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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §45 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der Mag. D K in G, vertreten durch die Rechtsanwälte Prutsch & Partner in 8010 Graz, Joanneumring 6/III, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 27. Jänner 2020, Zl. LVwG 30.11-622/2019-15, betreffend Übertretung des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Graz), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 29. Jänner 2019 wurde die Revisionswerberin als handelsrechtliche Geschäftsführerin (§ 9 Abs. 1 VStG) der P GmbH, welche eine Schule für Gesundheits- und Krankenpflege betreibt, schuldig erkannt, dass, wie anlässlich einer Kontrolle durch das Amt der steiermärkischen Landesregierung am 15. November 2017 festgestellt worden sei, den Ausbildungsteilnehmern die Ausbildungsordnung nicht nachweislich zur Kenntnis gebracht worden sei. Dadurch habe die Revisionswerberin § 105 Abs. 1 Z 5 Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) iVm. § 13 Abs. 5 der Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen über Sonderausbildungen für Spezialaufgaben in der Gesundheits- und Krankenpflege (GuK-SV) iVm. § 5 Z 1 der Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen über Sonderausbildungen für Lehraufgaben und für Führungsaufgaben in der Gesundheits- und Krankenpflege (GuK-LFV) übertreten, weshalb eine Geldstrafe in Höhe von € 300,-- sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe in Höhe von 30 Stunden verhängt und ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben wurde. Weiters wurde ausgesprochen, dass die P GmbH gemäß § 9 Abs. 7 VStG für die über die Revisionswerberin verhängte Strafe im angeführten Ausmaß zur ungeteilten Hand hafte.
2 Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde, in der sie die Einvernahme der Zeuginnen MP, AW und MW zum Beweis dafür beantragte, dass die Ausbildungsordnung sowohl den Ausbildungsteilnehmern als auch den Lehr-und Fachkräften zur Kenntnis gebracht worden sei. Diese Beschwerde wies das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe ab, dass der Spruch des gegenständlichen Straferkenntnisses dahingehend präzisiert werde, dass die Ausbildungsordnung den Ausbildungsteilnehmern der Sonderausbildung für Lehraufgaben „L-SOA07“ nicht nachweislich zur Kenntnis gebracht worden sei. Weiters wurde ein Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens vorgeschrieben und gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - aus, der Geschäftszweig der P GmbH sei die Aus-, Fort-, und Weiterbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege. Am 15. November 2017 habe die belangte Behörde eine Nachschau in die Ausbildungsunterlagen der P GmbH vorgenommen. Gegenstand der Amtshandlung sei die Sonderausbildung für Lehraufgaben L-SOA07 gewesen. Diese habe am 10. Dezember 2015 begonnen und sei im Juni 2018 beendet worden. Im gegenständlichen Fall sei durch die GuK-LFV-Novelle 2018 insofern eine materielle Änderung eingetreten, als Sonderausbildungen für Lehr- und Führungsaufgaben in der Gesundheits- und Krankenpflege nur mehr im universitären Bereich durchgeführt werden sollten und die P GmbH derartige Fortbildungen nicht mehr anbieten dürfe. Der Umstand, dass nach dem im Juni 2018 erfolgten Ende der Ausbildung unter anderem die Bestimmung des § 5 GuK-LFV durch die genannte Novelle im Dezember 2018 aufgehoben worden sei, ändere nichts daran, dass hinsichtlich der hier durchgeführten Veranstaltung L-SOA07 die Verpflichtung bestanden habe, den Auszubildenden die Ausbildungsordnung zur Kenntnis zu bringen, und begründe keine Straffreiheit im Nachhinein. Eine Einvernahme der in der Beschwerde beantragten Zeuginnen habe sich erübrigt, „da es sich dabei um keine Zeugenaussagen vor Begehung der Tat“ handle.
4 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision, zu der das Verwaltungsgericht die Verfahrensakten vorgelegt und der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz als Oberbehörde eine Revisionsbeantwortung erstattet hat.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 § 117 Abs. 24 GuKG idF BGBl. I Nr. 75/2016 lautet:
„(24) Mit 1. Jänner 2017 treten
1. der Eintrag zu § 65a im Inhaltsverzeichnis sowie § 17 Abs. 7, § 65 Abs. 1, 4 und 5, § 65a samt Überschrift und § 65c Abs. 1 Z 1 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 75/2016 in Kraft und
2. die Einträge zu §§ 71 und 72 im Inhaltsverzeichnis sowie §§ 71 und 72 samt Überschriften außer Kraft.
Sonderausbildungen für Lehraufgaben und für Führungsaufgaben, die vor diesem Zeitpunkt begonnen worden sind, sind nach den bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Bestimmungen fortzusetzen und abzuschließen.“
7 Den Erläuterungen zur diesbezüglichen Regierungsvorlage (1194 BlgNR, 25. GP, 11) kann Folgendes entnommen werden:
„Der Erwerb der Qualifikationen für Lehr- und Führungsaufgaben erfolgt bereits seit längerer Zeit fast zur Gänze durch das bereits seit Mitte der 1990er-Jahre bestehende Gleichhaltungssystem von Universitäts- und Fachhochschulausbildungen in den Bereichen der Lehre und des Managements. Die Notwendigkeit der Vermittlung dieser Qualifikationen im tertiären Ausbildungssektor ist mittlerweile unumstritten und auf Grund der Einleitung der nunmehr vollständigen Überführung der Grundausbildung im gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege in den tertiären Bereich dringend geboten. Ein Weiterbestehen von Sonderausbildungen für Lehr- und Führungsaufgaben außerhalb des tertiären Ausbildungssektors wäre daher aus Qualitätsgründen weder zeitgemäß noch vertretbar. Für die allenfalls derzeit noch geführten Sonderausbildungen in diesen Bereichen wird eine Übergangsfrist bis Ende 2016 geschaffen. Dem Umstand der Abschaffung der Sonderausbildungen für Lehr- und Führungsaufgaben wird durch die neue Regelung des § 65a Rechnung getragen, wonach nicht mehr eine Gleichhaltung mit der entsprechenden Sonderausbildung, sondern eine Anerkennung der Universitäts- und Fachhochschulausbildungen für die Vermittlung von Lehr- und Führungsqualifikationen vorgesehen sein wird“.
8 Aufgrund des Außerkrafttretens der §§ 71 und 72 GuKG, welche die Sonderausbildungen für Lehr- und Führungsaufgaben außerhalb des universitären Bereichs geregelt hatten, wurden mit der GuK-LFV-Novelle 2018, BGBI II. Nr. 365/2018, die entsprechenden Durchführungsbestimmungen der GuK-LFV, darunter auch § 5 GuK-LFV, mit 22. Dezember 2018 aufgehoben.
9 Die vorliegend maßgeblichen Bestimmungen lauteten zum Tatzeitpunkt 15. November 2017 (auszugsweise):
GuKG, BGBl. I Nr. 108/1997 idF BGBl. I Nr. 54/2017:
„Strafbestimmungen
§ 105 (1) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe bis zu 3 600 Euro zu bestrafen, wer
1. ... oder
...
5. Anordnungen oder Verboten zuwiderhandelt, die in den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen enthalten sind.
(2) Der Versuch ist strafbar.“
GuK-LFV, BGBl. II Nr. 453/2005:
„Anwendung der GuK-SV
§ 5. Bei der Durchführung von Sonderausbildungen für Lehraufgaben und für Führungsaufgaben sind, sofern die §§ 7 ff nicht anderes bestimmen, die Bestimmungen der GuK-SV hinsichtlich
1. Lehrtätigkeit (§ 4 GuK-SV), räumliche und sachliche Ausstattung (§ 6 GuK-SV), Aufnahme in eine Sonderausbildung (§ 7 GuK-SV), Ausschluss von und Ausscheiden aus einer Sonderausbildung (§§ 8 und 25 GuK-SV), Ausbildungszeit (§ 9 GuK-SV), Teilnahmeverpflichtung (§ 10 GuK-SV), Unterbrechung der Ausbildung (§ 11 GuK-SV), Leitung (§ 12 GuK-SV), Ausbildungsordnung (§ 13 GuK-SV),
...
anzuwenden.“
GuK-SV, BGBl. II Nr. 452/2005:
„Ausbildungsordnung
§ 13. (1) Die Leitung der Sonderausbildung hat den im Rahmen der Sonderausbildung durchzuführenden Dienst- und Unterrichtsbetrieb durch eine Ausbildungsordnung festzulegen und für deren Einhaltung zu sorgen.
(2) Die Ausbildungsordnung hat insbesondere
1. die Rechte und Pflichten der Leitung der Sonderausbildung und der Lehr- und Fachkräfte,
2. das Verhalten sowie die Rechte und Pflichten der Ausbildungsteilnehmer/Ausbildungsteilnehmerinnen im Rahmen der Sonderausbildung einschließlich Regelungen über das Versäumen von Ausbildungszeiten,
3. Maßnahmen zur Sicherheit der Ausbildungsteilnehmer/Ausbildungsteilnehmerinnen im Rahmen der Sonderausbildung und
4. Vorschriften zur Ermöglichung eines ordnungsgemäßen Ausbildungsbetriebs festzulegen.
...
(5) Die Ausbildungsordnung ist den Ausbildungsteilnehmern/Ausbildungsteilnehmerinnen sowie den Lehr- und Fachkräften nachweislich zur Kenntnis zu bringen.“
10 Die Revision ist zulässig und begründet, weil sie zu Recht die Verletzung von Verfahrensvorschriften (dazu weiter unten) rügt.
11 Soweit die Revisionswerberin vorbringt, das ihr angelastete Verhalten sei aufgrund der Aufhebung des § 5 GuK-LFV mit 22. Dezember 2018 zum Zeitpunkt der Erlassung des Straferkenntnisses vom 29. Jänner 2019 nicht mehr strafbar gewesen, ist ihr Folgendes entgegenzuhalten:
12 Nach der hg. Rechtsprechung kommt es beim Günstigkeitsvergleich gemäß § 1 Abs. 2 VStG bei Fortbestehen der Strafbarkeit auf die Gesamtauswirkungen der tatbestandlich vorgesehenen Strafe für den Täter an. Ändert sich etwa bei Blankettstrafnormen zwar der Inhalt des Blanketts reduzierend, bleibt das grundsätzliche strafrechtliche Verbot jedoch bestehen, hat eine nachträgliche Einschränkung des Blankettinhalts keine Auswirkungen auf das Weiterbestehen der Strafnorm. Bei einer Änderung der Rechtslage zwischen dem Tatzeitpunkt und dem Ergehen des verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses findet ein Günstigkeitsvergleich im Sinne des § 1 Abs. 2 VStG keine Anwendung, wenn das strafrechtliche Unwerturteil aufrecht bleibt (vgl. etwa VwGH 22.7.2019, Ra 2019/02/0107, mwN).
13 Im Revisionsfall ist die Blankettstrafnorm des § 105 Abs. 5 GuKG unverändert geblieben. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts hat die verfahrensgegenständliche Sonderausbildung für Lehraufgaben (L-SOA07) am 10. Oktober 2015 und somit vor dem 1. Jänner 2017 begonnen. Nach § 117 Abs. 24 GuKG idF BGBl. I Nr. 75/2016 sind Sonderausbildungen für Lehr- und Führungsaufgaben, die vor dem 1. Jänner 2017 begonnen wurden, nach den bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Bestimmungen fortzusetzen und abzuschließen. Das strafrechtliche Unwerturteil ist auch insofern noch aufrecht, als nach der unverändert gebliebenen Bestimmung des § 13 Abs. 5 GuK-SV die Ausbildungsordnung den Ausbildungsteilnehmern sowie Lehr- und Fachkräften (auch weiterhin) nachweislich zur Kenntnis zu bringen ist.
14 Dem Verwaltungsgericht ist daher nicht entgegenzutreten, wenn es auch nach dem Außerkrafttreten des § 5 GuK-LFV zwischen Tatzeitpunkt und Erlassung des Straferkenntnisses von der Strafbarkeit des der Revisionswerberin angelasteten Verhaltens ausging.
15 Soweit die Revision aber die Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt, weil das Verwaltungsgericht die in der Beschwerde beantragten Zeuginnen MP, AW und MW zum Beweis dafür, dass die Ausbildungsordnung sowohl den Ausbildungsteilnehmern als auch den Lehr- und Fachkräften zur Kenntnis gebracht worden sei, nicht einvernommen habe, führt dieses Vorbringen sie zum Erfolg.
16 Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, ist Beweisanträgen grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Beweisaufnahme im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Zur Vermeidung einer antizipierenden Beweiswürdigung dürfen Beweisanträge vom Verwaltungsgericht, vor dem der Unmittelbarkeitsgrundsatz gilt (vgl. die §§ 46, 48 VwGVG), nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder ein Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - an sich nicht geeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen (vgl. etwa VwGH 20.12.2021, Ra 2018/08/0013, 0066; 24.11.2022, Ra 2021/08/0053, jeweils mwN).
17 Die Revisionswerberin brachte im Strafverfahren bereits vor, die Ausbildungsordnung sei den Teilnehmern mündlich zur Kenntnis gebracht worden. In der mündlichen Verhandlung am 29. November 2019 legte sie eine entsprechende Power-Point-Präsentation vor. Das Verwaltungsgericht führt zwar in seiner rechtlichen Beurteilung aus, dass den Ausbildungsteilnehmern bei der Power-Point-Präsentation mündlich nicht sämtliche Inhalte der Ausbildungsordnung zur Kenntnis gebracht worden seien, verneinte aber die Notwendigkeit einer Einvernahme der beantragten Zeuginnen zu diesem Thema mit dem nicht nachvollziehbaren Hinweis, dass es sich dabei „um keine Zeugenaussagen vor Begehung der Tat“ handle.
18 Da die beantragten Zeugeneinvernahmen nicht von vornherein als ungeeignet erachtet werden können, einen Beweis dafür zu erbringen, dass den Ausbildungsteilnehmern sämtliche Inhalte der Ausbildungsordnung zur Kenntnis gebracht wurden - womit § 5 Z 1 GuK-LV iVm. § 13 Abs. 5 GuK-SV entsprochen wäre -, durfte das Verwaltungsgericht von der Aufnahme des beantragten Zeugenbeweises nicht absehen. Die Revision zeigt daher zutreffend auf, dass diese Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung erforderlich gewesen wäre.
19 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
20 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 16. Februar 2023
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2020110081.L00Im RIS seit
21.03.2023Zuletzt aktualisiert am
21.03.2023