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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Somalia; mangelhafte Auseinandersetzung mit der Situation von Rückkehrern in die Herkunftsregion sowie mit der Rückkehr des kranken Beschwerdeführers in die Region der innerstaatlichen Fluchtalternative (Bundeshauptstadt Mogadischu)Spruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist somalischer Staatsangehöriger und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er lebte bis zu seiner Ausreise in einem Dorf in der Region Shabelle Dhexe/Middle Shabelle. Der Beschwerdeführer leidet ua an einer chronischen Gastritis, Lumboischialgie und einem hohen Cholesterinspiegel, weswegen er medikamentös behandelt wird. Am 22. Jänner 2015 stellte er im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom 11. April 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Somalia zulässig ist, und setzte eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise.
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 18. September 2020 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht führt zunächst aus, dass der Beschwerdeführer keine individuell gegen seine Person gerichtete asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen habe können. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hält das Bundesverwaltungsgericht aus folgenden Gründen für nicht gegeben:
"[…] Wie bereits […] zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat ausgeführt, wird betreffend [der] Sicherheitslage seitens des Bundesverwaltungsgerichts in Hinblick auf die aktuelle Lage im Herkunftsstaat zwar nicht verkannt, dass die Situation (auch) in Middle Shabelle und der Bundeshauptstadt Mogadischu nach wie vor angespannt ist. Dennoch ist festzuhalten, dass sich sowohl die Küstenorte von Middle Shabelle als auch die Hauptstadt Mogadischu in der Benadir Region unter der Kontrolle von Regierungskräften und AMISOM befinden. Mogadischu ist eine über den Luftweg aufgrund des vorhandenen Flughafens sicher […] erreichbare Stadt.
Wie aus den Länderfeststellungen zusammengefas[s]t hervorgeht, soll al-Schabaab am 03.05.2020 einen Mann im Distrikt Adan Yabal, Region Middle Shabelle, öffentlich hingerichtet haben. Der Mann wurde der Spionage für die US Central Intelligence Agency (CIA) und das Militär beschuldigt. Zwischen 03.05. und 07.05.2020 wurden mindestens zwei Zivilisten bei Angriffen der al-Schabaab in den Regionen Lower und Middle Shabelle getötet. Auf al-Schabaab in Lower Shabelle ausgeübter Druck zwingt die Gruppe dem UNO-Sicherheitsrat zufolge offensichtlich dazu, ihre Präsenz in den Regionen Bay und Middle Shabelle auszuweiten. Angaben lokaler Dorfältester zufolge entführten und töteten am 27.05.2020 Soldaten sieben Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und einen Zivilisten, die sie verdächtigten, mit Aufständischen in der Region Middle Shabelle zu sympathisieren; die Armee bestritt eine Beteiligung. Im Juni 2020 wurden mindestens 14 Soldaten und drei Zivilisten bei al-Schabaab-Angriffen in Hiraan, Lower Juba, Bay, Gedo, Middle Shabelle und Lower Shabelle getötet […].
Bezüglich der aktuellen Sicherheitslage in der Bundeshauptstadt Mogadischu ist zusammengefasst davon auszugehen, dass am 28.05.2020 in Mogadischu in einem Auto eine Bombe explodierte, zwei Polizeibeamte wurden dabei getötet. Al-Schabaab erklärte sich [da]für verantwortlich. Al-Schabaab bekannte sich zu einem Selbstmordanschlag in der Nähe des Hafens der Hauptstadt Mogadischu Anfang Juli 2020, bei dem mindestens sieben Personen verletzt wurden. Nach Polizeiangaben hätten Beamte das Feuer auf ein Fahrzeug eröffnet, nachdem der Fahrer nicht an einem Kontrollpunkt angehalten hatte. General ******************, Oberster Kommandant der somalischen Streitkräfte, blieb bei einem Attentat im Bezirk Hodan in Mogadischu unverletzt. Ein Zivilist starb, als ein Selbstmordattentäter versuchte, ein mit Bomben beladenes Auto in den Konvoi des Generals zu steuern. Zu dem Angriff am 13.07.2020 bekannte sich al-Schabaab. Am 08.08.2020 führte eine Autobombenexplosion auf einer Militärbasis in Mogadischu zu mindestens acht toten Soldaten und 14 Verwundeten. Al-Schabaab übernahm die Verantwortung für den Anschlag. Am 03.08.2020 wurden zwei Wachmänner eines Restaurants getötet, als sich ein Selbstmordattentäter in die Luft sprengte. Mehrere Gäste wurden verletzt. Bisher hat noch keine Gruppe die Verantwortung für den Anschlag übernommen […].
Anschläge sind somit sowohl in Mogadischu als auch in Middle Shabelle nicht auszuschließen und finden in unregelmäßigen Abständen auch statt, wobei die größte Gefahr von terroristischen Aktivitäten [von] der al-Schabaab ausgeht. Al-Schabaab greift Zivilisten grundsätzlich nicht spezifisch an, jene[,] die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von den al-Schabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden, sind jedoch einem erhöhten Risiko ausgesetzt und [es] besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden.
Die insgesamt weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen für sich alleine betrachtet, vermag jedoch nicht die Schlussfolgerung zu tragen, dass die Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat automatisch gegen Art3 EMRK verstoßen würde bzw für den Betroffenen unzumutbar wäre; insgesamt ist die aktuelle Sicherheitslage auf Grund der obigen Ausführungen in der Region Middle Shabelle sowie in der Bundeshauptstadt Mogadischu für den Beschwerdeführer [als] ausreichend sicher zu bewerten.
Laut [den] Länderfeststellungen […] zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers[…] gilt (von den fünf IPC Stufen grün: 1 bis rot: 5) in der Region Middle Shabelle derzeit[…] die IPC-Stufe 1 bis 2 (grün: minimal bis gelb: stressed), in der Bundeshauptstadt Mogadischu die IPC-Stufe 3 (orange: crisis). Die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu[…] Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung ist häufig nur eingeschränkt möglich und hat sich die Situation bedingt durch die COVID-19 Pandemie zusätzlich verschärft.
Auch übersieht das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass es mittlerweile wieder Überschwemmungen in der Bundesrepublik Somalia gab. Der Beschwerdeführer bzw seine im Herkunftsstaat zurückgelassene[n] Familien leben aber in Shabelle Dhexe/Middle Shabelle und nicht in den am 01.08.2020 von Überschwemmungen betroffen Gebieten in der Region Lower Shabelle, als dort damals etwa 6.000 Menschen durch die Überschwemmungen vertrieben wurden. Somit auch nicht in de[n] von Überflutungen betroffenen Bezirke[n] Afgooye und Wanla Weyn in Lower Shabelle, in denen seit dem 05.07.2020 schätzungsweise 70.000 Menschen betroffen waren. In vielen Gebieten Süd- und Zentralsomalias waren die anhaltenden Regenfälle in der Saison stärker als in den Vorjahren, wobei starke Winde und niedrigere Temperaturen gemeldet wurden. Der Beschwerdeführer kommt auch nicht aus den zwischen Mai und Juli von Sturz- und Flussfluten betroffen[en] Gebieten.
Aus den Länderfeststellungen geht zudem hervor, dass im April 2020 die dreifache Bedrohung bereits bestehende Schwachstellen verschärft hat, die humanitären Bedürfnisse eskalierten und die Existenzgrundlage[n wurden] beeinträchtigt […], insbesondere für Geringverdiener und arme Familien. Infolgedessen werden von Juni bis September 2020 mindestens 3,5 Millionen Menschen in die Ernährungsunsicherheit von Krisen oder Notsituationen (IPC Phase 3 oder höher) fallen, wobei eine Million Kinder unterernährt sein dürften. Gleichzeitig fressen Wüstenheuschrecken Tausende Hektar Pflanzen und Weiden in Somaliland, Puntland und Galmudug auf. Allerdings ist der Beschwerdeführer nicht minderjährig, seine Familie nicht arm, sondern für somalische Verhältnisse eher wohlhabend und [es] ist ersichtlich, dass weder die Küstenregion in Middle Shabelle, wo die große Landwirtschaft seiner Familie liegt, noch die Bundeshauptstadt Mogadischu von Wüstenheuschrecken heimgesucht wurden.
[…]
Wenn auch eine angespannte Lage vorliegt, so kann angesichts der individuellen Umstände des Beschwerdeführers nicht erkannt werden, dass sich diese angespannte Versorgungslage gerade in Bezug auf seine Person in einem Ausmaß auswirken wird, welches ihn in eine als unmenschlich oder erniedrigend zu bezeichnende Lebenssituation versetzen würde. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig und im erwerbsfähigen Alter. Er hat im Herkunftsstaat fünf Jahre die Grundschule besucht und dort mehrere Jahre als Fischer gearbeitet. Er hat bis zu seiner Ausreise im Alter von 34 Jahren in Somalia gelebt, dort eine Familie gegründet, ein zweites Mal nach moslemischem Ritus geheiratet, spricht die Landessprache und ist mit den dortigen kulturellen Gepflogenheiten vertraut. Er verfügt über familiäre Anknüpfungspunkte in seinem Heimatort sowie über viele Freunde in Mogadischu. Wie bereits […] zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat dargelegt, ist es dem Beschwerdeführer angesichts seiner individuellen Umstände möglich, sich in seinem Heimatort eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern, wobei er im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsort oder nach Mogadischu auch mit der Unterstützung seiner dort nach wie vor beheimateten Familienangehörigen und Freunde rechnen kann.
Darüber hinaus kann der Beschwerdeführer durch die Inanspruchnahme von österreichischer Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise das Auslangen finden, weshalb auch nicht zu befürchten ist, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw wirtschaftlich ausweglose Lage geraten würde. Es gibt folglich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (zB Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohlichen Situation ausgesetzt wäre.
[…]
Eine Rückführung des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Somalia stellt keine Verletzung nach Art3 EMRK dar, zumal er […] an keinen schwerwiegenden oder akut lebensbedrohlichen Krankheiten leidet. […] Auch unter Berücksichtigung der COVID-19 Pandemie ergibt sich hierzu keine andere Beurteilung. Dass der Beschwerdeführer derzeit an einer COVID-19 Infektion leiden würde, wurde nicht vorgebracht.
Zwar hat der 40-jährige Beschwerdeführer Vorerkrankungen, gehört damit aber nicht automatisch zu einer 'Hochrisikogruppe' und verkennt das erkennende Gericht auch nicht, dass die medizinische Versorgung in der Bundesrepublik Somalia äußerst mangelhaft ist. [M]it Stand 21.08.2020 [gingen] die bestätigten täglichen COVID-19 Fälle zurück. Somalia hatte am 21.08.2020 3.265 bestätigte Erkrankte, mit 2.396 Genesenen, aber die Zahl der Todesfälle war seit mehreren Wochen bei 93 geblieben. Im ganzen Land konzentrieren sich Gesundheitseinrichtungen und gemeindebasierte Überwachungsaktivitäten auf Früherkennung, Tests, Erfassung und Rückverfolgung der Fälle. Die Bundesregierung Somalias hat die Wiederaufnahme internationaler Flüge zugelassen, was die Bewegung von Helfern und die Lieferung von Hilfsgütern und die Wiedereröffnung von Schulen erleichtern dürfte. Es wurden Leitlinien entwickelt, um das Risiko auf Flughäfen zu minimieren, und die Fluggäste benötigen ein ärztliches Attest, aus dem hervorgeht, dass sie frei von COVID-19 sind. UN-Organisationen und -Partner haben die Reaktionen auf die Pandemie verstärkt. […] Seit dem 06.08.2020 wurden über 34 Millionen Tonnen Fracht in Zusammenhang mit COVID-19 transportiert. Der Cluster installiert eine mobile Speichereinheit auf dem internationalen Flughafen Mogadischu, um die Lagerung der Fracht der Partner sowohl für COVID-19 als auch für Hochwasserreaktionen zu erleichtern. […] Dass die Bundesrepublik Somalia somit weit weniger Fälle an Infizierten bzw Toten, bezogen auf die Bevölkerungszahl[…], verzeichnet als vergleichsweise Österreich, sei der Vollständigkeit halber erwähnt.
[…] Nach der derzeitigen Sachlage wäre eine mögliche Ansteckung des Beschwerdeführers in der Bundesrepublik Somalia mit Covid-19 und ein diesbezüglicher außergewöhnlicher Krankheitsverlauf allenfalls spekulativ. Eine konkrete bzw nicht auf bloße Spekulationen gegründete Gefahr im Sinne des Art3 EMRK ist jedenfalls nicht zu erkennen.
Ziel der gesetzlichen Regelung ist es nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen, wie es die Rückkehr in die Bundesrepublik Somalia sein kann, zu beschützen, sondern einzig und allein Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben. Der Beschwerdeführer hat für seinen Einzelfall keine individuellen, konkret seine Person treffenden exzeptionellen Umstände aufgezeigt bzw diese glaubhaft gemacht.
[…]
Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des Beschwerdeführers ist diesem eine Rückkehr in seinen Herkunftsstaat, jedenfalls in die Bundeshauptstadt Mogadischu, trotz der COVID-19 Pandemie möglich und auch zumutbar; weshalb im Ergebnis spruchgemäß zu entscheiden ist."
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Erwägungen
A. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und der Festsetzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass der Beschwerdeführer an einer "chronischen Gastritis, Lumboischialgie (Rückenschmerzen, die auf einer Nervenwurzelreizung beruhen) und einem hohen Cholesterinspiegel [leidet], weswegen er medikamentös behandelt wird". Beweiswürdigend hält es fest, dass seit der letzten Stellungnahme vonseiten des Beschwerdeführers nicht von einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes auszugehen und dieser beschwerdefrei, arbeitsfähig und -willig sei. In der rechtlichen Beurteilung führt das Bundesverwaltungsgericht im Zuge seiner Ausführungen zur COVID-19 Pandemie aus, dass der Beschwerdeführer Vorerkrankungen aufweise. Ob es darunter auch die nicht ausdrücklich erwähnten Erkrankungen, wie Bluthochdruck, der nach den Angaben im Bescheid und der beigelegten Medikamentenliste medikamentös behandelt wird, versteht, bleibt offen. Ungeachtet dessen, dass das Bundesverwaltungsgericht Vorerkrankungen bejaht, verneint es eine Zugehörigkeit zu einer "Hochrisikogruppe"; "ein [auf COVID-19 bezogener] außergewöhnlicher Krankheitsverlauf [sei] allenfalls spekulativ". Wie das Bundesverwaltungsgericht zu dieser Schlussfolgerung gelangt, wird nicht dargelegt.
Nach dem im Akt einliegenden Arztbrief vom 17. September 2018 leide der Beschwerdeführer an chronischer Gastritis, Lumboischialgie, dext. Thrombozytose, Status post Bakteriurie und Moktionsbeschwerden, Hypercholesterinämie, Vitamin-D-Mangel und rezidivierenden Thoraxschmerzen. Außerdem klage er über Stenocardie, Erstickungsgefühl, das Elektrokardiogramm sei abnormal, zeige ST-Abnormalität und Ischämie-Zeichen. Weiters leide er an Anpassungsstörungen, Angstzuständen und Schlafstörung. Die ebenfalls aktenkundige Medikamentenliste vom 9. September 2019 zeigt folgende zur Behandlung erforderlichen Medikamente auf: Gastroloc, Candesartan/Amlodipin, Oleovit, Ibuprofen und Simvastatin.
2.2. Der genaue Herkunftsort des Beschwerdeführers konnte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht eruiert werden. Das Bundesverwaltungsgericht erörtert, dass er "in einem nicht näher festgestellten Dorf in Küstennähe (in zwischen 120 bis 300 km Entfernung zur Bundeshauptstadt Mogadischu), welches in der Region Shabelle Dhexe/Middle Shabelle" liege, gelebt habe. Die allgemeinen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach sich "die Küstenorte von Middle Shabelle […] unter der Kontrolle von Regierungskräften und AMISOM befinden", worauf es eine mögliche Rückkehr des Beschwerdeführers wesentlich stützt, genügen – vor dem Hintergrund der Berichtslage zu Somalia und des Umstandes, dass sich die Situation im Herkunftsstaat je nach Region unterschiedlich darstellt – den Anforderungen, sich konkret mit der aktuellen allgemeinen Lage in jener Region auseinanderzusetzen, aus der der Beschwerdeführer stammt, nicht (vgl VfGH 22.9.2020, E1453/2020; 24.2.2020, E3517/2019; 12.6.2019, E1371/2019). Insbesondere die Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach al-Schabaab ihre Präsenz in der Region Middle Shabelle ausweite, und die Darstellung der Kontrollgebiete in Somalia, wonach Middle Shabelle weitestgehend unter die Kategorie "mixed, unclear, and/or local control" falle, stehen zur Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes im Widerspruch.
2.3. Alternativ verweist das Bundesverwaltungsgericht (daher) auch auf "eine Rückkehr in [den] Herkunftsstaat, jedenfalls in die Bundeshauptstadt Mogadischu", die es für möglich und zumutbar hält.
Das Bundesverwaltungsgericht hält fest, dass der Beschwerdeführer arbeitsfähig und im erwerbsfähigen Alter sei. Er habe fünf Jahre die Grundschule besucht und mehrere Jahre als Fischer gearbeitet. Er verfüge über viele Freunde in Mogadischu, mit deren Unterstützung er rechnen könne. Außerdem könne er österreichische Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Insbesondere hält das Bundesverwaltungsgericht auch fest, dass der gesundheitliche Zustand des Beschwerdeführers nicht gegen eine Rückkehr spräche.
Wie das Bundesverwaltungsgericht zu dieser Schlussfolgerung gelangt, ist aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses aber nicht nachvollziehbar. Insbesondere lässt es – obwohl es feststellt, dass der Beschwerdeführer medikamentös behandelt wird – eine konkrete Erörterung zur Verfügbarkeit von Medikamenten in Mogadischu vermissen. Auch fehlt eine Auseinandersetzung mit der Frage, welche Auswirkungen es für den Beschwerdeführer hätte, wenn er seine Medikamente nicht weiter einnehmen würde. Damit lässt das Bundesverwaltungsgericht bei der rechtlichen Beurteilung auch seine eigenen Feststellungen zur medizinischen Versorgung, die im gesamten Herkunftsstaat äußerst mangelhaft sei, außer Acht und setzt diese nicht mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Bezug.
3. Insgesamt unterlässt es das Bundesverwaltungsgericht somit, sich substantiiert mit der Frage auseinanderzusetzen, ob dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr entweder in seine Herkunftsregion oder, als innerstaatliche Fluchtalternative, nach Mogadischu eine Verletzung seiner gemäß Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht. Insoweit hat es sein Erkenntnis daher mit Willkür belastet.
B. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht / Vulnerabilität, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E3791.2020Zuletzt aktualisiert am
28.03.2023