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37/02 KreditwesenNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Zurückweisung von Beschwerden einer betrieblichen Vorsorgekasse mangels Rechtsschutzinteresses; kein hinreichend effektiver Rechtsschutz durch die Zurückweisung der Beschwerden gegen die Abberufung der Geschäftsleiter durch die Finanzmarktaufsicht angesichts der Rechtswirkungen der Abberufung in zukünftigen Aufsichtsverfahren sowie der (existenzbedrohenden) wirtschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen im Falle eines KonzessionsentzugsRechtssatz
Gemäß stRsp des VwGH fehlt, einem Kreditinstitut, das einem Auftrag der FMA gemäß §70 Abs4 BWG, einen Geschäftsleiter abzuberufen, nachkommt, im weiteren Verfahren gegen die von der Aufsichtsbehörde verfügte Maßnahme die Beschwer und damit die Rechtsmittellegitimation. In einem solchen Fall sei Gegenstandslosigkeit anzunehmen, weil der beaufsichtigte Rechtsträger nach Erfüllung des durch den Bescheid der FMA erteilten Auftrages nicht mehr fortdauernd in seinen Rechten verletzt sein könne. Einer Entscheidung des VwGH käme nur noch abstrakt-theoretische Bedeutung zu.
Demgegenüber befindet sich der beaufsichtigte Rechtsträger mit der Erlassung eines Abberufungsbescheides gemäß §70 Abs4b BWG, der regelmäßig unter Setzung einer sehr kurzen Frist für die Abberufung der Geschäftsleiter und unter Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer allfälligen Beschwerde erlassen wird, in einer Situation, in der die Abberufung der Geschäftsleiter eine unabdingbare rechtliche (und faktische) Konsequenz ist. Kommt der beaufsichtigte Rechtsträger dem Abberufungsauftrag nämlich nicht nach und bekämpft er den diesbezüglichen und (in aller Regel) bereits vollstreckbaren Bescheid beim BVwG, droht als ultima ratio der bescheidmäßige Entzug der Konzession durch die FMA.
Auf Grund der (existenzbedrohenden) wirtschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen eines (wenn auch nur vorübergehenden) Konzessionsentzuges für den beaufsichtigten Rechtsträger und dessen Kunden ist eine solche Vorgangsweise zwar theoretisch denkbar, aus rechtsstaatlicher Sicht faktisch aber nicht hinreichend effizient.
Die Abberufungsbescheide entfalten darüber hinaus - trotz der zwischenzeitig erfolgten Abberufung bzw des Rücktrittes der Geschäftsleiter - insofern (weiterhin) Rechtswirkungen, als der damit zum Ausdruck kommende Vorwurf der Unzuverlässigkeit in Bezug auf die Geschäftsleiter von der FMA in zukünftigen aufsichtsrechtlichen Verfahren, insbesondere betreffend die (Wieder-)Bestellung zu Geschäftsleitern, zu berücksichtigen ist. Aus diesem Grund kann nicht davon gesprochen werden, dass der Entscheidung des BVwG über die Beschwerden gegen die Abberufungsbescheide lediglich theoretisch-abstrakte Bedeutung zukommt.
Auch das Beschwerdeverfahren gegen einen allfälligen Maßnahmenbescheid der FMA eröffnet keinen hinreichenden Rechtsschutz für den betroffenen Rechtsträger. In diesem Verfahren wird nämlich nicht über den Vorwurf der Unzuverlässigkeit gegen die (ehemaligen) Geschäftsleiter des beaufsichtigten Rechtsträgers, sondern nur über die Frage abgesprochen, ob die von der FMA gegenüber dem beaufsichtigten Rechtsträger angeordneten Maßnahmen - auf der Grundlage des verbindlichen Abberufungsbescheides - rechtmäßig waren.
Ein den rechtsstaatlichen Grundsätzen genügender, faktisch effizienter Rechtsschutz für den beaufsichtigten Rechtsträger kann daher nur im Beschwerdeverfahren gegen den Abberufungsbescheid bzw die Abberufungsentscheidung sichergestellt werden.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Bankwesen, Bankenaufsicht, Rechtsschutz, Beschwer, Rechtsstaatsprinzip, Bundesverwaltungsgericht, Legitimation, FinanzverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2023:E2880.2022Zuletzt aktualisiert am
29.03.2023