TE Vfgh Erkenntnis 2023/3/15 E265/2023

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Veröffentlicht am 15.03.2023
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG

Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ein auf 18 Monate befristetes Einreiseverbot erlassen wird, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Die Beschwerde wird dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

1. Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger und stellte am 13. Juli 2021 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §56 Abs1 AsylG 2005. Mit Eingabe vom 26. April 2022 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Heilung des Mangels der Nichtvorlage eines Reisepasses bzw eines Ersatzreisedokumentes.

2. Mit Bescheid vom 18. August 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §56 Abs1 AsylG 2005 als unzulässig zurück, wies den Antrag auf Mängelbehebung ab, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist, setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise und sprach ein auf die Dauer von 18 Monaten befristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer aus.

3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 19. Dezember 2022 als unbegründet ab. Das Einreiseverbot begründet das Bundesverwaltungsgericht unter anderem damit, dass der Beschwerdeführer konkret und aktuell nicht in der Lage sei, die Mittel für seinen Unterhalt aus Eigenem nachzuweisen, und von der Grundversorgung lebe. Zudem habe der Beschwerdeführer ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung auch keine Möglichkeit mehr, im Bundesgebiet einer legalen Beschäftigung nachzugehen, weswegen auch die vorgelegten, aufschiebend bedingten Einstellungszusagen bzw Arbeitsvorverträge unbeachtlich seien.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie die Verletzung wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Begründend wird unter anderem vorgebracht, dass der Verfassungsgerichtshof §53 Abs2 Z6 FPG, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 87/2012 wegen Verstoßes gegen das Sachlichkeitsgebot des ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 als verfassungswidrig aufgehoben und festgehalten habe, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden sei. Insofern habe das Bundesverwaltungsgericht eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Die Anwendung dieser Bestimmung sei für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers jedenfalls nachteilig gewesen, zumal das Bundesverwaltungsgericht das verhängte Einreiseverbot ausdrücklich mit der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers begründet habe.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen und auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

6. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Erlassung des befristeten Einreiseverbotes richtet, ist sie auch begründet:

         Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 6. Dezember 2022, G264/2022, §53 Abs2 Z6 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 87/2012 als verfassungswidrig aufgehoben und verfügt, dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist. Die Kundmachung dieser Aufhebung erfolgte durch den Bundeskanzler am 27. Dezember 2022 in BGBl I 202/2022.

         Gemäß Art140 Abs7 B-VG ist daher die aufgehobene Gesetzesbestimmung nicht nur im Anlassfall, sondern ausnahmslos in allen Fällen und folglich auch im vorliegenden Fall nicht mehr anzuwenden (VfSlg 15.401/1999, 19.419/2011).

         Das Bundesverwaltungsgericht wandte bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Erlassung eines auf 18 Monate befristeten Einreiseverbotes abgewiesen wird, wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt.

Das Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben.

7. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen die Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §56 Abs1 AsylG 2005, die Abweisung des Antrages auf Mängelbehebung, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak und den Ausspruch, dass eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise besteht, richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Bei der Beurteilung nach Art8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl die in VfSlg 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage der Gefährdung des Beschwerdeführers in seinen Rechten auseinandergesetzt. Ihm kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art8 EMRK überwiegt (vgl VfSlg 19.086/2010).

Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob die Beweiswürdigung in jeder Hinsicht rechtmäßig erfolgte, nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG; zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).

8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

9. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe auch im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

10. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2023:E265.2023

Zuletzt aktualisiert am

27.03.2023
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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