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82/03 Ärzte, sonstiges SanitätspersonalNorm
B-VG Art18 Abs1Leitsatz
Aufhebung einer Bestimmung des ÄrzteG 1998 betreffend die Zusammensetzung der Disziplinarkommission auf Grund der Bestellung des Vorsitzenden und dessen Stellvertreter (auf Vorschlag des Vorstands der Österreichischen Ärztekammer) durch den Bundesminister; Zulässigkeit der Vollziehung des ärztlichen Disziplinarrechts durch berufsständige Organe im eigenen Wirkungsbereich der Österreichischen Ärztekammer; hinreichende Bestimmtheit der Regelungen über Disziplinarkommission, Disziplinarrat und Disziplinaranwalt sowie das Verfahren vor dem DisziplinarratRechtssatz
Verfassungswidrigkeit der Wortfolge "und auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen bestellt wird" in §140 Abs3 erster Satz, der Wortfolge "auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen" in §140 Abs3 zweiter Satz und des dritten Satzes in §140 Abs3 ÄrzteG 1998 idF BGBl I 140/2003. Fristsetzung: Inkrafttreten der Aufhebung mit Ablauf des 30.09.2024; diese Frist ermöglicht es dem Gesetzgeber, eine den verfassungsrechtlichen Vorgaben Rechnung tragende Neuregelung über die Bestellung der Mitglieder der Disziplinarkommission zu treffen. Im Übrigen: Abweisung der Anträge der LVwG.
Kein Verstoß gegen Art120a Abs1 B-VG: Die Festlegung von und der Umgang mit Rahmenbedingungen für die berufliche Tätigkeit, also Berufsausübungsregeln, worunter auch insbesondere das Disziplinarrecht der freien Berufe fällt, zählen zu jenen Angelegenheiten einer Selbstverwaltungskörperschaft, die dieser zur eigenverantwortlichen, weisungsfreien Besorgung überlassen werden. Die Handhabung des Disziplinarrechts durch die Standesgemeinschaft selbst stellt eine Form der Standesgerichtsbarkeit dar, die in Wahrnehmung des sogenannten "disziplinären Überhangs" von beruflichem Fehlverhalten neben der Verfolgung sowie Sanktionierung durch Verwaltungsstrafbehörden und Gerichte besteht. Durch Art120a Abs1 B-VG sollte angesichts der Absicht einer bloßen "Klarstellung" der Zulässigkeit der Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern nichts an der bestehenden Verfassungsrechtslage zur Selbstverwaltung im nichtterritorialen Bereich geändert werden.
Die Ahndung von Verstößen gegen Standesregeln zählt bei den Kammern der freien Berufe seit jeher zu den typischen Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches. Das ÄrzteG 1998 sah bereits in seiner Stammfassung (und auch nach der B-VG-Novelle BGBl I 2/2008) vor, dass die Wahrnehmung des ärztlichen Disziplinarrechts im Rahmen der Selbstverwaltung im eigenen Wirkungsbereich der Österreichischen Ärztekammer zu besorgen ist. An dieser Beurteilung hält der VfGH fest.
Der Komplexität bei der Handhabung des ärztlichen Disziplinarrechts wird gerade dadurch Rechnung getragen, dass jeder Disziplinarkommission seit jeher auch rechtskundige Untersuchungsführer beigegeben werden. Schon die Zusammensetzung des Spruchkörpers zeigt, dass die Ausgestaltung der Disziplinarkommissionen grundsätzlich der potentiellen Komplexität disziplinarrechtlicher Verfahren gerecht wird und daher auch geeignet iSd Art120a Abs1 B-VG ist, von der Ärzteschaft im eigenen Wirkungsbereich besorgt zu werden. Die Vollziehung des Disziplinarrechts durch die Ärzteschaft selbst ist zur Sicherung des Standesansehens von Bedeutung: So ist die Verfolgung und Ahndung von ärztlichem Fehlverhalten gemäß §136 ÄrzteG 1998 nicht durch staatliche, sondern berufsständige Organe ein wesentlicher Aspekt der beruflichen Selbstverwaltung. Das Disziplinarrecht ist damit "Ausdruck der funktionierenden Selbstreinigungskraft des Berufsstandes", das den Zweck hat, ärztliches Fehlverhalten standesintern unter Berücksichtigung general- und spezialpräventiver Aspekte zu ahnden. Das Disziplinarverfahren unterliegt der nachprüfenden Kontrolle durch das jeweils örtlich zuständige Landesverwaltungsgericht.
Kein Verstoß gegen Art18 B-VG und Art83 Abs2 B-VG: Die nähere Ausgestaltung der Disziplinarkommissionen hinsichtlich deren Einrichtung und der örtlichen Zuständigkeit fällt in die innere Organisationsautonomie der Österreichischen Ärztekammer. Die Disziplinarkommission selbst verfügt jedoch über keinen Behördenstatus; dieser kommt vielmehr dem Disziplinarrat als Organ der Österreichischen Ärztekammer zu, in dessen Namen Rechtsakte ergehen. Die Disziplinarkommission ist nach der Diktion des §140 Abs2 erster Satz ÄrzteG 1998 ein Verwaltungskörper, der als Untergliederung der Behörde "Disziplinarrat" und Teil der kammerinternen Organisationstruktur ausgestaltet ist, für deren Einrichtung der Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zuständig ist. Der 5. und 6. Abschnitt des 3. Hauptstücks des ÄrzteG 1998 regeln den Disziplinarrat und den Disziplinaranwalt sowie das Verfahren vor dem Disziplinarrat. Aus einer Zusammenschau des §140 Abs2, §145 und §147 Abs1 ÄrzteG 1998 ergibt sich, dass die Zuständigkeit jedenfalls hinreichend präzise geregelt ist.
Verstoß gegen Art120c Abs1 B-VG: Der Umstand, dass Angelegenheiten des Disziplinarrechts im eigenen Wirkungsbereich der Österreichischen Ärztekammer zu vollziehen sind, bedingt, dass die mit "entscheidungswichtigen Aufgaben und Befugnissen" betrauten Organe eines Selbstverwaltungskörpers von diesem "autonom", dh aus der Mitte seiner Angehörigen, zu bestellen sind, um die demokratisch notwendige Legitimation zu haben; dies ist ein Kerngedanke der Selbstverwaltung. Mit Art120c Abs1 B-VG wird im Hinblick auf die dem Selbstverwaltungsbegriff immanente "Befugnis zur Bestellung der eigenen Organe aus der Mitte der Verbandsangehörigen das Erfordernis der demokratischen Organkreation" verankert. Es können "(grundsätzlich) nur 'Mitglieder' Organfunktionen in Selbstverwaltungskörpern" wahrnehmen. Dabei soll sichergestellt werden, dass die Bildung von Organen unmittelbar oder mittelbar auf den Willen der Verbandsangehörigen zurückzuführen ist.
Disziplinarbehörde erster Instanz ist nach §140 Abs1 ÄrzteG 1998 der Disziplinarrat als Organ der Österreichischen Ärztekammer. Im Rahmen des Disziplinarrates ist zur Durchführung von Disziplinarverfahren für den Bereich eines jeden Oberlandesgerichtssprengels zumindest eine Disziplinarkommission einzurichten. §140 Abs3 ÄrzteG 1998 legt dabei fest, dass jede Disziplinarkommission aus einem Vorsitzenden, der rechtskundig sein muss, sowie zwei ärztlichen Beisitzern, die vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer bestellt werden, besteht. Dies ist auch für gleichzeitig zu bestellende Stellvertreter vorgesehen. Allerdings ist der Vorsitzende (und dessen Stellvertreter) zwar auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer, aber vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen zu bestellen. Die Mitwirkung eines Bundesministers an der Kreation eines Organs der Selbstverwaltung, etwa durch Entsendung eines Mitgliedes in eine Kommission widerspricht Art120c Abs1 B-VG.
In gleicher Weise gilt dies für die Bestellung eines Mitgliedes der Disziplinarkommission, hier noch dazu des Vorsitzenden dieser Kommission, die im Rahmen des Disziplinarrates zur Durchführung der Disziplinarverfahren eingerichtet ist. Dass der rechtskundige Vorsitzende nicht aus dem Kreis der Mitglieder des Selbstverwaltungskörpers stammt, schadet im vorliegenden Fall noch nicht, jedoch müsste diese Person vom Selbstverwaltungskörper selbst zum Mitglied der Disziplinarbehörde bestellt werden. Indem die Regelung des §140 Abs3 ÄrzteG 1998 normiert, dass der für das Gesundheitswesen zuständige Bundesminister den Vorsitzenden sowie seine Stellvertreter der Disziplinarkommission bestellt, erweist sich die Besetzung der gemäß §140 Abs3 ÄrzteG 1998 zusammengesetzten Disziplinarkommission als verfassungswidrig.
Zur Herstellung eines verfassungskonformen Rechtszustandes genügt es, jene Bestimmungen im ÄrzteG 1998 aufzuheben, welche die Mitwirkung des Bundesministers für Gesundheit und Frauen bei der Bestellung der Mitglieder der Disziplinarkommission nach §140 Abs3 ÄrzteG 1998 betreffen.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Ärzte Berufsrecht, Disziplinarrecht, Selbstverwaltungsrecht, Ärztekammer, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Gerichtsantrag, Wirkungsbereich eigener, Selbstverwaltung, Behördenorganisation, berufliche Vertretungen, DeterminierungsgebotEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2023:G237.2022Zuletzt aktualisiert am
23.03.2023