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10/10 Grundrechte, Datenschutz, AuskunftspflichtNorm
DSG 2000 §1, §24Leitsatz
Keine Verletzung im Recht auf Geheimhaltung durch den automatisierten Informationsaustausch von Steuerdaten; Abweisung der Datenschutzbeschwerde betreffend die Übermittlung personenbezogener Daten durch den BMF im Rahmen des wechselseitigen Austausches von Steuerinformationen; Verhältnismäßigkeit der Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung verhältnismäßig sowie zur Erreichung einer gleichmäßigen Besteuerung geeignetRechtssatz
Die §§112 und 113 GMSG setzen die für den Beschwerdefall, der den Informationsaustausch zwischen EU-Mitgliedstaaten betrifft, zu beachtende Bestimmung des Art8 Abs3a der RL 2011/16/EU, idF der RL 2014/107/EU, um. Art8 Abs3a der Richtlinie nennt im Einzelnen die automatisiert weiterzuleitenden Daten ausdrücklich und schafft insoweit vollharmonisiertes Unionsrecht, indem die Regelung in Bezug auf den Umfang der weiterzuleitenden Daten (Informationen über Finanzkonten: zB Name, Adresse, Steueridentifikationsnummer, Geburtsdatum und -ort, Kontonummer, Kontosaldo oder -wert, Gesamtbruttobetrag der Zinsen; Verpflichtung zur Weiterleitung an die Abgabenbehörden) keinen inhaltlichen Spielraum für die Mitgliedstaaten lässt. Die Bestimmungen der §§112 und 113 GMSG setzen die diesbezüglichen Regelungen der RL 2011/16/EU, idF der RL 2014/107/EU, inhaltlich deckungsgleich um.
Damit kommt dem VfGH für den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten in Steuersachen zwischen den EU-Mitgliedstaaten eine Zuständigkeit zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§112 und 113 GMSG nur zu, wenn zuvor der EuGH die zugrunde liegende, die Umsetzungsbestimmungen vollständig determinierende Bestimmung des Art8 Abs3a der Richtlinie für ungültig erklärt.
Keine begründeten Zweifel an der Vereinbarkeit des Art8 Abs3a der Richtlinie (und damit der §§112 und 113 GMSG) mit Art7 und Art8 GRC; kein Anlass zur Antragstellung nach Art267 AEUV an den EuGH.
Für das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung sowie Kommunikation (Art7 GRC) sowie für das Recht auf Schutz personenbezogener Daten (Art8 Abs1 GRC) ist zu beachten, dass Einschränkungen nach Art52 GRC zulässig sind, sofern sie gesetzlich vorgesehen sind und den Wesensgehalt dieser Rechte achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit müssen sie erforderlich sein und den von der Europäischen Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Es ist nicht zu erkennen, dass der durch die Richtlinie, vorgesehene automatische Informationsaustausch über jenes Maß hinausginge, das zum Zwecke der Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug und zur Erreichung des Ziels einer gleichmäßigen Besteuerung geeignet und unbedingt erforderlich ist, und dieser damit außer Verhältnis zu den von der Richtlinie verfolgten Zielsetzungen stünde.
Die in Art8 Abs3a der Richtlinie vorgesehene Bekanntgabe der Kontosalden entbindet den Ansässigkeitsstaat zwar nicht von der Pflicht, für Zwecke der Besteuerung weiterführende Ermittlungen anzustellen. Die Bekanntgabe der in Art8 Abs3a der Richtlinie angeführten Daten ermöglicht den Abgabenbehörden aber eine effiziente Durchführung des Verfahrens zur Steuererhebung, indem die Ermittlungen auf jene Fälle konzentriert werden können, in denen die Gleichmäßigkeit der Besteuerung gefährdet erscheinen könnte. Es ist somit nicht zu erkennen, dass die erhobenen Daten zur Erreichung des Kontrollzieles einer gleichmäßigen Steuererhebung nicht geeignet und erforderlich wären.
Der BMF und alle am Informationsaustausch beteiligten Behörden sind unzweifelhaft an die Vorgaben der DSGVO und deren Standards gebunden, um den erforderlichen Sicherheitsanforderungen für die Verarbeitung zu entsprechen.
Die vom EuGH im Zusammenhang mit der Verhältnismäßigkeitsprüfung angestellten Erwägungen zur Vorratsdatenspeicherung (EuGH 08.04.2014, C-293/12, C-594/12, Digital Rights Ireland ua; 21.12.2016, C-203/15, C-698/15, Tele2 Sverige ua) sind übertragbar: Zunächst unterscheiden sich die Regelungen in ihren Zielsetzungen, zumal die Richtlinie auch der Förderung der Wirksamkeit und Effizienz der Steuererhebung dient. Die verarbeiteten Daten betreffen dabei zudem nicht den Kernbereich des Privatlebens und lassen nicht - wie etwa bei jenen Daten, die im Rahmen der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie verarbeitet wurden - "sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der betroffenen Personen, wie etwa Gewohnheiten des täglichen Lebens, ständiger oder vorübergehender Aufenthaltsort" zu.
Auch den Urteilen des EuGH (EuGH 01.10.2015, C-201/14, Bara; EuGH 27.09.2017, C-73/16, Puškár; EuGH 22.11.2022, C-37/20, C-601/20, Luxembourg Business Registers) kann nicht entnommen werden, dass Art8 Abs3a der Richtlinie gegen Art8 GRC verstoßen würde.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Datenschutz, Steuerpflicht, Verhältnismäßigkeit, Privat- und Familienleben, EU-Recht Richtlinie, Finanzbehörden, EU-Recht VorabentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2023:E2097.2021Zuletzt aktualisiert am
28.03.2023