemente zu bekämpfen versucht, kann nicht mit Hilfe abstrakter Hypothesen beantwortet werden. Da aus dem Inhalt der Verwaltungsakten nicht hervorgeht, daß dem Beschwerdeführer seinerzeit eine schriftliche Ausfertigung des Todesurteils ausgehändigt worden war, kann der Umstand, daß dieser eine solche Urkunde nicht vorgelegt hatte, nicht zur Begründung der Unglaubwürdigkeit dieser Aussage herangezogen werden.

Als tragende Begründung dafür, daß die vom Beschwerdeführer angegebenen Mißhandlungen während seiner behaupteten Haft in der Zeit vom 10. Jänner bis 21. März 1991 nicht als glaubhaft gemacht anzusehen seien, hat die belangte Behörde den von ihr angenommenen Umstand angeführt, daß der Beschwerdeführer die Verurteilung zum Tode "nur beiläufig gegen Ende" seiner Einvernahme erwähnt habe, ohne dieses zu erörtern. Dem ist entgegenzuhalten, daß der Beschwerdeführer als Grund für seine "Verurteilung" seine Weigerung, als Informant für den irakischen Geheimdienst tätig zu sein, und seine politische Vergangenheit bei der "Kurdischen Nationalen Union" angegeben hatte. Welche weiteren Erörterungen der Beschwerdeführer vorzunehmen gehabt hätte, läßt sich weder dem angefochtenen Bescheid noch allfällig in diese Richtung gehenden Fragen in der erstinstanzlichen Niederschrift entnehmen. Die belangte Behörde hat im Zusammenhang mit ihrer Vermutung, daß der Beschwerdeführer das Todesurteil lediglich deshalb erfunden habe, um seinem Vorbringen einen entsprechenden Nachdruck zu verleihen, es verabsäumt, sich mit dem dazu in der Berufungsschrift erstatteten Vorbringen auseinanderzusetzen. Darin wird ausgeführt, daß der Beschwerdeführer dieses Ereignis durchaus im logischen Zusammenhang während der Darstellung seiner Fluchtgründe und nicht nur "nebenbei" als zusätzliches, überschießendes Argument dargelegt habe. Hier ist anzumerken, daß im Bescheid des Bundesasylamtes festgehalten worden war, daß die Aussagen des Beschwerdeführers mit Ausnahme des "nebenbei" erwähnten Todesurteils insgesamt als glaubwürdig zu qualifizieren seien, sodaß es schon einer näheren Begründung bedurft hätte, warum die belangte Behörde die Darstellung des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Verhaftung und den Mißhandlungen während seiner Inhaftierung insgesamt als unglaubwürdig betrachtet, wenn die den Beschwerdeführer unmittelbar einvernehmende Behörde diesem grundsätzlich Glaubwürdigkeit zumaß. Welche Überlegungen das Bundesasylamt dazu veranlaßt haben anzunehmen, die als glaubwürdig angesehenen vom Beschwerdeführer behaupteten, immerhin zum Teil erheblichen Mißhandlungen, für deren Schwere entgegen der Auffassung der belangten Behörde das Vorhandensein sichtbarer Verletzungsfolgen nicht allein ausschlaggebend sein muß, hätten nicht jene Intensität erreicht, ihm einen Weiterverbleib in seinem Heimatland unerträglich erscheinen zu lassen, ist nicht nachvollziehbar. Die belangte Behörde mag zwar mit Recht Zweifel daran hegen, ob der vom Beschwerdeführer behauptete kausale Zusammenhang zwischen den angegebenen Kopfschmerzen sowie den Schwächeanfällen und den dargestellten Mißhandlungen medizinisch objektivierbar ist. Eine verläßliche Beurteilung läßt sich - wie in der Beschwerde zutreffend aufgezeigt wird - ohne Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen und ohne ausreichende Anhaltspunkte dafür, daß die angegebenen Symptome nur simuliert oder bei Vorhandensein auf andere Ursachen rückführbar sind, nicht vornehmen.

Die Aussage im angefochtenen Bescheid, es sei nicht nachvollziehbar, warum der Beschwerdeführer nach seiner Befreiung aus dem Gefängnis sich weitere 10 Tage in Kirkuk aufgehalten habe und die zugleich ausgedrückte Vermutung, er habe offensichtlich einen anschließenden Kontakt mit Behörden nicht gefürchtet, erweist sich bei Heranziehung des Inhaltes der niederschriftlichen Einvernahme vom 21./22. Juni 1993 als nicht schlüssig. Der Beschwerdeführer hatte nämlich angegeben, er habe sich nach seiner Befreiung aus dem Gefängnis während der Zeit der Kontrolle der Stadt durch die aufständischen Kurden dort aufgehalten, bei Einmarsch der staatlichen Armee sei er jedoch geflüchtet. Wenn also in der Beschwerde die Unschlüssigkeit der von der belangten Behörde angestellten Erwägungen behauptet wird, die zur Verneinung der angestrebten Flüchtlingseigenschaft geführt habe, so ist dem Beschwerdeführer im Sinne der aufgezeigten Mangelhaftigkeiten im Ergebnis zuzustimmen.

Trotz Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft wäre jedoch für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, wenn einer der Ausschlußgründe des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 vorläge, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war.

Die belangte Behörde stützte ihre Schlußfolgerung, der Beschwerdeführer sei im Iran vor Verfolgung sicher gewesen, darauf, daß er sich in diesem Staat 3 Jahre lang aufgehalten habe, davon nach seinen Angaben während 3 Monaten in einem Flüchtlingslager. Überdies sei der Iran seit 28. Juli 1976 Mitglied der Genfer Flüchtlingskonvention und es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß der Iran seine sich daraus ergebenden Verpflichtungen, insbesondere das im Art. 33 verankerte Refoulement-Verbot, vernachlässigen würde.

Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, im Iran keineswegs vor Verfolgung sicher gewesen zu sein, insbesondere habe kein Schutz vor Rückschiebung in den Irak bestanden. Dazu hat der Beschwerdeführer in Einklang mit seiner Aussage vor dem Bundesasylamt, er habe sich im Iran illegal aufgehalten und vor Abschiebung in den Irak nicht sicher gefühlt, vorgebracht, daß er von vielen Flüchtlingsfällen im Iran wisse, daß diese nach der Registrierung von den Sicherheitsorganen festgenommen und in den Irak abgeschoben worden seien. Es habe zwar einen Aufruf der Behörden im Iran gegeben, wonach sich die Flüchtlinge zur Legalisierung ihres Aufenthaltes bei den zuständigen Ämtern melden sollten, jedoch habe diese Registrierung in Wahrheit nur der Vorbereitung der Abschiebung gedient. In der Berufungsschrift hatte der Beschwerdeführer unter Hinweis auf Zeitungsberichten und Berichten internationaler Organisationen sowie auf Entscheidungen von mit Asylfragen befaßten Gerichten in der BRD ausdrücklich ausgeführt, daß im Iran für irakische Flüchtlinge kein Rückschiebeschutz bestehe. Da im vorliegenden Fall die belangte Behörde anders als noch das Bundesasylamt die Ablehnung des Asylantrages auch auf den Ausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 gestützt hat, sind die Beschwerdeausführungen vor dem Hintergrund des schon im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringens nach Maßgabe der den Beschwerdeführer im Verfahren treffenden Mitwirkungspflicht ausreichend konkretisiert, um die Wesentlichkeit der der belangten Behörde unterlaufenen Verletzungen von Verfahrensvorschriften (Parteiengehör sowie Ermittlungspflicht) zu erkennen. Der Mitwirkungspflicht kommt dort Bedeutung zu, wo es der Behörde nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden. Dies trifft auf die im Iran beobachtete Vorgangsweise betreffend den Schutz von Flüchtlingen vor Rückschiebung in ihren Heimatstaat nicht zu. Angesichts der auch nicht unter das Neuerungsverbot fallenden Beschwerdebehauptung, daß für den Beschwerdeführer gerade aufgrund seiner Registrierung im Flüchtlingslager die Gefahr bestanden habe, bei späterem Aufgreifen durch die staatlichen Behörden im Iran ohne ausreichende Beachtung seiner Fluchtgründe in den Irak zurückgeschoben zu werden, kann der Hinweis im angefochtenen Bescheid auf die Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Iran sowie auf die Mitgliedschaft des Iran bei der Genfer Flüchtlingskonvention nicht als ausreichender Ersatz für ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren angesehen werden. Es kommt vielmehr darauf an, ob der Iran von seiner effektiv geltenden Rechtsordung her einen dem Standard der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Schutz bietet.

Da die belangte Behörde somit Verfahrensvorschriften verletzt hat, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995200025.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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