RS Vfgh 2021/3/9 V433/2020 (V433/2020-9)

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Veröffentlicht am 09.03.2021
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Index

41/01 Sicherheitsrecht

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z1
SicherheitspolizeiG §36, §37
VersammlungsG 1953 §13
Verordnung des Landespolizeidirektion vom 10.12.2019 betreffend das Verweisen von Besetzer aus dem Gebäude der TU Wien
VfGG §7 Abs1
  1. B-VG Art. 139 heute
  2. B-VG Art. 139 gültig ab 01.01.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 114/2013
  3. B-VG Art. 139 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. B-VG Art. 139 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  5. B-VG Art. 139 gültig von 30.11.1996 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 659/1996
  6. B-VG Art. 139 gültig von 01.01.1991 bis 29.11.1996 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 685/1988
  7. B-VG Art. 139 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 302/1975
  8. B-VG Art. 139 gültig von 21.07.1962 bis 30.06.1976 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 205/1962
  9. B-VG Art. 139 gültig von 19.12.1945 bis 20.07.1962 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  10. B-VG Art. 139 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit einer Verordnung der Landespolizeidirektion Wien nach dem SicherheitspolizeiG betreffend die Verweisung von "Besetzern" aus dem Gebäude der Technischen Universität Wien; keine Berechtigung zur Auflösung der – auf Grund der konkreten Umstände als Versammlung zu wertenden – Zusammenkunft auf Grund des SicherheitspolizeiG

Rechtssatz

Gesetzwidrigkeit der auf §37 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) gestützten Verordnung der Landespolizeidirektion Wien (LPD) vom 10.12.2019, kundgemacht durch Verlesen im Festsaal der Technischen Universität Wien von 21.38 Uhr bis 21.39 Uhr und am Gang beim Festsaal der Technischen Universität Wien von 21.43 Uhr bis 21.44 Uhr. Gemäß §36 Abs4 SPG iVm §37 Abs1 letzter Satz SPG ist die Verordnung sechs Stunden nach ihrer Erlassung außer Kraft getreten.

Jedenfalls der im Gebäude der TU Wien am 10.12.2019 von 21.38 Uhr bis 21.39 Uhr und von 21.43 Uhr bis 21.44 Uhr im Festsaal und am Gang verlesene - an die Adressaten der Anordnung gerichtete und verständliche - Text ist eine Verordnung. Dieser im Festsaal und am Gang verlesene Text wurde, wie in §37 SPG angeordnet, gemäß §36 Abs4 SPG in geeigneter Weise kundgemacht. Die erst nach Kundmachung des verlesenen Textes fertiggestellte schriftliche Fassung der Verordnung hingegen wurde zu keinem Zeitpunkt - weder durch Anschlag im Universitätsgebäude noch auf irgendeine andere geeignete Art und Weise - der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, sodass es hier (auch nach neuerer Auffassung des VfGH) an einer Kundmachung fehlt.

Da in der auf §37 SPG gestützten (verlesenen) Verordnung der LPD vom 10.12.2019 das Verlassen des gesamten Gebäudes und dessen allenfalls notwendige Räumung angeordnet wurde, geht das Verwaltungsgericht Wien (VGW - LVwG) jedenfalls denkmöglich davon aus, dass die Verordnung auch im Hinblick auf die Beschwerdeführerin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, die vor der Tür des Festsaals gesessen war, anzuwenden ist. Die Verordnung ist präjudiziell.

Vor dem Hintergrund der Erläuterungen zu §37 SPG sowie der stRsp des VfGH (VfSlg 20275/2018) und unter Zugrundelegung des vom VGW durchgeführten Beweisverfahrens gelangt der VfGH zur Ansicht, dass die Zusammenkunft im Festsaal der TU Wien auf Grund ihrer Zielsetzung (auf schwierige Studienbedingungen aufmerksam zu machen und Verbesserungen für die Studierenden zu erwirken) und Aktionen (Hissen von Transparenten, Skandieren von Parolen, Abhalten von Debatten im Plenum) eine Versammlung war.

Der VfGH hat in bestimmten Konstellationen zwar ausgesprochen, dass der Einsatz von Kommunikationsmitteln wie etwa das Aufstellen eines Informationsstandes das erforderliche Entstehen einer Assoziation der Zusammengekommenen für sich genommen noch nicht belegt, oder unter Bedachtnahme auf den konkreten Sachverhalt den Charakter als Versammlung verneint. Im Regelfall ist nach der Rsp des VfGH einer Zusammenkunft mehrerer Personen aber nicht der Versammlungscharakter abzusprechen, und zwar auch dann nicht, wenn mit der Zusammenkunft auch eine (womöglich sogar beabsichtigte) Blockadewirkung unter Ausnutzung der räumlichen Gegebenheiten verbunden ist.

Gerade die Weigerung, einen an sich (vorerst) zugänglichen Veranstaltungssaal einer Universität freiwillig zu verlassen, kann eine spezifische Ausdrucksform bzw ein Unterstreichen des der Versammlung inhärenten gemeinsamen Wirkens und des Themas einer Versammlung sein. Der VfGH vermag deshalb der Auffassung der verordnungserlassenden Behörde, es habe sich im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Verordnung der Charakter der Zusammenkunft im Festsaal der TU Wien gewandelt, nicht zu folgen. Weder hatte sich nämlich das Anliegen der verharrenden Personen geändert noch das gemeinsame Wirken. Auch die gestellten Forderungen belegen, dass die Weiterführung der angestoßenen Debatte (nunmehr auch mit Regierungsvertretern) beabsichtigt war, deren sofortiges Erscheinen die Versammelten so zu erwirken suchten.

Da die Bedenken des VGW hinsichtlich des Vorliegens einer Versammlung zum Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung zutreffen, ist bereits aus diesem Grund auszusprechen, dass die Verordnung gesetzwidrig war. Die Vorgangsweise der LPD kann auch nicht als Auflösung einer Versammlung gemäß §13 VersammlungsG 1953 gedeutet werden, da die diesbezüglichen Voraussetzungen sich von jenen des §37 SPG unterscheiden.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Versammlungsrecht, Sicherheitspolizei örtliche, Verordnung Kundmachung, Sicherheitspolizei, Auslegung historische, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Verordnungserlassung, VfGH / Gerichtsantrag, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:V433.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.03.2023
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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