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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1 / GesetzLeitsatz
Aufhebung einer Bestimmung des StaatsbürgerschaftsG 1985 betreffend das Verleihungshindernis für die österreichische Staatsbürgerschaft wegen jeder (rechtskräftigen und nicht getilgten) Bestrafung nach dem Niederlassungs- und AufenthaltsG; keine sachliche Rechtfertigung für den eine gravierende Rechtsfolge darstellenden Ausschluss von der Verleihung der Staatsbürgerschaft selbst bei geringfügigen Übertretungen des NAGRechtssatz
Aufhebung der Ziffern- und Zeichenfolge "3, " in §10 Abs2 Z1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) idF BGBl I 38/2011. Inkrafttreten der Aufhebung mit Ablauf des 31.12.2021. Dem Verwaltungsgericht Wien (VGW - LVwG) ist nicht entgegenzutreten, wenn es davon ausgeht, dass es in den Anlassverfahren den Verweis auf §53 Abs2 Z3 FPG in §10 Abs2 Z1 StbG anzuwenden hat. Die vom VGW geltend gemachte Verfassungswidrigkeit lässt sich für die Anlassverfahren durch antragsgemäße Aufhebung der Ziffern- und Zeichenfolge "3, " in §10 Abs2 Z1 StbG beseitigen. Die verwiesene Norm in §53 Abs2 Z3 FPG steht mit der verweisenden auch nicht in einem untrennbaren Zusammenhang, weil §53 Abs2 Z3 FPG eigenständige und vom Vorliegen eines Verleihungshindernisses gemäß §10 Abs2 Z1 StbG unabhängige Anordnungen im Zusammenhang mit der Erlassung eines Einreiseverbotes enthält. Im vorliegenden Fall ist es daher auch ausgeschlossen, dass der VfGH der vom VGW geltend gemachten Verfassungswidrigkeit durch Aufhebung der verwiesenen Bestimmung Rechnung zu tragen hätte. Vergleichbares gilt, soweit sie das VGW in den den Anträgen zugrunde liegenden Anlassverfahren anzuwenden hat, für die Verweisungen in §11a Abs4 bzw Abs6 StbG, weil der Aufhebung nur des einzelnen Verleihungshindernisses des §10 Abs2 Z1 StbG iVm §53 Abs2 Z3 FPG durch Aufhebung der Ziffern- und Zeichenfolge "3, " in §10 Abs2 Z1 StbG jedenfalls der Vorzug gegenüber einer Aufhebung sämtlicher Verleihungshindernisse gemäß §10 Abs2 StbG im Zusammenhang mit den Verleihungstatbeständen des §11a Abs4 und Abs6 StbG zu geben wäre.
Verstoß gegen das Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander:
Dem VGW ist zunächst nicht entgegenzutreten, wenn es mit der Rsp des VwGH (VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0227) davon ausgeht, dass §10 Abs2 Z1 StbG mit dem Verweis auf "bestimmte Tatsachen" gemäß unter anderem §53 Abs2 Z3 FPG jede rechtskräftige Bestrafung wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem NAG als Verleihungshindernis iSd §10 Abs2 StbG statuiert.
Der VfGH vermag der Bundesregierung nicht entgegenzutreten, wenn sie etwa maßgeblichen Bestimmungen des NAG, die sich unmittelbar auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes eines Verleihungswerbers oder auch auf die von Personen, die ihren Aufenthaltsstatus vom Verleihungswerber ableiten, auswirken, derartiges besonderes Gewicht beimisst und insofern von einem sachlich gerechtfertigten Verleihungshindernis ausgeht. §10 Abs2 Z1 StbG iVm §53 Abs2 Z3 FPG beschränkt sich aber nicht darauf, Übertretungen derartiger Bestimmungen des NAG als Verleihungshindernis vorzusehen, sondern erfasst als solches, wovon im Weiteren auch die Bundesregierung ausgeht, Übertretungen des NAG generell.
Damit behandelt §10 Abs2 Z1 StbG iVm §53 Abs2 Z3 FPG das mit dieser Bestimmung festgelegte Verleihungshindernis des Vorliegens einer rechtskräftigen Bestrafung wegen Übertretung einer (jeden) Bestimmung des NAG anders als vergleichbare Verleihungshindernisse, die systematisch in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Denn §10 Abs2 Z2 StbG stellt demgegenüber ausdrücklich auf eine rechtskräftige Bestrafung wegen "einer schwerwiegenden Übertretung" des NAG ab und §53 Abs2 Z2 FPG auf eine Verwaltungsübertretung - und damit auch eine Übertretung des NAG - nur dann, wenn eine von der Strafhöhe her qualifizierte rechtskräftige Bestrafung vorliegt.
Ein Verleihungshindernis stellt es nach §10 Abs2 Z1 StbG iVm §53 Abs2 Z3 FPG somit auch dar, wenn etwa ein EWR-Bürger eine Krankheit, auf Grund derer er vorübergehend arbeitsunfähig ist und damit seine Erwerbstätigkeit (auch nur kurzfristig) nicht mehr ausübt, gemäß §51 Abs3 NAG nicht "unverzüglich" der Behörde bekannt gibt oder der Fremde den Verlust der Dokumentation seines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes nicht "unverzüglich" gemäß §19 Abs11 NAG meldet. Ein fünfjähriges Verleihungshindernis besteht in diesen Fällen, worauf das VGW zu Recht hinweist, auch dann, wenn der Verstoß gegen eine solche Ordnungsvorschrift einmalig geblieben ist, lange zurückliegt und von der Strafbehörde im Hinblick auf die Geringfügigkeit der Pflichtenverletzung nur mit der für sich genommen jeweils gesetzlich mit € 50,- gering festgesetzten Mindeststrafe geahndet wurde.
Im Vergleich zu jenen Regelungen, in denen der Gesetzgeber im unmittelbaren Sachzusammenhang ausdrücklich davon ausgeht, dass ein im Hinblick auf den Unrechtsgehalt und damit die Strafhöhe oder die Bedeutung der übertretenen Verwaltungsvorschrift qualifizierter Verstoß vorliegen muss, um ein Verleihungshindernis zu begründen, fehlt es dem in beiderlei Hinsicht auch geringfügige Übertretungen des NAG erfassenden Verleihungshindernis des §10 Abs2 Z1 StbG iVm §53 Abs2 Z3 FPG angesichts der an ein solches Verleihungshindernis geknüpften, für den Verleihungswerber gravierenden Rechtsfolge an einer sachlichen Rechtfertigung.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Staatsbürgerschaftsrecht, Verleihung (Staatsbürgerschaft), Strafe (Verwaltungsstrafrecht), VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Fristsetzung, VfGH / GerichtsantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:G355.2020Zuletzt aktualisiert am
28.03.2023