Index
E6JNorm
AWG 2002 §1 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger und Dr.in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 26. Jänner 2021, LVwG 30.23-2733/2020-9, betreffend Übertretung des Abfallwirtschaftsgesetzes 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Murtal; mitbeteiligte Partei: R R in J), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Murtal vom 12. Oktober 2020 wurde der Mitbeteiligten zur Last gelegt, sie habe im Bereich einer Müllinsel in J direkt hinter den Müllcontainern nicht gefährliche Abfälle, und zwar einen Autokindersitz und ein Dampfbügeleisen, gelagert. Sie habe dadurch § 79 Abs. 2 Z 3 iVm § 15 Abs. 3 Z 1 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) verletzt. Über sie wurde eine Geldstrafe in der Höhe von 225,-- Euro (Ersatzfreiheitsstrafe neun Stunden) verhängt und sie wurde zur Leistung eines Beitrags zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens verpflichtet. In der dagegen erhobenen Beschwerde bestätigte die Mitbeteiligte, dass sie den Kindersitz, den ihr jemand vor die Tür gestellt hätte, zur Müllinsel gebracht habe und entschuldigte sich für ihr Verhalten. Das Dampfbügeleisen sei nicht von ihr zur Müllinsel gebracht worden.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis behob das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Verwaltungsgericht) das Straferkenntnis vom 12. Oktober 2020 und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit für das vorliegende Revisionsverfahren relevant - aus, es stehe unstrittig fest, dass die Revisionswerberin einen Autokindersitz hinter einem Müllcontainer bei einer Müllinsel im Bereich eines näher bezeichneten Weges abgestellt habe. Gemäß § 15 Abs. 3 AWG 2002 dürften Abfälle außerhalb von hiefür genehmigten Anlagen oder für die Sammlung oder Behandlung vorgesehenen geeigneten Orten nicht gesammelt, gelagert, oder behandelt werden. Eine „Müllinsel“ stelle einen für die Sammlung oder Behandlung geeigneten Ort dar (Verweis auf ErlRV 2293 BlgNR 24. GP 6). Wenn eine Müllinsel grundsätzlich ein geeigneter Ort sei, bedürfe es im Einzelfall einer konkreten Feststellung, weshalb gerade die gegenständliche Müllinsel nicht als geeigneter Ort im Sinne des Gesetzes angesprochen werden könne. Derartige Feststellungen lasse das Straferkenntnis vermissen, sodass es den Anforderungen des § 44a Z 1 VStG nicht gerecht werde, wonach der Spruch eines Straferkenntnisses die als erwiesen angenommene Tat eindeutig zu umschreiben habe.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, es liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vor, ob eine Lagerung von nicht gefährlichen Abfällen im Bereich von „Müllsammelinseln“ außerhalb der aufgestellten Container eine Lagerung an einem geeigneten Ort gemäß § 15 Abs. 3 Z 2 AWG 2002 darstelle.
5 Im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren erstatteten weder die belangte Behörde noch die Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Die Revision ist zulässig und begründet.
7 Die relevanten Bestimmungen des Abfallwirtschaftsgesetzes 2002 (AWG 2002), BGBl. I Nr. 102/2002 idF BGBl. I Nr. 71/2019, lauten:
„3. Abschnitt
Allgemeine Pflichten von Abfallbesitzern
Allgemeine Behandlungspflichten für Abfallbesitzer
§ 15.
(1) Bei der Sammlung, Beförderung, Lagerung und Behandlung von Abfällen und beim sonstigen Umgang mit Abfällen sind
1.die Ziele und Grundsätze gemäß § 1 Abs. 1 und 2 zu beachten und
2.Beeinträchtigungen der öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3) zu vermeiden.
(...)
(3) Abfälle dürfen außerhalb von
1.hiefür genehmigten Anlagen oder
2.für die Sammlung oder Behandlung vorgesehenen geeigneten Orten
nicht gesammelt, gelagert oder behandelt werden. Eine Ablagerung von Abfällen darf nur in hiefür genehmigten Deponien erfolgen.
(...)
10. Abschnitt
Schlussbestimmungen
Strafhöhe
§ 79.
(...)
(2) Wer
3.nicht gefährliche Abfälle entgegen § 15 Abs. 1, 3 oder 4 sammelt, befördert, lagert, behandelt oder beim sonstigen Umgang mit nicht gefährlichen Abfällen entgegen § 15 Abs. 1 die Ziele und Grundsätze nicht beachtet oder die Beeinträchtigungen der öffentlichen Interessen nicht vermeidet oder entgegen § 15 Abs. 2 vermischt oder vermengt
(...)
begeht - sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet oder nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist - eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 450 € bis 8 400 € zu bestrafen ist; wer jedoch gewerbsmäßig im Bereich der Abfallwirtschaft tätig ist, ist mit einer Mindeststrafe von 2 100 € bedroht.
(...)“
8 Voranzustellen ist, dass der von der Mitbeteiligten auf einer Müllsammelinsel neben einem Container abgestellte Autokindersitz unabhängig von seinem Zustand aus rechtlicher Sicht als Abfall (zum subjektiven und objektiven Abfallbegriff vgl. etwa VwGH 15.9.2011, 2009/07/0154) und die Mitbeteiligte als Abfallbesitzerin zu qualifizieren ist (vgl. zu diesem Begriff VwGH 28.5.2019, Ro 2018/05/0019).
9 Das Verwaltungsgericht ging in seiner rechtlichen Beurteilung erkennbar davon aus, Müllsammelinseln seien grundsätzlich ein geeigneter Ort für die Sammlung von Abfällen, auch wenn der Abfall nicht in die dort bereitgestellten Container eingebracht wird. Dazu verweist es auf die Gesetzesmaterialien zur Regierungsvorlage der AWG-Novelle Industrieemissionen, BGBl. I Nr. 103/2013. Die entsprechende Stelle lautet (ErläutRV 2293 BlgNR 24. GP 6):
„Es wird darauf hingewiesen, dass sogenannte ‚Müllsammelinseln‘, die zur Sammlung von Abfall aufgestellt werden, nicht als Anlage im Sinne des AWG 2002 zu qualifizieren sind. Eine Müllsammelinsel stellt einen für die Sammlung oder Behandlung geeigneten Ort gemäß § 15 Abs. 3 Z 2 AWG 2002 dar. Eine Genehmigung gemäß § 37 oder als Altstoffsammelzentrum gemäß § 54 ist daher nicht erforderlich. Gleiches gilt für Abfallsammelbehälter im Haushalt oder auf der Straße, sogenannte Rollcontainer (vgl. 984 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP, § 54).“
10 Die Erläuterungen nehmen in Bezug zu Müllsammelinseln nur eine Abgrenzung zum Erfordernis einer Anlagengenehmigung gemäß § 37 AWG 2002 vor. Eine Definition des Begriffs „Müllsammelinsel“ geht weder aus dem Gesetz selbst noch aus den Erläuterungen hervor. Eine solche Definition kann auch dahingestellt bleiben. Die Mitbeteiligte stellte ihren Abfall neben eine Ansammlung von Müllsammelbehältern. Ob dies ein geeigneter Ort im Sinn des § 15 Abs. 3 Z 2 AWG 2002 ist, hat unter Beachtung der Ziele und Grundsätze der Abfallwirtschaft gemäß § 1 Abs. 1 und 2 AWG 2002 zu erfolgen, wobei eine Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3 leg. cit.) zu vermeiden ist (vgl. § 15 Abs. 1 AWG 2002).
11 Abfall neben einen Container zu stellen, widerspricht diesen Zielen und Grundsätzen, weil dadurch bereits die Abholung, aber auch eine allfällige weitere Verwertung des Abfalls in aller Regel erschwert wird. So soll Abfall stets auch in den jeweils dafür vorgesehenen Abfallcontainer einsortiert werden, damit die Abholung sowie Verwertung oder Beseitigung möglichst ressourcenschonend vorgenommen werden kann (vgl. zu den Begriffen der Verwertung und Beseitigung etwa VwGH 2.6.2005, 2003/07/0012, mit Verweis auf EuGH 27.2.2002, C-6/00).
12 Dass neben einen Container gestellte Abfälle vielleicht von jemand anderem genommen und weiterverwendet werden können, ist kein Argument für die Zulässigkeit des Danebenstellens. Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass allfällig wiederverwertbare Abfälle in dafür vorgesehenen Sammelzentren, in Second-Hand-Geschäften oder auf Flohmärkten einer weiteren Verwertung zugeführt werden können, ohne der Witterung ausgesetzt zu sein, durch die ihre Wiederverwertbarkeit verloren gehen kann. Auch das Internet bietet zahlreiche Möglichkeiten, gebrauchte Gegenstände auf einfach handzuhabende Weise weiterzugeben.
13 Der Platz neben einem Müllsammelbehälter ist daher kein für die Sammlung oder Behandlung von Abfall vorgesehener geeigneter Ort im Sinn des § 15 Abs. 3 Z 2 AWG 2002.
Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte, belastete es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
14 Das angefochtene Erkenntnis ist darüber hinaus rechtswidrig, weil das Verwaltungsgericht auch die Verpflichtung gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG verkannt hat, in der Sache selbst zu entscheiden, indem es das angefochtene Erkenntnis nur (ersatzlos) behoben hat, ohne über Schuld und Strafe abzusprechen.
15 Während § 28 VwGVG unter engen (hier nicht näher darzustellenden) Voraussetzungen dem Verwaltungsgericht erlaubt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückzuverweisen, anstatt selbst die Sachentscheidung zu treffen, verpflichtet § 50 VwGVG das Verwaltungsgericht, über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist (vgl.VwGH 2.5.2019, Ra 2019/05/0006, mit Verweis auf VwGH 1.10.2018, Ra 2018/03/0006, mwN). Der letztere Fall betrifft die Einstellung des Beschwerdeverfahrens nach dem VwGVG und nicht die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens gemäß § 45 VStG, mit welcher über die Beschwerde in der Sache selbst entschieden wird. Wenn das Verwaltungsgericht das angefochtene Straferkenntnis - wie im vorliegenden Fall - nur (ersatzlos) behebt, wird die Verwaltungsstrafsache nicht abschließend erledigt und damit nicht in der Sache selbst - sei es durch Einstellung des Strafverfahrens oder im Sinne eines Schuldspruches - entschieden (vgl. erneut VwGH 2.5.2019, Ra 2019/05/0006, mwN). Das Verwaltungsgericht hat seiner Pflicht zur Entscheidung in der Sache somit nicht entsprochen.
16 Aus den genannten Gründen war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 23. Februar 2023
Gerichtsentscheidung
EuGH 62000CJ0006 ASA Abfall Service VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021050063.L00Im RIS seit
30.03.2023Zuletzt aktualisiert am
30.03.2023