Entscheidungsdatum
14.02.2023Index
50/01 GewerbeordnungNorm
GewO 1994 §2 Abs1 Z18Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
(ERSATZERKENNTNIS)
Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin MMag. Dr. Ollram über die Beschwerde des A. B., C.-gasse, Wien, vertreten durch RECHTSANWÄLTE OG, gegen den Bescheid (Straferkenntnis) des Magistrats der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den ... Bezirk, vom 17.9.2019, MBA/.../2018, betreffend eine Verwaltungsübertretung gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 Gewerbeordnung 1994 – GewO 1994 (berechtigungslose Gewerbeausübung) nach öffentlicher mündlicher Verhandlung entsprechend dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 29.6.2022, E 1042/2021-9, gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG zu Recht:
I. Der Beschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Strafverfahren gemäß § 38 VwGVG iVm § 45 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall VStG eingestellt.
II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG wird dem Beschwerdeführer kein Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt.
III. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses wurde dem Beschwerdeführer (BF) zur Last gelegt, am 23.9.2018 in Wien, D.-gasse, durch den Transport mehrerer Selbstbedienungszeitungsständer mit einem von ihm gelenkten „VW Kastenwagen“ mit behördlichem Kennzeichen das Gewerbe „Beförderung von Gütern mit KFZ im innerstaatlichen Verkehr“ selbständig, regelmäßig und mit beabsichtigter Erzielung eines Ertrags oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteils ausgeübt zu haben, ohne im Besitz einer Gewerbeberechtigung zu sein. Wegen Übertretung des § 366 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 wurde ihm gemäß § 366 Abs. 1 „iVm § 23 Abs. 4 GütbefG“ eine Geldstrafe von 380 Euro, für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 8 Stunden auferlegt. Der Verfahrenskostenbeitrag wurde gemäß § 64 Abs. 2 VStG mit 38 Euro (10 % der Geldstrafe) festgesetzt. Begründend verwies die belangte Behörde unter Wiedergabe der herangezogenen Rechtsvorschriften und einer vom BF vorab erstatteten Rechtfertigung auf eine amtliche Anzeige der LPD Wien. Die Ausnahmebestimmung des § 2 Abs. 1 Z 18 GewO 1994 komme nicht zur Anwendung, sondern hätte der BF bei Ausübung seiner Tätigkeit eine Berechtigung für das (freie) Gewerbe „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“ benötigt. Gründe für fehlendes Verschulden habe der BF nicht iSd § 5 Abs. 1 VStG glaubhaft gemacht, weshalb auch die subjektive Tatseite des Ungehorsamsdelikts erfüllt sei. Bei der Strafbemessung seien objektiver Unrechtsgehalt und Verschulden durchschnittlich zu bewerten. Als Milderungsgrund sei die verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit des BF zu berücksichtigen; Erschwerungsgründe lägen nicht vor. Die anlässlich der Rechtfertigung angesprochene wirtschaftliche Situation sei berücksichtigt worden.
Dagegen richtet sich die fristgerecht und mängelfrei erhobene Beschwerde mit den Begehren, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, der Beschwerde Folge geben und das Strafverfahren einzustellen. Begründend wurde unrichtige rechtliche Beurteilung unter folgenden Aspekten geltend gemacht:
? Der objektive Straftatbestand sei nicht erfüllt, da die GewO 1994 gemäß ihrem § 2 Abs. 1 Z 18 auf den Sachverhalt keine Anwendung finde. Die Tätigkeit des BF habe darin bestanden, an „einzelnen Zeitungsverkaufsstellen“ Verkaufstaschen und Kassen zu montieren und die Vorrichtungen mit Zeitungen zu befüllen, welche an Sonn- und Feiertagen zum Verkauf bereitgehalten würden. Am Abend der Verkaufstage habe er Ständer, Kassen und nicht verkaufte Exemplare wieder abgeholt und letztere in einer Liste erfasst. Die Transporttätigkeit trete gegenüber der Verkaufstätigkeit zurück, da die primäre Aufgabe darin bestanden habe, „die Vertriebsprodukte an Verkaufsständen zu verbreiten und diese in entsprechendem Zustand zu halten, um den Kauf der periodischen Druckwerke für Kunden ,attraktiv‘ zu ermöglichen“. Unter „Kleinverkauf“ iSd Ausnahmebestimmung seien unabhängig von der Unternehmensgröße alle mit dem Verkauf periodischer Druckwerke verbundenen Tätigkeiten zu verstehen. Der Begriff stelle demnach nicht auf den Betriebsumfang bzw. die Unternehmensgröße ab, sondern auf eine Abgrenzung zum Großhandel im Sinn eines Vertriebs an Wiederverkäufer. Erfasst seien auch mit dem Herausgeber nicht idente Personen, die selbständig periodische Druckwerke an Letztverbraucher absetzten. Eine solche Verkaufsstelle sei auch keine gewerbliche Betriebsstätte.
? Die Medienfreiheit stehe gemäß Art. 10 EMRK und Art. 13 StGG unter besonderem Schutz, da die Massenmedien aufgrund der organisatorischen und finanziellen Komplexität moderner Produktions- und Vertriebsverfahren besonders „verletzlich“ seien. Nach dem Schrifttum zur insofern identen Rechtslage in Deutschland müsse ein vollständiger verfassungsrechtlicher Presseschutz zwecks Entfaltung der für einen demokratischen Rechtsstaat konstituierenden Wirkung auch die Verbreitung und inhaltsferne oder presseexterne Hilfsfunktionen wie den Vertrieb durch Dritte erfassen, auch wenn diese zum Inhalt der Presseerzeugnisse keinen Bezug hätten, aber typischerweise pressebezogen seien und in enger organisatorischer Bindung an die Presse erfolgten. Gleiches gelte auch nach der österreichischen Rechtslage und zwar bereits nach § 2 Abs. 1 Z 18 GewO 1994, mit dem der einfache Gesetzgeber verfassungsrechtliche Vorgaben erfülle und die Verbreitung periodischer Druckwerke vom Anwendungsbereich der GewO 1994 ausnehme; in dieselbe Richtung gehe auch § 47 MedienG.
? Da die vom BF ausgeübte Tätigkeit im Auftrag eines Medienunternehmens erfolge, ausschließlich pressebezogen sei und sich zeitlich auf Wochenenden und Feiertage beschränke, müsse sie aus grundrechtlichen Gründen als „Kleinverkauf“ iSd § 2 Abs. 1 Z 18 GewO 1994 verstanden werden bzw. sei diese Ausnahmebestimmung - auch in gleichheitsrechtlicher Hinsicht - dahingehend verfassungskonform zu interpretieren. Der BF halte Zeitungen an den jeweiligen Verkaufspunkten, allenfalls über „stumme Verkäufer“ in Form von Selbstbedienungstaschen, zum Verkauf bereit. Eine Nichtanwendung der Ausnahmebestimmung würde, da auch das Verbreiten periodischer Druckwerke durch das Medienunternehmen des Medieninhabers (mittels LKW oder PKW) nicht der GewO 1994 unterliege, zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung eines allenfalls rentableren Fremdvertriebs führen. Die Presse dürfe gemäß Art. 13 StGG auch nicht durch ein Konzessionssystem oder (im Fall inländischer Druckschriften) durch administrative Postverbote beschränkt werden.
? Zu verweisen sei auf eine (der Beschwerde beigelegte) Entscheidung des früheren UVS Niederösterreich vom 27.11.2008 in einem gleichartigen gewerberechtlichen Strafverfahren, in welchem diese Art von Tätigkeit unter „Kleinverkauf“ von Druckwerken iSd § 2 Abs. 1 Z 18 GewO 1994 subsumiert worden sei. Der Kern des Begriffs liege im Verkauf periodischer Druckschriften, sohin im Abschluss und in der Abwicklung von Kaufverträgen, worauf auch die „Vorgehensweise“ des Beschuldigten ausgerichtet sei. Der Magistrat der Stadt Wien habe auch ein (nicht näher bezeichnetes) vergleichbares Strafverfahren eingestellt.
? Ausgehend von der Rechtsansicht des UVS, welche dem BF von der E. als Auftraggeberin (und hundertprozentiger Tochter der F.) zur Kenntnis gebracht worden sei und auf die er habe vertrauen dürfen, mangle es im vorliegenden Fall jedenfalls am Verschulden.
Bei seiner vorangegangenen Rechtfertigung im Rahmen einer Niederschrift am 28.11.2018 hatte der BF (damals noch unvertreten) vorgebracht, dass er die gegenständliche Tätigkeit aufgrund eines Werkvertrags mit der E. schon seit 13 Jahren ausführe. Am angezeigten Tag sei er krank gewesen, weshalb ihm – nach entsprechender Mitteilung an die Auftraggeberin – der G. H. unentgeltlich „ausgeholfen“ habe. Er habe zum einen nicht gewusst, ob diese Person eine Arbeitsbewilligung habe und zum anderen aufgrund schlechter Deutschkenntnisse die vor Ort gestellten Fragen der Einsatzbeamten nicht richtig beantworten können.
In der Beschwerdeverhandlung vom 18.11.2020 verwies der BF im Weg seines Vertreters ergänzend auf eine im Jahr 2019 erfolgte Änderung des ASVG. Aus den diesbezüglichen Materialen gehe die Absicht des Gesetzgebers hervor, die in Rede stehende Tätigkeit (weiterhin) der Pflichtversicherung für „neue Selbständige“ nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG zuzuordnen. Eine Versicherung nach dieser Bestimmung setze aber das fehlende Erfordernis einer Gewerbeberechtigung voraus, da andernfalls § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG zur Anwendung käme. Vorgelegt wurden Auszüge aus dem bereits in der Beschwerde angesprochenen Schrifttum sowie ein Auszug aus den Materialien zur vorgenannten Gesetzesänderung (Abänderungsantrag). In einer weiteren schriftlichen Äußerung vom 16.12.2020 wurde die bisher geltend gemachte Rechtsansicht nochmals zusammengefasst. Ergänzend zu den Ausführungen in der Beschwerde wurde die Möglichkeit des BF zur eigenständigen Verwahrung der „Verkaufsgeräte“ bis zum nächsten Auftrag, zur Unterbreitung von Vorschlägen für den Verkauf adäquater Standorte gegenüber dem Auftraggeber sowie zur „Entgegennahme des Kaufpreises“ durch Abmontieren und Verwahren der verschlossenen Kassenbehälter hervorgehoben. Diese Tätigkeiten seien untrennbar mit dem Abschluss und der Abwicklung von Kaufverträgen verbunden. Die Tätigkeit des BF sei mit der eines Supermarktangestellten vergleichbar, bei welchem wohl kein Zweifel hinsichtlich einer Verkaufstätigkeit bestünde; auf die persönliche Anwesenheit während des Verkaufsvorgangs könne es für die Anwendbarkeit des Tatbestands „Kleinverkauf“ iSd § 2 Abs. 1 Z 18 GewO 1994 nicht ankommen. Abschließend wurde eingewendet, dass dem BF selbst im Fall der Erfüllung des Straftatbestands nach den Umständen des Einzelfalls gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 und letzter Satz VStG lediglich eine Ermahnung zu erteilen wäre.
Die im ersten Rechtsgang mit Erkenntnis des VGW vom 25.1.2021, VGW-021/079/13230/2019-8, verfügte Bestätigung des Straferkenntnisses wurde mit Erkenntnis des VfGH vom 29.6.2022, E 1042/2021-9, wegen Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Pressefreiheit aufgehoben.
Aufgrund des Ermittlungsverfahrens ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Der BF ist österreichischer Staatsbürger und verfügt über einen seit 1.6.2017, gültigen und auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Werkvertrag mit der E., FN ..., mit Sitz in Wien, …. Unter Klausel I der Vertragsurkunde („Vertragsgegenstand“) ist die vom BF als Auftragnehmer zu erbringende Leistung als „Sonn- und Feiertagsverkauf (Aufstellen von Zeitungsständern, Anbringen der Zeitungstaschen, Befüllen der Taschen sowie Einholen und Abliefern der Kassen und der nicht verkauften Zeitungen) der Vertriebsprodukte des Auftraggebers in einem einvernehmlich festgelegten Vertriebsgebiet an Sonn- und Feiertagen“ deklariert. Die durch die nachfolgenden Vertragsklauseln zeitlich wie auch sachlich genau vordeterminierte Tätigkeit besteht faktisch darin, vom Vertragspartner an einem vereinbarten Abholungsort übernommene Sonn- und Feiertagsausgaben von Tageszeitungen samt Selbstbedienungs-Verkaufsvorrichtungen an vordeterminierte Wiener Standorte zu transportieren, sie dort zur Aufstellung zu bringen und nach Ablauf des vorgegebenen Tagesverkaufszeitraums wieder abzuholen. Die ungeöffneten Kassenbehälter und allfällige Zeitungs-Restexemplare hat der BF zusammen mit den Verkaufsvorrichtungen an einen Stützpunkt der Auftraggeberin zurückzustellen bzw. im Verhinderungsfall vorübergehend zu verwahren. Die Örtlichkeiten, an welchen der BF die Aufstellung der Verkaufsvorrichtungen vornimmt, sind ebenso wie die dort zu deponierenden Warenkontingente durch ein von der Auftraggeberin beigestelltes und im Einklang mit ihren behördlichen Genehmigungen nach § 82 Abs. 1 StVO 1960 laufend aktualisiertes Standortverzeichnis vorgegeben; ein eigenmächtiges Abweichen durch den Auftragnehmer ist von vornherein unzulässig (Klausel II. 2 zweiter und dritter Absatz, 3, 4). Die Verkaufsvorrichtungen werden vollumfänglich von der Auftraggeberin gestaltet und beigestellt und verbleiben die gesamte Zeit hindurch in ihrem Eigentum (Klausel II. 1) und damit in ihrer uneingeschränkten rechtlichen Verfügungsgewalt; gleiches gilt für die Zeitungen bis zu deren Erwerb durch Endkunden im Selbstbedienungsweg. In unternehmerischer Eigenverantwortung hat der BF für die Auftragsausführung lediglich und ausschließlich ein geeignetes Transport-KFZ beizustellen. Ferner kann er die Abfolge der abzufahrenden Standorte (Transportroute) bestimmen und hierbei wählen, ob er das Aufstellen und Befüllen gleichzeitig durchführt oder im Einklang mit den von der Auftraggeberin beigestellten behördlichen Genehmigungen zunächst die leeren Behälter und zu einem späteren Zeitpunkt die Zeitungen deponiert (Klausel III. 2, 3, 5). Unter Haftung für eine vertragskonforme Leistungserbringung steht es ihm nach Belieben frei, seine Vertragspflichten auf Subunternehmer zu übertragen (Klauseln III. 4 und V dritter Absatz). Sein Werklohn („Honorar“), welcher sich nach der Zahl der aufgestellten Verkaufsvorrichtungen richtet, ergibt sich aus einem von der Auftraggeberin festgelegten „Preisleistungsverzeichnis“ (Klausel IV. 1). Die Einhaltung steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Verpflichtungen obliegt alleine dem BF als Auftragnehmer (Klausel VII).
Die E. als Auftraggeberin des BF ist zu 100 % Tochtergesellschaft der an derselben Adresse ansässigen J., ..., und diese wiederum zu 100 % Tochtergesellschaft der F., ..., mit Sitz in Wien, ..., (nachfolgend: F.), welche unter anderem die „X.“ herausgibt und vertreibt. Die F. verfügt über mehrere ihre Haupttätigkeit ergänzende Gewerbeberechtigungen, die J. über eine registrierte Gewerbeberechtigung „Werbemittelverteiler“. Die E. als unmittelbare Vertragspartnerin des BF hat kein Gewerberecht registriert. Vor Abschluss des Werkvertrags vom 1.6.2017 hatte der BF über viele Jahre eine im Wesentlichen inhaltsgleiche Werkvertragsvereinbarung direkt mit der F..
Am Nachmittag des 23.9.2018, einem Sonntag, lenkte der BF in Ausführung des Werkvertrags vom 1.6.2017 ein auf ihn selbst zugelassenes und in seiner eigenen Verfügungsbefugnis stehendes insgesamt 2.800 kg schweres Transport-KFZ („Kastenwagen“) der Marke VW mit behördlichem Kennzeichen W-... durch das Wiener Ortsgebiet, um dort die vorab verteilten Selbstbedienungs-Zeitungsständer für die Sonntagsausgabe der „X.“ samt zugehörigen Kassen wieder einzusammeln und zu den vertragsgemäß in Betracht kommenden Verwahrungsorten zu transportieren. Auf der Rückbank des KFZ befand sich der dem BF zuarbeitende und seit 2017 als Flüchtling/subsidiär Schutzberechtigter sozialversicherte afghanische Staatsangehörige G. H., der die Zeitungsständer abmontierte und in das Fahrzeug schlichtete. Die Fahrt führte unter anderem an der Adresse Wien, D.-gasse, vorbei, wo das KFZ gegen 16:30 Uhr von einem Polizeibeamten angehalten und kontrolliert wurde. Im Zulassungsschein des KFZ war der Verwendungszweck „01 – zu keiner besonderen Verwendung bestimmt“ eingetragen. Der BF verfügte zu dieser Zeit über keine im GISA registrierte Berechtigung zur Ausübung des (freien oder reglementierten) Güterbeförderungsgewerbes oder eines sonstigen Gewerbes oder einer Gewerbelizenz iSd GewO 1994.
Beweisverfahren und Beweiswürdigung:
In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 18.11.2020 wurden folgende Beweise aufgenommen: Verlesung und Erörterung der gesamten bisherigen Inhalte des Behörden- und Gerichtsakts, weiteres Parteivorbringen und ergänzend vorgelegte Unterlagen. Der Verlesung der Niederschrift der belangten Behörde über die Beschuldigtenvernehmung vom 28.11.2018 wurde in der Verhandlung ausdrücklich zugestimmt. Der rechtskundig vertretene BF blieb der Verhandlung persönlich fern.
Die vom BF am 23.9.2018 ausgeübte Tätigkeit und deren Begleitumstände ergeben sich aus der zu Grunde liegenden unbedenklichen polizeilichen Anzeige vom 30.9.2018 in Verbindung mit den Aussagen des BF im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung vom 28.11.2018 und den ergänzenden Angaben in der Beschwerdeverhandlung. Die einzige inhaltliche Unstimmigkeit besteht in der bei der Beschuldigtenvernehmung nachträglich (unter Hinweis auf die Sprachbarriere bei der Befragung durch den Meldungsleger) aufgestellte Behauptung, die vom BF beigezogene Hilfsperson sei gänzlich unentgeltlich für ihn tätig gewesen, ein Umstand, der für die hier gegenständliche Entscheidung grundsätzlich nicht relevant ist. Die Personaldaten der Hilfsperson G. H. und sein Aufenthaltsstatus werden für die Zwecke dieses Verfahrens durch die amtswegig abgefragten Sozialversicherungsdaten und das Zentrale Melderegister bescheinigt. Die vertraglichen Rahmenumstände und Bedingungen, zu welchen der BF (auch) zum gegenständlichen Zeitpunkt die Tätigkeit ausübte, sind in der Werkvertragsurkunde vom 1.6.2017 und einem vom selben Tag datierenden informativen Beiblatt klar und unmissverständlich festgehalten; auch der BF hat bei seinen Ausführungen fortlaufend auf diese Regelungen verwiesen. Die unternehmensorganisatorische Stellung der Vertragspartnerin des BF ergibt sich in Übereinstimmung mit den Angaben in der Beschwerdeverhandlung aus dem Firmenbuch, der jeweilige gewerberechtliche Status der involvierten Gesellschaften aus dem GISA. Der entscheidungsmaßgebliche Sachverhalt ist letztlich durchwegs unstrittig.
Rechtliche Beurteilung:
Zu I und II: Die GewO 1994 gilt gemäß ihrem § 1 Abs. 1, soweit nicht die §§ 2 bis 4 anderes bestimmen, für alle gewerbsmäßig ausgeübten und nicht gesetzlich verbotenen Tätigkeiten. Gemäß § 1 Abs. 2 GewO 1994 wird eine Tätigkeit gewerbsmäßig ausgeübt, wenn sie selbständig, regelmäßig und in der Absicht betrieben wird, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen, gleichgültig für welche Zwecke dieser bestimmt ist. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob der durch die Tätigkeit beabsichtigte Ertrag oder sonstige wirtschaftliche Vorteil im Zusammenhang mit einer in den Anwendungsbereich der GewO 1994 fallenden Tätigkeit oder im Zusammenhang mit einer dieser nicht unterliegenden Tätigkeit erzielt werden soll. Selbständigkeit iSd § 1 Abs. 2 liegt gemäß Abs. 3 dann vor, wenn die Tätigkeit auf eigene Rechnung und Gefahr ausgeübt wird. Gemäß Abs. 4 erster Satz gilt auch eine einmalige Handlung als regelmäßige Tätigkeit, wenn nach den Umständen des Falles auf die Absicht der Wiederholung geschlossen werden kann oder wenn sie längere Zeit erfordert.
Gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 in der zur Tatzeit und zum Entscheidungszeitpunkt inhaltlich unverändert geltenden Fassung BGBl. I Nr. 94/2017 begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe bis zu 3.600 Euro zu bestrafen ist, wer ein Gewerbe ausübt, ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung erlangt zu haben, sofern nicht Z 10 oder § 367 Z 8 anzuwenden sind.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 18 GewO 1994 in seiner zur Tatzeit (23.9.2018) geltenden Letztfassung BGBl. I Nr. 107/2017 ist die GewO 1994 – unbeschadet weiterer bundesgesetzlich ausdrücklich angeordneter Ausnahmen – auf die Herausgabe, das Herstellen und das Verbreiten periodischer Druckwerke durch das Medienunternehmen des Medieninhabers sowie den Kleinverkauf solcher Druckwerke nicht anzuwenden.
Gemäß § 38 VwGVG iVm § 45 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall VStG hat das Verwaltungsgericht von der Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat keine Verwaltungsübertretung bildet.
Ausgehend von den Feststellungen liegt in jedem Fall (insofern auch unstrittig) eine werkvertraglich auf Dauer etablierte entgeltliche Erwerbstätigkeit mit unternehmerischer Eigenverantwortung des BF für die Organisation und Durchführung der Transport- und Aufstellvorgänge samt Beistellung des Transportfahrzeugs und damit Gewerbsmäßigkeit iSd § 1 Abs. 2 GewO 1994 vor. Der BF beruft sich jedoch auf § 2 Abs. 1 Z 18 GewO 1994, welcher die Anwendung der GewO 1994 und damit auch die Verpflichtung zur Gewerbeanmeldung im konkreten Fall ausschließe. Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Ausnahmeregelung ist nach dem Gesetzeswortlaut die Subsumierbarkeit der Tätigkeit unter eine der beiden dort umschriebenen Tatbestandsgruppen. Die Sonntagsausgabe der „X.“ ist unzweifelhaft ein „periodisches Druckwerk“ nach dem Mediengesetz – MedienG, wobei der Begriff insbesondere Tages- oder Wochenzeitungen und periodisch erscheinende Zeitungen und Zeitschriften erfasst.
Im Erkenntnis des VfGH vom 29.6.2022, E 1042/2021-9, wurde nunmehr klargestellt, dass die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 1 Z 18 GewO 1994 im Licht des Art. 13 Abs. 2 StGG und dieser wiederum im Licht des Art. 10 EMRK weit auszulegen ist. Erfasst sei insbesondere auch die Distribution periodischer Druckwerke über beliebige Vertriebswege einschließlich der Verbreitung von Zeitungen an öffentlichen Orten. Nicht nur der Medieninhaber und die ihm zuzurechnenden Personen, sondern auch externe Hilfskräfte wie im vorliegenden Fall selbständige Transporteure, deren Arbeitsschritte - etwa Manipulation mit Selbstbedienungsvorrichtungen – in enger Verbindung mit der Distribution periodischer Druckwerke an Letztverbraucher stünden, würden in den Schutzbereich der Pressefreiheit fallen und seien insofern vom Anwendungsbereich der GewO 1994 ausgenommen (vgl. insbes. Rz 22, 23, 24). Dementsprechend ist anzunehmen, dass die in Rede stehende Tätigkeit des Beschwerdeführers iSd § 2 Abs. 1 Z 18 GewO 1994 dem - wenn auch nicht eigenen bzw. den eigenen Unternehmensgegenstand bildenden - „Kleinverkauf“ zuzuordnen ist, zumal der einschlägige Tatbestand der ersten Gruppe („Verbreiten periodischer Druckwerke durch das Medienunternehmen des Medieninhabers“) nach seinem klaren Wortlaut ausscheidet. Nebenbei bemerkt sei auch, dass diese Auslegung den Sinn der ausdrücklichen gesetzlichen Beschränkung der Ausnahme des „Verbreitens“ periodischer Druckwerke auf „das Medienunternehmen des Medieninhabers“ in Frage stellen lässt bzw. fraglich erscheint, ob dieser Tatbestand im Licht der gegenständlichen Judikatur noch einen Anwendungsbereich hat und einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist.
Im Ergebnis ist unter Bindung an die Entscheidung des VfGH davon auszugehen, dass das im Straferkenntnis der Gewerbebehörde vom 17.9.2019, MBA/.../2018, zur Last gelegte Verhalten (Transport von Selbstbedienungs-Zeitungsständern für die Sonntagsausgabe der „X.“ als periodisches Druckwerk) vom Anwendungsbereich der GewO 1994 ausgenommen war und die Ausübung dieser Tätigkeit ohne Gewerbeberechtigung (Gewerbelizenz) gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall VStG keine Verwaltungsübertretung im Sinn des Tatvorhalts bildete. Da das Straferkenntnis insofern jedenfalls aufzuheben ist, erübrigen sich nähere Ausführungen zu den Verjährungsregelungen und zur Nichteinrechnung bestimmter Zeiten in die Verjährungsfristen.
Zu III (§ 25a Abs. 1 VwGG): Die Unzulässigkeit der Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG war auszusprechen, da sich nach Befassung des VfGH durch den BF keine weiteren entscheidungsrelevanten Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn dieser Bestimmung stellten: Die Entscheidung folgt nunmehr den gesetzlichen Vorgaben nach Auslegung durch das für das VGW bindende Erkenntnis des VfGH vom 29.6.2022, E 1042/2021-9. Darüber hinaus steht die Entscheidung auch nicht im Widerspruch zu einer sonstigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Die der Sachverhaltsfeststellung zu Grunde liegende Beweiswürdigung unterliegt bei Vertretbarkeit grundsätzlich nicht der Nachprüfung im Revisionsweg (8.11.2016, Ra 2016/09/0097 mwV).
Schlagworte
Verpflichtung zur Gewerbeanmeldung; Transport von Selbstbedienungs-Zeitungsständern; Ausnahme; periodisches Druckwerk; Kleinverkauf; PressefreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2023:VGW.021.079.9142.2022.EZuletzt aktualisiert am
27.03.2023