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24/01 StrafgesetzbuchNorm
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des H S, vertreten durch Dr. Malena Stürzenbecher, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Laudongasse 20/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. August 2021, W122 2120158-2/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 22. Dezember 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Erkenntnis vom 18. April 2017 erkannte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) dem Revisionswerber - im Beschwerdeverfahren - den Status des Asylberechtigten zu, stellte fest, dass dem Revisionswerber kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukomme und erklärte die Revision für nicht zulässig.
3 Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 6. Februar 2019 wurde der Revisionswerber wegen der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs. 1 Z 2 StGB und § 207a Abs. 3 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt, die unter Setzung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
4 Mit Bescheid vom 29. März 2019 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den dem Revisionswerber mit Erkenntnis des BVwG vom 18. April 2017 zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab, stellte fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme, erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteile ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erließ gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit der Maßgabe ab, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf sechs Jahre herabgesetzt werde und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
6 In der Begründung führte das BVwG - soweit hier relevant - aus, nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes müssten für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Heimat- oder Herkunftsstaat verbracht werden dürfe: Er müsse ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür rechtskräftig verurteilt worden und gemeingefährlich sein und es müssten die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. Es genüge nicht, wenn ein abstrakt als „schwer“ einzustufendes Delikt verübt worden sei, sondern die Tat müsse sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen.
7 Taten, die sich gegen das Rechtsgut der sexuellen Integrität von Minderjährigen richteten, seien grundsätzlich als „besonders schweres Verbrechen“ im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 zu qualifizieren. Ebenso habe der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 13. Juli 2017, C-193/16, zum (dort gegebenen) sexuellen Missbrauch von Minderjährigen in verallgemeinernder Form festgehalten, dass nach Art. 83 Abs. 1 AEUV die sexuelle Ausbeutung von Kindern zu den Bereichen besonders schwerer Kriminalität gehöre, die eine grenzüberschreitende Dimension hätten und für die ein Tätigwerden des Unionsgesetzgebers vorgesehen sei. Daher stehe es den Mitgliedstaaten frei, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabsatz 2 AEUV angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, bei der die Gefahr der Wiederholung eine unmittelbare Bedrohung der Ruhe und der physischen Sicherheit der Bevölkerung darstelle. Es könne daher festgehalten werden, dass auch Taten, die mit einer unter fünfjährigen Freiheitsstrafe bedroht seien, so wie konkret die vom Revisionswerber verwirklichten Delikte gemäß § 207a Abs. 1 Z 2 StGB und § 207a Abs. 3, zweiter Fall StGB, und die daher aufgrund einer Strafdrohung von nur bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe nicht unter den Begriff des „Verbrechens“ gemäß § 17 Abs. 1 StGB fielen, nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für die Frage des Vorliegens eines „besonders schwerenVerbrechens“ im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG infrage kommen könnten, wenn sie von der Rechtsordnung und der Gemeinschaft des Staates, sowie aufgrund der Umstände des Einzelfalles als besonders schwerwiegend eingestuft würden.
8 Im vorliegenden Fall sei der Revisionswerber wegen der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs. 1 Z 2 und § 207a Abs. 3, zweiter Fall, StGB rechtskräftig verurteilt worden. Wie sich aus der Überschrift des zehnten Abschnittes des Strafgesetzbuches ergebe, welchem § 207a StGB zugeordnet sei, schütze der vom Revisionswerber verwirklichte Straftatbestand des § 207a StGB die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung Minderjähriger. Taten, die sich gegen das Rechtsgut der sexuellen Integrität von Minderjährigen richten würden, seien nach der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich als „besonders schweres Verbrechen“ im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 zu qualifizieren.
9 Es sei weiters von einer Gemeingefährlichkeit des Revisionswerbers und einer negativen Zukunftsprognose auszugehen. Auch eine Güterabwägung, ob die Interessen des Zufluchtsstaates Österreich jene des Revisionswerbers überwiegen würden, falle konkret nicht zu Gunsten der Interessen des Revisionswerbers aus. Damit sei § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG erfüllt und die belangte Behörde sei zu Recht davon ausgegangen, dass dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten abzuerkennen sei.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
11 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, laut näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten aufgrund des Ausschlussgrundes des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 das Vorliegen eines Verbrechens anhand der Definition des § 17 StGB notwendig. Erst in einem weiteren Schritt wäre zu klären, ob dieses als besonders schwer einzustufen sei. Der Revisionswerber sei wegen der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs. 1 Z 2 und § 207a Abs. 3 zweiter Fall StGB rechtskräftig verurteilt worden. Da diese Delikte einer Strafdrohung von bis zu 3 Jahren Freiheitsstrafe unterliegen würden, handle es sich gemäß § 17 StGB um „Vergehen“ und nicht um „Verbrechen“. Das BVwG sei von der näher zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es die vom Revisionswerber begangenen Vergehen als besonders schwere Verbrechen eingestuft und als Asylaberkennungsgrund qualifiziert habe.
12 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
13 Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG 2005 vorliegt.
14 § 6 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015 lautet (samt Überschrift):
„Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten
§ 6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn
1. und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;
2. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;
3. aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, oder
4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.
(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt.“
15 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssen für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf. Er muss (erstens) ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür (zweitens) rechtskräftig verurteilt worden, (drittens) gemeingefährlich sein und (viertens) müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2018/19/0522, mwN).
16 Gemäß § 17 Abs 1 StGB sind Verbrechen vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder zumindest mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind. Alle anderen strafbaren Handlungen sind gemäß § 17 Abs 2 StGB Vergehen.
17 Mit der Einteilung in Verbrechen und Vergehen trifft § 17 StGB eine grundsätzliche Unterscheidung der Straftaten, durch die das besondere Gewicht der als Verbrechen geltenden Straftaten ihrer Art nach betont werden soll. Über die Bezeichnung dieser Straftaten hinaus - mit „Verbrechen“ wird schon rein sprachlich ein höherer Unwert konnotiert - bringt die Anknüpfung an ein Mindestmaß der Strafdrohung von mehr als dreijähriger oder lebenslanger Freiheitsstrafe sowie die Einschränkung auf Vorsatztaten zum Ausdruck, dass es sich um solche handelt, denen ein besonders hoher Unrechtsgehalt innewohnt (vgl. VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0116, und VwGH 5.4.2018, Ra 2017/19/0531, jeweils mwN).
18 Voraussetzung für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ist demnach, dass ein Verbrechen im Sinne des § 17 StGB begangen wurde. Erst in einem zweiten Schritt ist - wie die Revision zutreffend aufzeigt - zu prüfen, ob es sich dabei um ein besonders schweres Verbrechen handelt (vgl. erneut Ra 2019/19/0116).
19 Nach den Feststellungen des BVwG handelt es sich bei den in Österreich vom Revisionswerber begangenen und strafrechtlich geahndeten Delikten um Vergehen im Sinne des § 17 Abs. 2 StGB. Die Feststellungen vermögen daher die Beurteilung des BVwG, fallbezogen liege ein besonders schweres Verbrechen vor, nicht zu tragen.
20 Insoweit sich das BVwG zur Begründung der Aberkennung auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. April 2018, Ra 2017/19/0531, stützt, ist darauf hinzuweisen, dass diesem Erkenntnis ein Verbrechen zu Grunde gelegen hatte.
21 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
22 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
23 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 31. Jänner 2023
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021190332.L00Im RIS seit
30.03.2023Zuletzt aktualisiert am
30.03.2023