Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Prendinger, in der Revisionssache des U Q, vertreten durch Mag. Carolin Seifriedsberger, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Spiegelgasse 19/23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Dezember 2022, L525 2195992-1/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein aus Pakistan stammender Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya, stellte am 20. August 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 5. April 2018 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Der Revisionswerber macht zunächst zur Begründung seiner Revision geltend, das Bundesverwaltungsgericht sei seiner Ermittlungspflicht nicht ausreichend nachgekommen, da es ihn zu den Fluchtgründen und den erlittenen Gewalterfahrungen nicht befragt habe. Aus dem Erkenntnis gehe nicht hervor, weshalb das Verwaltungsgericht die Verletzungen des Revisionswerbers zwar festgestellt, jedoch die dahinterstehenden Geschehnisse nicht habe konkretisieren können.
8 Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt: Die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein ausreichend ermittelter Sachverhalt vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung dar (vgl. VwGH 9.12.2022, Ra 2022/19/0298, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht befragte den in der mündlichen Verhandlung anwaltlich vertretenen Revisionswerber eingehend zu seinen Fluchtgründen und räumte auch seiner Rechtsvertretung die Möglichkeit ein, ergänzende Fragen an den Revisionswerber zu richten. Dass im vorliegenden Fall ein krasser, die Rechtssicherheit beeinträchtigender und daher eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfender Verfahrensfehler vorliegt, ist nicht ersichtlich.
9 Der Revisionswerber wendet sich in seinem Zulässigkeitsvorbringen weiters gegen die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen beweiswürdigenden Erwägungen.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 25.11.2022, Ra 2022/14/0203, mwN).
11 Das Bundesverwaltungsgericht legte - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen konnte und einen Zeugen befragte - in einer ausführlichen Beweiswürdigung dar, aus welchen Erwägungen es zum Ergebnis gelangte, der Revisionswerber habe eine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Glaubensrichtung nicht glaubhaft machen können. Dabei verwies es unter anderem auf Widersprüche und Ungereimtheiten in den Angaben des Revisionswerbers sowie auf ein gesteigertes Fluchtvorbringen. Dass die beweiswürdigenden Erwägungen in ihrer Gesamtheit unvertretbar wären, vermag die Revision durch das isolierte und aus dem Gesamtzusammenhang der umfassenden Beweiswürdigung gerissene Herausgreifen einzelner Argumente des Bundesverwaltungsgerichtes nicht darzutun.
12 Soweit der Revisionswerber eine fehlende inhaltliche Auseinandersetzung mit den „UNHCR Eligibility Guidelines“ moniert, macht er damit Verfahrensmängel als Zulassungsgründe geltend. In diesem Fall muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 5.12.2022, Ra 2022/20/0221, mwN).
13 Mit dem allgemein gehaltenen Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht hätte bei Beachtung der Richtlinien erkennen müssen, dass dem Revisionswerber Schutz vor Verfolgung zu gewähren gewesen wäre, da er als Ahmadi vor Verfolgung in Pakistan nicht geschützt sei, wird eine solche Darlegung nicht vorgenommen. Das Bundesverwaltungsgericht sprach einer asylrelevanten Verfolgung des Revisionswerbers aufgrund seines Bekenntnisses zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unter mehreren fallbezogenen Gesichtspunkten die Glaubwürdigkeit ab. Eine solche fallbezogene Beurteilung („depending on the individual circumstances of the case“) erweist sich im Übrigen auch nach den vom Revisionswerber angesprochenen Richtlinien als erforderlich. Die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach keine asylrelevante Verfolgung des Revisionswerbers drohe, ist daher nicht zu beanstanden.
14 Schließlich wendet sich der Revisionswerber gegen die im Zuge der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung und verweist dabei auf seinen über fünfjährigen Aufenthalt und seine Integrationsbemühungen. Es dürfe nicht zu seinen Lasten ausgelegt werden, er habe nur einen „unbegründeten“ Asylantrag gestellt.
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 17.11.2022, Ra 2022/14/0288, mwN).
16 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das persönliche Interesse zwar grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt, die bloße Aufenthaltsdauer jedoch nicht allein maßgeblich ist, sondern vor allem anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen ist, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. VwGH 24.6.2021, Ra 2021/14/0180, mwN).
17 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich im Rahmen seiner Interessenabwägung mit den entscheidungswesentlichen Umständen auseinander. Es berücksichtigte dabei auch die vom Revisionswerber gesetzten und in der Revision angesprochenen Integrationsbemühungen, wie etwa sein kurzes Beschäftigungsverhältnis und die sozialen Anknüpfungspunkte, sowie seinen knapp über fünfjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet. Es kam zu dem Schluss, dass der Revisionswerber für diesen Aufenthaltszeitraum keine ausgeprägten integrationsverfestigenden Maßnahmen gesetzt habe. Entgegen den Ausführungen in der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht zu Recht in seine Erwägungen miteinfließen lassen, dass es bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens des Fremden im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 21.11.2022, Ra 2022/14/0285, mwN). Dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Beurteilung von den dargestellten Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes in unvertretbarer Weise entfernt hätte, wird vom Revisionswerber nicht dargetan. Auch zeigt der Revisionswerber nicht auf, dass die Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts an einem revisiblen Verfahrensmangel leiden würde.
18 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 23. Februar 2023
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023140029.L00Im RIS seit
28.03.2023Zuletzt aktualisiert am
28.03.2023