Index
10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VGLeitsatz
Auswertung in ArbeitSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen die Erlassung eines auf zwei Jahre befristeten Einreiseverbotes abgewiesen wird, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
1. Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er stellte am 1. Jänner 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 16. März 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung zulässig ist, gewährte eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise, erließ ein auf zwei Jahre befristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer und erkannte der Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab.
2. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss vom 27. April 2021 – mit Erkenntnis vom 23. Mai 2022 im Wesentlichen als unbegründet ab (es korrigierte lediglich die Frist für die freiwillige Ausreise auf 14 Tage). Das befristete Einreiseverbot begründet das Bundesverwaltungsgericht damit, dass der Beschwerdeführer den Nachweis nicht erbringen habe können, wie er seinen Unterhalt aus Eigenem finanziere. Dabei sei auch darauf Bedacht zu nehmen, dass er Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung beziehe, keiner der Pflichtversicherung unterliegenden Erwerbstätigkeit nachgehe und damit nicht selbsterhaltungsfähig sei. Zum Gesamtverhalten des Beschwerdeführers habe das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausgeführt, dass er unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist sei und einen unbegründeten Asylantrag gestellt habe, was geeignet sei, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden. Dazu gelte es festzuhalten, dass der bloße unrechtmäßige Aufenthalt nach dem System der Rückführungsrichtlinie noch keine derartige Störung der öffentlichen Ordnung darstelle, dass er immer die Erlassung eines Einreiseverbotes gebieten würde. Allerdings sei die fallbezogen vorliegende Kombination von Fehlen der Unterhaltsmittel, unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet und die Stellung eines unbegründeten Asylantrages ein solches Fehlverhalten, das nicht zu einer bloß geringfügigen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit führe, und daher als Grundlage für ein Einreiseverbot ausreiche. Angesichts der aufgezeigten Umstände sei die Annahme der Verwaltungsbehörde daher gerechtfertigt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde. Da er in Österreich weder ein Familienleben noch ein Privatleben führe, könne die Erlassung eines Einreiseverbotes auch iSd Art8 Abs2 EMRK als verhältnismäßig angesehen werden. Die im konkreten Beschwerdefall vorzunehmende Interessenabwägung schlage somit zuungunsten des Beschwerdeführers und zugunsten des öffentlichen Interesses an der Erlassung eines Einreiseverbotes aus. Die Verhängung des Einreiseverbotes in der von der erstinstanzlichen Behörde ausgesprochenen Dauer sei nicht zu beanstanden und könne als angemessen, erforderlich und darüber hinaus auch als verhältnismäßig angesehen werden. Der Beschwerdeführer habe in der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht auch keine konkreten Umstände aufgezeigt, die die Festsetzung einer geringeren Dauer des Einreiseverbots indizieren würden.
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
4. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Erlassung eines auf zwei Jahre befristeten Einreiseverbotes richtet, ist sie begründet:
4.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 6. Dezember 2022, G264/2022, §53 Abs2 Z6 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 87/2012 als verfassungswidrig aufgehoben und verfügt, dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.
4.2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG ist daher die aufgehobene Gesetzesbestimmung nicht nur im Anlassfall, sondern ausnahmslos in allen Fällen und folglich auch im vorliegenden Fall nicht mehr anzuwenden (VfSlg 15.401/1999, 19.419/2011).
4.3. Das Bundesverwaltungsgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Erlassung eines auf zwei Jahre befristeten Einreiseverbotes abgewiesen wird, wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt.
Das Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben.
5. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie der Gewährung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.
Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (s etwa EGMR 7.7.1989, Fall Soering, EuGRZ1989, 314 [319]; 30.10.1991, Fall Vilvarajah ua, ÖJZ1992, 309 [309]; 6.3.2001, Fall Hilal, ÖJZ 2002, 436 [436 f.]) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden in welcher Form immer außer Landes zu schaffen, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er gebracht werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl VfSlg 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).
Das Bundesverwaltungsgericht hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.
Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen des Beschwerdeführers zu Recht als unglaubwürdig erachtet hat, nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen.
Dieses Ergebnis entbindet die Vollzugsbehörde nicht von ihrer Verpflichtung, bei der Durchführung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme Art3 EMRK (insbesondere im Hinblick auf die aktuelle Sicherheitslage im Herkunftsstaat der beschwerdeführenden Partei) zu beachten.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2023:E1798.2022Zuletzt aktualisiert am
29.03.2023